Freispruch für Zapfenstreich-Gegner

Detlev Beutner 14.12.2009 17:12 Themen: Antifa Militarismus Repression
Die heutige Hauptverhandlung gegen den Antimilitaristen Jörg Eichler am Amtsgericht Dresden endete nach dreijähriger Verfahrensdauer mit einem Freispruch. Gegenstand des Verfahrens war ein antimilitaristisches Plakat, auf dem zu Protesten gegen den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr im Oktober 2006 auf dem Dresdner Altmarkt aufgerufen worden war.
Auf der Abbildung waren unter der Überschrift "Wider die Militarisierung des Alltages" mehrere Soldatenköpfe mit Helmen aus verschiedenen Zeiten abgebildet. Neben der preußischen Pickelhaube und einem Helm mit dem Emblem der Bundeswehr befand sich auf einem der Helme auch eine sog. "Doppelsigrune", um auf die furchtbarste Epoche des deutschen Militarismus hinzuweisen, in dessen Tradition sich die Bundeswehr mit der Durchführung derartiger Militärrituale bewusst stellt. Gegen den 34-jährigen Studenten war deshalb Anklage wegen "Verwendens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen" (§ 86a StGB) erhoben worden, das Landeskriminalamt Sachsen hatte im Oktober 2006 mit acht Beamten etwa vier Stunden lang die Wohnung des Angeklagten durchsucht. Ob die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Rechtsmittel einlegen wird, ist noch offen.

So ganz wohl gefühlt zu haben schien sich die zuständige Richterin am Amtsgericht, Karin Fahlberg, in ihrer Rolle nicht – auf Anweisung der Vorsitzenden war der Sitzungssaal 159 des AG Dresden mit Absperrgittern und Sicherheitsschleuse und zahlreichen Justizwachtmeistern sowie hinzugezogenen Beamten der Bereitsschaftspolizei in eine kleine Hochsicherheitsburg verwandelt worden. Sämtliche der über 30 ZuschauerInnen wurden vor dem Betreten des Verhandlungsraumes peinlich genau durchsucht.

Eichler stellte in seiner etwa einstündigen Prozesserklärung ausführlich die Hintergründe des Verfahrens dar. Eindringlich wies er darauf hin, dass das deutsche Militär mit dem Zeremoniell des "Großen Zapfenstreichs" bereits im Nationalsozialismus "geistige Mobilmachung im großen Stil" betrieben habe. Das alte Militärritual sei jedoch nur eine Traditionslinie von "einer Vielzahl von sehr schlimmen Bezügen, die auch heute noch zu beobachten sind". Beispielhaft führte er die Namensgeberschaft von ehemaligen Offizieren der faschistischen Wehrmacht für Kasernen der Bundeswehr sowie die erst im vergangenen Jahr erfolgte Einführung des "Ehrenkreuzes" als Tapferkeitsauszeichnung für Auslandseinsätze, welches nichts anderes darstelle als "das Eiserne Kreuz in neuem Gewande". Darüberhinaus geben es "zahlreiche Verflechtungen auf personeller wie organisatorischer Ebene zwischen der Bundeswehr und neuen und alten Rechten." Der auf dem Flyer erhobene Vorwurf, die Bundeswehr betreibe – entgegen offizieller Verlautbarungen – auch heute noch eine angreifbare Traditionspflege, die sich die Wehrmacht zum Vorbild nimmt, sei also "mehr als berechtigt".

Während dieser Ausführungen des Angeklagten stellte die Vorsitzende durch gelangweiltes Blättern in der Kommentarliteratur ihr Desinteresse zur Schau. Auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, StA'in Ute Schmerler-Kreuzer, schien wenig beeindruckt. Bei der strafrechtlichen Bewertung sei allein entscheidend, ob sich die Darstellung für den Betrachter hinreichend von dem Symbol distanziere, und hier komme die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und zur SS "nicht deutlich zum Ausdruck". Was ansonsten an Motivation dahinter stehe, sei "egal". Sie beantragte die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen á 10 EUR.

Der Verteidiger Detlev Beutner (Frankfurt a.M.) führte in seinem einstündigen Plädoyer aus, dass diese Position angesichts der klaren und eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes seit 1972 unhaltbar sei. Anhand prägnanter Beispiele zeigte er, dass " in zahlreichen Fällen Staatsanwaltschaften und untere Instanzgerichte immer wieder politischen Missbrauch mit dieser Strafvorschrift betreiben, indem gerade Linke und AntifaschistInnen kriminalisiert und dabei die vom BGH vorgegebenen Kriterien einfach ignoriert werden." Das höchste deutsche Strafgericht hatte diese Grundsätze 2007 in einem Verfahren erneut bekräftigen müssen, als es um den deutlichsten Sachverhalt – einem durchgestrichenen Hakenkreuz – ging. Darauf sei die straflose Verwendung aber nicht beschränkt, betonte Beutner: "Nicht strafbar ist vielmehr jeder Gebrauch, bei der aus dem Kontext eindeutig die Gegnerschaft zu dem verwendeten Symbol hervorgeht." Da dies bei dem Flyer des Angeklagten "ganz offensichtlich der Fall" sei, beantragte er Freispruch.

Den Argumenten der Verteidigung konnte sich auch das Gericht nicht verschließen. Mit den Worten "Das hätte man deutlich kürzer haben können – schade, dass Sie nicht von vornherein dieses Vertrauen in ein deutsches Gericht haben", sprach sie den Angeklagten frei. Woher dieser angesichts der konkreten Vorgeschichte des Verfahrens – Hausdurchsuchung mit LKA, Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung – und der heutigen Verhandlungsatmosphäre ein solches Vertrauen hätte nehmen sollen, blieb allerdings offen.
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Ergänzungen

@Anmerkung "Verhandlungsatmosphäre"

Detlev Beutner 15.12.2009 - 18:49
Nein, die Verhandlungsatmosphäre ergab sich nicht "als Hochsicherheitsakt durch den spektakulären Gerichtsmord hier in Dresden". Nicht das Gericht war durch Justizwachtmeister, Bereitschaftspolizei, Absperrgitter und Metalldetektor gesichert, sondern ausschließlich der Verhandlungssaal. Das steht auch deutlich lesbar in dem Text. Alle anderen Säle des AG DD waren an dem Tag (und sind es auch sonst im Allgemeinen) frei zugänglich; für alle anderen Verhandlungen an dem Tag (und auch sonst im Allgemeinen) gab es auch keine spezielle "Sicherheitsverfügung" (siehe Bild).

"Gedöns, gehört wohl zum Handwerk" - erstmal richtig lesen, bevor man sich selbst ins Knie schießt... ;-)

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Anmerkung — Verhandlungsatmosphäre