Beschlagnahmt: Rezenssion Interim 718

regelmäßig unregelmäßig erscheinendes Polit-I 26.10.2010 17:44 Themen: Freiräume Medien Repression
28 Seiten A4, rotes Cover, rest schwarz/weiß, Schnippellayout. An der Interim ändert sich nach gut 20 Jahren nicht viel. Die Nr. 718 sollte heute Vormittag in einigen linken Buchläden in Berlin beschlagnahmt werden. Es geht wohl um eine Anleitung zum Molli-Bauen und für einen zeitverzögerten Brandsatz. Schauen wir doch mal was die aktuelle Ausgabe zu bieten hat. Eine Rezenssion:
Seite 2 Editorial
Wie üblich steht auf Seite 2 was in der Ausgabe zu finden ist und wie die "Redaktion" das bewertet. Castor schottern finden sie super, Berlin on Sale war nett klein aber mit guten Ansätzen (Job-Center Neukölln, Bioladen-Plünderung, öffentliches Dinner am Leopoldplatz ohne Bullen). Am Ende steht die obligatorische Entschuldigung für unregelmäßiges Erscheinen.

Seite 3 Spurenarmer Molli
Das Problem ist bekannt. Das Hantieren mit Feuerzeugbenzin, Kohleanzündern usw. reicht den Bullen um Leute für lange Zeit in Untersuchungshaft zu stecken. Egal ob eine Straftat nachgewiesen werden kann sind solche Spuren an Haut, Handschuhen und Accessoirs zu vermeiden. Obwohl der Einsatz von Mollis (kleine Brandbomben die besser aussehen als Bengalos, Eindruck schinden und bei sachgemäßem Einsatz vergleichbar hohen ge- bzw. ungewollten Schaden anrichten können) in der politischen Praxis unüblich ist, hat sich eine Gruppe drangemacht einen Molli ohne lästige Spuren zu entwickeln. In der Einleitung wird auf nicht ratsame Anwendungen (Demos, defensive Situationen usw.) hingewiesen und vor anderen Anleitungen gewarnt: "technisch grobe Anleitungen, wie in der Interim 708 führen garantiert zu unbeabsichtigten Konsequenzen, siehe 1. Mai 2009". Schade dass sich die "Militanzdebatte"  http://mirror.so36.net/home.arcor.de/dokumentationX/texte/debatte_20050600_konsum.html in Anleitungen wiederfinden muss - dennoch gut dass die AutorInnen die Verpackungsbeilage darum ergänzt haben.
Es folgt die Materialliste und Hinweise für den spurensicheren Einkauf und Zusammenbau (geneigte Krimi-LeserInnen können sich super reindenken). Nach einigem Hinundher-Gemische und luftdichtem Verschließen sind die Mollis längere Zeit lagerbar, da ein Verdunsten der Flüssigkeit nicht mehr möglich ist. Überschlagen (incl. des spurenlösenden Aceton, 100er Packungen Kabelbinder und Einweghandschuhen) braucht die Herstellung von 1-20 Mollis knapp 15 Euro (zzügl. Kraftstoff) und einen Nachmittag Zeit. Der Anleitung anbei sind Bilder wo Club-Mate (TM) Flaschen verwendet werden.  http://cyberpunk.blogsport.de/2010/06/13/club-molli-13-heizoel-23-redbull/
Gut, dass diese HeimwerkerInnen-Lücke nach Jahren der Ungewissheit ("Riech ich so oder ist das mein Mofa?") nunmehr gelöst ist und nur noch die relevanten Fragen (Anschlagsziele, Ausschluss der Gefährdung von Leben und Eigentum Dritter, zu erwartende Repression/Solidarität, eigener Mut) in die polititsche Kosten/Nutzen-Rechnung mit einbezogen werden muss.

Seite 4 Zeitverzögerter Brandsatz
Diese Anleitung beginnt gleich mit der Materialliste. Ein paar Sachen vom Molli-Bau brauchen wir hier wieder (Handschuhe, Trichter, Kabelbinder) aber noch einige andere Verbrauchsmaterialen (Streichhölzer, Kohlestäbchen, Kohleanzünder usw.). Hinzukommen praktische Anschaffungen wie eine Heißklebepistole und eine Gartenschere. Zur Montage halten sich die AutorInnen bedeckt - soll sich angeblich aus der darunterstehenden Zeichnung ergeben. Dafür ist etwas technischer Sachverstand nötig: Das Kohlestäbchen soll eine Folie durchbrennen und dann wiederum Kohleanzünder entflammen, der danach irgendwann dafür sorgt dass Plastikflaschen ebenfalls durchschmelzen und das darin enthaltene Kraftstoffgemisch entzündet. Die eigentlich interessante Frage wie lang denn nun die Zeit zwischen Anzünden und Abbrennen des Kraftstoffs liegen wird nicht beantwortet. Aber die Geruchsprobleme vom Joghurtbecher-Zeitverzögerer (auch bekannt unter "Nobelkarossentod") aus der Prisma (auch beschlagnahmt aber lesbar  https://linksunten.indymedia.org/de/node/23028) entfällt. Insgesmat sehr voraussetzungsvoll. Schade dass es hier keinen Disclaimer gibt. Also sind die AnwenderInnen genötigt erst auszuprobieren wie lang es dauert, wie es abbrennt, welche Hitze entsteht und welchen Gebrauchswert der Brandsatz letztlich hat. Nicht zu vergessen die Debatten die sich neben den technischen noch ergeben.

Seite 5 Beugehaft gegen ehemalige RAF-Mitglieder
Ein Flyer der Roten Hilfe zu diesem Thema. Komplett nachzulesen unter  http://www.rhi-sri.org/newsdetail.php?id=270&language=de

Seite 6 - 9 Castor Schottern
Aufruf, Aktionskonzept für die Castor-Aktionen im November. Komplett nachzulesen unter  http://fels.nadir.org/de/480/schottern-aufruf

Seite 10 - 11 Kleine Taktikschule: Der Hinterhalt
Das ist wieder was Selbstgemachtes. Das Problem: Politische Handlungsfähigkeit ist staatlichen Reglementierungen unterworfen die der Wut über die Verhältnisse kein Ventil lassen. Auf Demos ist die Bullenschikane vorprogrammiert. Wer sich durch Klauen und Schwarzfahren hervortut darf als Vogelfreier von Bullen und Hilfsscherifs drangsaliert werden. Unterordnung scheint die höchste BürgerInnenpflicht und die Exekutive (Bullen/Verwaltung) ist angehalten auch die dümmsten Verordnungen und Gesetze gegen die weniger mächtigen Menschen nachhaltig (mit Knarre und Amtstempel) durchzusetzen. Die AutorInnen beschreiben daher Ohnmachtsgefühle, die sich durch die dauerhafte Sichtbarkeit der Staatsmacht und deren Institutionen im Alltag einstellen. Sich in dieser Freiheit kaum frei fühlen zu können leuchtet allen ein.
Um sich zeitweise weniger ohnmächtig zu fühlen und sich für erfahrene Unterwerfung zu rächen nun der Vorschlag: Bullenfahrzeuge im Einsatz aus dem Hinterhalt anzugreifen ohne dass sie damit rechnen. Nur kurz einhaun und weg. Keine Duelle, keine Schüsse, kein Dialog. Beschädigt werden soll nur die Einsatzfähigkeit, in dem sie sich mit dem plötzlichen Angriff beschäftigen müssen und natürlich soll irgendwie auch die Hoheit des Staates angegriffen werden. Weil der Hinterhalt eine "international anerkannte Guerillamethode" ist, folgen aktuelle Beispiele aus Spanien und Belgien. Danach werden praktische Hinweise zur Wahl des Ortes und zum Ablauf gegeben. Die Hoffnung: entweder die Bullen meiden manche Gebiete fortan oder sie brauchen soviele Streifen in unsicheren Zonen dass sie wiederum nicht genug Personal zur Sicherung des Rechtsfriedens woanders haben. So oder so: Der Erfolg ist schwer quantifizierbar, die Analyse ist einfach aber deshalb noch nicht falsch. Mehr Polizei und die ganze Taktik verkommt zum Aufmuskeln gegen Bullen die nichtmal diese Logik auf die Reihe kriegen. Am Ende wird sich auch mit der Aktionskritik auseinandergesetzt, dass der Hinterhalt geringen Nutzen aber dafür großen Aufwand brächte. Die Anwort: "Ja vielleicht, aber die, die diese Einwände erheben, haben auch nicht mehr im Angebot als sich bei der nächsten Demo wegen irgendeiner Lapalie die Zähne ausschlagen zu lassen oder Platzverweisen zu folgen."

Seite 12 - 18 Berlin on Sale
Die Broschüre zu den Herbstaktionstagen gegen die sozialen Angriffe auf unser Leben ist hier komplett abgedruckt. Aber auch im netz unter  http://berlinonsale.blogsport.de/images/berlinonsale_broschuere.pdf. Daneben ist noch ein Flugi von "Steigende Mieten Stoppen"  http://mietenstopp.blogsport.de

Seite 19 Mord an Slieman Hamade durch Berliner Bullen
Eine Erklärung von Sliemans Verlobten, die ihre Gefühle zum Polizeieinsatz schildert. Slieman wurde im März 2010 in seiner Schöneberger Wohnung von Bullen schwer misshandelt und mit Pfefferspray so sehr traktiert, dass er vor Ort verstorben ist. Der Text ist nachzulesen unter  http://nojusticenopeace.blogsport.eu/2010/09/07/uber-den-tod-von-slieman-hamade/ Daneben steht ein unvollständiger Ausdruck des Artikels "Polizeigewalt: Suche nach Details" der sich mit der Folterung eines Einbrechers durch Leverkusener Bullen beschäftigt. Komplett unter  http://www.rp-online.de/bergischesland/leverkusen/nachrichten/Polizeigewalt-Suche-nach-Details_aid_909394.html
Schade dass es bei diesen Texten bleibt und z.B. nicht die Kleine Anfrage  http://nojusticenopeace.blogsport.eu/files/2010/09/MMD15-83.pdf oder die anderen Todesfälle durch Pfefferspray herangezogen werden um endlich mal eine breitere Kampagne gegen diese angeblich "nicht-letale" und deshalb inflationär gebrauchte Bullen-Waffe zu starten. Ein strukturelles Problem bei der Interim. Es ist kein Organ was die radikale Linke organisiert und mobilisiert.

Seite 20 - 23 Antifa gegen "Zuerst"
Abdruck des Flugblatts der Antifaschistischen Linken International  http://www.inventati.org/ali/pdf%20datein/Antifaschistisch%20aktiv%20werden%20Arno%20Pro%20neu.pdf

Seite 24 - 25 Stellungnahme der Fahrradwerkstatt "les lanternes rouges"  http://leslanternesrouges.blogsport.de/ vom Wagenplatz Schwarzer Kanal zum Rassismusvorwurf
Einer der wenigen Texte der auf andere vorher erschienende bezug nimmt. Der Dialog ist in Gänze aber auch auf Indymedia bereits Anfang August erschienen  http://at.indymedia.org/node/18740

Seite 26 Veranstaltungsänkündigungen
Solidarische Ökonomie  http://www.gegenseitig.de/neuigkeiten-pag/pag-commons-tour.html
70 Jahre seit der Ermordung Leo Trotzkis  http://intsse.com/de/content/70-jahre-seit-der-ermordung-leo-trotzkis

Seite 27 Aufruf zur Hamburger Demo "Leerstand zu Wohnraum"
 http://www.rechtaufstadt.net/recht-auf-stadt/demo-am-23102010-13-h-unicampus-leerstand-zu-wohnraum

Rücktitel: Plakat zur Hamburger Demo "Leerstand zu Wohnraum"


Allgemein betrachtet ist die Interim Nr. 718 eine Anhäufung von aktuellen Texten der radikalen Linken, die durch den Druck von anderen hervorgehoben werden. Die wesentlichen mehr oder weniger massenmobilisierenden Aufreger (Castor, Berlin on sale, RAF, Hamburg) sind präsent. Die Interim ist kein Diskussionsorgan (Indymedia will es auch nicht sein) - keiner der Texte fordert Stellungnahmen ein oder eröffnet Debatten. Es scheint als hingt die Interim laufenden Diskursen hinterher. Auffällig ist dass die wenigen Texte die allein für die Interim verfasst wurden sich mit Polizeigewalt/taktik und Gegenstrategien beschäftigen. Für diesen Politikbereich lohnt sich das Organ offenbar, die anderen Texte sind alle im Internet und anderen Publikationen zu finden.
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Ergänzungen

Interim hinkt nicht hinterher

Mr. Jones 26.10.2010 - 19:36
Die Interim hinkt nicht der Zeit hinterher sondern die Szene ist schlicht und einfach sprachlos geworden. In den älteren Ausgaben liest man komplexe Diskussionen, die heute nicht mehr geführt werden. Demovorbereitung, Demonachbereitung, Kampagnen oder Strategiediskussionen haben in den 90er Jahren die Szene bewegt.
Seit der Erfindung von Indymedia wird nur noch individueller Spam verschickt während die Gruppen ihre eigene Homepage haben; wer da nicht drauf klickt ist selber Schuld und keine Texte in einem Printmedium wert.
Alle die die Interim kritisieren schreiben selber nichts fürs Blatt.

(muss ausgefüllt werden)

(muss ausgefüllt werden) 26.10.2010 - 20:17


kennt jemand websites von der interim oder auch von der radikal auf der man kontakt aufnehmen kann oder übers www die hefte lesen kann?


ich kenne diese site der radikal, aber die wird nicht mehr aktualisiert

 https://radikalrl.wordpress.com/


Ist die Interim

Klaus 26.10.2010 - 20:20
irgendwo auch online erhältlich? Gegen einen regelmäßigen Upload auf einen ausreichend anonymen Filehoster sollte doch nichts einzuwenden sein, gerade die russischen Filehoster...

Daten lagern sich immer noch sicherer als Heftchen!

PM zu den Durchsuchungen am 26.Oktober

copy 26.10.2010 - 22:26
PM zu den Durchsuchungen am 26.Oktober 201

Erneute Durchsuchungen bei linke Buchläden in Berlin

Heute haben Beamte der Berliner Staatschutzbehörde um 11:15 die Schwarze Risse Buchläden im Mehringhof in der Gneisenaustraße und der Kastanienalle, den Buchladen oh21 und der Infoladen M99 durchsucht – zum sechsten Mal in diesem Jahr! Die Beamte präsentierten wechselnde Begründungen: Mal geht es um die Beschlagnahmung der linken Szenezeitschrift „Interim“, mal um ein antimilitaristisches Flugblatt, mal um die Unschädlichmachung eines Aufrufs für Demonstrationen gegen die Einheitsfeiern in Bremen.
Diese Mal ging es wieder um die Zeitschrift „Interim“. Im Buchladen im Mehringhof strebte die Polizei zudem an, ein weiteres Verfahren wg. Plakate zu eröffnen, die zur Beteiligung am Protest gegen den kommenden Castortransport im Rahmen der Kampagne „Castor Schottern“ zu eröffnen. Über diesen Antrag auf Erteilung eines weiteren Durchsuchungsbeschluss wurde jedoch von der Berliner Staatsanwaltschaft offenbar erst einmal negativ beschieden. Die Polizei wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft angewiesen, die Plakate zu fotografieren.

Staatsanwaltschaft will Buchhändler zur Zensur verpflichten!

Begründet werden die Durchsuchungen der Buchläden mit § 130a StGB („Anleiten zu Straftaten“) in Verbindung mit § 40 WaffenG („Verbotene Waffen inklusive des Verbots, solche herzustellen oder zur ihrer Herstellung aufzufordern“). Bisher ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Händler nicht den Inhalt der Bücher und Zeitschriften in ihrem Sortiment kontrollieren müssen. Laut Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Buchladen „Schwarze Risse“ vertritt, versucht die Staatsanwaltschaft nun, die gängige Rechtsprechung zu revidieren.

Buchhändler sollen also zukünftig für die Inhalte der Schriften haftbar gemacht werden, die sie vertreiben! Damit würden die Möglichkeiten legaler und radikaler Opposition massiv eingeschränkt: Was ist eine „Aufforderung“ und „Anleitung zu Straftaten“? Macht sich jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren? Gegen einen Castor-Transport zu demonstrieren? Einen Bauplatz zu besetzen, um eine Projekt wie Stuttgart 21 zu verhindern? Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärt damit nicht nur Widerstandsformen der außerparlamentarischen Opposition zum Verbrechen, sondern auch das Zugänglichmachen von Flugblätter und Zeitschriften, die dazu auffordern.

Die Buchhandlungen protestieren gegen das Vorhaben der Polizei

„Das Tagesgeschäft des Buchladens wird durch die Durchsuchungen massiv behindert, in der Vergangenheit wurden auch immer wieder die Computer beschlagnahmt.“ Frieder Rörtgen, Geschäftsführer von Schwarze Risse weiter: „Es handelt sich um eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren.“

Schwarze Risse
www.schwarzerisse.de
www.unzensiert-lesen.de

Presse TAZ

copy 26.10.2010 - 23:31
Polizei strebt Razzia-Rekord an

Die Polizei durchsucht erneut Buchläden wegen der Zeitschrift "Interim". Ermittelt wird auch gegen Inhaber der Geschäfte - wegen Anleitung zu Straftaten. VON MANUELA HEIM UND KONRAD LITSCHKO

Es ist fast schon Routine: Die Ladentür geht auf, die Polizei drängt herein: "Wir haben einen Durchsuchungsbefehl." Teilweise sechs Mal ging das den Besitzern linker Buch- und Infoläden in diesem Jahr bereits so. Dienstag Mittag war es wieder soweit. In den zwei Buchläden der Schwarzen Risse im Mehringhof und in der Kastanienallee, bei oh21 in der Oranienstraße und im Infoladen M99 in der Manteuffelstraße suchten Beamte nach Ausgaben der linken Untergrundzeitschrift Interim. In deren jüngster Ausgabe vom 15. Oktober hatten anonyme AutorInnen Anleitung zum Bau von Molotowcocktails gegeben.

Der Einsatz hatte wenig Erfolg, nur in einem Fall wurde die Polizei nach eigenen Angaben fündig. Die Buchhändler widersprechen: Die aktuelle Interim-Ausgabe sei in keinem der Läden gefunden worden. "Stattdessen hat die Polizei alte Ausgaben von 2007 mitgenommen", so Frieder Rörtgen, Geschäftsführer der Kreuzberger "Schwarzen Risse". Auch im M99 wurden ältere Interim-Exemplare beschlagnahmt. "Das läuft immer nach dem gleichen Schema ab", zeigte sich der M99-Betreiber genervt. "Ich weiß nicht, was das bringen soll."
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Einmal vor Ort fielen den Beamten im "Schwarze Risse" im Mehringhof Plakate zur Aktion "Castor Schottern" ins Auge. Gern hätten sie die gleich mitbeschlagnahmt - soweit wollte die Staatsanwaltschaft aber offensichtlich nicht gehen. "Die Polizisten bekamen keinen Beschluss", so Rörtgen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft wollte dazu keine Angaben machen.

Für die "Risse"-Läden war es die sechste Durchsuchung in diesem Jahr, fürs oh21 die dritte, fürs M99 die fünfte. Die letzte Razzien-Runde gab es Mitte September. Erst kürzlich hatten sich die linken Buch- und Infoläden in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Durchsuchungen gewehrt. "Der heutige Tag zeigt aber, dass die Staatsanwaltschaft nicht locker lässt, Buchläden zu kriminalisieren und anzugreifen", sagt Rörtgen. Die Ermittlungen richten sich dabei auch gegen ihn selbst und die anderen Geschäftsführer - wegen Anleitung zu Straftaten. Laut Paragraf 130a des Strafgesetzbuches drohen dafür Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Als "Zensur durch Kriminalisierung" bezeichnete Strafverteidiger Johannes Eisenberg die Polizeieinsätze. Dass auch gegen die Geschäftsführer ermittelt werde, sei ein "beliebter Umweg" der Strafverfolger. "Wenn man an die eigentlichen Autoren nicht rankommt, wird das Umfeld kriminalisiert", so Eisenberg.

Boris Bröckers, Strafrechtler an der FU Berlin, hält es für "nicht völlig abwegig", dass auch ein Ladenbetreiber für strafbare Inhalte der von ihm vertriebenen Publikationen haftbar sein könnte. "Eine Verurteilung ist aber fraglich", so Bröckers. Dafür müsste nachgewiesen werden, dass die Inhalte tatsächlich kriminell seien, die Geschäftsführer diese Inhalte gekannt hätten und ein Vorsatz zur Straftatsanstiftung vorläge.

Die Buchläden zeigen sich trotzig: Man werde sich nicht einschüchtern lassen und auch nicht selbst zensieren, heißt es in ihrer Erklärung. Am Abend wollten Sympathisanten der linken Läden am Kreuzberger Mariannenplatz gegen die Durchsuchungen demonstrieren.

Razzien überhaupt legal?

Frager 26.10.2010 - 23:34
So gut wie jede dieser Razzien und Beschlagnahme hat sich in der Vergangenheit als nicht rechtmässig herausgestellt.In der Regel wurden keine Gerichtsbeschlüsse umgesetzt, sondern eine Staatsanwaltschaft die für Rechtsbeugungsversuche bakannt ist, liess politisch motiviert linke Läden durchsuchen und Leute verhaften. Wenn es dann zu einem Prozess kam, ging der oft zu ungunsten der Staatsanwaltschaft aus. Viele der inkriminierten Zeitungen waren auf einmal wieder legal etc. Von daher: sind diese Razzien überhaupt legal?

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