Suhl: Freispruch für Flüchtlingsaktivist

Antifaschistische Prozessbeobachtung 15.03.2012 08:17 Themen: Antirassismus Repression
Dass der Umgang deutscher Verfolgungsbehörden mit Flüchtlingen, der sich als Rechtsstaatlichkeit verkauft, ein schlecht getarnter Rassismus ist, zeigte einmal mehr ein Verfahren gegen den Jenaer Flüchtlingsaktivist Osaren Igbinoba am 13. März 2012 am Suhler Amtsgericht, das wegen seiner Obskurität nicht anders als mit Freispruch zu beenden war.
Streitsache und Vorwurf

Vorgeworfen wurde dem Aktivisten ein Vorfall, der sich am 24. April 2011 in Zella-Mehlis vor dem dortigen Flüchtlingslager abspielte. An diesem Tag hatte das Flüchtlingsnetzwerk „The Voice“ eine Kundgebung vor dem Isolationslager angemeldet, um gegen die unhaltbaren Zuständen der Unterbringung in Zella-Mehlis (siehe Bericht der AGST oder Bericht der Antifa Saalfeld) und gegen die Lagerunterbringung überhaupt zu demonstrieren. Der Versuch einiger Kundgebungsteilnehmer_innen auf Einladung der Heimbewohner_innen das Gebäude zu betreten, wurde durch die Lagerleitung bzw. Security grob unterbunden. Dabei kamen vor allem die Flüchtlinge mit leichten Verletzungen und Sachschäden davon. Die Leiterin des Lagers Mandy Hessler erstattete allerdings Anzeige gegen den Anmelder Osaren Igbinoba. Er habe sie an den Armen gepackt und gestoßen. Die oberflächlichen Schürfverletzungen an den Armen (wie auch immer Schürfverletzungen an Arme kommen, wenn man jemanden packt und wegschiebt) ließ die Lagerleiterin gleich vor Ort von einem Zivilpolizisten dokumentieren, der später nicht mehr im Verfahren auftauchte; seine Identität ist unbekannt. Der Grund für die Aggression gegen die Flüchtlinge war laut Bekunden von Mandy Hessler eine Auflage des Landratsamtes. Besucher dürfen die „Gemeinschaftsunterkunft“ nur betreten, wenn sie vorher ihren Personalausweis abliefern. Freilich ist das keine Schikane, sondern reine Sicherheitsmaßnahme. Man müsse schließlich wissen, wie viele Leute im Haus sind, falls es mal brennt. Als würde hierfür keine Strichliste genügen und als würde die überforderte Lagerleitung dokumentieren, wenn Bewohner das Haus verlassen.

Zum Prozess

Wie bereits erwähnt, waren die Leidtragenden der Auseinandersetzung vor dem Lagereingang die Flüchtlinge. Auf der Anklagebank landete aber nicht das rassistische Landratsamt und auch nicht die rassistische Lagerleitung und Security, sondern ein Flüchtlingsaktivist. Osaren Igbinoba wurde eine Körperverletzung vorgeworfen, die er nicht begangen hatte, obwohl es wohl allen Grund dazu gegeben hätte. Der Flüchtlingsaktivist von "The Voice", der seit fast 20 Jahren den Widerstand gegen die rassistischen Institutionen in Thüringen organisiert, betonte gleich zu Beginn des Verfahrens, dass der einzige Grund, warum er hier sitze der ist, dass die Unterdrückung gegen die Flüchtlinge in Thüringen und bundesweit hier ihre Legitimation finden sollte. Das Gericht sah das offenbar anders. Der Richter insistierte auf dem Hausrecht, das die Gewalt gegen die Flüchtlinge allemal rechtfertige. Schließlich musste die kapitalistische Eigentumsordnung geschützt werden, vor Leuten, die mal auf die Toilette mussten und keinen Ausweis bei der Hand hatten. Die Menschenverachtung, die aus solcher Argumentation spricht, ist augenfällig. Die Bewohner_innen dürfen nicht mal entscheiden, wem sie Eintritt in ihr Haus gewähren, ohne die Hausmacht in Person von Mandy Hessler um Erlaubnis zu bitten. Überhaupt, berichtet der Angeklagte und Zeugen, seien die Menschen im Haus eingeschüchtert worden, damit sie sich nicht an der Kundgebung beteiligten. Zum Glück weitestgehend vergebens.

Die Banalität des Bösen

Die „Betroffene“ Mandy Hessler wurde als zweite Prozessbeteiligte gehört. Die Sozialarbeiterin ist Mitte 30 und wirkte kalt und dumpf. Wahrscheinlich ist so ein Job nur dann zu machen, wenn man sich jedes Mitgefühl und jede Menschlichkeit abgewöhnt hat. Die Verantwortung für die Ausweiskontrollen sowie für die Lagerbedingungen überhaupt, wälzte die Frau auf die zuständige Behörde ab, das Landratsamt Schmalkalden-Meiningen. Auf die Frage der Verteidigung, wie die Flüchtlinge so leben zwischen feuchten Wänden, Schimmel und Kakerlaken, antwortete die Frau gleichmütig: „Ansichtssache, manche machen es sich schön.“ Von ihrem Vorwurf gegen Osaren Igbinoba rückte sie nicht ab und wurde schließlich unvereidigt entlassen. Ebenso wie einer der Securitys, der sich an seine Aussage bei der Polizei nicht mehr erinnern wollte. Ein zweiter Security, der, wie ein Zeuge später bekundete, eigentlich gar kein Security war, sondern der Lebensgefährte von Mandy Hessler und der das größte Engagement beim Schutz von Recht und Ordnung zeigte, war erst gar nicht erschienen. Er war krank. Die Entlastungszeugen sowie die Sichtung eines Videos bezeugten, dass Osaren Igbinoba zu keinen Zeitpunkt gegen die Lagerleiterin Mandy Hessler tätig geworden ist.

Freispruch und Fazit

Dem Gericht blieb letztlich nichts anderes übrig, als Osaren Igbinoba freizusprechen. Freilich nicht ohne anzumerken, dass der Aktivist doch endlich die deutsche Sprache und Gesetze zu lernen habe, denn Osaren spricht englisch, was eine Dolmetscherin nötig machte. Das Verfahren gegen ihn sagt viel aus über die Verfassung der deutschen Verfolgungsbehörden und die Angestellten des Isolationslagers. Wiedermal wurden statt der Täter, seien es nun die Schreibtischtäter des Landratsamtes oder die Täter, die für Recht und Ordnung auch handgreiflich werden, die eigentlich Betroffenen vors Gericht gezerrt, in einem Verfahren bei dem die offenkundige Aktenlage, die Beweisaufnahme, das Vorgehen von Lagerleitung und Staatsanwaltschaft nur einen Tatbestand mit Sicherheit zu diagnostizieren zulässt: den des Rassismus.
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