Ein Riot braucht keine Sprecher_innen und erst recht keine_n Erklärbären

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Ein knapper, aber wütender Kommentar zum Artikel Corona Riots in den Niederlanden bei Sunzi Bingfa

 

 

In der aktuellen Sunzi Bingfa haben wohl die Bildschirmseiten nicht ausgereicht, um diesen Artikel zu publizieren, daher veröffentliche ich ihn hier.

Riots in Urk, Amsterdam und Eindhoven, eine Corona-Teststraße wird in Schutt und Asche gelegt, Supermärkte geplündert, Faschos zusammengeschlagen. Das jedenfalls sind die Eckpunkte, auf die ich hinsichtlich der jüngsten Ereignisse in den Niederlanden Bezug nehme. Unmissverständliche Taten, mit denen ich mich ausnahmslos identifizieren kann. Taten, die für sich sprechen und keiner weiteren Worte bedürfen, weder einer Erklärung, noch eines Kommentars von irgendjemandem, am wenigsten vielleicht von jenen, die das Spektakel von Zuhause vor dem Bildschirm verfolgen.

 

 

Aufgestachelt von irgendwelchen linken Idioten, die sich selbst in die Reihen der Aufstandsbekämpfung einordnen, lässt sich ein_e sogenannte_r Riot Turtle dennoch dazu hinreißen einen solchen Kommentar zu wagen. “Ein Versuch, die Corona-Unruhen in den Niederlanden einzuordnen,”wie es in der Einleitung des Textes heißt. Und worin besteht diese Einordnung am Ende? Unter anderem in “Einordnungen” wie der folgenden:

 

 

 

Diese Jugendlichen sind unpolitisch? Mir scheint, dass Emre sich sehr wohl bewusst ist, in welcher Art von Gesellschaft er lebt. Er mag nicht auf der Universität gewesen sein, ich weiß es wirklich nicht und es ist mir auch egal, und er mag eine andere Sprache sprechen als die meisten der radikalen Linken, aber er weiß, gegen wen und was er kämpft.

 

Ist das für die_den Autor_in nun eine überraschende Erkenntnis? Ich weiß es wirklich nicht und es ist mir auch egal, aber ich empfinde es als arrogant und von oben herab, einen solchen Kommentar abzugeben. Wenn ich mich hier erstaunt darüber geben würde, dass Riot Turtle, der_die Autor_in, trotz der Tatsache, dass sie_er irgendeinen Fetisch für die Linke und deren Meinung zu haben scheint, doch wenigstens einige grundlegende Dinge verstanden haben könnte, es würde als arrogant und vielleicht sogar als beleidigend wahrgenommen werden, oder? Aber wenn derartige Thesen über Personen geäußert werden, die bisher nicht durch irgendeine – auf die eine oder andere Art und Weise – unter Beweis gestellte Beziehung zu linkstümelnden Kadavern aufgefallen sind oder von denen das angenommen wird, dann scheint das in bestimmten Kreisen als eine neue, begrüßenswerte Haltung gegenüber dem – der Natur der Sache nach immer abstrahierten – proletarischen, migrantischen, jugendlichen Subjekt zu gelten, zu dem man vielleicht gerade wegen solcher Analysen zunehmend den Bezug verloren hat.

 

 

 

Dabei ist Riot Turtles Text nicht einfach nur ein weiterer linker Text, der sich des Schema Fs zur politischen Delegitimierung des Aufstands bedient, zumindest nicht durchgehend. Wenn hier auf die Gilets Jaunes Bezug genommen wird und das Herausprügeln der Faschos aus den Demonstrationen dem Reflex der deutschen Linken gegenübergestellt wird, Gegendemonstrationen zu veranstalten, nehme ich das durchaus als eine Tendenz der Überwindung des Links-Rechts-Gegensatzes wahr, der hierzulande so häufig und so erfolgreich wie nirgendwo anders von Staat und Medien genutzt und von Linken – auch denen, die sich radikal nennen – antizipiert wird, um möglicherweise aus sozialen Konflikten resultierende Aufstände von Anfang an zu befrieden. Aber leider eine Tendenz, die durch den Rest des Textes kaum widergespiegelt wird. Was soll diese moderne Videoanalysiererei, bei der einzelne, lokal beschränkte und oft voneinander völlig unabhängige Momente im Nachhinein von den Leuten, die sich auf den Kommentar vor dem Bildschirm beschränken (denn wer hätte sonst die Zeit, all diese Videos durchzusehen), zu einer Einheit verwoben werden? Was soll dieses strikte Bewegungsdenken, bei dem die Handlungen der_s Einen die Handlungen der_s Anderen zu überdecken scheinen? Das entspricht weder der Natur eines Riots, der sich schlichtweg nicht organisieren lässt, noch eröffnet es irgendwelche anderen Perspektiven außer der der Aufstandsbekämpfung. Von außen verantwortlich für die Taten anderer gemacht, fangen die Teilnehmer_innen eines Riots an, andere zu polizieren, stellen sich schützend vor Institutionen, die sie für gut, nicht schädlich oder auch nur nicht opportun anzugreifen halten, verurteilen Gewalt (und meist auch die als solche bezeichnete Gewalt gegen Sachen), liefern diejenigen, die dennoch gewaltsam rebellieren, an die Cops aus, usw. Viele tauchen nach ein, zwei Tagen des Riots einfach nicht mehr auf, weil ihnen zuhause von Medien, Verwandten, Freund*innen und selbst von “Gefährt*innen” wie Riot Turtle mehr oder weniger vorwurfsvoll Bilder von Szenen vorgehalten werden, für die sie nichts können, die aber nicht mit ihrem moralischen Wertesystem vereinbar sind.

 

 

 

Nicht nur aus einer aufständischen Perspektive wirft das Fragen auf. Was ist von denjenigen zu halten, die immerzu auf der Suche nach einem politisch korrekten Riot sind? Was ist von denen zu halten, die Nazis bei solchen Gelegenheiten lieber mit dem Teleobjektiv oder gar vollständig hinter dem Bildschirm einfangen, als sie, wenn schon nicht mit Fäusten mit Kimme und Korn ins Visier zu nehmen? Was ist von denen zu halten, die anstatt antisemitische Äußerungen zu konfrontieren – auf welche Art und Weise ihnen das auch immer geeignet scheint –, diese lieber dokumentieren und im Nachhinein gegen diejenigen Menschen verwenden, die Läden plündern, Bullen angreifen oder Corona-Teststationen niederbrennen? Ich behaupte das alles ist Ausdruck eines einzigen Bedürfnisses: Die Kontrolle zu behalten. Dass auch ja nichts unkontrolliertes passiere, nichts das man nicht selbst gutheißt. Und dieses Interesse deckt sich nicht zufällig mit dem des Staates.

 

 

 

Was aber ist eine aufständische Perspektive auf einen brodelnden sozialen Konflikt? Wie lassen sich die Bruchlinien mit dem Bestehenden vertiefen, die autoritären Akteur_innen in diesem Konflikt bekämpfen und zugleich eigene Inhalte ebenso wie Angriffe verfolgen? Dazu wurde anderswo bereits viel gesagt und letztlich muss hier sicher jede_r sein_ihren eigenen Strategien entwickeln, in einem Punkt bin ich mir jedoch sicher: Eine erfolgreiche Antwort auf diese Fragen lässt sich nur auf der Straße entwickeln.

 

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Ergänzungen

"Diese Jugendlichen sind unpolitisch? Mir scheint, dass Emre sich sehr wohl bewusst ist, in welcher Art von Gesellschaft er lebt. Er mag nicht auf der Universität gewesen sein, ich weiß es wirklich nicht und es ist mir auch egal, und er mag eine andere Sprache sprechen als die meisten der radikalen Linken, aber er weiß, gegen wen und was er kämpft."

 

Ich verstehe diesen Satz ganz anders als du. Es ist eher ein Vorwurf gegen die" Linke" die sich andauernd darauf aufhält wer wie spricht.

 

Es wurde dazu oft von der radikalen Linken in Deutschland behauptet das die Riots in Stuttgart nicht politisch und total schlimm wären. Turtel hatte sich damals auch als einer der wenigen mit einen Text solidarisch erklärt...

Am Ende stell ich mir die Frage ob hier jemand dem schreiber einfach nur was schlechtes in den Mund legen will da der Text einer der wenigen Texte zu den Riots in Holland ist, der sich nicht von den Jugendlichen endsolidarisiert. Dieser Text hier soll es aber so dar stellen. Ich frage mich warum. 

 

Hier ist der Link zu dem oben besprochenen Text:
https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/01/28/corona-riots-in-den-nied...

Der Text von Riot turtle ist sicher lesenswert und ich verstehe ihn als eine kritisch-solidarische Betrachtung der Ereignisse und einem informativen historischen Abriß über den Aufstieg von Rechtspopulismus in den Niederlanden.

Den Text hier auf Indy verstehe ich dagegen überhaupt nicht.

Riots in Urk, Amsterdam und Eindhoven, eine Corona-Teststraße wird in Schutt und Asche gelegt, Supermärkte geplündert, Faschos zusammengeschlagen. Das jedenfalls sind die Eckpunkte, auf die ich hinsichtlich der jüngsten Ereignisse in den Niederlanden Bezug nehme. Unmissverständliche Taten, mit denen ich mich ausnahmslos identifizieren kann. Taten, die für sich sprechen und keiner weiteren Worte bedürfen, weder einer Erklärung, noch eines Kommentars von irgendjemandem, am wenigsten vielleicht von jenen, die das Spektakel von Zuhause vor dem Bildschirm verfolgen.

 

Wer die Riots in Urk abfeiert hat gelinde gesagt einen kleinen Schaden am politischen Kompass. Das in Urk sind christlich religiöse Faschos aus dem bible belt in den Niederlanden.
Das ist vllt. ähnlich dämlich wie den Sturm aufs Capitol von den Faschos in den USA abzufeiern, wobei prinzipiell das Capitol als Ziel mir deutlich sympathischer ist als eine Corona-Teststation.
Wenn du dich mit randalierenden religiös-fanatischen Faschos identifizieren kannst, dann ist Indy vllt. nicht grade die richtige Seite und ehrlich gesagt wunderts mich dann auch nicht, dass Sunzi Bingfa das nicht veröffentlicht hat.

Die Vorwürfe an dem Text von Riot-turtle scheinen mir zudem ein bisschen so, als hätte sich der*die Autor*in deses Textes in irgendwas verrant und wolle den Text bewusst missverstehen.