Leerstand in Freiburg

Autonome ImmobilienmaklerInnen 10.12.2008 11:58 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
 Eine Autonome Kampagne versucht in Freiburg eine Debatte über Leerstand und Hausbesetzungen anzustoßen. Nach drei Aktionen wurde die Kritik am skandalösen Leerstand von Wohnraum bei gleichzeitiger Knappheit von günstigem Wohnraum in Freiburg von der Badischen Zeitung aufgegriffen. Leerstand ist kein Zustand!

  Autonome Hausbesichtigung

Nach einer symbolischen Besetzung in Freiburg für Bühl am 14.08.2008 und einer erneuten symbolischen Hausbesetzung in Freiburg am 28.08.2008 folgte am 18.10.2008 die dritte Aktion der Autonomen Kampagne gegen Leerstand. Es wurde eine Anzeige bei einem Wohnraumvermittlungsportal geschaltet, die zu einer Hausbesichtigung in der Günterstalstraße 30 einlud. Die Resonanz war enorm:



Liebe Wohnungssuchende,

bitte habt Verständnis dafür, dass ich wegen der vielen Emails Eure Anfragen nicht individuell beantworten kann. Mir geht es bei der Wohnung nicht so sehr ums Geld, sondern um sinnvoll genutzten Wohnraum. Bisher steht das ganze Haus leer und ich möchte diesen Zustand ändern. Bringt also bitte am Samstag eure Wünsche, Vorstellungen und Pläne mit. Und redet auch miteinander, denn gemeinsam ist alles leichter.

Das Haus wurde von 60 Wohnungssuchenden angeschaut. Viele fanden die Wohnung klasse und hätten sie sofort gemietet. Daraus wurde aber vorerst leider nichts:



Liebe Wohnungssuchende,

leider müssen wir euch mitteilen, dass das Haus in der Günterstalstraße 30 zwar leersteht, aber nicht zu vermieten ist. Wir haben das Haus geöffnet, um euch zu zeigen, dass Raum für eure Wünsche und Pläne vorhanden wäre, wenn es kein Recht auf Eigentum gäbe. Oder wenn ihr es ignoriert.

Bitte seid uns nicht böse, wir wollten euch keinen Streich spielen, sondern auf ein gesellschaftliches Problem hinweisen. Die Badische Zeitung wird das Thema „Leerstand in Freiburg“ in den nächsten Wochen aufgreifen, auch über die Hausbesichtigung berichten und damit hoffentlich eine Diskussion über diesen Missstand in Gang bringen.

Wenn ihr möchtet, kommt doch am Samstag zur Party in die KTS Freiburg. Wir werden auch da sein und laden euch auf ein Glas Wein, ein Bier, einen Kaffee oder einen Joint ein. Und vielleicht finden wir ja gemeinsam Mittel und Wege, um die Wohnungsnot in Freiburg auf direkte Art und Weise zu lösen.


  Communiqué vom 18.10.2008

Hausbesichtigungen sind typisch für Freiburgs südlichen Lebensstil

In Freiburg besichtigten am Samstag, den 18. Oktober 2008, etwa 60 Wohnungssuchende ein leerstehendes Haus in der Wiehre. Sie reagierten auf eine Onlineanzeige bei einem Wohnraumvermittlungsportal, das sich auf Wohngemeinschaften spezialisiert hat:


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Kein Wohnraum für Studierende? Leerstand ist kein Zustand!

Zwei Etagen für große Wohngemeinschaft (oder auch separat): Sieben Zimmer + Wohnzimmer + Küche + 2 Toiletten + ausgebauter Dachboden mit traumhaftem Blick über Freiburgs Dächer. Optional großes Hinterhaus ausbaubar (z.B. Fahrradwerkstatt), innenstadtnah (5 Minuten zur Uni)Besichtigungstermin: Samstag, 18.10.2008, 15 Uhr, Günterstalstraße 30


Seit Jahren wird die Wohnungssituation in Freiburg für Arme und Studierende prekärer. Altbauten werden entweder abgerissen oder luxussaniert, Neubauten sind sowieso nur als Wohnsilo erschwinglich. Neue Wohngemeinschaften zu gründen ist angesichts der Maklerprovisionen nahezu unmöglich, denn auf dem „freien Markt“ werden kaum Wohnungen an WGs vermietet. Als Alternative bleibt den Studierenden nur Lohnarbeit oder Kredit, um die horrenden Mieten zahlen zu können, wenn sie nicht in einem der über dreißig reaktionären Verbindungshäusern absteigen wollen.




Mieten in ehemals alternativen Stadtteilen werden durch so genannte „Aufwertungsprozesse“ in die Höhe getrieben. Im Vauban-Quartier werden beispielsweise prestigeträchtig Niedrigenergiehäuser gebaut und gleichzeitig günstiger gemeinschaftlich genutzter Wohnraum geräumt und zerstört. Oberbürgermeister Salomon ließ 2004 die bezugsfertigen ehemaligen Kasernen hinter dem heutigen Glasparkhaus abreißen. Auf dem Fahnenmastplatz wurde 1994 die erste KTS und 2005 eine Wagenburg geräumt. Die Begründung war identisch: Ein neuer Supermarkt soll her. Danach wurde die „Wilde Astrid“, der Wagenplatz an der Innsbrucker Straße, verdrängt.

Jede Zeit findet ihre Antwort auf Probleme, die es im Kapitalismus zu allen Zeiten gibt. Unsere Aktion soll den Widerspruch zwischen dem Eigentum der Wenigen und den Bedürfnissen der Vielen sichtbar machen. Wir wissen nicht, warum dieses Haus leersteht. Wir wissen auch nicht, warum so viele andere Häuser in Freiburg leerstehen. Aber wir finden unerträglich, dass wir schuften und uns einschränken müssen, wenn gleichzeitig Häuser leerstehen. In Freiburg wurde die Wohnraumfrage schon einmal anders und sehr praktisch gelöst: Besetzt mehr Häuser!

FreundInnen des Freiraums, Kommando langes Gedächtnis


  Badischen Zeitung vom 09.12.2008

Wohnungsmarkt in Freiburg

Stadtverwaltung steht Leerstand machtlos gegenüber

Es scheint paradox: Einerseits wird der Wohnungsmarkt in Freiburg immer enger, andererseits gibt es zahlreiche leer stehende Wohnungen. Ein Missstand, auf den Bürger wiederholt aufmerksam machen. Und einer, bei dem der Stadtverwaltung die Hände gebunden sind.

Dass Wohnraum überhaupt leer stehen kann, liegt an der fehlenden rechtlichen Grundlage. Bis Ende des Jahres 2006 gab es in Baden-Württemberg das sogenannte Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. „Das war ein wichtiges wohnungspolitisches Instrument“, sagt Werner Hein, Leiter des städtischen Amtes für Wohnraumversorgung. „Wir sind sehr restriktiv vorgegangen und haben jeden Leerstand, von dem wir wussten, verfolgt.“ Die Wohnungsbesitzer wurden ermittelt, angeschrieben und darum gebeten, wieder zu vermieten. In besonders hartnäckigen Fällen wurde ein Zwangsgeld zwischen 5000 und 10 000 Euro festgesetzt, teilweise sogar Anzeige erstattet. „Das hat gut geholfen“, sagt Hein.



Etwa 80 bis 100 Fälle von nicht oder falsch genutztem Wohnraum hat die Stadt jährlich geahndet. Wer zum Beispiel in der Innenstadt eine Wohnung besaß und die aufgrund höherer Einnahmen lieber als Kanzlei oder Arztpraxis vermietet hat, der musste laut Gesetz für einen gleich großen Wohnraum irgendwo in der Stadt sorgen. Das Land hat die Verordnung ersatzlos mit der Begründung gestrichen, der Wohnungsmarkt habe sich entspannt.

Insgesamt stehen in Freiburg zurzeit rund 900 Wohnungen der 79.987 vermarktbaren Geschosswohnungen leer, das sind 1,2 Prozent. Dies geht aus einer Studie des Energiedienstleisters Techem und dem Bonner Marktforschungsinstitut Empirica hervor. Damit liegt Freiburg auf Platz 11 von 98 ausgewerteten deutschen Städten. Weniger Leerstand haben zum Beispiel Baden-Baden (0,9 Prozent) und Karlsruhe (0,7 Prozent), in Stuttgart stehen mit 1,4 Prozent mehr Wohnungen leer als in Freiburg. Der landesweite Durchschnitt liegt sogar bei 1,7 Prozent.

Kritik kommt aus ganz unterschiedlichen Richtungen

Der vergleichsweise niedrige Leerstand in Freiburg lässt auf einen hohen Bedarf schließen. Entsprechend kommt Kritik am Leerstand aus den unterschiedlichsten Richtungen: In jüngster Zeit beschwerten sich Bürger in einer Anhörung in Herdern, und linke Autonome besetzten Häuser, um dagegen zu protestieren.



Mit dem Wegfall des Verbotes der Zweckentfremdung kann nun jeder Wohnungseigentümer seine Räume leer stehen lassen. Jahre-, jahrzehntelang. „Die Zahl derer, die ihr Eigentum nicht mehr vermieten, nimmt stetig zu“, sagt Manfred Harner, Vorsitzender der Eigentümergemeinschaft „Haus und Grund“.

Die Gründe sind verschieden: Der eine ist auf die Mieteinnahmen nicht angewiesen, der andere hat kein Geld für eine notwendige Sanierung. Mancher hält die Wohnung vielleicht frei für die Tochter, die dort in drei Jahren einziehen will. Und ganz viele, so Harner, sind einfach genervt von Streitigkeiten mit den Mietern. „Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei Autos. Eins fahren Sie, das andere können Sie vermieten. Wenn Sie es aber jedes Mal ramponiert zurückbekommen, dann sagen Sie: Ich lasse es stehen für Notfälle oder ich verkaufe es.“ Das Mietrecht von 2001 müsse dringend überarbeitet werden. Es sei zu stark einseitig zugunsten des Mieters. „Das ist ein Grund für viele, nicht mehr zu vermieten“, sagt Harner.

Badische Zeitung vom Mittwoch, 9. Dezember 2008




  Ergænzungen


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Ergänzungen

KTS-Demo gegen das Versammlungsgesetz

http://fudder.de/ 11.12.2008 - 18:20

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Geile Aktionen? — Maulwurf-Aktivist

weiter so — marcos

product — placement

Hey Maulwurf-Aktivist — Du weißt schon wer

Resignation? — Happy Hippie