1. Mai, Plauen: Vom Regen in die Traufe

addn.me 07.05.2014 10:51 Themen: Antifa Blogwire Repression
In Sachsen ticken die Uhren anders. Erneut kam es am Rande eines Naziaufmarschs im vogtländischen Plauen am 1. Mai zu Übergriffen durch vermummte Polizeieinheiten auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegenproteste. Doch das rabiate Vorgehen, bei dem Menschen aus einer Kirche geprügelt wurden, um anschließend ihre Personalien aufzunehmen, sorgt inzwischen nicht nur bei den Beteiligten für Unmut. Mittlerweile haben sich auch der evangelische Landesbischof sowie Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen empört über das gewaltsame Vorgehen gezeigt und ein parlamentarisches Nachspiel angekündigt. Ob damit jedoch das Vorgehen der an diesem Tag wieder aggressiv auftretenden sächsischen Polizeieinheiten aufgeklärt werden wird, bleibt fraglich.
Das "Freie Netz Süd" (FNS), ein überwiegend in Bayern ansässiger Kameradschaftsverbund, mobilisierte in diesem Jahr schon sehr frühzeitig zusammen mit der "Revolutionären Nationalen Jugend" (RNJ) und anderen lokalen Nazistrukturen zum 1. Mai-Aufmarsch ins vogtländische Plauen. Nachdem im vergangenen Jahr ca. 350 Nazis an der vom FNS angemeldeten Demonstration in Würzburg teilnahmen, waren in diesem Jahr etwa 600 Nazis dem Aufruf gefolgt (Fotos 1 | 2 | 3). Begleitet wurde der bundesweit größte rechte Aufmarsch von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis. Der Tag selbst wurde schließlich von der sächsischen Polizei erneut dafür genutzt, ihre Politik der Kriminalisierung antifaschistischer Proteste fortzusetzen.

Das FNS und sein neu gegründeter pseudo-parlamentarischer Ableger, die Partei "Der dritte Weg" (DIIIW), demonstrierten unter dem Motto "Arbeit zuerst für Deutsche!". Die Nazis verfolgen das Ziel, den ersten Mai in einen nationalen Kampftag im Sinne "deutscher Arbeiter" umzudeuten. Um emanzipatorische und solidarische Kritik an den gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnissen geht es dabei nicht. Stattdessen machen die Forderungen der Nazis deutlich, dass es ihnen vor allem darum geht, Arbeiterinnen und Arbeiter mit Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus gegeneinander auszuspielen. Der antisemitische Gehalt der Naziargumentation zeigte sich beispielhaft im unweit von Plauen gelegenen Reichenbach. Dort hatten offenbar Nazis in der Nacht zum ersten Mai antisemitische Parolen an das Zentrum für jüdisch-christliche Geschichte und Kultur geschmiert. Neben der offen nationalsozialistischen Agitation verfolgten die Nazis mit der Demonstration gleichzeitig das Ziel, das FNS und die Partei "Der dritte Weg" als überregionale Organisationen darzustellen. Denn in Bayern ist seit nunmehr einem Jahr ein Verbotsverfahren gegen das FNS anhängig - die länderübergreifenden Aktivitäten können daher als Idee verstanden werden, das Vorhaben juristisch zu unterlaufen und der Zuständigkeit bayrischer Behörden zu entziehen. Dafür spricht auch die große Zahl der aus Bayern angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zudem beteiligten sich vereinzelt auch Personen aus dem Ausland an dem rechten Aufmarsch.

Die Gegenproteste setzten sich aus unterschiedlichen Spektren zusammen. Neben einer linksradikalen Demonstration unter dem Motto "Let's take it back" gab es eine Demonstrationen der Linksjugend [solid‘] und von "Vogtland Nazifrei". Hinzu kamen mehrere Mahnwachen verschiedener Kirchgemeinden der Stadt. In der Summe protestierten mehr als 2.000 Menschen gegen den FNS-Aufmarsch. Die zuständige Polizeiführung war davon wenig begeistert. Schon im Vorfeld machte sie deutlich, dass mögliche Blockadeversuche durch Zivilgesellschaft und Antifa unterbunden werden sollen. Die Aufzugsstrecke der Nazis war schon seit den frühen Morgenstunden vor allem in den Kontaktbereichen mit der teilnehmerstärksten Demonstration des Tages, die des Bündnisses "Vogtland Nazifrei", mit bis zu drei Reihen Hamburger Gittern und Einsatzfahrzeugen gesichert worden. Die Zeichen für eine erfolgreiche Blockade des Aufmarsches waren jedoch nicht nur auf Grund der rigiden Polizeitaktik eher schlecht, auch die Resonanz auf die antifaschistische Mobilisierung "Let's take it back" mit etwa 300 Personen blieb hinter den Erwartungen zurück.

Trotz ständiger Kontrollen und Übergriffen durch die Einsatzkräfte kam es später dennoch zu einer erfolgreichen Blockade entlang der Strecke des Aufmarsches, die durch ihre Lage jedoch nur für eine symbolische Verkürzung der Naziroute sorgte. Vor allem jüngere Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie Teile der Zivilgesellschaft nutzten einen günstigen Moment, um direkt neben der Mahnwache an der Pauluskirche eine Sitzblockade zu errichten. Deren Rückraum wurde von einigen, etwas militanter agierenden Antifas mit Teilen einer nahen Baustelle gesichert. Über lange Zeit ließ die Polizei das Treiben rund um die Kirche schlicht unkommentiert. Einen anfänglichen Versuch, die Versammlung anzumelden, wurde von den Polizei ignoriert. So harrten mehrere hundert Menschen auch während des plötzlich einsetzenden Starkregens und Hagels aus und warteten gemeinsam auf den sich nähernden Naziaufmarsch.

Mehrere Polizeiübergriffe überschatteten Proteste (Quelle: flickr.com/photos/110931166@N08/)

Das polizeiliche Vorgehen änderte sich jedoch schlagartig, als der Naziaufmarsch in sicherer Entfernung vorbeigezogen war. Die zuvor eingesetzten "Kommunikationsteams" verschwanden und mehrere Hundertschaften der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gingen ohne Vorwarnung gegen die versammelten Menschen vor. Deren erstes Ziel waren jedoch nicht die auf der Straße ausharrenden Blockiererinnen und Blockierer, denen bis dato auch keine Aufforderung zur Räumung der Blockade ausgesprochen wurde, sondern jene, die sich in und um die Kirche versammelt hatten. Etliche Menschen wurden ohne Absprache mit dem ebenfalls anwesenden Pfarrer mit Faustschlägen und Tritten aus der Kirche geprügelt. Nachdem es bereits zuvor unmöglich war, den weiträumig abgesperrten Bereich um die Blockade zu verlassen, wurden alle bis dahin nicht aktiv an der Blockade beteiligten Personen mit Gewalt auf die Straße und damit in den Bereich der Blockade gedrängt (Video). Die Absurdität erreichte ihren Höhepunkt, als die Polizei anschließend alle im Kessel festgesetzten Personen aufforderte, diesen zu verlassen - obwohl parallel dazu genau das von den Beamtinnen und Beamten verhindert wurde. Danach kündigte die Einsatzleitung an, alle Anwesenden wegen des Verdachts auf Ordnungswidrigkeiten und Straftaten einer Identitätsfeststellung zu unterziehen. Den fast 400 von der polizeilichen Maßnahme betroffenen Personen wird nach bisheriger Schilderungen neben der Störung einer genehmigten Versammlung (§21 VersG) auch Vermummung und Sachbeschädigung vorgeworfen.

Die sächsische Polizei setzt damit unter Innenminister Markus Ulbig (CDU) ihre Politik der Kriminalisierung antifaschistischer Blockaden fort. Das Vorgehen in Plauen bleibt dabei höchst zweifelhaft: weder gab es Aufforderungen der Polizei zur Auflösung der Versammlung, noch unterband die Polizei, dass verschiedene Nazifotografen in aller Ruhe Porträtaufnahmen der Anwesenden fertigten, die sich dagegen mit Hilfe von Tüchern und Schals schützten. Erst gegen 20.30 Uhr konnten die letzten Menschen den Kessel verlassen, also fast drei Stunden nachdem die Nazis die Stadt bereits wieder verlassen und knapp fünf Stunden nachdem die Polizei mit der Kesselung begonnen hatte. Mit ihrem Vorgehen hat sich die sächsische Polizei nicht nur eine Menge Arbeit ins Haus geholt, sondern auch ein paar mehr Menschen davon überzeugt, dass "Demokratie" in Sachsen im Zweifelsfall bedeutet, die Straße für bekennende Faschisten freizuräumen. Der Vorbereitungskreis "Let's take it back" wies in einer eigenen Stellungnahme die von der Presse übernommene Behauptung von Stein- und Flaschenwürfe auf Einsatzkräfte der Polizei als Falschmeldung zurück. Betroffene des Polizeieinsatzes werden gebeten, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, sich mit dem Ermittlungsausschuss (EA) in Kontakt zu setzen und mit anwaltlicher Unterstützung Widerspruch gegen die polizeilichen Maßnahmen und Strafbefehle einzulegen.

Der überzogene Polizeieinsatz hat inzwischen für Kritik von mehreren Seiten gesorgt. Während Sachsens Innenminister Ulbig gegenüber MDR 1 Radio Sachsen ebenso wie Parteikollege Christian Hartmann das gewaltsame Eindringen in die Kirche und die anschließende Personalienfeststellung mehrerer hundert Menschen mit den "Straftaten einiger weniger" rechtfertigte, kritisierten SPD und Die Grünen den Einsatz als unverhältnismäßig. SPD-Fraktionschef Martin Dulig bezeichnete den Polizeieinsatz an und in der Kirche als "völlig unakzeptabel", etwas vergleichbares habe es "nicht einmal zu DDR-Zeiten gegeben". Die Verantwortlichen rief er zu Gesprächen mit der Gemeinde auf. Die Kirche, so Dulig weiter, sei in seinen Augen ein besonders "geschützter Ort". Ähnlich äußerte sich auch der Landesvorsitzende der sächsischen Grünen, Volkmar Zschocke. Für den Spitzenkandidaten der Grünen bei den bevorstehenden Landtagswahlen sei der "gewaltsame Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten [...] erschütternd". Zusammen mit Parteikollegin Eva Jähnigen rief er das zuständige Innen- und Justizministerium dazu auf, die Geschehnisse aufzuklären und "gegebenenfalls auch für Ermittlungen gegen mögliche Straftaten von Polizisten [zu] sorgen".

Sachsens evangelischer Landesbischof Jochen Bohl nannte die Räumung der Kirche eine "Grenzüberschreitung, die unverhältnismäßig und völlig überzogen ist" und überreichte Innenminister Ulbig schon am Freitag einen Protestbrief. Das gewaltsame Vorgehen sei für Ortspfarrer Hans-Christoph Spitzner auch deshalb auf Unverständnis gestoßen, weil es zuvor Absprachen mit der Polizei über die Öffnung der Kirche für ein Friedensgebet gegeben habe. Kritik kam auch von der ökumenischen "Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie", so sei der vor Ort anwesende Pfarrer der Pauluskirche weder durch die Polizei kontaktiert, noch über die rechtliche Grundlage der Maßnahme informiert worden. Vielmehr hätten Einsatzkräfte der Polizei sowohl im Inneren, als auch außerhalb des Kirchgebäudes "massiv Gewalt" gegen Protestierende angewandt. Erst im Nachhinein hatte sich die Einsatzleitung für die entstandenen "Irritationen" bei den Mitgliedern der Kirchengemeinde entschuldigt.

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Ergänzungen