Baskenland: der Weg und die Schritte

Uschi Grandel (Info Baskenland) 30.04.2010 18:07 Themen: Blogwire Weltweit

Konfliktlösung im Baskenland: 200 Aktivistinnen und Aktivisten der abertzalen Linken erläutern unter der Überschrift “Der Weg und die Schritte – die abertzale Linke in Bewegung” nächste Schritte und ziehen Bilanz aus ihren bisherigen Bemühungen. Sie bekräftigen ihre unilaterale Entscheidung, mit allen Kräften für einen demokratischen Prozess im Baskenland zu arbeiten. Sie wollen erreichen, dass “die baskische Bevölkerung frei und ohne Zwang oder Gewalt über ihre Zukunft entscheiden kann”.

„Es ist an der Zeit, voran zu gehen. Und deshalb ist sich die abertzale Linke völlig bewusst, dass es nicht darum geht, herauszufinden, wozu die anderen Konfliktparteien bereit sind, sondern darum, dass wir selbst tun, was wir tun müssen. Auf diese Art werden wir … neue Situationen herbeiführen und die Haltung der übrigen Konfliktparteien dadurch beeinflussen. Aber als allerwichtigstes werden wir eine immer breitere Zustimmung in der Bevölkerung dafür erhalten, dass Euskal Herria(*) seine Zukunft selbst bestimmen soll.“

Dieses Zitat stammt aus „Zutik Euskal Herria - Steh auf, Baskenland“, dem im Februar 2010 veröffentlichten zentralen Dokument der Friedensinitiative der abertzalen Linken (**). Gewicht erhält diese Initiative durch die direkte Beteiligung eines beachtlichen Teils der baskischen Bevölkerung. Das Dokument „Zutik Euskal Herria - Steh auf, Baskenland“ ist das Ergebnis monatelanger, intensiver und offener Diskussionen tausender Mitglieder und Unterstützer der abertzalen Linken und hat damit einen hohen demokratischen Charakter. Die daraus resultierende demokratische Dynamik bietet die Möglichkeit, mehr und mehr Menschen aktiv in die Friedensinitiative einzubeziehen.

Diese Dynamik war am 24. April 2010 im baskischen Iruñea (span.: Pamplona) zu spüren, als 200 Aktivistinnen und Aktivisten der abertzalen Linken unter der Überschrift “Der Weg und die Schritte – die abertzale Linke in Bewegung” nächste Schritte erläuterten und Bilanz aus ihren bisherigen Bemühungen zogen. Sie bekräftigten ihre unilaterale Entscheidung, mit allen Kräften für einen demokratischen Prozess im Baskenland zu arbeiten. Sie wollen erreichen, dass “die baskische Bevölkerung frei und ohne Zwang oder Gewalt über ihre Zukunft entscheiden kann”. Das Rückgrat eines solchen demokratischen Prozesses bildet die baskische Bevölkerung, deren aktive Unterstützung nach Meinung der abertzalen Linken der alleinige Garant für die Unumkehrbarkeit des Prozesses ist.

Der spanische Staat versucht, diese Entwicklung durch repressive Mittel unter massiven Bürgerrechtsverletzungen zu blockieren. Mit dieser Opposition hat die abertzale Linke gerechnet. Sie will nicht in die Blockadefalle tappen, sondern “politische Veränderung voranbringen und irreversibel machen”.

Unterstützung durch Friedensnobelpreisträger

Hochkarätige Unterstützung erfuhr die abertzale Linke Ende März 2010 durch die Brüsseler Erklärung. Internationale Persönlichkeiten, darunter vier Friedensnobelpreisträger, begrüßen „die vorgeschlagenen Schritte und die öffentlich erklärte Bereitschaft der baskischen Pro-Unabhängigkeitsbewegung (abertzale Linke), ihre politischen Ziele mit ‚ausschließlich politischen und demokratischen Mitteln“ und ‚in völliger Abwesenheit von Gewalt‘ zu erreichen.“ Sie sehen die politische Tragweite der Initiative: „Wird diese Willenserklärung vollständig in die Tat umgesetzt, kann dies ein großer Schritt in Richtung der Beendigung des letzten verbleibenden Konflikts in Europa sein.“

Der südafrikanische Bischof Desmond Tutu und die anderen unterstützenden Friedensnobelpreisträger und Politiker verleihen der Initiative internationales Gewicht und Aufmerksamkeit. Politisch besonders schwer zu verdauen ist für die spanische PSOE-Regierung vermutlich die Unterstützung durch den nordirischen Sozialdemokraten John Hume. Er erhielt den Friedensnobelpreis für seine Rolle im nordirischen Friedensprozess. Mit seiner Parteinahme für eine demokratische Konfliktlösung im Baskenland beginnt die Mauer des Schweigens zu bröckeln, die die spanische Regierung rund um den baskischen Konflikt errichtet hat. Denn John Hume ist als ehemaliger Abgeordneter des Europaparlaments in Europas sozialdemokratischen Kreisen und darüber hinaus gut vernetzt und hochgeachtet.

Spaniens Mauer des Schweigens bröckelt

Als Antwort auf die jüngste Erklärung der abertzalen Linken gab der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba zu Protokoll, sie zu analysieren sei “eine nutzlose Übung(***)”. Angesichts der internationalen Forderungen sowohl an ETA als auch an die spanische Regierung, der Initiative eine Chance zu geben, zeigt Rubalcaba damit ein erschreckendes Maß an Unbeweglichkeit. Seine Äusserungen lassen aber auch die Unruhe und die Konzeptlosigkeit der spanischen Regierung angesichts der neuen Entwicklungen im Baskenland erkennen.

Die abertzale Linke schliesst sich dem Appell der Brüsseler Erklärung an ETA an, die Initiative “durch einen permanenten und vollständig verifizierten Waffenstillstand zu unterstützen”. Sollte ETA diesen Schritt gehen, kann die spanische Regierung die Friedensbemühungen wohl kaum mehr kleinreden.

Derweil wächst die Unterstützung für die Initiative auch im Baskenland. Die Friedensgruppe Lokarri wirbt im Namen von 50 Baskinnen und Basken aus Kultur, Universität, Sport und sozialen Initiativen dafür, die Brüsseler Erklärung zu unterstützen. Man wolle nicht, “dass eine neue Chance vertan wird”, sondern müsse “die sich bietende Möglichkeit für Frieden nutzen”.

Die abertzale Linke ist in Bewegung und sie verleiht damit dem Konfliktlösungsprozess eine spürbare neue Dynamik.

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Weitere Informationen zur Initiative der abertzalen Linken:

Siehe Übersicht "Konfliktlösung" auf Info Baskenland
„Zutik Euskal Herria - Steh auf, Baskenland“
„Friedensnobelpreisträger unterstützen Konfliktlösung im Baskenland“


Erläuterungen:

(*) Euskal Herria: Euskal Herria bezeichnet das gesamte Baskenland, das aus sieben Provinzen besteht. Es umfasst 20 000 km2 und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 3 Millionen. Das Baskenland ist geteilt: Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa befinden sich unter französischer Verwaltung. Die drei Provinzen sind dabei keine Verwaltungseinheit, sondern ohne Eigenständigkeit in andere Departements eingegliedert. Die südlichen vier Provinzen befinden sich unter spanischer Herrschaft: Bizkaia, Gipuzkoa und Araba bilden als Comunidad Autonoma Vasca (CAV, Autonome baskische Gemeinschaft) eine Einheit. Nafarroa hat eine separate Regionalverwaltung (CFN, Foralgemeinschaft Navarra). In den Medien wird oft das Baskenland mit der Comunidad Autonoma Vasca gleichgesetzt.

(**) Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke" ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.

(***) Agentur EFE, Madrid, 26.4.2010: Rubalcaba cree "inútil" analizar los comunicados de la izquierda abertzale

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Ergänzungen

Zu "ziemlich einseitig":

Uschi 30.04.2010 - 23:40

es wäre interessant zu wissen, wen Du mit "baskischer Bewegung" meinst. Innerhalb der abertzalen Linken (der linken baksichen Unabhängigkeitsbewegung) ist die allgemeine Strategie und auch die dazugehörige Friedensinitiative mit überwältigender Mehrheit verabschiedet worden. Es gibt immer einzelne, die nicht mitgehen. Ich kenne aber keine einzige politische Gruppierung in diesem breiten Spektrum, die sich dagegen positioniert.

Anders ist es, wenn Du die gesamte Parteienlandschaft im Baskenland anschaust. Da gibt es ein Spektrum an Meinungen. Die sozialdemokratische Partei EA beispielsweise begrüsst die Initiative ausdrücklich. Aber es gibt etliche etablierte Parteien, denen es gut in den Kram passt, die abertzale Linke rechtlos und illegal zu halten, denen passt die Initiative überhaupt nicht, weil sie Angst vor einer freien Diskussion im Baskenland haben.

Einseitig: bin ich in diesem Fall klar und deutlich: für eine Lösung des Konflikts, für das Recht der Baskinnen und Basken, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, gegen die Kriminalisierung von Meinungen ...

Ich galube, dass wir zu Nordirland eine ziemlich unterschiedliche Meinung haben. aber das ist hier nicht Thema. Thema ist auch nicht, den nordirischen Prozess sklavisch zu kopieren. Es geht darum, zu verstehen, dass Widerstand gegen Repression notwendig ist, aber allein nichts Neues schafft. Der Friedensprozess soll einer politisch erfahrenen und bewussten Bewegung/Bevölkerung den Freiraum verschaffen, ihre politischen Projekte offen vertreten zu können.

An x-berg: Gruesse nach Berlin! ;-)

Kompensationspolitik

Rosa Luxemburg 01.05.2010 - 01:41
Worin kann die Kompensationspolitik bestehen? Wir verlangen Stärkung der Volksrechte, demokratische Freiheiten, der kapitalistische Staat verlangt Stärkung seiner Machtmittel und Kanonen. Gesetzt den günstigsten Fall, daß das Tauschgeschäft von beiden Seiten ehrlich geschlossen und gehalten wird, so steht das, was wir erhalten, nur auf dem Papier. Schon Börne sagte: Ich rate niemand, auf eine deutsche Konstitution eine Hypothek zu nehmen, denn alle deutschen Verfassungen gehören zu den Mobilien. Konstitutionelle Freiheiten, wenn sie bleibenden Wert haben sollen, müssen durch Kampf, nicht durch Vertrag gewonnen werden. Was aber der kapitalistische Staat von uns eintauschen würde, das hat eine feste, brutale Existenz. Die Kanonen, die Soldaten, die wir bewilligen, verschieben die objektiven materiellen Machtverhältnisse zu unseren Ungunsten. Es war aber kein anderer als Lassalle, der sagte: „Die wahre Konstitution eines Landes besteht nicht in der geschriebenen Verfassung, sondern in seinen tatsächlichen Machtverhältnissen.“ [9*] Das Ergebnis der Kompensationspolitik ist also immer, daß wir die Verhältnisse zu unseren Gunsten bloß auf dem Papier, zugunsten der Gegner aber in der objektiven Wirklichkeit verschieben, daß wir unsere Position im Grunde genommen schwächen, diejenige des Gegners aber stärken. ... Reden auf dem Stuttgarter Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(Oktober 1898)

Zu "Kompensationspolitik"

Uschi 01.05.2010 - 12:49

Gute Rede von Rosa Luxemburg zur "Diskussion über Fragen der Taktik". Sie weist völlig zu Recht darauf hin, dass der gewerkschaftliche Kampf, der Kampf um soziale Reformen und der Kampf um Demokratisierung keine Werte an sich sind, wenn man nicht weiss, wo man hin will.

Klar, man muss genau wissen WO man hinwill, MIT WELCHEN MITTELN man etwas erreichen will und WER garantiert, das Erreichte abzusichern.

Genau dies sind die Fragen zur Strategie, die die abertzale Linke nach intensiver Diskussion (s. Diskussionspapier "Klärung der politischen Phase und der Strategie") mit ihrer Erklärung "Zutik Euskal Herria - Steh auf Baskenland" beantwortet hat.

Im Baskenland gibt es eine starke linke Bewegung und eine politisierte Bevölkerung. Das zeigt sich eindrucksvoll in den grossen und häufigen Protestdemonstrationen für die Rechte der Gefangenen, gegen politische Massenverhaftungen oder auch gegen aufoktruierte Gigantomanieprojekte. Oder auch am Aberri Eguna, dem baskischen Nationalfeiertag, als 50.000 Menschen Anfang April für ihre Selbstbestimmung auf die Strasse gegangen sind.

Die Basken kämpfen gegen eine spanische Politik, die versucht, dem politischen Gestaltungswillen der Basken mit einer Latte an Repressionen die Luft abzuschnüren. Die spanische Regierung benötigt dafür die "Rechtfertigung", all das sei Anti-Terrorkampf.

Die Initiative der abertzalen Linken zieht die Auseinandersetzung in die politische Arena. Dorthin, wo den Staaten (dem spanischen und auch dem französischen) die Argumente fehlen. Sie tut das dadurch, dass sie Druck aufbaut. mit friedlichen, gewaltfreien Mitteln, aber mit der Macht einer immer stärkeren und breiteren Massenbewegung im Baskenland und mit internationaler Unterstützung. Das ist ziemlich viel Kampf und hat nichts mit naiver Gutgläubigkeit zu tun.

Sie sind dabei auf gutem Weg, für den sie unsere Solidarität brauchen und verdienen.

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ziemlich einseitige — berichterstattung