Bildungsstreik Heidelberg: Demo und Besetzung

General 17.06.2009 22:53 Themen: Bildung Freiräume Soziale Kämpfe
Im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks fand heute (17.6.) in Heidelberg eine Großdemonstration mit 7000 Menschen statt. Im Anschluss wurde das Rektorat besetzt.
"Hätte man mich gestern gefragt, mit wievielen Leuten ich auf der zentralen Bildungsstreikdemo in Heidelberg rechne, so wäre ich mit 4000 mehr als zufrieden gewesen", sagte ein Student.

Doch der heutige Tag sprengte jede Erwartung und setzte neue Maßstäbe. Auf der größten Demonstration, die Heidelberg in den letzten Jahren erlebte, waren unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 5000 (Polizeibericht) und 7000 Personen (Veranstalter) beteiligt. Der Protesttag begann mit einem Sternmarsch der Schüler und Schülerinnen, der zu den zwei Demonstrationspunkten führte. Von dort aus zog man zusammen mit den Studierenden zum Bismarckplatz, wo die Vereinigung der zwei Protestzüge statt fand. Nach einigen Kundgebungen (von streikenden Erzieherinnen, Gewerkschaftern, SchülerInnen und Studierenden) lief man lautstark skandierend gemeinsam zum Uniplatz. Die Polizei war im Vergleich zur Teilnehmeranzahl nur sporadisch anwesend und deshalb auch passiv und kooperativ. Es gab keinerlei Einwände, obwohl mehrfach von der Demoroute abgewichen wurde und dadurch unter Anderem der Verkehr massiv beeinträchtig wurde.

Nach der Demonstration wurde das Gebäude "Alte Universität", in welchem auch das Rektorat ist, von mehreren huntert Studierenden besetzt. Rektor Eitel war nicht bereit mit dem Studierenden zu sprechen und schickte stattdessen seine Pressesprecherin vor. Er selbst verließ das Gebäude über die Feuertreppe zu einem angeblich wichtigen Termin nach Mannheim. Nach langer Diskussion mit der Pressesprecherin einigte man sich auf ein Gespräch um 19:00 Uhr.

Zwischenzeitlich versuchten 20 bis 30 Zivilpolizisten das Gebäude zu räumen und sperrten Stockwerke, was jedoch letztendlich scheiterte. Die Polizei verhielt sich relativ kooperativ und zog deeskalierende Maßnahmen vor. In Folge der Grundforderung der Studierenden, man verhandle nur ohne Polizeipräsenz im Gebäude, verließen die Beamten das Haus.
Das weitere Vorgehen wird im Moment beraten.(aus der Alten Uni, 17.06.2009, 19:51 Uhr)

Die Gespräche mit Rektor Eitel blieben ergebnislos. Die Entschlossenheit die Besetzung weiterzuführen ist groß. Die Polizei hat nach unseren Informationen Hilfe angefordert und steht momentan in Form von einigen Zivilpolizisten in Sichtweite. Ein größeres Polizeiaufgebot wird allerdings erwartet. Deshalb der Aufruf: Kommt alle vor die Alte Uni und zeigt Präsenz! (aus der Alten Uni, 17.06.2009, 21:48 Uhr)

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Pressemitteilung:

Seit einer Stunde halten Studierende der Universität Heidelberg im Rahmen des Bildungsstreiks 2009 die Arbeitsräume ihres Rektors, Bernhard Eitel, besetzt. Damit reagieren sie auf dessen Haltung zu den nicht weiter hinnehmbaren Zuständen an der Universität.

Verschuldet durch die immer bildungsfeindlichere Politik der Bundes- und Landesregierung sind allein innerhalb diesen Semesters mehrere Institute in eine finanzielle Notlage geraten und dies trotz angeblich zusätzlicher Mittel durch Studiengebühren. Erstaunlicherweise sind davon hauptsächlich die ökonomisch unrentablen Geistes-, Sprach- und Sozialwissenschaften betroffen, wie am Beispiel des Philosophischen Instituts und des Romanischen Seminars deutlich geworden ist. Auch an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg ist die Lage sehr angespannt; zahlreichen DozentInnen und HilfswissenschaftlerInnen muss zu Beginn des nächsten Semesters gekündigt werden. "Fast alle Befürchtungen von StudiengebührengegnerInnen, die vor der Einführung geäußert wurden, sind mittlerweile eingetroffen: noch stärkere soziale Selektion, Rückzug des Landes aus der Finanzierung und zunehmende Kommerzialisierung von Bildung. Eine Verbesserung der Lehre hat dagegen niemals stattgefunden" sagt eine Studentin vor dem Rektorat.

Zudem muss die Einführung des Bachelor/Master-Systems als gescheitert betrachtet werden. Aus den humanistischen Ideen, die noch in der Bolognaerklärung zu finden sind, ist während des Bolognaprozesses ein starres, verschultes und allein auf die Interessen der Wirtschaft ausgelegtes Gerüst geworden. Die neuen Bachelor-Studiengänge sind vollkommen überfrachtet. Durch den Versuch, alle Inhalte der Diplom- bzw. Magisterstudiengänge auf den Bachelor zu übertragen und durch die Einführung einer restriktiven Anwesenheitspflicht wird die Idee der Modularisierung ins Absurde geführt.
"Zeit für Arbeit, Hobbys oder politisches sowie soziales Engagement bleibt nicht" berichtet eine Besetzerin. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine demokratische Gesellschaft in 20 Jahren funktionieren soll, wenn hauptsächlich einseitig ausgebildete, angepasste und auf die Privatwirtschaft genormte Menschen leitende Positionen und Parlamentssitze belegen. Das kann doch nicht Ziel der Reformen sein!"

Völlig unreflektiert werden die gleichen Prinzipien, deren Scheitern die Wirtschaftskrise derzeit eindrücklich beweist, auf das Bildungssystem übertragen. Trotzdem nimmt Rektor Eitel die Befürchtungen und Forderungen von Studierenden nicht ernst. Die Besetzung des Romanischen Seminars im Mai dieses Jahres kommentierte er beispielsweise mit der Aussage, dass er auch noch "andere Problemchen" habe. In seiner Sprechstunde speiste er die Forderung nach mehr Demokratie an der Hochschule mit einem Verweis auf gescheiterte
Demokratisierungsprozesse im postkolonialen Afrika ab.
"Rektor Eitel ist unhaltbar geworden! In selbstherrlicher und autoritärer Manier fährt er unsere Universität an die Wand. Er muss abdanken! Wir brauchen endlich demokratische Mitbestimmungsrechte!" sagt eine Studentin im Rektorat abschließend.

Erste Forderungen der BesetzerInnen sind daher bislang:
* Gleichberechtigte demokratische Mitbestimmung
* Abschaffung von Bildungsgebühren
* Vollständige Überarbeitung der BA/MA-Studiengänge
* Stopp der Kommerzialisierung von Bildung
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Ergänzungen

00:12 - Alles ruhig.

Marc J. 18.06.2009 - 00:19
Nach fast 8 Stunden besetztem Rektorat und fruchtlosem Gespräch mit Rektor Eitel selbst zeigt sich die Lage unter den im Gebäude befindlichen und davor blockierenden Studierenden mittlerweile entspannt; Polizisten in Zivil stehen zwar noch immer in Sichtweite, doch ist weder ein Räumungsbefehl zu den Streikenden durchgedrungen noch irgendein anderes Indiz, was auf eine anrückende Hundertschaft schließen lassen könnte. Zur Stunde bereiten sich die ca. 200 Studierenden gelassen auf die Nacht und die nächsten Tage vor.

PM des besetzten Rektorats 18.6.

General 18.06.2009 - 13:10
Wie bereits bekannt gegeben wurde, ist das Rektorat/Gebäude der Alten Universität in Heidelberg seit Mittwochnachmittag besetzt.

Bis auf einige neugierige Zivilpolizisten und einen gescheiterten Versuch weiterer Polizei in Zivil am frühen Abend die oberen Stockwerke für die Besetzung zu sperren, blieb es die Nacht über ruhig.
Die Nacht wurde genutzt, um die mit der Besetzung verbundenen Forderungen zu konkretisieren. Bei den Forderungen handelt es sich zunächst um solche, die nach dem geltenden Landeshochschulgesetz BaWü auf Universitätsebene umsetzbar sind. Weitere Forderungen auf Landesebene, die sich an den Wissenschaftsminister bzw. den Landtag Baden-Württemberg richten, werden im Moment ausformuliert.

Im Plenum wurde beschlossen, dass auch die nicht zum Rektorat gehörenden Büroräume gesperrt bleiben, aber alle Angestellten und sonstige Mitglieder der Uni eingeladen sind, mit uns in Diskurs zu treten. Wir wünschen uns gerade von Professor_innen und Dozierenden, dass sie sich zur Besetzung und den damit verbundenen Forderungen positionieren und hoffen auf einen konstruktiven Dialog. Am Vormittag wurde in Vorlesungen über die Besetzung und die Forderungen informiert. Die Mehrheit der Dozierenden erwartete bereits die Besetzer_innen und sympathisieren mit dem Protest.

Unerwartet standen morgens Studierende vor dem Gebäude, die um 8 Uhr ihre Magisterexamensprüfung im Senatssaal ablegen sollten. Weder Prüflinge noch Besetzer_innen waren im Vorfeld über diese Überschneidung informiert worden und die Zentrale Universitätsverwaltung (ZUV) konnte keinen Lösungsvorschlag für dieses Raumproblem bieten. Daher wurde von den Besetzer_innen ein Raum im ebenfalls besetzten Philosophischen Seminar zur Verfügung gestellt. Die Prüfungen laufen dort zur Zeit ungestört ab.

Die im Rahmen des Bildungsstreiks geplante Alternativuni (Do-Sa) wird in dem besetzten Gebäude stattfinden. Solange auf die Forderungen der Besetzer_innen nicht eingegangen wird, wird die Besetzung fortgeführt.

bildliche begleitung

demoteilnehmer 18.06.2009 - 14:44
hier noch ein paar eindrücke!

Pressekonferenz

THX1138 19.06.2009 - 14:10
Pressekonferenz aus dem besetzten Rektorat vom 18.06.
 http://www.youtube.com/watch?v=UqOgXlWyY0c

 http://www.youtube.com/watch?v=X8PbHQ3OnPc

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forderungen

Lo 19.06.2009 - 19:02
hallo ihr streikenden und ihr besetzer,

zunächst möchte ich euch meine volle solidarität zu euren aktionen übermitteln.ich bin ein 50jähriger polit.mensch(arbeiter) der hier nur für sich spricht.gerade komme ich von der "abschlusskungebung"der menschenkette in heidelberg und möchte einige anmerkungen machen.
zunächst die parole ..."wir sind laut,weil MAN uns die bildung klaut..."das man hat meiner meinung nen namen und könnte merkel,steinmeier usw.heissen.die krise hat namen,da solltet ihr nicht so zaghaft sein die benennen.
die redner fand ich ziemlich oberflächlich und pauschal und es gab inhaltlich kaum mal ne info,was ja auch kritisiert wurde in hinsicht auf die verhandlungen mit dem uni-chef.es wurde auf ne unterschriftenliste verwiesen("habt ihr die auch alle unterschrieben....jaaaa")und damit nehmt ihr der (noch)unpolitischen bewegung die spitze.natürlich müsst ihr erst die erfahrung machen,dass sich wegen paar unterschriften keiner bewegt(wir hatten in den 80ern den krefelder appell,der glaub ich fünf millionen mal unterschrieben wurde-trotzdem gab es die raketenstationierung).
ihr solltet kreativer,aber vor allem politischer werden...ihr müsst grössere anstrengungen unternehmen,mehr leute erreichen...teach in gab es damals...vor die toren der fabriken,bündnisse mit den menschen schmieden...ich wurde kein einziges mal angesprochen...
es muss zu guter letzt auf einen generalstreik hinauslaufen,ansonsten wird sich nichts bewegen...die aktionen müssen sich verschärfen - keine verbalen drohungen,sondern so sachen,wie banken besetzen,ziviler ungehorsam...usw.

ich finde es klasse und absolut notwendig,was ihr macht - aber bleibt nicht stehen.ihr habt es jetzt z.t. mit denen zu tun die 68 auf der anderen seite standen...und die wissen,wie sie euch abservieren.

zum schluss muss ich noch sagen,daß a)zu wenig frauen am micro waren,unbedingt verbesserungswürdige redner dran sollten und unklar fand ich auch,den iranern OHNE
diskussionen und abstimmunge ne bühne und das micro zu geben...
wer bestimmt das,was hat das mit demokratie(die ständig gefordert wurde)zu tun?

mit solidarischen grüßen

lo