Neonazi-Burschenschaft „Normannia“ vor der Auflösung

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Normannia beim Basteln von "Roter Baron"

Vom 22. bis zum 24. Februar wollen sich Mitglieder der neonazistischen Burschenschaft "Normannia" in Jena und Kahla treffen, um formell die (vorläufige) Einstellung aller Aktivitäten zu beschließen. Die "Normannia" galt lange als Bindeglied zwischen rechtskonservativen Studierenden und der Neonaziszene. 

Hervorgegangen ist die Normannia aus der Burschenschaft "Jenensia". Schon die hatte sich eindeutig positioniert:  Sie lud 1999 zu einem Vortrag mit Peter Dehoust, Leiter des Buchverlages und Mitherausgeber der Zeitung „Nation und Europa“ ein. "Nation und Europa" stellte jahrzehntelang einen wichtigen Knotenpunkt im Netzwerk des internationalen Rechtsextremismus dar. „Ideologisch steht die Zeitschrift von Beginn an für die europäische Vernetzung im Geiste der Waffen-SS.“, so das Handbuch des Deutschen Rechtsextremismus. Als Ausrutscher konnte die Veranstaltung der "Jenensia" nicht bezeichnet werden. Schon mehrmals waren ausgewiesene Exponenten der rechtsextremen Szene als Referenten geladen bzw. als Besucher anwesend. Unter anderem zählten der Republikaner Wilhelm Tell und André Kapke, Führungsfigur der Jenaer Naziszene, zu den Besuchern der Veranstaltungen. 

 Ca. einhundert Antifaschist*innen, Gewerkschafter*innen und Kirchenvertreter*innen demonstrierten gemeinsam gegen die Veranstaltung, die von ca. einem Dutzend Neonazis aus dem „Thüringer Heimatschutz“, darunter Tino Brandt und André Kapke, abgesichert wurde. Die inhaltlichen und strukturellen Verbindungen zum organisierten Neonazismus waren offensichtlich geworden, woraufhin 11 aktive Burschen aus der Jenensia ausgeschlossen wurden bzw. ausschieden und am 14.12.1999 die Burschenschaft Normannia zu Jena gründeten. 

Von Anfang an stand - allein aufgrund der Mitglieder, die sich teils aus dem Thüringer Heimatschutz bzw. dessen Umfeld rekrutierten – fest, dass die neugegründete Burschenschaft eine weitere Neonazi-Strukur in Jena bildete, die in den Folgejahren als Bindeglied zwischen militanten Neonazis, rechten Akademikern und rechtskonservativen Kräften agieren sollte. Ihr Domizil fanden sie in der Schleidenstraße 2, der "Wilhelmsburg". Damit wurde ein Wohn- und Versammlungsraum für rechtskonservative neofaschistische Studenten etabliert, geworben wurde durch Anzeigen in "Nation und Europa" und im "Mitteldeutschen Sprachrohr", einem Zeitungsprojekt der NPD. Erworben wurde die Schleidenstraße 2 im Juni 2002 vom Jenaer REPUBLIKANER Wilhelm Tell und anschließend dem Verein "Jenaische Burse e.V." zur Verfügung gestellt. Die Namen der Mitglieder sprechen für sich: Peter Dehoust, der ehemalige REP-Bundesvorstand Klaus Weinschenk, der Hauseigentümer Wilhelm Tell, REP-Landesvorsitzender Schneider und Dirk Metzig, ehemaliger Pressesprecher der Burschenschaft Jenensia und  zwischenzeitlich führendes Mitglied der Normannia. 

Ein Scharnier zwischen rechtskonservativen Studenten und der Thüringer Neonaziszene war entstanden. 

Das vom 22. – 24. Februar 2004 stattgefundene Stiftungsfest der Normannia vereinte altbekannte rechtskonservative Herren und neofaschistische Studenten – anwesend waren beispielsweise Klaus Weinschenk und - als Referent - Alfred Mechtersheimer, welcher schon bei der "Jenensia" mit antisemitischen Vorträge auftrat. Als Festredner fungierte Heinrich Lummer (Ex-MdB CDU, Autor der "Jungen Freiheit").

Nach diversen antifaschistischen Interventionen wurde der "Normannia" der Mietvertrag gekündigt. Beim Umzug in das neue Domizil war u.a. Ralf Wohlleben (Waffenlieferant und Unterstützer des NSU) behilflich. Das neue Objekt der Normannia sollte in den Jahren bis 2009 das sogenannte "Braune Haus" in Jena sein, welches 2002 als "nationales Schulungs- und Wohnobjekt" durch Maximilian Lemke per Erbbaupachtvertrag erworben wurde. Mitbewohner waren u.a. Ralf Wohlleben, André Kapke und Maximilian Lemke. Neben der Normannia hatten auch die NPD Jena, die JN, der "Nationale Widerstand Jena" dort zeitweise ihre Postadresse. Mehrfach fanden aus dem Haus heraus Übergriffe statt.

Im Braunen Haus kam das gesamte Spektrum der Neonazi-Szene zusammen. Von stilechten Neonazi-Faschingsfeiern, über antisemitische, geschichstrevisionistische Veranstaltungen zum "3. Reich", Schulungen für die NPD-Kader im Wahlkampf bis hin zu überregionalen Neonazi-Treffen fand alles Mögliche statt. Ergänzt wurde das Potpourri durch Organisation von Neonazi-Großveranstaltungen wie dem „Fest der Völker“. Unterschiedlichste Proteste – getragen von Antifaschist*innen – konnten dem Treiben kaum Einhalt gebieten.

Im Jahr 2009 veröffentlichte die Antifaschistische Initiative „Sieben auf einen Streich“ den E-Mail-Verkehr des führenden Jenaer Neonazis Nico Schneider [1], der auch Mitglied der Burschenschaft Normannia war. Aus dem damals veröffentlichten Mail-Verkehr ging nicht nur der enge Kontakt zwischen Ralf Wohlleben und Mitgliedern der Normannia hervor, sondern deren Einbindung in Teile der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Neben Marco Reese vormaliges Mitglied der „Jungen Union“ und aktives Mitglied der Normannia wurden ebenfalls Dr. Roberto Köferstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Halle [2] als Mitglied der Normannia geoutet. 

Wenig überraschend war der erneute Beleg für die Mitgliedschaft von Christian Kapke, der im Zuge der Aufarbeitung des NSU-Komplexes relevanter wurde, da er mit seinem Liederduo „Eichenlaub“ im Jahr 1999 ein Lied für das untergtauchte NSU-Kerntrio geschrieben hatte. In diesem heißt es unter anderem: „Die Kameradschaft bleibt bestehn, sollten wir uns auch nicht wiedersehn. Der Kampf geht weiter, nur voran. Für unser deutsches Vaterland.“

Erstmals öffentlich bekannt wurden dadurch ebenfalls die Verbindungen der Neonazi-Burschenschaft zu Mitgliedern der FPÖ, wie bspw. deren damalige „Politik-Nachwuchshoffnung“ Bastian Grösslhuber, der 2009 für die FPÖ auf Platz 6 der Gemeinderatswahl in Salzburg stand. (vgl. Bild 1: Mitgliederliste der Normannia aus 2009)

Mit der Veröffentlichung und Auswertung des E-Mail-Verkehrs von Schneiders rückten diverse Neonazis in Jena wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. An der Universität begann eine Debatte um journalistische Standards, da ein Redakteur des mitfinanzierten Magazins „Unique“ über Monate per E-Mail nicht nur engen Kontakt zu Schneider gehalten, sondern mit ihm die später veröffentlichten Artikel über das Braune Haus und die Jenaer Neonazi-Szene abgestimmt hatte [3].

Eine baurechtliche Verfügung im Jahr 2009 führte zwar zur Verdrängung der Neonazis aus dem „Braunen Haus“, mit einem Zelt im Garten konnten jedoch deren Treffen weiter stattfinden. Jegliche Nutzung endete schließlich mit der Verhaftung von Ralf Wohllebens als – damals noch mutmaßlichem – Unterstützer der rechtsterroristischen Gruppierung NSU im Jahr 2011.

Doch die "Normannia" sollte nicht lange auf ein neues Domizil warten müssen: ebenso wie diverse weitere Neonazis verlagerten sie ihren Schwerpunkt in das wenige Kilometer entfernte Kahla. Nach dem Erwerb der „Burg 19“ fanden hier nicht nur Neonazis wie Sebastian Dahl einen Platz, sondern ebenfalls die "Normannia". In den vergangenen Jahren trat die Normannia kaum noch öffentlich in Erscheinung, regelmässige Treffen und Veranstaltungen fanden jedoch statt. Darunter sogenannte „Zeitzeugenvorträge“ u.a. vom ehemaligen Offizier der Waffen-SS Herbert Bellschan von Mildenburg im Jahr 2017. Seit dem Jahr 2015 waren die Aktivitäten der Burschenschaft Normannia verstärkt auf Unterstützung der AfD oder auch Teilnahme an Veranstaltungen und Aktionen der "Identitäten Bewegung"  ausgerichtet, so nahm bspw. Nico Schneider 2016 am Vortrag von Bernd Höcke in Schnellroda teil, Martin Sellner (IB) referierte 2016 für die "Normannia" [4]. Ebenso brüsten sich die Normannen mit aktiver Wahlkampfunterstützung der AfD und verbreiten auf ihrem Facebook-Profil deren rassistische Positionen. Dass die AfD und die "Normannia" inhaltlich wenig trennt, offenbart sich kontinuierlich anhand geteilter Positionen, wie bspielsweise von Höcke, sowie am Personal, welches teils finanziell über die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag abgesichert ist. Prägnantestes Beispiel ist Torben Braga, zum Zeitpunkt der Verhandlungen (2014) über den "Arierparagraphen" in der Deutschen Burschenschaft deren Bundessprecher. 

Auch die Vernetzung in die Neonaziszene wurde weiter gepflegt. Als am 15. Juli 2017 in Themar das bis dahin größte Rechtsrock-Festival mit knapp 6000 Neonazis stattfand, war auch die "Normannia" vor Ort. Zwei Tage vorher kündigten sie  auf ihrem facebook-account an: "Das Wochenende steht bevor und es heißt anpacken! Ihr findet uns und Vertreter des Freundeskreises auf diversen Veranstaltungen am Sonnabend und Sonntag. Zum Beispiel ist Mensurtag in Dresden, dem einige Bundesbrüder beiwohnen werden, ebenfalls findet ein großes musikalisches und politisches Ereignis im Raum Thüringen statt und wird von einigen Burschen besucht sein. (...)" Kein überraschender Besuch: Normannia-Mitglied Tobias Winter alias "Bienenmann" pflegt diverse Kontakte zum in Deutschland verbotenen "Blood & Honour"-Strukuren und trat u.a. mehrfach beim "Tag der Ehre"  in Ungarn auf [5]. 

Am kommenden Wochenende, knapp 20 Jahre nach ihrer Gründung, will die Normannia in „die Vertagung“ gehen, also ihre Aktivitäten formell einstellen. Auslöser für die Auflösung sind wahrscheinlich fehlende aktive Studenten, die ihre Ideologie in politisch relevanteren Strukturen wie der AfD oder auch der Identitäten Bewegung auslassen können. Kein Grund zur Freude oder Beruhigung also. 

Das Treffen wird unserer Kenntnis nach in Kahla (wahrscheinlich Burg 19) und Jena stattfinden, es ist also davon auszugehen, dass sich am Wochenende mehrere Neonazi-Burschenschafter sowie deren militantes Umfeld in Gruppen durch Kahla und Jena bewegen werden. 

 

antifaschistische Initiative "remember sieben auf einen Streich"

 

[1] https://naziskahla.wordpress.com/1-2/personen/)

[2] https://forschung-sachsen-anhalt.de/pl/koeferstein-96652

[3] http://uniquepacktein.blogsport.de/2009/11/22/rassismus-antisemitismus-und-sexismus-unter-dem-deckmantel-der-interkulturalitaet/

[4] https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2016/07/28/hintergrund-verbindungen-der-afd-zur-extremen-rechten-in-thueringen-13-beispiele/

[5] https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2015/02/24/unscheinbar-umtriebig-tobias-winter-alias-bienenmann-unterwegs-im-europaweiten-blood-honour-netzwerk/

 

Quellen und weiterführende Informationen:

Jens Mecklenburg (Hg.), „Handbuch des Deutschen Rechtsextremismus“, 1996

Hintergrundartikel & Recherchen zur "Normannia" auf thueringenrechtsaussen https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/?s=Normannia

Kontakte der "Normannia" zur "Identitären Bewegung" und weitere Aktivitäten https://haskala.de/?s=Normannia 

Backup der Veröffentlichung "Nico packt aus", 2009 

 

 

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