Bis was passiert interessiert es kaum!

ART.NordThüringen 28.11.2011 15:56 Themen: Antifa Blogwire Medien

Völlig überrascht scheinen die Deutschen derzeit von den Ereignissen rund um die Zwickauer Terrorzelle. Es scheint fast so, als ob man die jahrelange Berichterstattung und das Warnen kaum zur Kenntnis genommen hat. Klar ist: Eine derartige Qualität rechts-terroristischer Aktivitäten ist in der Tat in der bundesdeutschen Geschichte einmalig.

ein Beitrag von Lea Stein und Madlen Warskow, für das ART.NordThüringen

Bereits seit den frühen 70er Jahren gab es genügend Anzeichen für ein derartiges Potential in der extremen Rechten. Nicht nur, dass sich die extreme Rechte durch ihre menschenverachtende Ideologie, welche besonders durch ihren Militarismus den Nährboden einer Radikalisierung bildet, auszeichnet, auch zahlreiche Waffen und Sprengstofffunde seit mehr als 40 Jahren – vor allem bundesdeutscher Geschichte – zeigten immer wieder, welche Absichten hier verfolgt werden. Dabei ist durchaus von einer Kontinuität rechts-terroristischer Aktivitäten zu sprechen, wenn auch nicht immer in Form von langfristig bestehenden Terrorzellen. Vielmehr zeigte sich in den letzten Jahrzehnten, dass sich bei der extremen Rechten die menschenverachtende Ideologie in ganz verschiedenen gewaltförmigen Weisen artikuliert. Neben rechts-terroristischen Anschlägen auf verschiedenste Ziele, waren es vor allem immer wieder spontane pogromartige Ausschreitungen gegen Menschen. Zumeist Menschen, die in Deutschland Asyl suchten oder Deutsche mit Migrationshintergrund. Und dies ist der Kern, welcher häufig vergessen wird. Es geht nicht so sehr um die Art, wie Rechtsextreme immer wieder Menschen töten, vielmehr geht es darum, anzuerkennen, dass diese Ideologie den Boden für derartige Verbrechen bereitet. Extrem rechte Organisationen dienen hierbei als „Durchlauferhitzer“. Hier erwerben die Täter ihre Kontakte, festigen ihre Ideologie und radikalisierten sich. Kommen weitere Faktoren hinzu, kann es auch zu einem Abtauchen wie im Falle von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kommen. Doch diese Tendenzen wurden immer wieder durch eine Diskussion wie über die Extremismusklausel überlagert.

Die Rolle der NPD

Kaum werden die schrecklichen Taten der Rechtsterroristen bekannt, fordern verschiedene Politiker erneut das Verbot der NPD. Und auch hier wundert sich manche Beobachterin über das erneute Vorgehen. Was ist nun neu, was nicht bereits bekannt war? So ist doch seit der Gründung der NPD auch deren militante Ausrichtung bekannt. Bereits in den 60er Jahren gründete die Partei ihren „Ordnungsdienst“, welcher als paramilitärische Organisation angelegt war und besonders während der Bundestagswahl 1969 durch gewalttätige Ausschreitungen bekannt wurde. In den 70er Jahren kam es dann unter anderem zu einem Überfall auf niederländische Nato-Truppen, an denen Manfred Börm, der bis vor kurzem noch das Referat Ordnungsdienst im Parteivorstand der NPD leitete, beteiligt war. Börm wurde damals zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein so verdienter Kamerad scheint für die NPD dann auch die richtige Personalie als Leiter des Ordnungsdienstes zu sein.

Von besonderer Bedeutung dürfte für die derzeitige Situation vor allem aber die Öffnung der Partei in den 90er Jahren sein, die unter Udo Voigt als Parteivorsitzenden und Holger Apfel als Vorstandsmitglied und Vorsitzendem der Jungen Nationaldemokraten stattfand. Hier zeigte sich, dass die NPD auch Personen aus dem militanten Neonazispektrum gern eine politische Heimat sein wollte. Über diese Öffnung – vor allem auch hin zu Personen aus verbotenen neonazistischen Organisationen – konnte die NPD in den 90er Jahren aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit ein Stück weit aufsteigen und bis Ende der 90er Jahre ihr Mobilisierungspotential bei Demonstrationen erheblich steigern. Und eben genau aus diesem Spektrum der neonazistischen Freien Kameradschaften, für welches sich die NPD öffnete, stammen auch die Rechtsterroristen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob diese Mitglieder der NPD waren oder nicht.

Es zeigt sich, dass der organisierte Rechtsextremismus als hoch vernetzter Organismus gesehen werden muss und damit eben auch in seiner Gesamtheit für eine Analyse interessant ist. So kann es kaum verwundern, dass einer der vermeintlichen Unterstützer des Terrortrios, Ralf Wohlleben, es bis zum stellvertretenden Landesvorsitzenden und Pressesprecher der NPD-Thüringen schaffte. Aus den selben Kreisen stammt auch Patrick Wieschke, der vor kurzem unter Holger Apfel in den Parteivorstand gewählt wurde. Wieschke ist ebenfalls einer der neonazistischen Kader, die ihre Karriere in den Freien Kameradschaften begannen und nun für ihr jahrelanges Engagement mit einem Posten im NPD-Bundesvorstand belohnt wurden. Die Liste der Gewalttäter und Rechtsterroristen in der NPD ist lang. Noch Ende der 90er kandidierte der verurteilte Rechtsterrorist Manfred Roeder für die NPD in Mecklenburg-Vorpommern und derzeit hofiert die NPD den ehemaligen Leiter der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ Karl-Heinz Hoffmann durch Veranstaltungen und den Vertrieb seines neuesten Buches. Und auch die Sächsische Fraktion beschäftigte von 2005 bis 2008 einen verurteilten Rechtsterroristen. Peter Naumann war in verschiedenen Funktionen über diesen langen Zeitraum in der Sächsischen Fraktion beschäftigt.

All dies ist seit Jahren bekannt und lässt die Bemühungen des neuen Parteivorsitzenden Holger Apfel, sich von jeder Gewalt zu distanzieren, als rein strategischen Schritt erscheinen. Natürlich ist die NPD derzeit um jede Distanzierung bemüht, ist doch neben der langen Geschichte von Gewalt und NPD auch die ständige – berechtigte – Verbotsangst ein Schatten der Partei.

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Ergänzungen

gelebter Antiimperialismus

xxx 28.11.2011 - 18:18
"gewalttätige Ausschreitungen bekannt wurde. In den 70er Jahren kam es dann unter anderem zu einem Überfall auf niederländische Nato-Truppen"


Na, da geht den antisemitischen FuckBush Kreischern sicher richtig einer bei ab? Nur blöd,dass das ne Aktion von Nazis war...aber hey, antiimperialistische Querfront geht immer =)

Redebeitrag über bürgerliche Betroffenheit

Antifa Arnstadt-Ilmenau 29.11.2011 - 07:34
gehalten am 28.11.2011 auf einer Gedenk-Kundgebung der Zivilgesellschaft in Erfurt:

Mehr als 180 Menschen starben seit der deutschen Wiedervereinigung durch die Hand von Menschen, die aus faschistischen Motiven das Leben, die Existenz anderer beendeten. Wie viele Morde noch hinzugenommen werden müssen, bei denen das möglicherweise faschistische Motiv im Dunkeln blieb, darüber lässt sich nur spekulieren. Dass Nazis morden ist also nichts neues. Was soll also die Betroffenheitskonjunktur, die man dieser Tage überall vernehmen muss? Ist es das Ausmaß oder die Kaltblütigkeit der Mörder? Seit Jahrzehnten warnen Antifa-Gruppen und andere Initiativen, die sich gegen faschistische Tendenzen wehren, vor nichts mehr, als vor der Brutalität und Rücksichtslosigkeit faschistischer Gewalt. Warum also die Betroffenheit, die sich allerorts in bürgerlichen und zivilgesellschaftlichen Kreisen breit macht? Wir vermuten dahinter ganz andere Motive, als die, die zur Schau gestellt werden. Nicht um die für immer verlorene Existenz so vieler Menschenleben geht es vielen »Betroffenen«, sondern um die Wahrung der eigenen Identität, die pathologische Abwehr der eigenen Schuld am faschistischen Morden und die Außenwirkung der Bundesrepublik Deutschland in der Welt.

Die in den Betroffenheitszeremonien verleugnete Wahrheit ist die, dass die faschistische Gewalt alles andere ist, als etwas unerwartetes oder überraschendes, etwas dieser Gesellschaft äußerliches, das die Ruhe und den Frieden bürgerlicher Verhältnisse in Deutschland gefährdet. Die postfaschistische deutsche Gesellschaft hat ihr Erbe von '45 nämlich nicht hinter sich gelassen, sondern integriert in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, etc. sind keine Ideologiefragmente ewig Gestriger, sie sind konstitutiver Bestandteil jener bürgerlichen Ideologie, die diese Gesellschaft ebenso durchwirkt, wie das Staatswesen. Augenscheinlich wird diese bürgerliche Ideologie im mehrheitsfähigen pathologischen Hass auf Israel, oft nur schäbig verkleidet als vermeintliche Israelkritik oder in der durch die Mehrheit gewollten rassistischen Abschiebepraxis des deutschen Staates. Zum Widerstand gegen Abschiebung und Diskriminierung sind keine Mehrheiten in Deutschland zu gewinnen. Hier hat man sich für das Leben anderer Menschen nie wirklich interessiert und wer dem Wohlstand der Blut- und Bodendeutschen im Weg steht und dem Volkskörper fremd ist, der soll in das Land zurückkehren, das die Deutschen durch kapitalistische Ausbeutung oder noch viel schlimmeres erst zerstörten. Das ist der Common sense der Bürgerlichkeit von SPD bis NPD, vom Arbeitgeberverband bis zu den DGB-Gewerkschaften, vom Kleingarten- bis zum Kegelverein. Ausländer sind höchstens dann willkommen, wenn sie den Wohlstand der Deutschen mehren; Asylsuchende und jene die die Arbeitsplätze der Deutschen »bedrohen« droht die Abschiebung und schlimmeres. Die Ursache für solches Denken geht zurück bis in die rassistische und antisemitische Struktur bürgerlicher Subjektivität selbst. Die krisenhafte Identität des bürgerlichen Subjekts ist maßgeblich konstituiert durch die Abwehr des vermeintlichen Untermenschen, in den man die eigne Niederlage in der kapitalistischen Konkurrenz hineinimaginiert und durch die Abwehr des vermeintlichen Übermenschen, der zur Projektion alles Unverstandenen und Abstrakten dieser Gesellschaftsordnung dient. Wenn dieses krisenhafte Subjekt zum Projekt der »Verteidigung der eigenen Identität«, also zur Tat schreitet sind antisemitisch und rassistisch motivierte Gewalt keine Ausnahme, sondern die Regel und auch dann, wenn ebenso antisemitisch und rassistisch motiviert die Schuld in einem Akt der Betroffenheit abgewehrt wird, indem man vermeintlich den Opfern gedenkt und sie ehrt, sie in Wirklichkeit aber instrumentalisiert und ihr Leben ein zweites Mal beendet. Die Ideologie von Tat und Schuldabwehr ist dieselbe.

Wenn jetzt also Nazis mordend durch das Land ziehen, in dem der Mord quasi erfunden wurde, ist die Betroffenheit groß. Warum, fragen wir. Weil die Nazis nicht den bürokratischen Weg einhielten, überflüssige Ausländer erst abzuschieben und im Heimatland sterben zu lassen? Weil sie Arbeitsplätze durch Mord schufen und nicht durch Entlassung/Drangsalierung/etc.? Nein, weil sie eine Ideologie zur letzten Konsequenz trugen, die fester Bestandteil des geläuterten Deutschlands ist - die rassistische und antisemitische Mordideologie. Die Betroffenheit vieler ist Schuldprojektion bzw. bestenfalls noch Naivität. Wie steht es um die Betroffenheit mit den dutzenden Menschen, die täglich ertrinken, weil sie versuchen in völlig überfüllten Holzkonstruktionen über das Mittelmeer die Festung Europa zu erreichen? Warum werden in den Parlamenten und anderswo keine Gedenkminuten für diese Menschen abgehalten? Wo ist die Betroffenheit, wenn der Iran an der Atombombe baut, die letztlich nur zu einem Zweck dienen wird, der Vernichtung Israels.

Jetzt Schuldige zu suchen, bedeutet nichts anderes als ein gesellschaftliches Problem zu einem polizeilichen zu machen. Sicher hat der Verfassungsschutz versagt. Eine Institution, wie der Verfassungsschutz, der zu nichts anderem dient als undifferenzierte Feindschaft gegen alles Abweichende zu streuen und der unter dem Deckmantel von vermeintlicher Wissenschaftlichkeit letztlich nichts anderes befördert als Dummheit und falsches Bewusstsein, gehört abgeschafft und mit ihm die Gesellschaft, die solche Institutionen nötig hat. Er ist aber nur Ausdruck eines Problems, das viel tiefer liegt, in den Grundbestimmungen dieser Gesellschaft, in der Konstitution bürgerlicher Subjektivität. Wer hier nicht anfängt zu hinterfragen, wird sich auch in 20 Jahren immer wieder auf solchen Betroffenheitszeremonien wiederfinden, weil sich an den Ursachen für den Naziterror nichts geändert haben wird. Der Schlüssel wirklicher Prävention liegt in der Schaffung kritischen Bewusstseins, das sich der Menschenfeindlichkeit dieser Gesellschaft bewusst wird und zu ihrer Überwindung beiträgt. Anders wird die Gesellschaft der wirklichen Freiheit, in der jeder ohne Angst verschieden sein kann, also die kommunistische Gesellschaft, nicht zu erreichen sein.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

@ subjektivität — entchaotisieren

@ xxx 28.11.2011 - 18:18 — ..........

Nebenbei — www