Bln: Prozess gegen zwei Antimilitaristinnen

Roland Ionas Bialke 04.10.2009 07:01 Themen: Militarismus Repression
Am 1. Oktober 2009 fand im Berliner Amtsgericht ein Prozess gegen zwei Antimilitaristinnen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Gefangenenbefreiung statt. Das Verfahren wurde bei einer der beiden Antimilitaristinnen gegen die Zahlung von 600 Euro an eine gemeinnützige Organisation eingestellt. Gegen die andere Antimilitaristin, das frühere Mitglied der Bewegung 2. Juni und der RAF Inge Viett, wird der Prozess weiter aufrecht erhalten.
20. Juli 2008 in Berlin, Ecke Hannah-Arendt-Strasse / Ebertstrasse – Etwa 500 Personen demonstrieren gegen das Gelöbnis der Bundeswehr. Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr werden SoldatInnen direkt vor dem Reichstag vereidigt. Als Sirenen vom Lautsprecherwagen der DemonstrantInnen abgespielt werden stürmen gepanzerte Polizeitrupps auf den Lautsprecherwagen zu, schlagen in die Menschenmenge und zerschneiden die Lautsprecherkabel. Während der Demonstration kam es zu Ingewahrsamnahmen.

Siehe:  http://de.indymedia.org/2008/07/222780.shtml

Das Amtsgericht Tiergarten prozessierte nun, am 1. Oktober 2009, gegen zwei Antimilitaristinnen die an dieser Demonstration teilgenommen hatten. Laut Anklageschrift sollen beide eine gesondert verfolgte Person bei deren Festnahme befreien versucht zu haben und sich zudem bei den Festnahmen ihrer eigenen Personen gegen die Polizei widersetzt zu haben.

Beide Angeklagten gaben eine politische Stellungnahme ab, äusserten sich allerdings nicht zur Sache. Die erste angeklagte Antimilitaristin meinte: „Weil ich es nicht hinnehmen kann, dass sich die Bundeswehr als normaler Arbeitgeber hinstellt“, hätte sie an der Demonstration teilgenommen. Zudem habe das erste Mal ein Gelöbnis vor dem Reichstag stattgefunden. „Es hat mich erschüttert, dass die Polizei auf DemonstrantInnen eingeprügelt hat.“ Weiter führte sie aus: „Den jungen Männern werden Phrasen in den Kopf gestopft.“ Dann erwähnte sie, dass das Geld für Bundeswehreinsätze für bessere Sachen genutzt werden könnten: „Hier brauchen Kinder Suppenküchen.“

„Die Friedenspolitik der Bundeswehr ist Friedhofspolitik.“

Die zweite Stellungnahme kam von der 65-jährigen Antimilitaristin Inge Viett. Sie sprach von „der Wiederkehr der Grossmachtpolitik“ und führte aus: „Diese Profitökonomie braucht den Krieg.“ Zur Polizeigewalt merkte Viett an: „Auch wenn die Polizeitruppen uns immer wieder auseinanderprügeln, dagegen sind wir aktiv!“ Schliesslich belegte Viett die „historische Propaganda“ der BRD-PolitikerInnen mit einer Rede von Adolf Hitler und erklärte das Prinzip „Aggression nach aussen, Repression nach innen“. Auch erklärte sie, dass ein Brunnen der Bundeswehr in Afghanistan mehr Leid als Hilfe erzeugt. Die etwa 15 ProzessbeobachterInnen applaudierten vor den Augen der Richterin und den etwa 10 MedienvertreterInnen.

Siehe:  http://www.jungewelt.de/2009/10-02/042.php?sstr=inge%7Cviett

Noch vor den Zeugenvernehmungen wurde ein Video der Berliner Polizeieinheit EG Video abgespielt. Hierauf waren Aufnahmen des Geschehens innerhalb der Demonstration und Übersichtsaufnahmen zu sehen, was für mindestens zwei Beweisdokumentationstrupps (BeDo) spricht. Für die ZuschauerInnen war sonst wenig zu erkennen, höchstens dass sich uniformierte Polizei durch eine Menschenmenge zu einen Lautsprecherwagen bewegte.

Als erster Zeuge wurde der Polizeibeamte Bau (32) aus Berlin gehört. Der kahlrasierte Polizist trug eine Camouflage-Hose und fing zugleich an sich über die Stimmung der Demonstration am 20. Juli 2008 zu beschweren. Laut Zeugenaussage waren die DemonstrantInnen zwischen 16 und 64 Jahre alt gewesen, es wurde „Sirenengeheul“ abgespielt und dies währe durch den Verbindungsbeamten der Polizei dem Veranstalter untersagt worden. Nachdem wiederholt die Sirenen abgespielt wurden, hätte Bau, der der 24. Ehu (4. Einsatzhundertschaft der 2. Bereitschaftspolizeiabteilung) angehört, den Befehl erhalten den Lautsprecherwagen zu stürmen und die Lautsprecherkabel zu zerschneiden. Dies konnte er aber anfangs nicht, da sich etwa 60 Personen zum Lautsprecherwagen begaben, sich einhakten und einen „Lautischutz“ bildeten. Zu seiner Wahrnehmung meinte Bau: „Die Zeit um sich läuft verlangsamt ab.“ Der Zeuge wurde zwischenzeitlich belehrt, dass er sich nicht selbst belasten muss. Anscheinend gab es Anzeigen gegen die eingesetzten BeamtInnen. Ein Rechtsanwalt fragte darum, ob er denn vom LKA 341 (zuständig für Straftaten von Berliner Polizeibediensteten) vernommen wurde. Dies verneinte der Zeuge. Anschliessend sagte der Zeuge aus, dass es zwei Lautsprecher gab, auf Nachfrage was die Polizei damit gemacht habe, meinte der Polizist: „Wir haben die Lautsprecher ausgeknipst.“ Als der Polizist gefragt wurde, warum dieser Befehl kam, meinte er nur: „Es ging um die Rede von Bundeskanzler Schmidt.“

Der zweite Zeuge war der Berliner Polizeist Endre Bartz (30), ebenfalls ein Mannschaftsmitglied der 24. Ehu. Auch er wurde belehrt, dass er sich nicht selbst belasten muss. Und auch er wurde noch nicht vom LKA 341 vernommen. Bartz war bei den Absperrungen in der Nähe der Demonstration eingesetzt und bekam mit, dass die Sirenen nicht abgespielt werden sollten. Als ein Trupp der Polizei das Abspielen verhindern will, will Bartz gesehen haben, wie eine Person die Massnahmen versucht zu verhindern haben will. Mit seinen Kollegen Engelmann und Schubert sei er darum ebenfalls zum Lautsprecherwagen gelaufen um den Widerstand dieser Person zu verhindern. Sein Kollege Engelmann, der Gruppenführer, wurde dann in der Menge von einer männlichen Person ins Gesicht geschlagen. Daraufhin wollten sie diese Person festnehmen. Diese Person soll dann aber bei der Festnahme um sich getreten haben. Vorher sei Bartz eine Frau mit roter Jacke aufgefallen. Als DemonstrantInnen versuchten den Gefangenen zu befreien, hätte diese Frau sich am zurückziehen des Festgenommenen beteiligt. Angeblich soll die Frau „Lasst den doch los, er hat doch gar nichts gemacht!“ gerufen und dabei am rechten Arm gezogen haben. Plötzlich wurde Bartz unsicher und begann in seiner Aussage zu raten. Zogen zwei Frauen am Gefangenen? An welchen Körperteil zogen sie genau? Jedenfalls erinnerte sich der Polizist noch, dass er Tage nach der Demonstration extra polizeiliche Fragen zu Inge Viett beantworten musste. In der Festnahmesituation will er jedenfalls den Kollegen Schmidt und Engelmann gesehen haben, wie diese einen Festgenommenen schlugen, weil dieser sich gegen die Laufrichtung gestemmt habe. Bartz gab nun an: „Die Intensität des Festhaltens musste ich steigern, als die Damen an uns herangetreten sind.“ Dann wurde das Video vorgeführt, in diesem soll aber zu sehen gewesen sein, dass sich der Festgenommene in einer Kette von DemonstrantInnen eingehakt hat.

Randnotiz: Plötzlich ertönt im Saal ein Funkgerät einer Justizbediensteten, dass „Alarm im Saal 138“ sei.

Der dritte Zeuge ist der besagte Gruppenführer Engelmann (37) aus Berlin. Er gab an, dass er einer der beiden Gruppenführer der ersten Gruppe seiner Einheit war und eine 24 und zwei Punkte auf seinen Rücken gehabt habe. Es gäbe je Gruppe zwei GruppenführerInnen, eineR aktiv und eineR in Reserve. Weiter gab er an, dass neben der 24. Ehu auch die Bundespolizei ins Geschehen involviert war. Er wollte unbehelmt die Massnahme seiner Kollegen, das Zerschneiden der Lautsprecherkabel, absichern und bekam darauf einen Faustschlag ins Gesicht. Als er und seine Kollegen versuchten die schlagende Person festzunehmen, sei ihm dann Inge Viett und die andere Demonstrantin aufgefallen, wie sie an den Festgenommenen zogen. Darum beauftragte er den Gruppenführer der zweiten Gruppe seiner Einheit, um die beiden Antimilitaristinnen festzunehmen. Nachdem Engelmann gefragt wurde, wie er denn auf den Schlag in sein Gesicht reagiert habe, sagte dieser nur: „Ich werde diesen Angriff brechen!“. Als der Rechtsanwalt Inge Vietts nachfragte, was Engelmann damit meinte, sagte der Polizist: „Schläge und Tritte“. Auf Nachfrage wie denn der Widerstand des Festgenommenen beendet wurde, sagte Engelmann ebenso gefühlskalt: „Widerstand wurde mit Schock- und Hebeltechniken gebrochen.“ Nach dem erneuten Abspielen des Videos gab Engelmann an, dass die Übersichtsaufnahme nicht von „seiner BeDo-Beamtin“ stammte, es also noch weitere ZeugInnen gibt. Auffällig war hier die trottelige Richterin, die schon während der Befragung des Zeugen den Laptop mit einem Bild der Übersicht auf ihren Tisch stehen hatte und somit die Aussage des Zeugen beeinflusste. Engelmann bezog sich etliche Male auf dieses Bild, ohne sich diesbezüglich auf die eigene Erinnerung verlassen zu müssen.

Der vierte Zeuge war an diesem Tag der Polizeiobermeister Thilo Schubert (31) aus Berlin. Er sah wie seine Kollegen von 2 bis 3 Personen am Lautsprecherwagen in ein Handgemenge verwickelt worden sind. Auch ihm seien die beiden Angeklagten schon vorher aufgefallen. Mehr habe er aber nicht gesehen, auch einen Schlag eines Polizisten gegen einen Festgenommenen will er nicht gesehen haben.

Nach einer Pause gab dann die Richterin bekannt, dass das Verfahren gegen eine der beiden Antimilitaristinnen gegen Zahlung von 600 Euro an eine gemeinnützigen Organisation oder der Staatskasse nach § 153a Absatz 2 stopp vorläufig eingestellt werden könnte. Diesem Vorschlag schloss sich die Angeklagte an. Übrig blieb Inge Viett. Als sie fragte, warum das nicht auch bei ihr ginge, sagte die Richterin: „Weil das meine Vorgesetzten nicht wollen!“. Als sie bemerkte, dass sie gerade einen Ablehnungsgrund geliefert hatte, verbesserte sie sich mit der Bemerkung: „Sie sind vorbestraft.“

Der letzte Zeuge an diesem Tag war der Berliner Polizist Sebastian Hilfer (30). Er wusste nur, dass andere Kollegen damit vom Hundertschaftsführer beauftragt waren die Lautsprecherkabel des Lautsprecherwagens zu kappen, sah aber selbst von der angeblichen versuchten Gefangenenbefreiung Inge Vietts nichts. Er nahm dann Inge Viett fest. Sie habe sich dabei mehrmals schwer gemacht. Anschliessend habe sie keine Angaben zu ihrer Person machen wollen. Sie hätte sich auch gegen die Laufrichtung gestemmt. Als der Rechtsanwalt Vietts fragte, ob stehen bleiben das gleiche wie gegen die Laufrichtung stemmen ist, verstand der Polizist die Frage dann plötzlich nicht mehr. Ausserdem wusste der Polizist angeblich damals nicht wer Inge Viett ist.

Der nächste Prozesstermin ist am 22. Oktober 2009 ab 11 Uhr 30 im Saal 370 des Amtsgerichts Berlin in der Turmstrasse 91. Es sind die BeDo-Beamtin Frau Ludwig und drei weitere Zeugen geladen.

Kommerzielle Medienberichte:

 http://www.jungewelt.de/2009/10-02/045.php

 http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-RAF-Inge-Viett;art126,2913819

 http://www.moz.de/index.php/Moz/Article/category/Nachrichten/id/298682

 http://www.ad-hoc-news.de/taetigkeit-prozess-gegen-ex-raf-terroristin-viett-wegen--/de/Politik/20561963

 http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article1183105/Fruehere-RAF-Terroristin-Inge-Viett-vor-Gericht.html

 http://www.bild.de/BILD/news/2009/10/02/raf-symbol/ex-terroristin-inge-viett.html

 http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/print/berlin/279039.html

 http://derstandard.at/fs/1254310361544/Ex-Terroristin-Viett-vor-Gericht
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Ergänzungen

Zeuge / Beobachter 04.10.2009 - 13:20
Ich war an diesem Tag in der Ebertstraße nahe des Holocaustmahnmals vor Ort und reichlich verwundert über das Vorgehen der Polizei. Die Demonstranten befanden sich rund um den Lautsprecherwagen in einer Art "Käfig". Zum Tiergarten hin befanden sich Absperrgitter, zum Potsdamer Platz hin standen diverse Wannen, sofern ich mich erinnern kann, war auch die Seite zum Mahnmal hin wenigstens teilweise mit Gittern abgesperrt. In Richtung Brandenburger Tor standen hinter Gittern diverse Wagen der Polizei sowie uniformierte Polizisten in Kampfmontur, bei denen es sich um Mitglieder einer BFE handelte.

Aufgrund dieses doch recht begrenzten Raums standen die Veranstaltungsteilnehmer zwangsläufig dicht gedrängt. Ob sie tatsächlich "Ketten" bildeten oder sich zusammenfanden, um den Zugriff der Polizei zu verhindern, wage ich deshalb zu bezweifeln. Faktisch gab es kaum Ausweichmöglichkeiten - erstrecht in einer solchen Paniksituation, die entsteht, wenn Polizisten aggressiv gegen eine angemeldete und friedliche Veranstaltung vorgehen. Ob es Versuche gab, die - ohne ersichtlichen Grund - in Gewahrsam genommene Person zu befreien, wage ich deshalb sehr zu bezweifeln. Vielleicht gab es unkoordinierte Bewegungen. Hinter diesen ein Motiv zu vermuten, halte ich jedoch für reichlich überzogen. Scheinbar ist es so, dass man einer ehemaligen Terroristin wie Inge Viett bei jeder "verdächtigen" Bewegung (unterbewusst?!) immer etwas anlastet...

Die Festnahme von Inge Viett selbst verlief schließlich "normal" und - soweit ich dies richtig erinnere - auch ohne Gegenwehr. Sie wurde in Richtung Brandenburger Tor abgeführt, ca. 5 Meter von mir entfernt. Ich hatte freien Blick.

Die Entfernung zwischen dem Ort der Kundgebung und dem Ort des Gelöbnisses betrug zudem schätzungsweise rund 1 Kilometer Luftlinie. Von den Sprechchören der Demonstranten und der Beschallung durch den Lauti wurde das Gelöbnis folglich in keiner Weise gestört. Fraglich sind für mich deshalb die Gründe für die Auflage und den gewaltsamen Eingriff.

Lieber Afghanistan als Kreuzberg

auchda 04.10.2009 - 15:24
Der Zeuge Bau heißt offenbar Baudach, war neulich im TV zu bedauern und will demnächst lieber nach Afghanistan :
 http://www.youtube.com/watch?v=MO0tMhH5fUQ&feature=player_embedded#
Die Richterin meinte übrigens nicht, dass ihre Vorgesetzte keine Einstellung wollen, sondern die der Staatsanwältin

Namen und Fehler

Roland Ionas Bialke 04.10.2009 - 18:34
Die Namen habe ich nur vom hören. Da undeutlich gesprochen wurde oder ich nicht konzentriert genug war, können sich da also Fehler eingeschlichen haben.