Interview mit verfolgtem Antimilitaristen

Wladek Flakin 26.08.2010 13:23 Themen: Antirassismus Repression SiKo München
Hans-Georg E. ist antifaschistischer und antimilitaristischer Aktivist aus München.

- Wegen deines Engagements gegen Faschismus und Militarismus sitzt du ab heute auf der Anklagebank des Amtsgerichts München. Warum nimmt die München Staatsanwaltschaft ausgerechnet dich ins Visier?

Aktive Linke geraten leicht ins Visier staatlicher Repression. Mit derartigen Strafverfahren sollen sowohl linke Aktivisten als auch ihr politisches Umfeld in ihrer politischen Arbeit behindert und eingeschüchtert werden. Auffällig meinem Prozess ist, dass das Verfahren durch das Zusammenziehen von 5 verschiedenen Vorwürfen den Charakter einer umfassenden Generalabrechnung mit meinem politischen Engagement bekommt.
- Du hast an Protesten gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald teilgenommen. Was ist dort passiert?

Das jährliche Gebirgsjägertreffen in Mittenwald ist der praktizierte Schulterschluss zwischen alten NS-Kriegsverbrechern und Bundeswehrsoldaten. An den Protesten dagegen nahmen namhafte antifaschistische Persönlichkeiten und Überlebende der Shoah teil. Leute wie Maurice Kling, Esther Bejarano, Max Tswangue oder Ernst Grube protestierten gemeinsam mit uns jungen AntifaschistInnen.
Ein betrunkener junger Mann, nach eigener Aussage Mitglied der faschistischen NPD, beleidigte die TeilnehmerInnen der Demonstration. Nachdem er dafür von AntifaschistInnen verbal angegangen wurde, reagierte er gegenüber der Polizei mit der Lüge, ich hätte ihn mit einem Plastikstuhl verletzt.

- Ein anderer Vorwurf steht im Zusammenhang mit der NATO-Sicherheitskonferenz, die jedes Jahr in München stattfindet...

Wolfgang Ischinger war von ATTAC zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Attac trifft Sicherheitskonferenz“ im Münchner Eine-Welt-Haus geladen. Diese Veranstaltung stieß bei vielen Münchner AntimilitaristInnen auf Unverständnis, da mit einer solchen Veranstaltung der falsche Eindruck einer Annäherung zwischen den VeranstalterInnen der NATO-Kriegskonferenz und der Antikriegsbewegung erweckt wird.
Ischinger versucht, die „Sicherheitskonferenz“ in der Öffentlichkeit als Friedenskonferenz zu verkaufen. Es ist ein Teil dieser PR-Strategie, sich als dialogbereit gegenüber KritikerInnen der Konferenz darzustellen. Deshalb wurde an besagtem Abend gegen den Auftritt von Ischinger im Eine-Welt-Haus protestiert – mit dem Ergebnis, dass Attac die Veranstaltung abbrach.
Obwohl er zunächst gegenüber Presse und VeranstalterInnen betonte, dass er keine Anzeige erstatten wolle, weil nichts passiert sei, behauptete Ischinger einige Tage später gegenüber der Polizei, er habe einen Schlag auf die Brust bekommen – der Vorwurf, wegen dem ich nun angeklagt bin. Da es um einen Herrn Ischinger geht, versuchen die Polizei und die Staatsanwaltschaft mit einem, gemessen am Tatvorwurf, riesigen Ermittlungsaufwand, einen Schuldigen zu konstruieren. Unter anderem haben sie Luftaufnahmen vom Eine Welt Haus angefertigt, als ob hier ein Kapitalverbrechen verübt worden wäre.

- Wie hat sich Attac München in diesem Fall verhalten?

Obwohl Attac sehr verärgert über die abgebrochene Veranstaltung war, entschied sich der Koordinierungskreis mehrheitlich dagegen, den Auftritt Ischingers mit Polizeigewalt durchzusetzen. Peinlich ist natürlich, dass es überhaupt Leute in dieser Organisation gab, die gerne zu Gunsten eines prominenten Repräsentanten herrschender Kriegspolitik die Polizei gerufen hätten. Die meisten der Linken hier in München, darunter auch Leute von Attac, halten gegen die Repression zusammen, auch wenn sie sich sonst nicht in allem einig sind, und unterstützen mich sehr solidarisch in dem laufenden Prozess.

- Du warst auch bei Protesten gegen ein Rekrutengelöbnis der Bundeswehr am Münchner Marienplatz dabei. Was wird dir diesbezüglich vorgeworfen?

Der Vorwurf lautet „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ – das ist ein Standardvorwurf, um willkürliche Festnahmen auf Demos Straftatbestände zu rechtfertigen. Insgesamt hat die Polizei bei dem Bundeswehrgelöbnis versucht, jeden sichtbaren und hörbaren Protest im Keim zu ersticken. Ich selbst wurde festgenommen, nachdem ich von Freunden der Bundeswehr körperlich attackiert wurde, wobei einer mir mein Hemd zerriss und ein anderer mir mit der Faust ins Gesicht schlug.

- Der vierte Vorwurf betrifft Proteste gegen die "Residenzpflicht", die in Deutschland für Asylbewerber besteht.

Die Staatsanwaltschaft mir „Beleidigung“ vor, weil ich eine Personenkontrolle wegen Verstoß gegen die „Residenzpflicht“ als „rassistische Maßnahme“ bezeichnet habe. Konkret: Im Juni letzten Jahres gab es in München Aktionstage des antirassistischen Netzwerks „Deutschland Lagerland“, bei denen wir gegen die Zwangsunterbringung von Flüchtlingen in Lagern protestiert haben. Dazu waren Flüchtlinge aus ganz Bayern angereist. Ein Flüchtling wurde von der Polizei kontrolliert und festgenommen, weil er für die Proteste in München ohne Genehmigung der Ausländerbehörde seinen Landkreis verlassen hatte. Der Mann wurde von den Polizisten zum Bahnhof gebracht und gezwungen, mit dem nächstbesten Zug nach Hause zu fahren.
Ich bleibe dabei – die Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch „Residenzpflicht“ ist ein rassistisches Sondergesetz, das nur für AsylbewerberInnen gilt. Dass PolizistInnen bei Personenkontrollen gezielt nach rassistischen Kriterien vorgehen, wird ebenfalls seit Jahren von antirassistische Gruppen thematisiert. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung muss auch gelten, wenn sich die Kritik gegen staatliche Repressionsorgane richtet.

- Zu deinem Prozess gibt es eine Solidaritätskampagne. Wer organisiert das?

Das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz mobilisiert zusammen mit vielen anderen Gruppen zu einer Solidaritätskundgebung zu meinem Prozess, da sie diesen als Angriff auf die gesamte Münchner Antikriegsbewegung begreifen. Ich bin schwer beeindruckt von der Solidarität, die ich von GenossInnen aus dem In- und Ausland erfahre. Solidaritätserklärungen gab es unter anderem von Flüchtlingsinitiativen, von namhaften türkischen Linksintellektuellen wie Haluk Gerger, von linken Fußballfans sowie von AktivistInnen sozialer Bewegungen aus Mexiko. So etwas verstehe ich unter gelebter internationaler Solidarität.

Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO),  http://www.revolution.de.com

Eine kürzere Version dieses Interviews erschien in der jungen Welt vom 26.8.10 ( http://www.jungewelt.de/2010/08-26/004.php)
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Ergänzungen

Solidaritätserklärungen aus der Türkei

Suphi Toprak 26.08.2010 - 14:22
Bereits sind viele Solidaritätserklärungen für Ebs aus der Türkei eingegangen:
 https://spreadsheets.google.com/viewform?formkey=dGxuRlBjdkdfNW02eExtSGxpSktPSVE6MQ&ifq

Solidaritätserklärung von RIO

Suphi Toprak 26.08.2010 - 14:23
Solidarität mit Ebs!

Antimilitarist aus München wird von der Justiz verfolgt

Während Deutschland sich aufrüstet und an immer mehr Kriegen beteiligt, will die herrschende Klasse ein ruhiges Hinterland haben. Die wachsende AusländerInnenfeindlichkeit und die größer werdende Nazibewegung sind ein Produkt der imperialistischen Politik Deutschlands.
Deswegen müssen die Kämpfe gegen Rassismus, Faschismus und Krieg zusammengeführt werden. Der Aktivist “Ebs” aus München kämpft seit Jahren gegen die herrschenden Verhältnisse in Deutschland. Nun versucht die deutsche Justiz, ihn zu verurteilen, weil ein Kriegstreiber sich von Ebs bedroht fühlt.

Tatsächlich sind wir alle vom deutschen Militarismus bedroht. Wir klagen die deutschen Konzerne und ihren Staatsapparat an, die rund um die Welt Kriege führen. In diesem Sinn fordern wir, dass das Verfahren gegen Ebs und andere politische AktivistInnen sofort gestoppt werden.

- Solidarität mit Ebs und anderen verfolgten AntimilitaristInnen!
- Hoch die internationale Solidarität!

Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) – Deutschland, Schweiz, Tschechien
Marksist Devrimciler – Türkei

Quelle:  http://www.onesolutionrevolution.org/?p=527&language=de

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