A Security Nightmare/Gipfel der Repression #1

Kombinat-Fortschritt 07.06.2013 20:43 Themen: G8 G8 Heiligendamm
Heute vor sechs Jahren kam der G8-Gipfel über Heiligendamm. Stumpfe Randalebildchen im Fernsehen, dumme Kommentare im Radio und freche Sicherheitspolitiker vor Ort. Anlässlich der aktuellen, auch vom Wahlkampf befeuerten Diskussion, ob der anstehende G8 Gipfels 2015 nicht erneut in Mecklenburg-Vorpommern ausgerichtet werden könnte, lohnt sich ein Blick zurück. Während die Landes-CDU eine Neuauflage des „Law and Order“-Spektakels ausdrücklich wünscht, bleiben andere skeptisch. Die Entwicklung um den Gipfel im Zeitraffer betrachtet, lässt das Bundesland als Labor für den Sicherheitsstaat erscheinen. Eine kleine Reportage in zwei Teilen über den orwellschen Albtraum von 2007, das bis heute andauernde juristische Tauziehen und einen kritischen Ausblick auf den kommenden Gipfel 2015.
18.000 Polizeibeamte, über 1.100 Bundeswehrsoldaten, 2.300 Einsatzkräfte von THW und Feuerwehr. 15 Tornado-Kampfflugzeuge und vier Eurofighter. Spähpanzer, Wasserwerfer, Räumfahrzeuge. Eine Fregatte der Bundesmarine sowie ein Zerstörer und ein Kreuzer der US Navy. Bis zu 120 Millionen Euro Gesamtkosten. Ein 12.000 Meter langer, 2,5 Meter hoher und 5000 Tonnen schwerer Zaun, der die Verbotszone I umschließt. Die Verbotszone II hingegen umfasst ganze 40 Quadratkilometer und ein generelles Versammlungsverbot. Die Zahlen, mit der sich die „Gipfelgigantomanie“ beschreiben lässt, wirken beeindruckend und geben heute in der Retrospektive, am ehesten einen Eindruck davon, was für ein Aufwand betrieben wurde, um das Gipfeltreffen der acht Industrienationen an der Ostseeküste abzusichern. Um die Kosten für die sicherheitspolitische Muskelschau zu beziffern, werden durch die kritische Öffentlichkeit bis heute horrende Summen zitiert. Doch was steht hinter diesen Zahlen? Wofür wurden die über 100.000.000 Euro ausgegeben? Begeben wir uns auf eine Spurensuche.

Razzia im Vorfeld

Bereits seit 2005 arbeiteten die Behörden anscheinend an mehreren Repressionsverfahren parallel, welche in einer gemeinsamen bundesweiten Hausdurchsuchungswelle wenige Tage vor dem G8- Gipfel mündeten. Dabei wurden mehr als 40 Wohnungen, Vereinsräume und Kulturzentren in sechs verschiedenen Bundesländern gleichzeitig von fast 1.000 Polizeibeamten gestürmt. Neben dem vorrangigen Interesse Datenspeicher und Computer aller Art zu beschlagnahmen, fielen den Ermittlungsbeamten unter anderem mehrere Wecker, Uhren und ein kopierter Schülerausweis in die Hände. Alles Dinge, die im Nachinein dazu dienten, den wichtig klingenden Vorwurf von „gefälschten Personaldokumenten“ und das Gerede von „gefährlichen Gegenständen“ aufrechtzuerhalten. Am Sinn und Zweck frei verkäufliche Silvesterböller in einer großangelegten Razzia sicherzustellen, braucht an dieser Stelle wohl gar nicht weiter herumgedeutet werden. Einem der BKA-Beamten konnte durch Medienvertreter_innen ein Zitat entlockt werden, welches es im Nachgang zu einiger Berühmtheit brachte und den Charakter der Aktion wohl am besten beschreibt:

„Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt.“

Doch die Überwachungsmaßnahmen zur Ausforschung, der sich formierenden Protestbewegung gegen den Gipfel gingen noch weitaus tiefer. Im Vorfeld des Gipfels wurden in Berlin und Hamburg zum ersten Mal GPS-Peilsender an Autos von linken Aktivist_innen entdeckt, wie sie in den Jahren danach immer häufiger gefunden wurden. Erst während der folgenden Gerichtsprozesse stellte sich heraus, dass ebenso die Funkzellenauswertung (FZA) zur Überwachung von Handy-Nutzer_innen, wie sie im Rahmen der Proteste in Dresden 2011 für großes Aufsehen sorgte, im gleichen Maßstab bereits vor und während des G8-Gipfels angewandt wurde. Die FZA gilt als Variante der Rasterfahndung, was zumindest in der alten Bundesrepublik einmal für größeren Unmut sorgte.

Das Misstrauen gegen ganze Teile der Bevölkerung ging hingegen soweit, dass das Innenministerium die gängige Form der Postkontrolle für den Zeitraum des Gipfeltreffens noch einmal gehörig ausweitete. In Hamburg zeigte sich beispielsweise, dass die Behörden in einem Briefzentrum der Deutschen Post AG eigens eine mit 12 Beamten besetzte Überwachungsstelle einrichteten. Hier wurden die Sendungen für viele der alternativ geprägten Stadtteile der Innenstadt koordiniert.

Ein andere Maßnahme mit Skandalpotential stellte der Einsatz von so genannten „verdeckten Ermittlern“ dar, spezielle Polizisten, die teilweise über mehrere Jahre hinweg, unter einer falschen Identität, unter normalen Bürger_innen leben und Berichte für ihre Vorgesetzten erstellen. Hier produzierte insbesondere die Aufdeckung des britischen Officers der Metropolitan Police „Mark Kennedy“ jede Menge Schlagzeilen. Kennedy war beinahe 10 Jahre in den linken Szenen in verschiedenen Europäischen Ländern aktiv. Während des Gipfels kam er auch nach Deutschland und berichtete seinen Führungsoffizieren per SMS über die Vorgänge in den Protestcamps und den Blockaden am Tagungsort.

Durch parlamentarische Anfragen und journalistische Recherchen konnte herausgefunden werden, dass sich Mecklenburg-Vorpommern unter Vermittlung des BKA aktiv an diesem Business beteiligte und sich für die Proteste eben jenen Mark Kennedy von der britischen Polizei ausgeliehen hatte. Dessen Spesen und sonstige Kosten wurden folgerichtig aus der Landeskasse bezahlt. Ein Umstand der angesichts der Tatsache, dass der Undercover-Agent auch Straftaten begangen hat, um seine Tarnidentität aufrechtzuerhalten, als heikel gilt. So wurde er unter anderem in Berlin von deutschen Polizisten beim Anzünden von Mülltonnen erwischt.

Dass dieser Vorgang kein Einzelfall ist und polizeiliche „Agent Provocateur“ ein gängiges Mittel der Sicherheitsbehörden darstellen, zeigen die anderen Fälle von aufgeflogenen Polizeibeamten, die unter falschem Namen das Leben von Bürgerrechtsaktivisten, Umweltschützern und Globalisierungskritikern nachspielen. 2011 berichtete die Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ von der Enttarnung eines Polizisten, den der schweizerische Inlandsgeheimdienst bereits als 19-jährigern anwarb. Er wurde auf die Protestorganisation Attac angesetzt um von dort aus Zugang zu radikaleren Gruppen zu erlangen. Er nahm - ebenso wie Mark Kennedy - gezielt an den Vorbereitungstreffen des „Dissent!“-Netzwerkes teil und fuhr im Juni 2007 ebenfalls nach Rostock. Seinen Einstieg in die Szene fand er als Teil der „Clownsarmee“. Wäre es nicht so ein ernstes Thema, könnte man durchaus darüber Lachen. Ein Polizist, der dafür bezahlt wird, sich als Clown zu verkleiden und zivilgesellschaftliches Engagement an den Tag zu legen.

Wiederum der Fall Kennedy zeigt, dass es sich hierbei nicht nur um vermeintliche Pflichterfüllung handelt, sondern auch um ein Geschäft. Allen Krokodilstränen nach seinem Auffliegen zum Trotz, gründete er ein privates Sicherheitsunternehmen: Fachwissen vom Fachmann. Auch jede Menge anderer Unternehmen, betätigen sich in dieser Branche. So warb unter anderem der Technologiekonzern Motorola damit, das Sicherheitspersonal zum Gipfel mit dem aktuellen Tetra-Digitalfunksystem ausrüsten zu dürfen und sich so ein nicht unerhebliches Stück vom Gipfelkuchen sichern zu können.

Das Ausmaß der Überwachungsmaßnahmen konnte bis heute nicht in Gänze aufgeklärt werden. Angesichts einer ganzen Reihe von rechtsstaatlich bedenklichen Vorfällen, wie der Gängelung von Anwohnern, die ihre Fenster und Balkone nicht mehr benutzen durften oder einem Nachbarehepaar, welches überraschenden Besuch von der Polizei bekam, nachdem es am Telefon von einem Loch im (Garten-)Zaun sprach, lassen erahnen, dass zumindest im direkten Umfeld der Verbotszonen I und II für einen gewissen Zeitraum ausnahmslos jede Kommunikation überwacht worden sein dürfte.

Neben der Privatwirtschaft kamen auch der zivilmilitärische Komplex und staatliche Agenturen zum Zug und so gelten die Vorgänge des Sommers 2007 heute in vielen Fällen als Paradebeispiel für die Konfliktforschung, die Aufstandsbekämpfung und das „Management“ von Großveranstaltungen. Kaum eine Behörde, deren Mitarbeiter nicht Zuarbeit in irgendeiner Form leisten konnten. So kam es zu dem Umstand, dass sich sogar das Deutsche Luft- und Raumfahrtszentrum (DLR) in diesen Wochen mit vollkommen anderen Dingen als dem Weltraum befasste und Satellitenaufnahmen der Protestcamps, Blockaden und Verbotszonen nahezu in Echtzeit direkt an die Einsatzleitung vor Ort sendete. Finanziert durch das Forschungsprogramm „Artes-3“ der Europäischen Raumfahrtagentur ESA.

Bundeswehr an der Heimatfront

Heute ist sie von keinem Großevent mehr wegzudenken: die Bundeswehr. Einen ihrer größten und kontrovers diskutierten Einsätze im Inland hatte sie in Heiligendamm und das nicht einfach nur, um die Küstenwache beim Schutz des Gipfels von der Seeseite her zu unterstützen. Nicht wenigen Bürgern wurde mulmig, als sie die Spähpanzer vom Typ „Fennek“ sahen, welche die Autobahnbrücken der A19 kontrollierten. Sie sind mit militärisch erprobter Aufklärungstechnik ausgerüstet und oft effektiver als polizeiliche Systeme. Begründet wurde dies mit "technischer Amtshilfe" - konkret gestaltete sich das dann so, die Panzer dienten unter anderem dazu ein Genmaisfeld zu bewachen. Als Sahnehäubchen belogen Vertreter_innen der Bundesregierung noch die parlamentarische Opposition, indem sie dreist behaupteten, diese seien lediglich zum Schutz von Politikern eingesetzt worden.

Doch die eigens für diesen Einsatz gegründete Polizei-Abteilung „Kavala“ hatte ihr Arsenal damit noch lange nicht erschöpft. Frei nach dem Motto: „wenn - dann richtig“, begnügte man sich nicht mit den üblichen Polizeihubschraubern und deren sündhaft teurer Videotechnik, sondern bestellte sich gleich noch einige Kampfflugzeuge der Bundeswehr. Jagdbomber vom Typ Tornado donnerten immer wieder im Tiefflug über die Protestcamps und schufen so nicht nur noch mehr Bildmaterial vom Ort des Geschehens, sondern auch gleich eine ganz eigene Drohkulisse, wie man sie heute nur etwa aus Bürgerkriegsländern wie Syrien kennt. Dementsprechend rücksichtslos aber actionreich ging es dann auch bei der Jagd auf Dissidenten und Protestierende zu. Zu Buche schlug der ganze Spaß des Bundeswehr-Einsatzes im Übrigen mit 13,9 Millionen Euro.

Allerdings wussten die Demokratieexperten der Bundeswehr auch damals schon, sie würden nicht alle Demonstranten mit offensiven Einschüchterungsmaßnahmen abwehren können. Demzufolge wurde eine weitere insgesamt 12,5 Millionen Euro große Charge des G8-Geldes in defensive Verteidigungsvorhaben gesteckt. Um genau zu sein, in Befestigungsanlagen. Allgemein bekannt, dass die Ostdeutschen Experten im Mauerbauen seien, wurde ein 12 Km langer Zaun um die innere Verbotszone gebaut. Unterbrochen wurde er lediglich von zwei Sicherheitsschleusen. Dazu wurde dieser „Zaun“ – ganz wie früher – mit Bewegungsmeldern, Videokameras, Stacheldraht und einem 200 Meter breiten Sicherheitskorridor zu einem regelrechten Schutzwall ausgebaut.

Und wie finanziert man sowas? Einerseits wurde der Zaun nach dem Gipfel an Zaunliebhaber verkauft und andererseits das Ganze mit Geldern aus dem „Europäischen Sozialfonds“ kofinanziert. Insgesamt flossen auf diesem Weg 25 Millionen Euro in das Gipfel-Projekt. So war es dann auch möglich, dass Teile der Grenzbefestigungsanlagen aus der ehemaligen DDR ebenfalls in das Sicherheitskonzept integriert wurden. Zur Überraschung der Allgemeinheit mietete sich die Polizei beispielsweise in einen alten Wachturm vom Typ „BT 11“ der Nationalen Volksarmee (NVA) ein. Damals wie heute wurde die gute Aussicht auf den Strand zur Beobachtung der Bürger hoch geschätzt. Bürgerrechtler waren entsetzt, die alten Kameraden der Grenztruppen jedoch hoch erfreut. In einem Online-Forum für Ehemalige Grenzschützer schreibt einer:

„also sind unsere guten alten türme doch noch zu was gut“

Für viele Innenpolitiker der Parteien galt dieses Vorgehen als Testfall zur Erprobung, wie weit man dieses Spiel treiben kann, ohne auf signifikanten Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen. Was damals noch im besten Fall als rechtliche Grauzone galt, ist heute jedoch, dank verschiedener Gesetzesverschärfungen legalisiert. Und in den Innenbehörden wird weiter am Umbau der Bundeswehr gearbeitet. Das neue Profil umfasst nicht nur den Wandel zur „Interventionsarmee“ zum Zwecke der „Friedenssicherung“ in internationalen Krisengebieten, sondern auch „Heimatschutz“. Dafür wurde 2012 im Rahmen der Bundeswehrreform mit der Schaffung neuer Einheiten begonnen. Die regional aufgestellten, sogenannten Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) bestehen ausschließlich aus Reservisten und sollen insgesamt bis zu 2.700 Soldaten umfassen. Laut Plan soll jedes Bundesland mindestens eine dieser Kompanien aufstellen, deren Zweck ausdrücklich der Einsatz im Inland ist.

Das Bundesland Bremen hat im vergangenen Jahr den Anfang gemacht und Mecklenburg-Vorpommern ist am 17. Januar 2013 nachgezogen. Mit einem Festakt, dem sogenannten „Aufstellungsappell“ wurde die Gründung in der Schweriner Sport- und Kongresshalle begangen. Standort dieser duften Truppe ist der Marinestützpunkt in Parow.

Die Fortsetzung erfolgt im zweiten Teil.
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