Dr. Fritz Ries – der Bernt Engelmann Prozess

presserecherche 08.07.2008 20:18 Themen: Antifa
Letztes Jahr habe ich angekündigt, einen Teil 2 mit dem Titel "Dr. Fritz Ries - der Prozess" zu veröffentlichen. Fast genau ein Jahr später löse ich dieses Versprechen ein. Recherchen brauchen nämlich bisweilen viel Zeit – und in dem Fall auch insgesamt eine beachtliche Summe an Geld. Rechercheaufträge an Zeitungen in deren Autoren-Archiven kosten ebenso bares Geld (pro Stunde!), wie Kopieraufträge an Länder-Archive. Aber es lohnt sich.

Vorwort

Dr. Fritz Ries ist in der „heutigen Zeit“ einer größeren Öffentlichkeit, also der, die sich (auch) „online“ informiert, dadurch bekannt geworden, dass am 5. Dezember 2006 ein Artikel über ihn bei der deutschsprachigen Wikipedia erschien [1]. Die Zensur der Hauptquelle, des Tatsachenromans „Großes Bundesverdienstkreuz“ von Bernt Engelmann, erfolgte nur sechs Stunden später [2]. In der Folge unternahmen ein nennenswerter Teil der Administration und eine ebenso beachtliche wie beharrliche Rotte so genannter Wikepedianer größte Anstrengungen, die Darstellung von Dr. Fritz Ries in der Wikipedia fortan zu „säubern“ und auch „sauber“ zu halten. Ein Mannheimer Student der Wirtschaftswissenschaften, namentlich dingfest gemacht, tat sich dabei besonders hervor. Diese auf Nicht-Insider eigentümlich wirkenden Vorgänge aus diesem rechtskonservativ anmutenden Dunstkreis fanden z.B. bei Spreeblick ihre Bewertung [3]. Im Mai 2007 kam es dann zum Eklat: Ein Wikepedianer und ein Administrator säuberten unter dem Deckmantel der „Neutralisierung“ in der Vita die gerichtlich als wesentlich eingestufte Eigenschaft Arisierer bei Fritz Ries [4][5]. Immerhin ist der aktuelle Zustand es Artikels nun als annehmbar, wenn auch nicht als akkurat, zu bezeichnen [6]. Doch soll hier nicht ein beliebtes Online-Spiel namens Wikipedia und die mutmaßlichen kollektive Geisteshaltung oder Gemütslage seiner daddelnden Kindsköpfe Gegenstand des Artikels sein [7].

Nein. Hier geht es nun um Dinge für Erwachsene. Die Kenntnis der Sekundärquellen wie

- F.A.Z 23.01.1975 (314K)

- Frankfurter Rundschau 21.05.1975 (188K)

- Der Spiegel – 20. Januar 1975: Nach Lodz (259K)

- Der Spiegel – 5. April 1976: Millionen im Ausland (417K)

und selbstverständlich des Textes Großes Bundesverdienstkreuz von Bernt Engelmann wird dabei vorausgesetzt. In diesem Text wird romanhaft die fiktive Geschichte nach der Suche von Belegen für den Anspruch auf den Nachlass eines während der Zeit des Dritten Reiches von der SS verhafteten und im KZ umgekommenen David Seligmann geschildert. Als Zentralfigur der als Detektivgeschichte aufgebauten Handlung erscheint namentlich Dr. Fritz Ries. Dieser wird als Unternehmer dargestellt, der es dank seiner Zugehörigkeit zur NSDAP mit Hilfe der so genannten Arisierung jüdischer Unternehmen und durch die Teilnahme an der Ausplünderung der besetzten Ostgebiete geschafft habe, innerhalb kurzer Zeit einen ansehnlichen Konzern aufzubauen. Es wird sodann geschildert, dass es dem Kläger am Ende des Krieges gelungen sei, die in Polen und der Sowjetunion erbeuteten Millionenwerte westwärts zu schaffen, und zwar dadurch, dass Reichsbahnbedienstete mit hohen Geldsummen bestochen worden seien, damit sie Eisenbahnwaggons, die eigentlich für Verwundetentransporte und anderen dringenden Wehrmachtsbedarf reserviert waren, für die Verlagerung seines Beutegutes bereitstellten.  Die Darstellung des Werdeganges des Dr. Fritz Ries endet im Jahre 1972, wobei eine der Figuren der Detektivgeschichte aus den Darlegungen einer erfundenen Zeithistorikerin den Schluss zieht , es deute alles darauf hin, dass Dr. Ries eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt hat, bei den diversen Versuchen, Willy Brandt zu stürzen, dass er und seine Freunde ihre Hände mit im Spiel haben, wo es um die Bildung einer rechten außerparlamentarischen Opposition geht.

### Der Prozess Dr. Fritz Ries ./. Bernt Engelmann – Das Urteil ###

Am 16. September 1976 erging mit der Geschäftsnummer 17 O 322/74 das Urteil.

Im Namen des Vokes

Urteil

In Sachen

Dr. Fritz Ries

Meergartenstrasse 1

671 Frankenthal Pfalz

Gegen

Bernt Engelmann

Haus am Wald

8183 Rottach-Egern

wegen Unterlassung u.a.

hat die 17. Zivil/Kammer des Landgerichts Stuttgart

auf die mündliche Verhandlung vom 5.8.1976

für Recht anerkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unerlassen, folgende Behauptungen aufzustellen oder zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:

a)     der Kläger habe die Berliner Konfektionsfirma Lewinstein „arisiert“

b)     Der SS-Führer Packebusch habe für die Gummiwerke Wartheland einige Tausend jüdische Zwangsarbeiterinnen besorgt, mit deren Hilfe die Umsätze hätten verzehnfacht werden können

c)      der Kläger habe Millionengewinne der von ihm arisierten oder kurzerhand übernommenen Betriebe u.a. im „neutralen Ausland“, vor allem in der Schweiz und in Spanien angelegt, wo er zum Teil völlig branchenfremde Töchterfirmen habe entstehen lassen

d)     es seien Reichsbahnbedienstete mit hohen Geldsummen bestochen worden, damit sie Eisenbahnwaggons, die eigentlich für Verwundetentransporte und anderen dringenden Wehrmachtsbedarf reserviert waren, für die Verlagerung des Ries’schen Beutegutes bereitstellten

e)     der Kläger sei als V-Mann der Gestapo vorgesehen gewesen

f)      genau wie in Trzebinia und in Lodz hätten auch in den anderen Konzernbetrieben vorwiegend jüdische, polnische und ukrainische Sklavenarbeiter gearbeitet, die von Geschäftsfreunden wie dem SS-Standartenführer Packebusch „beschafft“ worden seine, auch im Leipziger Stammwerk seien grösstenteils Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen,

g)     der Kläger habe in Trzebinia in einer vormals in jüdischem Besitz befindlichen Villa gewohnt und anlässlich des Rückzugs die gesamte Einrichtung, alles Wertvolle, vor allem aber die echten Möbel und Gemälde, das Tafelsilber, die Bett- und Tischwäsche, das Porzellan, natürlich alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen sei, auf Lastwagen geladen und mitgenommen.

2. Dem Beklagten wird für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die gegen ihn verhängten Unterlassungsgebote ein vom Gericht zu verhängendes Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,--, ersatzweise Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren oder Ordnungshaft bis zu 2 Jahren angedroht.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Widerklage wird abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3 zu tragen.

6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 100.000,-- und für den Beklagten in Höhe von DM 12.000,-- vorläufig vollstreckbar.

Streitwerte

a) für die Klage                 DM 300.00,--

b) für die Widerklage         DM 100.00,--

### Der Prozess Dr. Fritz Ries ./. Bernt Engelmann – Die Urteilsbegründung ###

Es erscheint an dieser Stelle wenig sinnstiftend, die 83 Seiten der Urteilsbegründung hier im Detail darzulegen. Aber zu Beginn des Jahres 2008 wurden die Prozessakten (es gibt noch zwei weitere wg. einstweiliger Verfügung) vom Landgericht Stuttgart an das Staatsarchiv Ludwigsburg übergeben. So kann jeder am Fall Interessierte sich informieren – beispielsweise vor Ort im Lesesaal, kostenfrei! Leider sind von den Prozessen nicht mehr die kompletten Akten vorhanden, sondern nur noch die sogenannten vollstreckbaren Titel, d.h. im wesentlichen: die Urteile mit Begründung. Sperrfristen für die (Reste der) Akten bestehen nicht mehr, da die Urteile vor über 30 Jahren ergingen und die handelnden Personen (Dr. Fritz Ries und Bernt Engelmann) vor mehr als 10 Jahren verstorben sind.

Wesentlich ist aber, dass der Kläger Dr. Fritz Ries in erster Linie ein Gesamtverbot des beanstandeten Buches, hilfsweise das Verbot zweier in ihm enthaltener Kapitel und äusserst hilfweise Unterlassung der Bezeichnung des Buches als “Tatsachenroman” anstrebte. Daneben verlangte er Unterlassung von insgesamt 16 Einzelbehauptungen sowie Zahlung eines “angemessenen” Schmerzengeldes. Die Klage war nur teilweise begründet, wie das Urteil ausweist. Und bei lediglich 7 Einzelbehauptungen folgte ihm das Gericht, wie dem Urteil (s.o.) zu entnehmen ist. Bernt Engelmann wurde demnach gerichtlich verurteilt, es zu unerlassen, diese Behauptungen aufzustellen oder zu verbreiten oder verbreiten zu lassen.

Anders verhält es sich bei den restlichen 9 Einzelbehauptungen. Bei diesen sah das Gericht den Unterlassungsantrag seitens Dr. Fritz Ries als nicht begründet an. Und bei diesen 9 Einzelbehauptungen handelt es sich im Wortlaut um die folgenden:

1.      der Kläger habe in eine begüterte Familie "eingeheiratet" und vermocht, seinen Schwiegervater zu einer namhaften Beteiligung an der Firma Flügel & Polter zu ermuntern.

2.      Die Firma Flügel &  Polter habe Gummiartikel des hygienischen Bedarfs hergestellt.

3.      Der Kläger habe zuvor von ihm gewiss umschmeichelte jüdische Kunden brutal enteignet und dann beschimpft und verhöhnt.

4.      Jüdische Zwangsarbeiterinnen hätten in Unternehmen des Klägers täglich 14 Stunden arbeiten müssen.

5.      Der Kläger habe Besichtigungsreisen kreuz und quer durch die baltischen Provinzen durchgeführt nebst Besprechungen mit den örtlichen SS-, Polizei- und Propagandastellenleitern.

6.      Der Kläger habe die in Polen und der Sowjetunion erbeuteten Millionenwerte westwärts geschafft.

7.      Es deute alles darauf hin, dass der Kläger einen nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt habe bei den diversen Versuchen, Willy Brandt zu stürzen, und dass er und seine Freunde ihre Hände mit im Spiel hätten, wo es um die Bildung einer rechten ausserparlamentarischen Opposition gehe.

8.      Die Konzernzentrale der Firma Flügel & Polter sei nach Beginn der alliierten Luftangriffe weitgehend nach Trzebinia verlegt worden.

9.      Aus einem Schreiben der Konzernleitung ergebe sich deutlich, wie rücksichtslos die in Leipzig arbeitenden jungen Russinnen ausgebeutet worden seien, auch die übrigen Russinnen seien Arbeitsbedingungen ausgesetzt gewesen, die man, wie die Firmenleitung gefunden hahe, Deutschen nicht habe zumuten können.

Warum nun bei 7 Einzelbehautpungen wie im Urteil aufgeführt die 17. Kammer der Stuttgarter Landgerichtes den Unteralssungsantrag von Dr. Fritz Ries als begründet ansah, bei den vorstehenden 9 Einzelbehauptugen nicht, das erscheint bisweilen als juristische Erbsenzählerei und v.a. auch Auslegungsache, und Abwägungssache was Rechtsgüter wie z.B. Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Art. 5 Abs. 3 GG anbelangt. Und bei der Einzelbehauptung Nr. 7 handelte es sich an Ansicht der Kammer auch nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine (zulässige) Meinungsäußerung. Bei anderen Einzelbehauptungen wurde hingegen der Wahrheitsbeweis geführt, oder die Wahrheitsvermutung angenommen – in Abwägung der (Zeugen-)Beweise.

Für ein Gesamtverbot des Buches sah die Kammer jedenfalls keinen Raum:

“Eingebettet in eine beinahe kriminalistische Handlung wird der Kläger als junger, dynamischer Unternehmer geschildert, der in der Zeit des Dritten Reiches durch Übernahmen jüdischer Unternehmen eine steile Karriere machte, der insbesondere in Polen mit Hilfe von jüdischen und polnischen Arbeitskräften gearbeitet und dabei erhebliche Vermögenswerte erworben und bei Kriegsende nach Westen geschafft hat. Wie [...] im einzelnen dargelegt wurde, ist diese Schilderung im Kern, wenn man von einigen Ungenauigkeiten, Überzeichnungen und Falschinterperetationen vorhandener Unterlagen durch den Beklagten absieht, wahr.”

Literatur

Indymedia, 31.07.2007: Dr. Fritz Ries – Anmerkungen zum 30. Todestag

Indymedia, 08.06.2008: Wikipedia – jetzt arisch! (Dr. Fritz Ries)

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Ergänzungen