Die Krise hat Geburtstag

Konicz Tomasz 13.09.2009 10:15 Themen: Globalisierung
Vor einem Jahr kollabierte die US-Investmentbank Lehman Brothers und verstärkte das globale Finanzbeben.
Zum einjährigen Jubiläum der größten Pleite der US-Geschichte drehte die BBC einen Fernsehfilm, der die „Letzten Tage von Lehman Brothers“ unter Aufbietung der üblichen Klischees zu dramatisieren trachtet. Knallharte weiße Männer in überteuerten Anzügen, die zur Stressreduktion gerne mal auf Stoffgorillas oder Kollegen einschlagen, versuchen 60 Minuten lang mit immer abenteuerlichen Konstrukten die Insolvenz der viertgrößten amerikanischen Investmentbank aufzuhalten. Letztendlich unterliegt Richard Fuld, der Vorstandsvorsitzende von Lehman Brothers, seinem Gegenspieler, dem damaligen Finanzminister Henry Paulson, der sich strikt weigert, der in einer Unmenge fauler Hypothekenverbriefungen ertrinkenden Investmentbank staatliche Gelder zur Verfügung zu stellen.

Die Weltwirtschaftskrise als Duell zweier mächtiger Männer – solche Verzerrungen und Personifizierungen der Krisenursachen und Krisendynamik befördern selbstverständlich die entsprechende Mythenbildung. Die Investmentbank, die bei einem Eigenkapital von 18 Milliarden US-Dollar Aktiva im Buchwert von 780 Milliarden US-Dollar hielt, habe durch ihre Pleite den Kapitalismus an den Rand des Zusammenbruchs geführt, titelte etwa Anfang September der britische Guardian. Die Los Angeles-Times machte es sich noch etwas einfacher und verortete die Schuld für die Weltwirtschaftskrise gleich bei dem Vorstandsvorsitzenden Fuld. Dieser hätte “die Welt retten können”, wenn er im August 2008 auf ein Beteiligungsangebot der Koreanischen Entwicklungsbank eingegangen wäre.

Tatsächlich kann man die Lehmann-Pleite als die Initialzündung der Weltwirtschaftskrise betrachten, doch handelte es sich bei dieser Institution einfach nur um das “schwächste Glied” der Phalanx amerikanischer Großbanken, die allesamt an der Immobilienspekulationen in den USA blendend verdienenden und unter dem folgenden Crash auch zu leiden hatten. Lehman Brothers war nach Einschätzung der damaligen Bush-Administration einfach nicht groß genug, um ähnlich dem Versicherungsriesen American International Group mit Steuergeldern gerettet, oder wie die Hypothekengiganten Fannie Mae und Freddie Mac in Staatsverwaltung übernommen zu werden.
Den Lehman-Spitzenmanagern um Fuld fehlten wohl auch die exklusiven Konnektionen zum Weißen Haus, um einer ähnliche Übernahme zu arrangieren, wie sie im März 2008 zur Rettung von Bear Stearns vollzogen wurde. Damals übernahm JPMorgan Chase - unter Aufbietung eines Staatskredits in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar - den viel kleineren Konkurrenten. Da halfen selbst die Telefonanrufe des Lehman-Spitzenmanagers George Walker bei seinem Cousin George W. Bush nichts, mittels derer noch in letzter Minute Staatsgelder erbettelt werden sollten. Vielleicht spielte sogar tatsächlich die Rivalität zwischen Flud und Paulson, der bis 2006 Chef von Goldman Sachs war, eine gewisse Rolle bei dem restriktiven Verhalten der US-Regierung gegenüber Lehman Brothers.

Dennoch tendieren die meisten rückblickenden Betrachtungen, die der Lehmann-Pleite eine zentrale Rolle bei dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zuweisen, dazu, eine ihrer dramatischen Auswirkung mit deren Ursache zu verwechseln. Lehman Brothers war nur Teil eines Finanzsystems, das vermitteltes der “Verbriefung” von Hypotheken blendend an der Spekulationsblase auf dem US Immobilienmarkt verdiente und diese zusätzlich noch anheize. Die zu frei auf dem Weltfinanzmarkt handelbarem Finanzprodukten gebündelten “Subprime-Hypotheken” ermöglichten es, deren Ausfallrisiko schlicht weiterzuverkaufen. Mit immer weiter steigenden Immobilienpreisen konnten auf diesem Markt für Hypothekenverbriefungen traumhafte Renditen erzielt werden, die Finanzakteure förmlich nötigten, dort einzusteigen. Ein jeder Vorstandsvorsitzender einer Investmentbank, der sich Anfang dieses Jahrhunders geweigert hätte, in deiesen mit zweistelligen jährlichen Renditeraten lockenden Markt einzusteigen, wäre binnen weniger Wochen seinen Job los. Die Dynamik der Blasensbildung ergab sich slicht aus der dem Kapital innewohnenden Tendenz, nach einer möglichst hohe Profitrate zu streben.
Doch es haben nicht nur die Banken an dem Boom profitiert, der dem Absturz vorausging. Der marxistische amerikanische Ökonom Rick Wolff stellte beispielsweise fest, dass der Immobilienboom als einer der wichtigsten Antriebsfaktoren der US-Ökonomie zwischen 2000 und 2006 fungierte. Allein die im Bausektor und bei der Hypotheken- wie Immobilienfinanzierung geschaffenen Arbeitsplätze summierten sich demnach auf 25 Prozent aller in diesem Zeitraum neu entstandenen Beschäftigungsmöglichkeiten. “Ich zähle auch die Jobs, die durch die schnell steigenden Häuserpreise geschaffen wurden, welche es den Hausbesitzern ermöglichten, bislang beispiellos Milliarden zu leihen und diese für Güter und Dienstleistungen auszugeben, die wiederum Millionen von Jobs schufen.” Basierend auf dieser Basis kommt Wolff zu einer “konservativen Einschätzung”, laut der “Zwei Drittel des US-Booms nach 2000” von dem im spekulativen Fieber verfangenen Immobiliensektor generiert wurden. Deswegen sei nun “der Niedergang der US Ökonomie so heftig und tief”, schlussfolgerte Wolff.

Die nun allseits als Krisenverursacher, als Nieten im Nadelstreifen oder als Finanzhaie verpönten Investmentbanker waren also selber Getriebene einer spekulativen Blasensbildung, die – auch Aufgrund des gigantischen Außenhandelsdefizits der USA - eigentlich bis 2006 als wichtigste Stütze der Weltkonjunktur angesehen werden muss. Der “Schuldige” an der Weltwirtschaftskrise ist somit niemand Geringeres als das aufgrund beständiger Produktivitätsfortschritte in einer permanenten, latenten Überproduktionskrise verfangene kapitalistische System selber, dass offensichtlich oder spekulative Blasensbildung sich selbst nicht mehr zu reproduzieren im Stande ist. Doch unsere duch das Verwertungsinteresse des Kapitals deformierte Gesellschaft ernsthaft in Zweifel zu stellen ist selbstverständlich den bürgerlichen Kommentatoren der jüngsten Krisengeschichte nicht möglich – stattdessen werden dem Leser halt konkrete, handgreifliche Sündenböcke geliefert.

Einem Junkie gleich braucht das kapitalistische Weltsystem in immer kürzeren Abständen durch immer größere Bilionenbeträge rein fiktiven Kapitals aufgepumpte Spekulationsblasen, um noch die Illusion des allseits fetischisieren “Wachstums” aufrecht zu erhalten. Es verwundert somit nicht, dass all das Gerede der Politik über die “Zügelung des Raubtierkapitalismus”, oder über eine strenge Regulierung der Finanzmärkte Größtenteils folgenlos blieb und wir heute erneut mit Schlagzeilen konfrontiert werden, wie sie uns schon seit dem letzten Jahren wohlbekannt sind: “Wachstum oder Blase?”, fragt sich beispielsweise das Handelsblatt in einem Kommentar zu dem beständig steigenden Aktienmärkten, die vor allem duch “Überschussliquidität” befeuert würden: “Jede Rally, die mehr mit reinen Geldflüssen als mit vorausahnenden Investoren zu tun hat, steht auf wackligen Füßen.” Wir können schon gespannt sein, wem beim Platzen der nächsten Spekulationsblase die Rolle des Bösewichts zufallen wird – der Kapitalismus wird es sicherlich nicht sein.
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