Solikundgebung mit Gülaferit Ünsal in Berlin

antirepression 15.01.2012 23:26 Themen: Antirassismus Repression
Ca. 80 solidarische Menschen beteiligten sich am 15.1.2012 an einer Solidaritätskundgebung vor der JVA-Lichtenberg in Berlin für die dort seit Ende Oktober letzten Jahres inhaftierte türkische Linke Gülaferit Ünsal (de.indymedia.org/2012/01/322990.shtml).
Sie war auf Betreiben der Bundesanwaltschaft aus Griechenland ausgeliefert worden und soll nach de §129b wegen angeblicher Aktivitäten für die in Deutschland und der Türkei verbotenen marxistischen DHKP/C angeklagt werden. Schon in den letzten Jahren sind mit diesem Paragraphen neben Islamisten auch sich links verstehende Aktivist_innen aus türkischen, kurdischen und tamilischen Zusammenhängen angeklagt und teilweise zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Dass Menschen aus migrantischen Zusammenhängen größere Schwierigkeiten haben, Solidarität zu bekommen, zeigt sich auch am Fall von Ünsal. Die Kundgebung war die erste öffentlich beworbene Solidaritätsaktion, obwohl sie schon seit fast 3 Monaten inhaftiert ist und in Griechenland eine zivilgesellschaftliche Bewegung mehrere Monate gegen ihre Auslieferung nach Deutschland mobilisierte.

Die JVA-Lichtenberg liegt unmittelbar an der Route, an der heute vormittag Tausende am Todestag von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu deren Gräbern gezogen sind. Daher wurde die Kundgebung auch an diesen Tag gelegt, um deutlich zu machen, dass Solidarität auch etwas sehr Konkretes. Tatsächlich trafen sich etwa 60 solidarische Menschen am U-Bahnhof Lichtenberg und zogen in einer Kurzdemo mit Transparenten und Parolen rufend zum knapp 500 Meter entfernten Knast. Dort wurde in mehreren Redebeiträgen auf die Geschichte der verschiedenen 129 –Gesetze eingegangen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Paragraph gegen SPD-Strukturen angewandt, die in den Zeiten der Sozialist_innengesetze Zeitungen und Druckschriften anfertigten. Schon in der Weimarer Zeit wurde das Gesetz gegen kommunistische, später gegen antifaschistische, autonome, ökologische und feministische Organisationen in Anwendung gebracht. Seit 20 Jahren stehen zunehmend migrantische Strukturen im Visier.

Präventive Repression gegen sozialen Widerstand
In einem Redebeitrag wurde die von einer präventiven Repression gesprochen, die sich hier noch gegen einzelne Aktivist_innen oder kleine Gruppe richteten. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass es hierzulande auch nicht in linken Gruppen organisierte Kolleg_innen treffen kann, die sich gegen miese Arbeitsbedingungen wehren. Als Beispiel wurde eine Pflegerin in einer Demenz-Wohngemeinschaft angeführt, der Erzwingungshaft droht, weil sie Verfahren gegen ihren Boss verloren hat und jetzt die Gerichtskosten zahlen soll, sich aber weigert (de.indymedia.org/2012/01/322570.shtml ). Sie versteht diesen Schritt auch als Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Repression. Auch diesen Kolleg_innen, brauchen unsere Solidarität, wurde in dem Beitrag betont.
Während es in Deutschland noch vereinzelte Fälle sind, wehren sich vor allem an der europäischen Peripherie viele Menschen gegen das von Deutschland wesentlich mitinitiierte EU-Diktat. Dort trifft daher die Repression viel größere Gruppen. So sind in Griechenland Arbeiter_innen eines Elektrizitätswerkes wegen Staatsgefährdung angeklagt, weil sie während eines Streiks ein Büro besetzt hatten, i dem die Rechnungen für die Stromkund_innen erstellt werden.

Weitere Solidaritätsaktionen werden folgen

Mit der Kundgebung begann der erste Schritt einer Solidaritätskampagne für Gülaferit Ünsal. Es ist gelungen, ihren Fall bekannt, ihren Fall überhaupt erst einmal bekannt zu machen. In den nächsten Monaten, wenn voraussichtlich in Berlin das §129b-Verfahren gegen die Frau beginnt, soll es weitre Veranstaltungen und Aktionen geben Überlegt wird auch eine internationale Solidaritätsarbeit. Da in Griechenland gegen Ünsals Auslieferung protestiert wurde, soll versucht werden, Aktivist_innen aus diesen Gruppen einzuladen, ihren Prozess zu besuchen und so auch eine länderübergreifende Solidaritätskampagne zu initiieren. Mit der Kundgebung wurde ein erster Schritt dazu getan.
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Ergänzungen

redeibeiträge auf der kundebung

antirepression 16.01.2012 - 00:47
§ 129b – der jüngste Arm eines Kraken mit Geschichte

Der – im vorhergehenden Redebeitrag behandelte – § 129b Strafgesetzbuch ist der jüngste Arm eines Kraken mit langer Geschichte.
Den § 129 – ohne Buchstabenzusatz – gibt es seit 1871. Damals erließ das gerade gegründete Deutschen Kaiserreich sein Reichsstrafgesetzbuch. Verfolgt wurden nach dieser Vorschrift nicht allgemein Vereinigungen, die „ungesetzliche Mittel“ anwandten. Vielmehr wurden ausschließlich solche Vereinigungen verfolgt, die dies taten, um „Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen“ „zu verhindern oder zu entkräften“. In den juristischen Kommentaren der damaligen Zeit wurde daher zum Teil treffend von „staatsfeindlichen“ oder – noch präziser – von „staatsgefährlichen“ Vereinigungen gesprochen.
Als eine solche wurden damals – jetzt bitte nicht lachen! – Teile der SPD angesehen. Die SPD, ihre Presse und Versammlungen waren damals durch die sog. Sozialistengesetze illegalisiert; die SPD-Strukturen, die damals den Druck von SPD-Zeitungen im Ausland und deren Einfuhr in das und den Vertrieb im Deutschen Reich betrieben, wurden zu dieser Zeit als Vereinigung im Sinne des § 129 innerhalb der SPD angesehen.
Während der Weimarer Republik traf die Vorschrift zeitweise die KPD. So auch wieder in den 1950er in der Bundesrepublik.
Seit 1951 tragen Vereinigungen nach § 129 StGB den inoffiziellen Namen „Kriminelle Vereinigungen“. Gegen unpolitische Vereinigungen, die gegen die Gesetze verstoßen, wird die Vorschrift aber kaum angewendet. Vielmehr soll die Vorschrift die Verfolgung von Mitgliedern von politischen Vereinigungen, die gegen die Gesetze verstoßen, erleichtern. Den Mitgliedern müssen keine konkreten Straftaten nachgewiesen werden, um sie zu verurteilen, sondern bloß die Mitgliedschaft in der Vereinigung.
In den 1970er Jahren kam, zur Verfolgung der RAF und anderer Stadtguerillagruppen, der § 129a StGB über sog. Terroristische Vereinigungen hinzu. Wiederum ging es u.a. darum, Mitglieder derartiger Vereinigungen ohne konkreten Tatnachweis verurteilen zu können. Hinzukam aber nunmehr ein umfassende Sonderstrafverfahrensrecht, das die Rechte von Angeklagten und deren VerteidigerInnen im Falle von Verfahren nach § 129a, massiv einschränkte.
In den 1990er Jahren kam dann der § 129b hinzu, mit dem die BRD beansprucht, auch sog. Terroristische Vereinigungen im Ausland, die in der BRD gar keine Straftaten verüben, verfolgen zu dürfen.
Alldiese Vorschriften sprechen dem bürgerlich-liberalen Anspruch, keine Absichten und Gesinnungen, sondern Taten zu bestrafen, Hohn. Aber wir wissen, daß die Revolution keine dinner party ist und, daß Widerstand, – früher oder später – zwangsläufig Repression nach sich zieht.
Dagegen hilft nicht, den Kommunismus für die Verwirklichung der Ideale der bürgerlichen Revolutionen auszugeben, sondern – mit aller Geschicklichkeit und aller Hartnäckigkeit – daran zu arbeiten, den Kräften der Repression und der Konterrevolution überlegenen Kräfte entgegenzusetzen.
Für den Kommunismus!
Gegen Staat und Kapital!

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werden. Wegener rechnet auf Unterstützung durch Teilnehmer der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration, die ganz in der Nähe der JVA-Lichtenberg endet. Um 13 Uhr treffen sich LL-Demonstranten, die an der Knastkundgebung teilnehmen wollen am U-Bahnhof Lichtenberg. Die Kundgebung beginnt um 13.30 Uhr vor der JVA-Lichtenberg in der Alfredstraße 11.

Peter Nowak

Redebeitrag der Internationalen Kommunist_innen;

Wir wollen Gülaferit Ünsal grüßen, die seit Ende Oktober letzten Jahres hier in U-Hafts sitzt, weil ihr die Bundesanwaltschaft mittels des § 129 b vorwirft, eine terroristische Organisation unterstützt zu haben, die in der Türkei seit den 80er Jahren aktive DKHP/C. Sie hat im Sinne von Che Guevara versucht, Massenkampf und bewaffnete Aktionen zu verbinden, war wesentlich am Widerstand gegen Militärdiktatur beteiligt und hat versucht in den Armenvierteln der türkischen Großstädte Rätestrukturen aufzubauen. Über die Struktur und Taktik der Organisation gibt es sicher auch unter uns sehr unterschiedliche Ansichten. Worüber wir uns einig sind, ist die Forderung. Gülaferit Ünsal muss raus. Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung ist kein Terrorismus! Der Paragraph 129 in all seinen Formen gehört abgeschafft. Er macht es möglich, dass völlig legale Tätigkeiten als Terrorismus verurteilt werden könne. So wird Gülaferit Ünsal vor allem der Verkauf von Zeitungen und die Organisierung von Solidaritätskonzerten vorgeworfen. Seit Jahren werden in Deutschland mittels des §129 b auch Aktivist_innen ausländischer Organisationen kriminalisiert, wie schon seit Jahrzehnten mit dem §129a linke Strukturen hierzulande unter Terrorismusverdikt gestellt werden. Doch der §129. in all seinen Facetten ist Teil eines Instrumentariums, mit dem die zurzeit schwachen systemantagonistischen Kräfte kriminalisiert werden. Es ist aber ein Drohung gegen alle Menschen, die sich gegen kapitalistische Ausbeutung und rassistische und patriarchale Unterdrückung wehren. Vor einigen Tagen wurde eine vor allem von Flüchtlingen aus Afrika organisierte Demonstration in Solidarität mit dem in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte Oury Yalloh blutig auseinandergeknüppelt. In Griechenland stehen Gewerkschafter_innen der Elektrizitätswerke vor Gericht, weil sie im Rahmen eines Streiks Büros besetzt haben, in denen die Stromrechungen erstellt werden. Ihnen wird Gefährdung des Staates vorgeworfen, Das Verfahren in einem Land, in dem sich große Teile der Bevölkerung gegen das wesentlich von Deutschland formulierte EU-Krisen und Verarmungsdiktat wehren, soll einschüchtern. In Deutschland wo noch immer wesentlich Teile der Bevölkerung gemeinsam mit Regierung, Wirtschaft und Staatsapparat den Standort verteidigen, sind es bisher noch vor allem einzelne Aktivist_innen und kleine Gruppen, die kriminalisiert werden, weil sie sich wehren. Nur wenige dieser Repressionsfälle werden von der linken Szene wahrgenommen Gerade die Kriminaliserung wegen Widerstand am Arbeitsplatz ist oft kaum ein Thema. In wenigen Tagen soll eine ehemalige Beschäftigte im Pflegebereich in Erzwingungsshaft. Sie hatte sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen gewehrt, juristisch verloren und sollte für die Gerichtskosten aufkommen. Ihre Weigerung, einen Offenbarungseid zu leisten, begreift sie selber als Protest gegen die Situation im Pflegebereich. Auch hier ist Solidarität dringend notwendig.
Deshalb sagen wir Solidarität mit allen, die wegen ihrer Beteiligung an Klassen- und linken Befreiungsbewegung verfolgt, kriminalisiert und eingekerkert werden. Günsal Ünsal ist eine von ihnen.
Internationale Kommunist_innen
www.interkomm.tk

Redebeitrag eines SIB-Mitgliedes

muss NICHT ausgefüllt werden 16.01.2012 - 02:26

Interview über Gülaferit Ünsal und zum 129 b

Radio Aktiv 16.01.2012 - 12:56
in der mp3

Fotos von Solidaritätsdemo und -kundgebung

Power durch die Mauer 16.01.2012 - 15:56
Fotos von der Solidaritätsdemo und -kundgebung für die Inhaftierte Gülaferit Ünsal, die im Anschluß an die diesjährige LL(L)-Demonstration stattfand:

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Als die SPD noch als gefährlich galt...

Historiker_in 16.01.2012 - 00:41
> In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Paragraph
> gegen SPD-Strukturen angewandt,

naja: Das war noch ein Jahrhundert früher...