Ein Tag zu Besuch beim Wagenplatz Zomia

der Name und das Leben 23.11.2011 18:45 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Ökologie
Der Name Zomia bezieht sich auf einen südasiatischen Bergbereich, der sich vom vietnamesischen Hochland aus in die tibetische Hochebene zieht und bis west- Afghanistan reicht; sowie auf die dort lebenden etwa einhundert Millionen Bergbewohner_innen, die kulturell über zweitausend Jahre lang Abstand von Machtzentren und Staatseinflüssen hielten. Ihre Gesellschaften sind laut des Historikers Willhelm van Schellen geprägt von antiautoritären Strukturen, einfachen Technologien und mündlich übertragenen Kulturen.
Der Wagenplatz Zomia hingegen befindet sich nicht auf einem Berg, sondern im urbanen Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, auf einer kleinen Lichtung eines Wäldchens zwischen Spreehafen und Ernst-August-Kanal.
Auf der anderen Seite des Kanals liegt der Vogelhüttendeich von Alt-Wilhelmsburg. Fernab der Zivilisation ist Zomia mit einem dutzend Wagen und fünfzehn Bewohner_innen also nicht gelegen. Doch direkte Nachbar/Innen sind in dieser Idylle nur die Vögel im Wald.
Der im November 2010 neu gegründete Platz vereint Menschen, die bereits zwischen zwei und zehn Jahren vereinzelt am Stadtrand und in Hinterhöfen in Wagen gelebt hatten. Die Idee, einen neuen Wagenplatz zu gründen, der ihren gemeinsamen Wunsch nach einer kollektiven Wohnform erfüllen sollte, welche sie in den damals bestehenden und völlig überfüllten fünf Wagenplätzen Hamburgs nicht umsetzen konnten, brachte sie zusammen. Da einige von ihnen bereits in Wilhelmsburg ansässig gewesen waren, während andere durch ihre Arbeit mit dem Stadtteil in Verbindung gestanden hatten und Wilhelmsburg ihrer Meinung nach über geeignete Brach-Flächen verfügt, machten sie sich dort auf die Suche nach einem Platz.
Nachdem sie von ihrem ersten Platz in der Buschweide schon nach fünf Stunden vertrieben worden waren, für drei Tage auf einem von der Künstlerin „Kunstnomadin“ angemieteten Platz Asyl gefunden, übergangsweise ein ein halb Wochen auf der Industriestraße „alte Schleuse“ gestanden hatten, besetzen sie schließlich den Platz am Ernst-August-Kanal. Diesen gestand ihnen der Regionalausschuss Wilhelmsburg nur vorübergehend als sogenannte Winterlösung bis zum 30.04.2011 zu. Seit einem Räumungsbescheid zu diesem Datum soll Zomia weg. Der Rechtsanwalt der Gruppe, Martin Klingner, legte dagegen Widerspruch ein, der über die Neuwahlphase in Hamburg hinaus bis zum Herbst nicht bearbeitet und schließlich am 18.10.11 abgelehnt wurde. Die daraufhin eingelegte Klage vor dem Verwaltungsgericht wurde Anfang November ebenso abgewiesen, wie die dann folgende Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Mitte November. Am Montag wurde auch eine Petition, die daraufhin in den Eingabeausschuss der Bürgerschaft eingereicht wurde und darauf gerichtet war, „etwaige Räumungsmaßnahmen gegenüber der „Wagengruppe Zomia“ auszusetzen, bis eine politische Lösung für diese gefunden ist“, abgelehnt.
Verhandlungen liefen unterdessen mit dem rot-grünen Bezirk Altona. Dieser hatte den Wagenbewohner_innen eine Ersatzfläche am Holstenkamp angeboten. Bei einem Ortstermin wurde diese selbst von Bezirksmitgliedern als nicht geeignet befundenen. Die Wagenbewohner_innen sind einer akzeptablen Alternative - auch übergangsweise - gegenüber offen. Sie werden jedoch nach eigener Aussage nicht gehen solange keine schriftliche Zusage über eine längerfristige Lösung erfolgt ist. Möglicherweise passiert dies noch auf der Bezirksversammlung am Donnerstag. Dieser Tag wurde den Zomianern als neue Frist für eine freiwillige Räumung gesetzt.
Für die Bauwagenbewohner_innen gilt als Basis einer Alternative ein ausreichender innerstädtischer Platz für alle Wägen ohne direkte Nachbarschaft. Am liebsten würden sie jedoch in Wilhelmsburg bleiben.
Gleich am Eingang zu der besetzen Lichtung steht ein Holzschild, auf dem Plakate kleben, die zu Veranstaltungen auf dem Platz einladen. In einem Kreis um eine Feuerstelle mit Holzbänken herum stehen die liebevoll ausgebauten Bauwagen und Busse. Auf der rechten Seite vor dem Zirkel gibt es einen großen Gemeinschaftswagen, der, besonders im Winter und bei schlechtem Wetter, für Plena genutzt wird. Auf einem Holzbrett davor steht eine Reihe Blumentöpfe mit verschiedenen Kräutern. Wenige Meter davon entfernt eine Feuertonne, die mit ausgesägten Sternen verziert ist.
Ein Bewohner des Wagenplatzes beschreibt die Kommunikation mit den Menschen aus der Umgebung als entspannt. Mit U. vom Imbiss an der durch einen Waldweg in wenigen Minuten erreichbaren Harburger Chaussee hält er bei einem Café auf dem Weg zur Arbeit hin und wieder Smalltalk. Wie einmal, als sie ihn auf einem Foto in einer Zeitung entdeckt und das als Anlas zum morgendlichen Gespräch genommen hatte. Auch H., der Besitzer des Autohandels an der rund hundert Meter entfernten Georg-Willhelm-Straße kommt hin und wieder beim Spaziergang vorbei und klönt mit den Wagenbewohner_innen. Genau wie ein paar Jugendliche, die regelmäßig das direkt neben dem Wagenplatz gelegene und bereits vor Zomia, aber wahrscheinlich ebenfalls in einem selbst ermächtigenden Akt errichtete Baumhaus, aufsuchen. Auch die anderen Menschen aus dem Viertel hatten spätestens dann kein Problem mehr mit den Wagenbewohner_innen, wenn sie den Platz erst mal selbst besichtigt hatten, wie mir erzählt wird. Zum Beispiel direkt nach der Gründung Zomias vor einem Jahr, als die Zomianer per Flugblatt zum sonntäglichen Kaffee-trinken eingeladen hatten.
Laut eines Blogeintrages zu ihrem Selbstverständnis, das sie „Hintergrund“ nennen und auch auf türkisch übersetzen ließen, wollen sie „Wagenleben als ökologisch alternative Wohnform leben“.
Das dies nicht nur als Utopie formulierte schöne Worte sind, macht die Organisation des Platzes an sich deutlich. Auf Grund der ständigen Räumungsgefahr gibt es hier zwar noch keinen Sanitärwagen mit fließendem Wasser- und Abwassersystem, wie auf den anderen Hamburger Plätzen. Doch dieser Umstand sorgt auch mit dafür, dass die Zomianer alle sehr bewusst mit ihrem täglichen Verbrauch von Wasser umgehen, so ein Bewohner. Dieses holen sie in Kanistern von Freund_innen aus dem Viertel, wo auch einige von ihnen zum Duschen hingehen. Andere waschen sich in ihren Wagen. Sie benutzen teilweise Regenwasser aus einer Wassertonne zum Spülen und wollen diese Möglichkeit noch weiter ausbauen. Im Moment fehlt auf Grund der drohenden Räumung jedoch etwas die Kraft für weitere Projekte. Alles läuft auf Sparflamme. Auch der geplante Gemüsegarten eines Bewohners. Ein selbstgebautes Kompostklo, das in seinem äußeren Erscheinungsbild einem Hochsitz ähnelt und nur über eine Leiter erreichbar ist, ermöglicht auch größere Geschäfte. Diese werden mit Sägespänen oder Humus bedeckt und fallen auf ein Gitter, durch das nach einigen Monaten Kompost in eine Schale fällt, der dann direkt in die Natur gegeben werden kann. Die Flüssigkeit, die schon beim Toilettengang durch ein extra Auffangbecken getrennt wird, geht in einen extra-Abwasserkanister und wird sachgerecht über die Kanalisation bei Freund_innen entsorgt. Gekocht wird mithilfe von Gasflaschen und geheizt mit Holz. Die Holzofenbeheizung im Wagen bietet den Vorteil der enormen Energieersparnis. Denn geheizt wird nur bei Anwesenheit der Bewohner_innen. Die kleinen Flächen der rollenden Behausungen sind spätestens nach einer halben Stunde mollig warm. So haben die Zomianer im letzten Winter im Schnitt nur einen Kubikmeter Holz verbraucht und kamen mit einer einzigen Brennholzlieferung aus. Gegenwärtig bekommen sie sogar von einem bekannten Zimmermann von einer Baustelle unbehandelte Holzreste geschenkt, wie mir berichtet wurde. Dies entspricht ebenfalls ihrem „Hintergrund“, indem es heißt, „(...) Wir wollen Ansätze solidarischer Ökonomie ausprobieren, unkommerzielle Kultur ermöglichen. Raum schaffen für solidarischen Zusammenhalt, möglichst fern von Rassismus, Egoismus, Sexismus, Militarismus und anderen Formen von hierarchischer Machtausübung und Diskriminierung, die wir alltäglich erleben.(...)“
Auch der Strom wird im ökologisch-autonomen Sinne, nämlich durch Solarmodule, gewonnen. Diese befinden sich auf allen Dächern der Wohngefährten. Einer der Bewohner ist gerade dabei Alu-Leisten herzustellen, mit denen er ein solches Solarmodul auf seinem Wagen festschrauben will. Es soll bei einer möglicherweise bevorstehenden Räumung nicht vom Dach fallen.

L.L.
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