Döbeln: Containerprozess vertagt

Oskar 14.10.2010 23:26 Themen: Atom Repression
Skandalprozess am Amtsgericht Döbeln wegen Mülldiebstahls vertagt +++Verhandlung dauerte bis in die Nachtstunden an +++ Fortsetzung der Beweisaufnahme am 28.10.2010, 9 Uhr, Saal 203
Angeklagt waren 2 Personen, die am Abend des 13.04.2010 auf dem Parkplatz des Marktkaufs in Döbeln (Sachsen) von einer Polizeistreife kontrolliert worden waren. Sie führten damals einen Anhänger voller genießbarer Lebensmittel mit sich. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, diese aus den Tonnen des Supermarktes entnommen zu haben. Obwohl Marktkauf keine Anzeige erstattete, erhielten die zwei Angeklagten Strafbefehle wegen Diebstahls über 10 und 20 Tagessätze. Begründet wird dies mit einem angeblichen besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Nachdem die zwei Betroffenen Einspruch einlegten, kam es am 13.10.2010 zur Hauptverhandlung am Amtsgericht.

Zuvor machten in der Döbelner Innenstadt Aktivist_innen auf das Verfahren aufmerksam. Als vermeintliches Fernsehteam vom Mars befragten sie Passant_innen über die Hintergründe des Verfahrens. Fast alle Befragten äußerten Unverständnis und Entrüstung über dieses Strafverfahren und stellten das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in Frage.
Vor dem Gericht lief eine Aktivistin auf Stelzen und verteilte Rosen, die ein Supermarkt ursprünglich wegwerfen wollte. Andere Aktivist_innen malten mit Kreide Sprüche auf das Pflaster, die sich kritisch auf Lebensmittelvernichtung und Justiz bezogen. Weitere Personen erkletterten zwei Fahnenmasten und entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift: „Was ist schon Müll? Lebensmittelvernichtung stoppen!“. Daraufhin wurde ein Leiterwagen der Feuerwehr herbeigerufen, um das Transparent zu entfernen. Die beteiligten Aktivist_innen werten diese Maßnahme als unverhältnismäßig.
Am Eingang des Gerichts wurden alle Prozessbesucher_innen von der Polizei, die mit mehreren Mannschaftswagen und etwa 10-15 Beamt_innen vor Ort war, durchsucht.

Die Verhandlung selbst zog sich von 14 bis 22 Uhr hin. Den sich selbst verteidigenden Angeklagten, deren Anträge auf Beiordnung von Pflicht- oder Laienverteidigern abgelehnt worden waren, wurden keine oder nur sehr kurze Pausen zum Schreiben von Anträgen gewährt. Dies führte in den Abendstunden zu Übermüdung und Konzentrationsschwierigkeiten auf allen Seiten. Trotzdem setzte das Gericht die Verhandlung fort. Die Angeklagten erhielten im Laufe des Prozesses nur Ablichtungen von Teilen der Verfahrensakte, obwohl juristisch auch eine vollständige Akteneinsicht möglich und geboten wäre. Aus diesen Gründen stellten die Angeklagten eine Reihe von Befangenheitsanträgen gegen Richterin Süß. Diese wurden fast alle von ihr selbst, mit beinahe wortgleichen Begründungen, verworfen, da die Anträge angeblich nur der Prozessverschleppung dienen würden.
Im Laufe der Verhandlung verwies Richterin Süß 5 Personen des Saales. Ihr Tonfall hierbei wurde von vielen Anwesenden als laut und aggressiv wahrgenommen. Anlass waren vereinzelte Zwischenrufe, obwohl die Richterin deren Urheber_innen nicht immer mit Sicherheit bestimmen konnte.
Gegen 21 Uhr wurde der einzige geladene Zeuge vernommen. Es handelte sich um einen Döbelner Polizeibeamten, welcher die beiden Angeklagten in der fraglichen Nacht kontrollierte. Er sagte unter anderem aus, dass er nicht mit Sicherheit wisse, ob die Lebensmittel tatsächlich aus den Marktkauf-Containern stammen würden. Einige seiner Äußerungen empfanden die Angeklagten als beleidigend. So beschrieb er einen von ihnen als „unsauber“ und sagte aus, er habe den Eindruck gemacht, als sei dieser „gerade aus dem Müllcontainer geklettert.“

Um kurz vor 22 Uhr gab Richterin Süß die Vertagung der Verhandlung bekannt. Auf Antrag der Angeklagten soll am nächsten Verhandlungstag eine weitere Polizeibeamtin vernommen werden.

Frederik, einer der Angeklagten, sagt dazu: „Der Verurteilungswille von Richterin Süß war von Beginn an sichtbar. Sie war offenkundig genervt, weil wir als Angeklagte es wagten, minimale prozessuale Rechte einzufordern.“
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Ergänzungen

Siehe auch:

ich ess gern biomüll 15.10.2010 - 09:10

Infos per twitter:

Gert 15.10.2010 - 21:49

Presseartikel

Oskar 16.10.2010 - 12:00
Presseartikel aus der Döbelner Allgemeinen Zeitung und dem Döbelner Anzeiger auf  http://nirgendwo.info/containerprozess