Solidarität mit den Centri Sociali in Italien (1)

Azzoncao, ein Polit-Cafè 01.02.2009 01:37 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe Weltweit
Hier ein älterer Text über die Besetzung des Sozialzentrums Leoncavallo in Mailand im Jahr 1994 - Teil 1
Eigentlich hatten wir vorgesehen diesen alten Text aus dem Jahr 1994 im September diesen Jahres zum 15 ten Jahrestag der Besetzung des Centro Sociale Leoncavallo in der via Watteau/Milano auf unserer Site zu veröffentlichen.
Die Räumung des Sozialzentrums Conchetta /Cox 18 ( http://de.indymedia.org/2009/01/240649.shtml)läßt uns aber befürchten, dass vielen Sozialzentren in Mailand/Italien die Räumung bevorsteht. Um deutschen Linken noch einmal diesen wichtigen Teil der italienischen Linken ans Herz zu legen und zur Solidarität aufzufordern, veröffentlichen wir diesen Text nun vorzeitig.

Es ist der Text eines Bochumer Genossen, der damals die Besetzung miterlebte. Der Text wurde in Deutschland (Ruhrgebiets-Info), Österreich (Lotta-Dura), Schweiz (Widerstands-Info), Holland (NN) und in Dänemark veröffentlicht. Da er bisher nur als Papiervorlage existiert ist dies keine „copy und paste“, sondern die digitale Erstveröffentlichung des Textes. Alle Fotos werden hier ebenfalls das erste Mal veröffentlicht.

Der Original-Text ist in zwei Teile unterteilt und jeweils mit Bildern versehen.
Video hier:
 http://de.youtube.com/watch?v=spdKruaYJig




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Mailand - 8. bis 10. September 1994

Neubesetzung des „Centro Sociale Leoncavallo“ und italienweite Demo in Mailand
(Augenzeugenbericht)

Vorgeschichte (stark vereinfacht)
Eines der ältesten, größten und für Norditalien bedeutendsten politischen Zentren ist das „Leoncavallo“ in Mailand. Zentrum ist hier nicht griffig. Das Leoncavallo ist ein „centro sociale“. Die „centri sociali“ entstanden in den 70ziger Jahren als Ausdruck und Organisationsform einer starken linksradikalen Bewegung in Italien, den Autonomen, die stark Basis-, Stadtteil- und ArbeiterInnenbewegung orientiert waren und sich auch heute, trotz niedergegangener Stärke und internen Veränderungen, noch so orientieren.
Das Leoncavallo wurde 1975 in einem Stadtteil im Nordosten Mailands besetzt. Dieser Stadtteil war und ist geprägt durch die Traditionen der ArbeiterInnenbewegung, sowie durch starke Arbeitslosigkeit und rücksichtsloser Grundstücksspekulation. Zur praktischen Politik des centro gehörten neben einer Kneipe, Sporträume, Veranstaltungs- und Konzerthalle, Bibliothek und Fotolabor, Theatergruppe, Proberäume und Siebdruckerei, eine Kindertagesstätte für Kleinst- und Kleinkinder, Hausaufgabenhilfe für SchülerInnen, Fort- und Weiterbildungskurse für ungelernte und arbeitslose ArbeiterInnen, eine Gesundheitsstation mit kostenloser Gesundheitsversorgung und eine Gynäkologiestation. Durch die politischen Veränderungen in den 80zigern und den Niedergang der sozialen und autonomen Bewegung (neben einer enormen staatlichen Repression) schliefen Teile der basisiorientierten Praxis (hier ist die Stadtteilorientierte Politik mit Gresundheitsstation, Weiterbildung und Kindertagesstätte im Leoncavallo gemeint - wozu ich Informationen bekam) ein. Zum Bedauern vieler AktivistInnen brach dadurch auch der direkte Kontakt zu den Bewohnern des Stadtteils mehr und mehr ab und somit auch die Solidarität zum centro. 1978 wurden zwei Genossen des Leoncavallo, Fausto Tinelli und Iaio Iannucci, in der Nebenstraße des centro von Faschisten erschossen. Darauf hin bildete sich die Gruppe „mamma del Leoncavallo“, die auch heute noch bei der Besetzung und der Demonstration tatkräftig mithalfen. Fausto und Iaio sind Genossen auf die sich das Leoncavallo immer wieder bezieht. Auch heute werden in Italien und Mailand immer wieder centri sociali von Faschisten und Skinheads überfallen. Mittlerweile aber auch von Legisten (Anhänger der Lega Nord). Die häufigste Form neben direkten Angriffen auf die centri, sind das Auflauern und Zusammenschlagen von Leuten, die aus den centri kommen.
Das Centro Leoncavallo wurde 1989 das erste Mal geräumt. Viele Leute wurden verhaftet, landeten im Gefängnis und haben bis heute noch Prozesse. Es gibt in Italien ein Gesetz, das einen Menschen zur öffentlichen Gefahr und Staatsfeind definiert. Diese Menschen dürfen die Stadt ohne Erlaubnis nicht verlassen, nicht arbeiten und müssen sich täglich bei der Polizei melden. Dies betrifft auch Leute aus dem Leoncavallo.
Nach der Räumung und dem Abriss des „Leonka“ wurde das Gebäude von den „BesetzerInnen“ aus den Ruinen wieder von Grund auf aufgebaut. Auch die zerstörte Bibliothek und Einrichtungsgegenstände wurden von ihnen wieder angeschafft. Gesundheitseinrichtung, Kindertagesstätte und Gynäkologiestation gab es leider, wie schon erwähnt, nicht mehr.

Im Januar 1994 wurde das Leonca das zweite mal geräumt. Der für das Bürgermeisteramt kandidierende Legist Marco Formentini, der unter anderem mit dem Wahlversprechen, das Leoncavallo zu räumen, angetreten war, hatte die Wahl im Dezember 1993 gewonnen und sein Versprechen umgehend im Januar umgesetzt. Dort wo das Leoncavallo stand ist nun eine riesige „Baulücke“.
Nach zähen Verhandlungen bekamen die LeocavallistInnen ein Gebäude an der Peripherie Mailands bis zum November diesen Jahres zugesprochen. Trotz diesen Versprechens ließ die Stadt Mailand das Gebäude, das Krupp gehört, am 10. August räumen. Zu einer Zeit, wo in Italien die Menschen die Städte verlassen, um am Meer oder auf dem Land Urlaub zu machen und die Städte, wie auch die centris, leer sind. So traf die Polizei auch nur wenige Leute des Leonca an und konnte mühelos räumen.
In der ersten Woche nach der Räumung trafen sich die Leute aus dem Leoncavallo in einem Park, dann in einem anderen centro und in der dritten Woche in einem Amphitheater, das in einem Park an der Via Bertelli liegt. Dort hatten sie sich mit Planen, Zelten und einem Generator eingerichtet, der für den nötigen Strom für Licht, Kühlschränke, Musik, Kocheinrichtung, sowie den Videobeamer für Filmvorführungen sorgte.
In der Zwischenzeit waren sie aber auf der Suche nach einem neuen Objekt zum Besetzen. Dies Objekt war schnell ausgemacht. Eine riesige leerstehende Großdruckerei an der via Lucini, in dem selben Stadtteil ihres letzten centro, in dem sie weiterhin bleiben und Politik machen wollen. Sie gehört einer Erbengemeinschaft, die das Gebäude seit vier Jahren leerstehen läßt. Das Hauptgebäude besteht aus zwei riesigen fußballfeldgroßen Hallen und mehreren Hallen in den Obergeschossen. Daran schließt sich ein wunderschöner Innenhof mit angrenzenden Werkschuppen und Garagen an.


8. September - Die Besetzung

Um drei Uhr Nachmittags drangen auf verschiedenen wegen BesetzerInnen in das Gebäude ein, stellten umgehend Wachen auf, erkundeten das Gebäude, brachen die Stahltüren zum Flachdach auf und schafften pyrotechnisches Material und Unmengen Steine zur Verteidigung auf das Dach. Nachdem ein Haufen JournalistInnen auf und wieder abgezogen waren, ließen sich nach zwei Stunden einige Hundertschaften Carabinieris sehen. Die BesetzerInnen ( 30 -40 Frauen und 60 - 70 Männer) verschanzten sich umgehend auf dem Flachdach. Die Carabinieris postierten sich an beiden Seiten der Straße unter Unterführungen und der Polizeisprecher forderte die BesetzerInnen auf, sich innerhalb einer halben Stunde zu ergeben. Würde dies nicht erfolgen, würde die italienweite Demonstration am Samstag nicht stattfinden dürfen. Die BesetzerInnen erwiderten darauf, er sei wohl falsch gewickelt und solle erstmal Pizza und Bier ranschaffen. Das Ultimatum verstrich und die Polizei drängte die JournalistInnen ab, die sich aber sofort an anderer Stelle wieder mit ihren Kameras aufbauten. Die Polizei postierte sich gut sichtbar mit Schildern und Gewehren mit Gaskartuschen. Kurz darauf preschte ein Räumpanzer durch die Straße. Dieser wurde sofort mit Steinen beschmissen und mit Raketen beschossen. Die Leute auf dem Flachdach schrien den Carabinieris und ihrem Panzer Parolen nach, deren Intensität, Lautstärke und Hass ich in
Deutschland selten gehört habe. In der darauf folgenden Stunde des Abwartens wurde das Gefühl der bevorstehenden Eskalation immer stärker. Aber ebenso war die Lage auf dem Dach geprägt von Solidarität, Entschlossenheit und Mut. Um so verblüffender war es, dass die Carabibnieris nach einer Stunde abrückten. Gerade zu einem Zeitpunkt als einige Häuserzeilen weiter sich eine riesige Rauchsäule erhob. Hier eröffnete die italienische Wagensportliga, aus gegebenem Anlass, ihre
Herbstsaison. Wie sich später herausstellte hatte der Polizeipräsident Roms diesen Rückzug angeordnet, da sein ihm unterstellter Mailänder Kollege erst drei Wochen im Amt ist. Nachdem sich die Polizei zurückgezogen hatte, strömten die SympathisantInnen, die sich vor einem anderen centro versammelt hatten, zum Leoncavallo und beglückwünschten die total durchgefrorenen und durchnäßten BesetzerInnen. Bis zum Abend strömten 200 bis 300 SympathisantInnen ins neue Leoncavallo und es wurde umgehend mit Aufräumarbeiten begonnen.
Die regionale und überregionale Presse Italiens berichtete am nächsten Tag breit über die Ereignisse und buchte, trotz immenser Hetze, die Ereignissee als einen Erfolg des Leoncavallo ab. Ein Bürgerkommitee aus der Nachbarschaft erschien, hieß die BesetzerInnen willkommen und besah sich, ebenso wie viele einzelne Nachbarn, alles neugierig. Die Aufräum- und Renovierungsarbeiten hielten den ganzen Tag an. Die Hallen und der Hof wurden gesäubert, Kabel für Licht und Elektrogeräte verlegt, Tresen und Infotische aufgebaut, et., etc.. Neben dem großen Eingangstor entstand ein riesiges Graffiti und zahlreiche Transparente wurden für die Demo des nächsten Tages hergestellt.
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Ergänzungen

Jugendliche zünden schlafenden Obdachlosen an

http://www.welt.de/ 02.02.2009 - 22:09
Drei Jugendliche sollen in Nettuno bei Rom einen schlafenden indischen Obdachlosen angezündet haben. Laut Berichten erlitt das 35-jährige Opfer schwere Brandverletzungen. Nach dem Anschlag wurden die Täter verhaftet. Sie gaben an, aus Langeweile und unter Drogeneinfluss gehandelt zu haben.

Drei junge Italiener sind nach einem Brandanschlag auf einen indischen Obdachlosen in Nettuno bei Rom wegen versuchten Mordes verhaftet worden. Italienischen Tageszeitungen zufolge trug das 35-jährige Opfer schwere Brandverletzungen davon. Die drei Täter im Alter von 16, 19 und 18 Jahren gaben an, sie hätten unter Einfluss von Alkohol und Marihuana aus Langeweile gehandelt.

Die drei jungen Männer hatten dem auf einer Bank am Bahnhof des Strandbads schlafenden Obdachlosen nach eigenen Angaben zunächst Farbe ins Gesicht gesprüht, um ihn zu blenden. Anschließend übergossen sie ihn mit Benzin und zündeten ihn an. Der arbeitslose Maurergehilfe war wenige Tage zuvor von seinem Quartier am römischen Hauptbahnhof Termini nach Nettuno gewechselt, um Polizeikontrollen zu entgehen.

Die Mitte-Links-Opposition bezichtigte die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, mit ausländerfeindlichen Parolen zu rassistischen Übergriffen zu ermutigen. Vertreter der Regierungsmehrheit machten mangelnde Werte für eine Zunahme von Gewalttaten gegen Ausländer verantwortlich.