Bericht+Fotos: Proteste bei der FU-Immafeier

Björn Kietzmann 15.11.2008 01:44 Themen: Bildung Repression
Der größte Hörsaal der Freien Universität (FU) Berlin war nur etwa zu zwei-dritteln gefüllt. Anders als in den letzten Jahren durften diesmal nur Studierende des ersten Semesters an der feierlichen Immatrikulationsveranstaltung (05.11.08) teilnehmen. Zudem mussten alle Gäste eine polizeiliche Datenüberprüfung über sich ergehen lassen. Hintergrund des enormen Sicherheitsaufgebots war der Gastredner - Bundespräsident Köhler.

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Bereits im Vorfeld der Veranstaltung kritisierte der lokale Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) die massiven Sicherheitsvorkehrungen rund um die Immatrikulationsfeier. Auch der Universitäts-Datenschutzbeauftragten bereitete der„übertriebene Sicherheitswahn“ Bauchschmerzen. Beim Bundespräsidialamt konnte man die Aufregung nicht verstehen. Eine Sprecherin erklärte auf Anfrage, dass es sich um eine Standardprozedur handle. Bei jedem Auftritt des Bundespräsidenten werden alle VeranstaltungsteilnehmerInnen, durch das Bundeskriminalamt überprüft.

In den vergangen Jahren hat es an der FU mehrfach Studierendenproteste im Rahmen der Immatrikulationsfeier gegeben. Dieses Mal wollte man wohl nichts dem Zufall überlassen, die Polizei war mit rund 15 Mannschaftswagen vor Ort. Der komplette Henry Ford Bau wurde in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt. Private Sicherheitskräfte standen mit Metalldetektoren am Hörsaaleingang und neben dem Redepult lungerten etwa ein Dutzend Zivilpolizisten.

Pünktlich um 10 Uhr betritt Köhler den Saal. Nach einem kurzen Posieren für die Kameras schreitet Uni-Präsident Dieter Lenzen ans Rednerpult. In seinem Redebeitrag geht es um die Geschichte der FU und das humboldtsche Bildungsideal. Lautes Klopfen unterbricht seinen Redefluss. Einige Studierende hatten es geschafft die Polizeiabsperrungen zu umgehen. Sie trugen ein Transparent auf dem sie freie Bildung forderten. Unbekümmert setzt Lenzen seine Rede fort, während hinter der Scheibe regelrechte Jagdszenen ausbrechen.

Ein junger Mann wird festgenommen. Der 21-jährige habe ein Plakat vor dem Körper gehalten, welches kein Impressum trug, erklärt die Berliner Polizei. „Gegen ihn wurde eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Zuwiderhandlung gegen das Pressegesetz sowie eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gefertigt“. Zu einer weiteren Festnahme sei es bereits bei der Ankunft des Bundespräsidenten gekommen. Ein 23-jähriger Student soll aus circa 20 Meter Entfernung beleidigende Worte in Richtung der Fahrzeugkolonne des Bundespräsidenten gerufen haben. Der Polizeiliche Staatsschutz hat nun die Ermittlungen wegen „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ übernommen. Ein Vergehen das laut dem Strafgesetzbuch mit bis zu 5 Jahren Gefängnis geahndet werden kann.

Auch Horst Köhler hält eine Lobrede auf die Freiheit, schließlich hätten die meisten Studierenden Freiheiten, die sie später nie wieder haben werden. Im hinteren Hörsaalbereich wird ein Transparent entrollt: “Studiengebühren? Bachelor/Master? Rettungsfonds für Banken? Machen wir uns nicht zum Horst! Die Krise heißt Kapitalismus!“ Sicherheitskräfte schreiten zu den ProtestlerInnen – zerren zaghaft am Transparent. Doch Köhler pfeift sie zurück: “Lassen sie ruhig!“. Einer der wenigen Momente wo im Rahmen der Veranstaltung Protest geduldet wurde.

Vor dem Gebäude haben sich etwa 70 Menschen versammelt. Sie halten aus Protest eine “Offene Immatrikulationsfeier“ ab. Es kommt zu einer weiteren Festnahme: „Ihnen hab ich doch eben einen Platzverweis erteilt“ – raunzt ein Polizist eine Studentin an. Laut der Berliner Polizei, habe die Studentin den Beamten daraufhin getreten. Eine Anschuldigung die sie und auch andere Anwesende bestreiten. Es kommt zu Gerangel, die junge Studentin wird von zwei Polizisten in einen Polizeitransporter gezerrt. Die umstehenden etwa 15 Personen werden von der Polizei verdächtigt, sich einer versuchten Gefangenenbefreiung schuldig gemacht zu haben. Ermittlungsverfahren gegen unbekannt seien eingeleitet worden.

Einige Stunden verbringt die Studentin in Polizeigewahrsam. „Ich wurde in eine Einzelzelle gesperrt. Meine Fingerabdrücke wurde genommen und Fotos wurden angefertigt“, schildert sie das Erlebte. Wie der letzte Dreck sei sie behandelt worden, so habe man sie in der Gefangensammelstelle mit „Püppchen“ angeredet, ein Telefonat sei ihr auch nicht gestattet worden.

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Ergänzungen

SoliGrüße aus

Hamburg 15.11.2008 - 12:15
Danke für den Bericht!
Krasse Nummer, die du da beschreibst! - Alleine, dass ein Kommilitone eine "Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Zuwiderhandlung gegen das Pressegesetz" bekommen hat, weil er ein Pappschild ohne Impressum gehalten hat, ist doch an und für sich ein Witz, oder was?!
Ähnlich, wenn auch bei weitem nicht SO restriktiv, ging es dieses Semester auch an der Uni Hamburg anlässlich der Immatrikulationsfeier zu. Auf der Veranstaltung sprachen die unsägliche Uni-Präsidentin Auweter-Kurtz und der ehemalige Hamburger CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall und es waren auch private Sicherheitsleute da, die in einer "Schleuse" die Personalien der um Einlass Begehrenden mit den Namen auf der Einladungsliste abglichen.

"Uni-Präsidentin begrüßt Ersties (Uni HH)" -  http://de.indymedia.org/2008/10/229619.shtml

"Mitschnitt der Erstsemesterbegrüßung im Audimax (Videos)" -  http://webapp5.rrz.uni-hamburg.de/fsr-db/Joomla/index.php?option=com_content&task=view&id=96&Itemid=1

Gedächtnisprotokolle schreiben

EA Berlin 15.11.2008 - 13:47
Alle, die betroffen waren von den Polizeiübergriffen oder diese gesehen haben, sollten so schnell wie möglich ein ausführliches Gedächtnisprotokoll schreiben.
Kommt in der Sprechstunde des Ermittlungsauschuss vorbei, immer Dienstags von 20 bis 22 h im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a (Aufgang beim Mehringhof Theater).
Wenn es zu Ermittlungsverfahren, Anzeigen etc. kommt, beraten wir Betroffene, koordinieren Prozessstrategien und vermitteln linke AnwältInnen.