Tafel der Habenichtse gestern in Berlin

Bernd Kudanek alias bjk 21.08.2010 13:27 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Die Tafel der Habenichtse, Überflüssigen und TagelöhnerInnen

Die Arbeitsgemeinschaft Soziales Berlin hatte für gestern ab 17 Uhr zu einer Tafel der Habenichtse auf dem Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor aufgerufen. Gekommen sind vor allem diejenigen, die sich schon seit Jahren gegen die von RotGrün eingeführte moderne Sklaverei durch Hartz IV und der Repression durch die Agenda 2010 engagieren. Teils weil sie selber betroffen sind, teils weil sie als mündige BürgerInnen die elementarsten Grund- und Menschenrechte in der BRD mehr und mehr mit Füßen getreten sehen.
Der Aufhänger für die gestrige Tafel der Habenichtse, Überflüssigen und TagelöhnerInnen war die von Christian Wulff (in den Medien gerne als Schwiegermamas Liebling bezeichnet und spektakulär in der BRD.Polit-Hierarchie aufgestiegen), als aktuellem Bundespräsidenten veranstaltete sogenannte Tafel der Demokratie. Diese hatte bekanntlich der kürzlich aus dem Amt geflüchtete Ex-Bundespräsident Horst Köhler (Spötter nannten ihn wegen seines aufgesetzten Dauergrinsens Grinse-Hotte) erstmals am 3. Juli 2004 auf dem Pariser Platz (  http://de.wikipedia.org/wiki/Tafel_der_Demokratie ) veranstaltet. Dieses dekadente abgehobene Politschranzentheater wurde schon damals mit ätzender Kritik und scharfen Protesten begleitet. Hartz IV und Agenda 2010 waren damals gerade "in Arbeit"!

Wulff zeigte sich dankbar für ein geschenktes Schlaraffen-Leben mit über 400.000 jährlichen Euronen staatlicher Apanage bis ans Ende seiner Tage, führte die Köhlersche Tafel-Tradition fort und sorgte sich aber auch um die "Gräben zwischen Bürgern und Politikern“. Um sein Volk zu beschwichtigen, ließ er den Küchendirektor des Hotel Adlon Kempinski ein üppiges Drei-Gänge-Menü mit Berliner Sülze vom Saalower Kräuterschwein und Gewürzgurken als Vorspeise, einem niedersächsischen Kartoffel-Eintopf mit Rauchwurst und Rinderbrust sowie Welfenspeise mit Waldbeeren als Nachspeise für 1.500 handverlesene Gäste aus dem "Volk" auftragen, nachzulesen unter  http://de.wikipedia.org/wiki/Tafel_der_Demokratie - auch der Tagesspiegel berichtet unter  http://www.tagesspiegel.de/berlin/dinner-for-1500/1908062.html;jsessionid=6B1911A014EA49C024E01688B1010051 sowohl von der Wulff-Tafel aber auch von der Tafel der Habenichtse. Unsere Protest-Tafel konnte lediglich mit aufgewärmter Linsensuppe, einer typischen Hartz4-Kost aufwarten. Manche Bauern essen auch heute noch keine Linsensuppe, weil schon ihre Väter und Vorväter Linsen immer nur an Schweine verfüttert hatten.

Vordergründig ging es bei der gestrigen Kundgebung um die völlig unzureichenden Hartz4-Regelsätze, insbesondere um den schändlichen Mini-Betrag für Nahrung, Getränke, Tabakwaren in Höhe von derzeit 128,39 € (  http://de.wikipedia.org/wiki/Regelsatzverordnung ), also ca. 37% der gesamten Monats-Regelleistung von derzeit 359 € für eine Einzelperson. Das entspricht einem Tagessatz von 4,28 € für Essen und Trinken. Die Kosten für den täglichen Futterbedarf eines Schweines werden sicher nicht sehr viel niedriger sein. Wundert es da, daß z. B. die Brüder Albrecht mehrfache Milliardäre geworden sind und mit rund 23,5 Mrd. US-Dollar Platz 10 des Forbes-Rankings der weltweit reichsten Männer innehaben?! (  http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Albrecht )

Im weiteren Sinne stand mit der gestrigen Kundgebung also auch der seit Jahren immer offenere Rückfall unserer Politschranzen in schlimmste Feudalzeiten am Pranger. Christian Wulff verkörpert mit seinem mehr als überflüssigen aber hoch dotierten Grüßonkel-Amt als Bundespräsident geradezu den Inbegriff eines willigen Werkzeuges der Herrschenden.

Das Konzept der Protest-Tafel war zeitlos aktuell und hätte schon allein deshalb sehr viel mehr TeilenehmerInnen verdient gehabt. Vor allem habe ich VertreterInnen vom Berliner Bündnis Montagsdemo (  http://www.berlinermontagsdemo.de/ ) und anderen sozialen Organisationen und Gruppen vermißt. Aber auch eher indirekt durch staatliche Repressionen gegenüber uns Habenichtsen, Überflüssigen und TagelöhnerInnen tangierte Organisationen wie der Berliner Wassertisch ( www.berliner-wassertisch.net ) oder die Initiative Berliner Bankenskandal (  http://www.jpberlin.de/bankenskandal/ ) und andere mehr glänzten leider durch Abwesenheit. Hätten sich nun auch noch die über 500.000 Berliner Hartz4'lerInnen aufraffen können, sich zu uns zu "verirren", den handverlesenen 1.500 Gästen der feudalen Fressorgie auf dem Pariser Platz wäre das Kräuterschwein im Halse stecken geblieben! Und BuPrä Wulff wäre sicher das gewohnte Schwiegermamas-Bester-Lächeln eingefroren.

Auch wenn die Protest-Tafel nicht auf dem abgesperrten sonnigen Platz des 18. März abgehalten werden durfte, sondern für PassantInnen und Touries kaum wahrnehmbar abseits an den dunkel verschatteten Rand des Tiergartens gedrängt wurden, gaben sich die VeranstalterInnen der Protest-Tafel große Mühe. Roland Klautke, Rainer Wahls und andere trugen unsere Anliegen in mehreren interessanten Redebeiträgen übers Mikro unverdrossen den wenigen vorbei eilenden PassantInnen vor. Weitere Aktive verteilten fleißig Flugis an alle, die Näheres nachlesen wollten. Wer wollte, konnte sich an warmer Linsensuppe stärken. Auch Schnuffi, ein Rauhhaardackel, hatte Glück und ergatterte blitzeschnell eine unbemerkt heruntergefallene Thüringer Knackwurst ganz für sich alleine.

Für 18:50 Uhr hatte sich nach Auskunft der Polizei-Einsatzleitung sogar BuPrä Christian Wulff angesagt, unseren Info-Stand persönlich zu besuchen. Das stellte sich dann erwartungsgemäß als bloße Absichtserklärung heraus, worüber aber keiner von uns ProtestlerInnen besonders traurig war. Denn besonders freundlich wäre er von uns sicher nicht empfangen worden. Das ahnte er wohl und ging als sich leutselig gebender feudaler Landesherr nur zu den neugierigen PassantInnen hinter den Absperrgittern am Platz des 18. März um sich seinem Volk aus der Nähe zu zeigen, es anzugrinsen, Hallo zu sagen und ein paar BürgerInnen-Hände zu schütteln. Sonderlich begeistert war aber sein Volk an den Absperrgittern deswegen nicht, ein paar Trillerpfeiffen waren zu hören, also eilte er kurz nach 19 Uhr wieder vondannen, schließlich sollte ja seine Tafel der Demokratie pünktlich um 19:30 Uhr durch ihn eröffnet werden.

Gegen 19:15 Uhr wurde dann auch unsere Tafel der Habenichtse, Überflüssigen und TagelöhnerInnen beendet. Abschließend gab's noch die Info aus  http://www.krach-statt-kohldampf.de/sites/index.html zur die bundesweiten Demo am 10. Oktober in Oldenburg:

Bundesweite Demonstration am 10.10.2010 in Oldenburg!
In die Pötte kommen:
Bringt Kochtöpfe und Kochlöffel mit!
Krach schlagen statt Kohldampf schieben!
Mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel sofort!
Treffpunkt: 13 Uhr, Hauptbahnhof, Südseite!
Bringt Kochtöpfe und Kochlöffel mit!


30 Fotoimpressionen von der gestrigen Protest-Tafel sind unter  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/3/26766074#26766074 eingestellt. Sämtliche Demo-Fotos dürfen bei namentlicher Nennung des Knipsers und Angabe der Quelle für nichtkommerzielle Zwecke gerne heruntergeladen, gespeichert und weiterverbreitet werden.

Bernd Kudanek alias bjk
 http://freies-politikforum.carookee.com
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Nachrichte von Unzufriedenen für Unzufriedene

Habenichts 21.08.2010 - 14:41
Nachrichte von Unzufriedenen für Unzufriedene
Nachrichten aus der Geschichte, nie aktuell aber immer wichtig.
Neue Sendungen immer dann, wenn unsere Reporter aus ihrem
Drogenrausch erwachen und zufällig arbeitswillig sind.
 http://www.youtube.com/view_play_list?p=26383989DF45CCA5

Veranstaltungshinweis

Kasi 22.08.2010 - 12:46

Allen Interessierten darf ich unsere Veranstaltung ans Herz legen:

Informations- und Mobilisierungsveranstaltung
zum Thema
„Oldenburg 10.10.2010: Zentrale Forderungen
und Vernetzung der Mobilisierung“

am Mittwoch, den 8. September 2010 um 19 Uhr
im Blauen Salon (Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Berlin-Kreuzberg)

mit Beiträgen von

Anne Seeck (Teilhabe e.V.)
Martin Künkler (Koordinationsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, KOS)
Claudia Spreen ( Vorsitzende Berzirkserwerbslosenausschuss ver.di Berlin)
Anne Allex (Runder Tisch gegen Erwerbslosigkeit und Ausgrenzung)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 6 Kommentare

name

titel 21.08.2010 - 14:56
tolle gegenaktion!
schade, dass es nich emhr leute waren. das wäre mal ein eindeutiges zeichen gewesen. vielleicht fürs nächste jahr größer mobilisieren oder woran lags?

für Taugenichtse und Unerfahrene

"shock and awe" 21.08.2010 - 15:58
Der Sozialstaat ist zu zart, soviele Hungerleider und Arbeitsstellenmeider da ist es doch gut das wir sie haben, unsere treuen alten deutschen Kameraden, die arbeiten bis 67. Der Buntepräsident lässt sich da nicht verladen, klar, arbeiten bis 67. Die Familie der Ministerin singt im deutschen Chor, arbeiten bis 67, mamii. Die Bundeskanzler_In ist sich sicher, bis 67 lassen sich die Brennstäbe der AKW'S prima hoch und wieder runterfahren, die Castorbehälter ein und wiederausgraben.

wenn hier in Deutschland jemensch was dagegen haben sollte, der kann ja Deutschland verlassen, mit oder ohne siebenundsechszig Jahren.

witzig btw

tagmata 21.08.2010 - 17:30
aus deutschland wird ja gern DER AUFSCHWUNG vermeldet in letzter zeit. daß das letzten endes nur a) ein kreditgestützes lagervollkaufen zu niedrigpreisen ist, b) die globale konjunktur nach kurzer konsolidierung weiterhin dümpelt c) dem "aufschwung" in schland einer der krassesten abstürze weltweit vorausging und d) der bürger sinkende reallöhne statt aufschwung kriegt, wird da ganz gern vergessen.

stattdessen wird auch gern mal festgestellt, daß der deutsche arbeiter an sich eine faule sau ist, und viel zu viel urlaub macht.

ironisch ist das ganze, wenn man betrachtet, daß die einzigen länder, die die wirtschaftskrise bislang weitgehend unbeschadet weggesteckt haben, die skandinavischen sind. also die, die dem konzept von "sozialistisch", das in neokonservativen und -liberalen kreisen gängig ist, noch am nächsten kommen.

angesichts der tatsache, daß die meisten deutschen bürgerInnen mittlerweile zu einem persönlichen schlußstrich unter den kapitalismus bereit sind ( http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,712524,00.html), ist es nunmehr an der zeit, die antikapitalistische praxis noch stärker in die realität umzusetzen, und die öffentlichkeit noch stärker mit alternativen zu konfrontieren.

es ist also die zeit, wo jede lokale gruppe, initiative oder formlose zusammenrottung, jede vokü und jeder umsonstladen geradezu aggressiv an die öffentlichkeit treten muß. denn solange die illusion des "aufschwungs" noch hält (vermutlich bis herbst noch, denn dann werden die wirtschaftsdaten rauskommen die einen globalen wiederabschwungstrend manifest belegen), ist die richtige zeit, sich mit dem bürger, diesem unbekannten wesen, auseinanderzusetzen, und "propaganda"techniken zu üben. also, "wie überzeuge ich, arthurundanna anticapitalist@, die stino von nebenan, daß meine antikapitalistische praxis ein gangbarer weg auch für stinos ist?"

the time is now.

@Tagmata

Horst 21.08.2010 - 20:40
Die Wirtschaftsordnung der skandinavischen Staaten ist genauso marktliberal, kapitalistisch usw. wie die von Deutschland, Frankreich, Belgien usw. Norwegen hat Öl und scheidet daher schon mal aus. In Schweden muss man einer Gewerkschaft beitreten um gegen Arbeitslosigkeit versichert zu sein, der Staat tut dies nicht. Darüber hinaus haben auch diese Staaten so ihre Problemchen und sollten nicht ständig als Beispiele herangezogen werden.

@horst

tagmata 21.08.2010 - 22:09
weiß ich doch. (schadet aber nie, es anzumerken. weil, genauso isses.)

nur, du kannst diese staaten als gebilde auffassen, die gegenüber dem neolib-mainstream in eine bestimmte richtung verschoben sind, in ihrem parameterraum, im globalen sozialen ökosystem, whatever. die richtung ist grob in unsere richtung, und sie schneidet offenbar sowohl als nach maßstab der primären "condition humaine" (um die es letzten endes bei linken geht, und immer gegangen ist) ans auch nach maßstäben des turbokapitalismus SELBST.

das, was empirisch richtigER war/gewesen WÄRE, als das was wir hatten, ist NÄHER an dem was du willst, ich will - vermutlich alle wollen, die sich als "links" bezeichnen ohne daß von irgendwo vehement wiedersprochen würde.

egal was dein persönliches utopia ist.

verhedder dich nicht in details. die zukunft, für die wir als linke kämpfen, ist nicht GENAU SO wie die schwedische gegenwart. aber sie ist EHER SO als die deutsche gegenwart.

und deswegen ist eine stärkere politische ausrichtung nach links kein "experiment", sondern eher ein auf-die-halbwegs-sichere-seite-zurückkehren.

und das kann nicht oft genug wiederholt werden. mit beispielen wie dem obigen rafft es jeder traditionsschwarze dorfnazi.

(was genau "stärker nach links" ist? nun, da gibt es eine fülle vorschläge. welche? das entscheidest AUCH DU.

das unterscheidet uns von faschos und kapitalistenschweinen ;-) )

Soziale und ökologische Kämpfe

schließen sich nicht aus 22.08.2010 - 15:43
Linsen sind extrem nahrhaft und proteinreich- besonders für vegetarisch/vegane Menschen unbedingt im Speiseplan zu empfehlen. Während heute Linsen- auch im Ökobereich- fast alle aus der Türkei oder China importiert werden, gab es bis zu sogenannten grünen Revolution, die die Landwirtschaft industrialisierte und somit schon einen Grundstein für heute Hartz 4 Problematiken gelegt hatte, 2 große Anbaugebiete in Deutschland. Thüringen und die Schwäbische Alb. Dort wurden Sorten kultiviert, die heutzutage ausgestorben oder fast ausgestorben sind. Sie wurden von den dort wohnenden Menschen gegessen und sorgten in Zeiten, wo nicht jeden Tag Fleisch auf dem Tisch stand für die nötigen Proteinbedarf.
Was wollen denn die Leute mit der Wahl des Gerichtes aussagen?
Jeden Tag Fleisch. ist das etwa Luxus? Und wem geht das zulasten?
Manchmal wäre es schön, wenn soziale und ökologische Kämpfe gemeinsam geführt werden würden und nicht einer auf Kosten des anderen.