Die deutsche Eurokrise

Tomasz Konicz 08.02.2010 19:34 Themen: Blogwire Globalisierung
Deutschlands aggressive Wirtschaftspolitik befeuert die Krisendynamik in der Eurozone zusätzlich. Drohende Staatspleiten in etlichen Südeuropäischen Länder sind Folge der deutschen Exportoffensive seit Einführung des Euro.

Dem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) dürfte die Lufthoheit über Deutschlands Stammtischen gewiss sein, nachdem er Ende Januar sich ausdrücklich gegen jegliche deutschen Finanzhilfen für das von einem Staatsbankrott bedrohte Griechenland aussprach. Es könne nicht sein, „dass jetzt die deutschen und französischen Steuerzahler die Missentwicklung in Griechenland zu finanzieren haben,“ polterte Brüderle gegenüber dem Springerblatt Die Welt während seines Aufenthalts auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Europäische Währungsunion sei jedenfalls nicht gefährdet, so der liberale Wirtschaftsminister: „Wenn sich alle an die Spielregeln halten, ihre Hausaufgaben erfüllen, dann funktioniert das auch.“

Brüderle vergaß nur die Welt-Leserschaft darüber in Kenntnis zu setzen, wer eigentlich die Spielregeln im Euro-Raum gemacht hat. Die strikten Vorgaben des Euro-Stabilitätspaktes – wie die Höchstgrenzen bei staatlicher Neuverschuldung - wurden vor allem auf Betreiben Berlins realisiert. Die deutsche Politik sorgte auch dafür, dass die Europäische Zentralbank nicht in der Lage ist, griechische Staatsanleihen aufzukaufen, wie es etwa die britischen und amerikanischen Zentralbanken mit den Staatsanleihen ihrer Länder tun. Hierdurch wollten die „deutschen Verfasser des Maastrichter Vertrags“ erreichen, dass jedes Euroland durch den „Finanzmarkt“ zur strikter Haushaltsdisziplin genötigt werde und „nicht auf die Solidarität aller zählen kann,“ wie die Frankfurter Rundschau ausführte. Der Möglichkeit zum Gelddrucken vermittels des auf Aufkaufs der eigenen Staatsanleihen beraubt, droht Griechenland tatsächlich ein Staatsbankrott, sobald die Finanzmärkte nicht mehr bereit sind, griechische Obligationen weiter aufzukaufen.

Im Euroland müssen aber nicht alle ihre monetaristischen „Hausaufgaben“ erledigen. Einige sind da gleicher als andere. Die europäischen Hegemonialmächte Deutschland und Frankreich kamen gleich bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise darin überein, sich einen großzügigen Dispens von ihren eigenen strikten Euro-Stabilitätskriterien zu gewähren und die Neuverschuldung beider Staaten aufgrund kostspieliger Krisenmaßnahmen weit über die vertraglich vereinbarte Drei-Prozent-Hürde des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen zu lassen.

Den größten Beitrag zur Eskalation der gegenwärtigen Euro-Krise leistete aber die deutsche Wirtschaftspolitik. Berlin verfolgt seit Jahrzehnten eine aggressive, exportorientierte Wirtschaftspolitik, die in der - bis 2008 behaupteten - „Exportweltmeisterschaft“ Deutschlands kulminierte. Den wichtigsten und größten Absatzmarkt für das deutsche Kapital bildet selbstverständlich die EU. An die zwei Drittel seines gesamten Außenhandels wickelt die BRD mit Ländern der Europäischen Union ab. Bereits in 2005 erreichte der deutsche Handelsüberschuss mit den EU-Ländern mehr als 97 Milliarden Euro (Bei einem Gesamtüberschuss von 160 Milliarden Euro).

Die europäische Gemeinschaftswährung nahm den Euro-Ländern, die dieser deutschen Exportoffensive ausgesetzt waren, die Möglichkeit, vermittels einer Währungsabwertung die Konkurrenzfähigkeit ihrer Wirtschaft wiederherzustellen. Die daraus erwachsenen enormen ökonomischen Ungleichgewichte zeigen sich beispielsweise an dem Pleitekandidat Griechenland, dass in 2008 deutsche Waren im Wert von 8,3 Milliarden Euro einführte und dessen Exporte nach Deutschland sich auf nur 1,9 Milliarden Euro summierten. Deutschland ist nach Italien der zweitgrößte Handelspartner Griechenlands, das in 2008 eine negative Handelsbilanz von insgesamt 44 Milliarden Euro aufwies. Das Italienische Handelsbilanzdefizite gegenüber Deutschland betrug hingegen 2008 nahezu 14 Milliarden Euro. Auch gegenüber Spanien bildete deutsches Kapital einen enormen Handelsüberschuss aus: Die deutschen Exporte in 2007 auf die iberische Halbinsel betrugen 43,7 Milliarden Euro, während spanische Unternehmen in Deutschland Waren im Wert von gerade mal 21,6 Milliarden Euro absetzen konnten. Auch bei Portugal, dem Dritten südeuropäischem Pleitekandidaten, ist Deutschland mit 13 Prozent des Handelsvolumens gleich nach dem dominanten Spanien der zweitgrößte Handelspartner.

Dieser Massive und äußerst erfolgreiche Exportoffensive des deutschen Kapitals wurde vor allem aufgrund einer durch Hartz IV beförderten Verelendungsstrategie in der BRD selber ermöglicht, die Deutschland zum Schlusslicht bei der eruopäischen Lohnentwicklung machte. Zwischen 2002 und 2008 stiegen die Bruttolöhne und Gehälter in Deutschland um 15,2 Prozent, während sie im europäischen Durchschnitt um 31,9 Prozent zulegten. Die reale, inflationsbereinigte Entlohnung der Lohnabhängigen in Deutschland ist hingegen laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung regelrecht eingebrochen: Die „Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer“ seinen demnach im zuge des Ausbaus eines enormen Niedriglohnsektors zwischen 2000 und 2008 in Deutschland um neun Prozent gesunken, während die Lohnabhängigen vieler anderer EU-Länder saftige Gehaltserhörungen verbuchen konnten. Kein anderes EU-Land hat laut DIW einen derartigen Einbruch des Lohnniveaus in denselben Zeitraum verbucht. Diese Entwicklung - mitsamt einer beständig steigenden Produktivität der deutschen Industrie - spiegelte sich auch bei den Lohnstückkosten, also den Aufwendungen pro produzierte Wareneinheit. Während die Lohnstückkosten im Euroraum zwischen 1998 und 2007 laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung nahezu konstant blieben, fielen diese in Deutschland um nahezu zehn Prozent.

Die von der teutonischen Exportmaschine niedergewalzten Volkswirtschaften bildeten hingegen immer größere Defizite aus, die sich entweder in permanent steigender Staatsverschuldung – wie im Fall Griechenlands –, oder in spekulativer Blasenbildung auf den Immobilienmärkten – wie in Spanien – äußerten. Bei der Verschuldung standen deutsche Banken den wirtschaftlich unterlegenen südeuropäischen Volkswirtschaften ebenfalls helfend zur Seite. Deutsche Bank und co. halten beispielsweise in Griechenland Forderungen in der Höhe von 43 Miliarden US-Dollar. In Portugal sind es 47 Milliarden. Die Einwohner Spaniens stehen bei deutschen Kreditinstituten sogar mit 240 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Deutsches Industriekapital konkurrierte die südeuropäischen Volkswirtschaften in Grund und Boden, während deutsches Finanzkapital nochmals an der Defizitbildung der Südohreuropäer blendend verdiente.

Dies alles fand auf dem Rücken der Lohnabhängigen in der BRD statt, die Deutschlands „Exportweltmeisterschaften“ mit Lohnkürzungen, Prekarisierung und Verelendung erkaufen mussten. Der jüngste Kriseneinbruch in Grichenland bringt nun dieses Deutsche ökonomische Dominanzsytem in Europa ins Wanken. Zumindest können die Hellenen sich sicher sein, dass Berlin ihren Staat nicht in die Pleite treiben wird – denn sonst müsste die deutsche Politik erneut einen milliardenschweren „Rettungsschirm“ für die deutschen Banken aufspannen, die bislang an der Defizitbildung Griechenlands blendend verdienten.
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