Liberté, égalité, gratuité! ÖPNV für lau

dynamo effect 31.03.2010 14:59 Themen: Soziale Kämpfe Ökologie

Die Idee der kostenlosen Benutzung von Bus und Bahn stammt schon aus den70er Jahren. Durch aktuelle Erfolgserlebnisse in Städten wie Hasselt (Belgien), Templin, Tübingen oder Aubagne in Süd-Frankreich erlebt die Diskussion um die Einführung eines Nahverkehrs zum Nulltarif eine Renaissance. Doch wie konnte eine Stadt wie Aubagne den fahrscheinlosen Nahverkehr erfolgreich einführen? Und führt der Nulltarif automatisch zueinem Umstieg vom klimaschädlichen Individualverkehr?


 


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ÖPNVzum Nulltarif? Eine Frage gesellschaftlicher Prioritäten!

 

Derkostenlose Nahverkehr scheint noch in ferner Zukunft. Vor zwei Jahrenhaben verschiedenen linke Gruppen in Bremen das Klimaplenumgegründet, das regelmäßig zu Umsonstfahrtagen aufruft. ImInterview mit Radio Dreyeckland erläutert H., warum man mit derForderung „ÖPNV zum Nulltarif“ exemplarisch linke Klimapolitikausbuchstabieren kann.

 

 

RDL: Inwiefernkann ein kostenloser Nahverkehr zu einer klimagerechten Weltbeitragen?

 

H.: Unsist es wichtig nicht abstrakt von Klimaschutz oder Kommunismus zusprechen. Sondern ganz konkret in einzelnen gesellschaftlichenFeldern aufzeigen, wie ein anderes Klima oder eine ganz andereGesellschaft aussehen könnte, die sowohl in einem sozialen Sinneemanzipatorisch ist, wie auch zum Klimaschutz einen deutlichenBeitrag leisten kann.

 

Das versuchen wir amBeispiel des ÖPNV aufzuzeigen, in dem wir fordern: ÖPNV sollkomplett umsonst sein. Der Auto- und Flugverkehr sind wesentlicheVerursacher des Klimawandels. Schon allein aus ökologischen Gründensollte es einen Umstieg und einen Ausbau des ÖPNV und desFernverkehrs geben.

 

Hinzu kommt einsozialer Gedanke: Leute müssen sich den Nahverkehr leisten und nachihren Bedürfnissen benutzen können. Sonst kommt man über einenindividuellen Appell nicht hinaus - die Leute sollten, aber könnenes sich nicht leisten. Das wollen wir vermeiden. Dementsprechendversuchen wir, ein kollektives Modell zu entwerfen, das tatsächlichauch für die Menschen lebbar ist.

 


Führt ein ÖPNVzum Nulltarif automatisch zu einem Umstieg vom Auto auf öffentlicheVerkehrsmittel?

 

Wenn der ÖPNVumsonst wird, sind damit nicht alle Probleme gelöst. Natürlichmüssen die Angebote so sein sein, dass die Menschen sie real inihrem Alltag als Möglichkeit wahrnehmen. Der öffentliche Nahverkehrmuss in der Fläche ausgebaut werden, er muss häufiger fahren undattraktiver sein. Ich denke schon, dass es für die Menschen einerstrebenswertes Verkehrsmittel ist.

 

Man muss sichGedanken machen wie Siedlungen aufgebaut sind, wie Arbeit und Wohnenorganisiert sind. Es braucht einen Klimadiskurs, eine Klimabewegungim besten Sinne, die diese Herausforderungen breit zum Thema macht.Diese Bewegung muss aufzeigen, dass eine Veränderung von Lebenstilennicht auf Verzicht hinauslaufen muss, sondern das gute Leben neuausbuchstabiert.

 

Da gehört dazu, dieAutofahrer_innen mitzunehmen und zu überlegen, wie die eigeneGemeinde so gestaltet werden kann, dass der ÖPNV attraktiver wird.

 

Das kann man anBeispielen im Ausland und auch in kleineren Gemeinden in Deutschlandsehen. Es gibt kleine Inseln, auf denen sehr günstiger oderkostenloser ÖPNV bereit gestellt wird. Diese ganz realpolitischenModelle zeigen, dass es funktionieren kann. Es gibt zwar einigeProbleme, aber es ist nicht vollkommen utopisch diese Modelle zurealisieren.

 

Inwiefern warendie Erfahrungen aus anderen Städten eine Inspiration?

Sind dieAnsätze von einer Stadt auf die andere übertragbar?

 

Wir haben einenMenschen aus Templin eingeladen, einer kleinen brandenburgischenGemeinde, in der weitgehend ein kostenloser ÖPNV realisiert ist. ImVergleich zu Bremen ist es eine ganz andere Dimension, die ist nichtso ohne weiteres übertragbar. Es ist aber durchaus sehrinspirierend, sich mit diesen Erfahrungen auszutauschen undÜberlegungen anzustellen, inwiefern Ansätze von dort auf unsereStadt übertragbar wären bzw. wo wir an Grenzen stoßen würden.

 

Worauf zielteure Kampagne ab? Worin bestehen eure Aktivitäten?

 

Ganz zentralesElement unserer Kampagne sind die Umsonstfahrtage. Wir haben sie imletzten Jahr zweimal durchgeführt. Wir rufen breit dazu auf undkündigen in der Presse an, dass wir erklärtermaßen an dem Tag mitvielen Menschen umsonst fahren wollen.

 

Einerseits hat essehr gut funktioniert. Es gab ein großes Echo der lokalen Presse.Leider sind wir mit dieser Aktion in der linken Szene nicht auf allzugroßer Resonanz gestoßen. Das Klimathema scheint in der Linken nochimmer mit Berührungsängsten und Skepsis verbunden zu sein.

 

Auf der anderen Seiteist die Frage, ob die Aktionsform so ansprechend ist, weil man sichdoch ein stückweit exponieren muss. Man muss mit den Menschen in derStraßenbahn in Kontakt treten und informieren wollen. Das ist etwas,was vielen noch immer nicht einfach fällt. Trotzdem ist es gelungenin der medialen Öffentlichkeit präsent zu sein, wie auch imdirekten Gesprächen mit den VerkehrsmittelnutzerInnen zu treten. Wirhaben viel Material verteilt. Es gab viele kleinere Aktionen amRande, die sich in die Gesamtaktion eingebettet haben. Z.B. waren„Die Überflüssigen“ dort aktiv. Es gab Veranstaltungsangebote.Wir haben versucht, in der Linken Szene und in der breitenÖffentlichkeit mit diesen Themen und Forderungen Gehör zu finden.

 

 

Städte wieHasselt (Belgien) und Aubagne (Südfrankreich) haben den kostenlosenNahverkehr eingeführt. Was steht einer Einführung des Nulltarifshier in Deutschland noch im Wege?

 

Wenn man sich auf dieEbene der Realpolitik begibt, dann tritt einem zuerst dasFinanzierungsargument entgegen. „Das hört sich nett an, ist abernicht zu bezahlen“, heißt es dann. Da ist erstmal was dran, dennviele Kommunen sind verschuldet. Aber wir wollen uns gar nicht aufdiese realpolitische Ebene begeben, sondern sagen, es ist eine Fragevon gesellschaftlichen Prioritäten und gesellschaftlichenKräfteverhältnissen wo Geld investiert wird und wo nicht.

 

Während derFinanzkrise haben wir gesehen, wie in kurzer Zeit Unsummen lockergemacht werden können, wenn es darum geht, die Banken zu retten. WoPrioritäten ausgemacht werden, scheint immer Geld verfügbar gemachtwerden zu können.

 

Deshalb unsereForderung: die Klimakrise ist mindestens so bedrohlich wie dieFinanz- und Wirtschaftskrise! Es wäre einfach notwendig,gesellschaftlich massiv umzusteuern und dafür die Mittel bereit zustellen, um beispielsweise einen kostenlosen ÖPNV zu ermöglichen.

 

 

Mal visionärgedacht. Was würdest du dir auf dem Weg in eine klimagerechteGesellschaft für die kommenden Jahre wünschen?

 

Eine positiveVorstellung wäre z.B. im Bereich des Nahverkehrs: Dass es gelingt inanderen Städten und europäischen Ländern eine Bewegunghinzukriegen, der es tatsächlich gelingt, dem ÖPNV ein ganz neuesGewicht zu geben. Dass dieser viel selbstverständlicher angebotenwird und viel kostengünstiger ist. Und dass der Auto- undFlugverkehr stark zurückgedrängt wird.

 

Damit würde mandementsprechend an einem gesellschaftlichen Bereich sehen, wie derAnsatz einer anderen Gesellschaft aussehen könnte. SolcheErfahrungen wären dann natürlich auf andere klimarelevante Bereichezu übertragen: z.B. die Energieversorgung. Da bräuchten wir eineviel dezentralere, demokratischere und klimafreundlicheEnergieversorgung. Mann könnte diese Erfahrungen auch auf dieLandwirtschaft übertragen, wo wir eine regionale, kleinteiligerebiologische Landwirtschaft brauchen.

 

Diese verschiedenenBausteine ergeben ein Mosaik, wie durchaus eine klimafreundliche undauch in der Tendenz postkapitalistische Gesellschaft aussehen könnte.

 

Interview: Dynamo Effect

Mehr Informationen: Klimaplenum Bremen | schwarzfahren.de | Umkehr e.V. | Fact Sheet multimodale Mobilität |

Radiokampagne für eine klimagerechte Gesellschaft | europäisches Portal und Podcasts in anderen Sprachen

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