Kurzer "Hirschgarten"-Prozess in Berlin

"Ich habe keinen Antrag gehört." 12.05.2008 16:01 Themen: Repression
„Ich habe keinen Antrag gehört.“ (Amtsrichterin Wermter)

Am Freitag, 9. Mai 2008, begann im Amtsgericht Tiergarten (AG Tiergarten, Berlin) ein Gerichtsverfahren gegen drei politische Aktivisten. Ihnen wird vorgeworfen, Hausfriedensbruch auf dem Gelände der ehemaligen Blindenschule am S-Bhf Hirschgarten begangen zu haben. Zudem wird einem der Angeklagten angelastet, mit einem angeblich gezielten Schlag gegen einen der eingesetzten Beamten, dessen Taschenlampe aus der Hand geschlagen zu haben – der Tatvorwurf des Hausfriedensbruchs mutierte dem entsprechend zu versuchter Körperverletzung.
Im Vorfeld wurde in einer Pressemitteilung angekündigt, dass der Prozess offensiv geführt werden und genutzt werden soll, um die Ungleichbehandlung von „normalen“ Angeklagten und PolizistInnen – egal ob als Zeugen oder Angeklagte – aufzuzeigen. Das „Offensive“ konnten die ersten Minuten des Verfahrens jedoch nur andeuten; dann war es schon vorbei: Nach einer Viertelstunde setzte die zunächst selbstgefällig, dann zunehmend autoritär auftretende Richterin Wermter das Verfahren aus. Ein Bericht über einen überraschend „kurzen Prozess“.

Der Grund des Verfahrens

Am Abend des 5. Januar 2007 werden vier Personen auf einem Fußweg, der vom S-Bhf Hirschgarten übergangslos auf das Gelände einer ehemaligen Blindenschule führt, von zwei Polizisten kontrolliert. Weil die Aufforderung, sich auszuweisen, mit kritischen Nachfragen beantwortet wird – etwas, dass vielleicht viel zu selten passiert –, werden die Beamten ungehalten. Als sie zu zweit ihre grellen Taschenlampen auf aggressive Weise mehr oder minder in das Gesicht einer Person schieben, kommt es zu einer Rangelei. Die Taschenlampe fällt zu Boden. Die Situation beruhigt sich wieder. Verstärkung wird angefordert. Die vier AktivistInnen zeigen den Beamten den Weg, der auf das Gelände führt, ohne dass Anzeichen dafür erkennbar sind, dass der öffentliche Sektor verlassen wird. Die zahlreich eintreffende Polizeiverstärkung nimmt diese Stelle genau in Augenschein. Die AktivistInnen geben ihre Personalien ab und können gehen.

Es folgt ein Strafbefehl vom 24. Mai 2007, in dem allen Hausfriedensbruch und einer Person zusätzlich Sachbeschädigung, Widerstand und versuchte Körperverletzung vorgeworfen wird. Alle Beteiligten legen Widerspruch ein –aus ungeklärten Gründen nimmt das Amtsgericht Tiergarten den Widerspruch einer Person aber nicht an. So dürfen sich nur drei auf die Anklagebank „freuen“.


Der Prozesstag

Die Vorphase: Akteneinsicht

Nachdem ein Angeklagter schon am Donnerstag – 8. Mai 2007 – die Geschäftstelle des AG Tiergarten besucht und keine Akteneinsicht erhält – es heißt, die Richterin hätte sich die Akte mitgenommen –, können die Angeklagten immerhin, direkt vor dem Prozess, unter Beobachtung durch Justizwachtmeister nachschlagen, womit die Akte zum Verfahren gefüllt wurde. Da schon am Vortag vermittelt wurde, dass keine Kopien gemacht werden könnten (ein an sich fragwürdiger Vorgang, weil unverteidigte Angeklagte nach § 147, Abs. 7 StPO ein Recht auf Akteneinsicht haben, das dem von AnwältInnen gleichgestellt ist– und die dürfen sich immer Kopien anfertigen), werden die spannendsten Stellen einfach fotografiert.


Das Verfahren beginnt ... und endet schnell

Nach Eintritt in den Gerichtsaal fordert die Richterin die Angeklagten auf, sich Stühle zu nehmen und sich in einer festgelegten Reihenfolge hintereinander zu setzen. Das sorgt für erstes Gelächter – die so entstehende Sitzanordnung erinnert etwas an ein Eisenbahn-Spielchen. Einer der Angeklagten meldet sich, wird von der Richterin Wermter – sie wirkt an dieser Stelle bereits genervt – trotz Protest übergangen.

Nach der Personalienabfrage versucht es der Angeklagte erneut und erkundigt sich danach, wieso mit der Hauptverhandlung begonnen wird, während sein Antrag auf Pflichtverteidigung, den das Amtsgericht abgelehnt hatte, noch beim Landgericht liegt. Wermter gibt dazu flappsig zurück, dass sie „das machen könne“. „Na gut“, erklärt der Angeklagte und formuliert mündlich den Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen, bis eine Entscheidung des Landgerichts vorliegt. Und setzt dann hinzu: „Begründen muss ich das wohl nicht.“

Die Richterin bittet den Staatsanwalt um Stellungnahme. Dieser sagt, dass er den Antrag formal ablehnt. Daraufhin sagt Richterin Wermter unvermittelt zum Antragssteller: „Und weiter.“ Der angesprochene Angeklagte reagiert mit der Aussage, dass er von ihr hören wolle, was sie zu seinem Antrag zu sagen habe. Dann liefert die Amtsrichterin das Zitat des Tages: „Ich habe keinen Antrag gehört.“ Ein anderer Angeklagter schaltet sich ein und weist darauf hin, dass der Mitangeklagte völlig eindeutig einen Antrag formuliert habe. Richterin Wermter blickt zum Staatsanwalt. Auch er bestätigte diesen Eindruck. „Okay, dann machen wir jetzt eine Pause und sie gehen alle raus“, kapituliert die Amtsrichterin vor der peinlichen Lage.

Zehn Minuten Pause, vielleicht auch weniger. Zurück in den Saal. Richterin Wermter verkündet, dass dem Antrag stattgegeben und die Hauptverhandlung ausgesetzt sei. Viele schmunzelnde, freudige Gesichter und lachende Angeklagte – und ein erster Erfolg der offensiven Prozessstrategie.

Ob das Verfahren weitergeht oder ob sich Richterin Wermter mit einer Einstellung vor weiteren für sie peinlichen Sitzungen rettet – das ist offen ... mensch darf gespannt sein. Schließlich hatten und haben die Angeklagten vor, mit genauen Nachfragen und Anträgen die Aussagen der Polizisten als Lügen und Schutzbehauptungen für eigenes Fehlverhalten zu entlarven.

Fazit: Ein lustiger Prozesstag, der – so mein Eindruck – bei vielen Beteiligten gute Laune hinterlassen hat und deutlich macht, dass es Sinn machen kann, sich gut vorzubereiten. Dass es sich „auszahlt“, vor der faktischen Macht des Gerichts nicht zu kapitulieren.


Hintergrund

In einer Pressemitteilung, die in den Tagen vor dem Verfahren an Berliner Medien versandt wurde, heißt es zu den politischen Zielen, die mit dem Prozess verbunden werden:

„Es ist das Übliche: Polizeibeamte kontrollieren Ausweise oder verhaften Menschen, verweisen sie des Platzes oder erteilen Auflagen, bedrängen DemonstrantInnen oder durchsuchen Gepäck, Kleidung oder Wohnungen. Es wird gestritten, die Beamten werden ruppiger, mitunter gewalttätig. Das Ergebnis ist eine Anzeige gegen die Opfer der Polizeimaßnahme. Widerstand gegen die Staatsgewalt, mitunter auch in Tateinheit mit Beleidigung oder Körperverletzung. Die Gegenanzeige gegen die uniformierten Täter verläuft im Sande, oft werden gar keine Ermittlungen aufgenommen. Nach diesem Muster werden jährlich Tausende von Menschen verurteilt, während Polizeibeamte keinerlei Strafverfolgung fürchten müssen.

Zwischen 1995 und 2004 wurden in Berlin 98,3 Prozent aller Körperverletzungsanzeigen gegen Polizisten ohne Verurteilung abgeschlossen. In 1,3 Prozent aller Fälle kam es zu einer Anklage, in 0,4 zu einer Verurteilung. Für Berlin gilt also, daß die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, daß ein gewalttätiger Polizist juristische Konsequenzen fürchten muß. Solche Beamten können sich auch vor disziplinarischer Verfolgung relativ sicher fühlen: 1999 z.B. gab es in Berlin 967 einschlägige Anzeigen – aber nur 26 Disziplinarverfahren (Quelle: Junge Welt vom 19.01.2006, „Schläger mit Staatslizenz“).“


Wie weiter?

Sollte der Prozess in den nächsten Wochen fortgesetzt werden, wird der neue Termin hier als Ergänzung zu finden sein.


Internet


Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Mehrere Brände an Fahrzeugen, Baucontainern

Berichterstatter 12.05.2008 - 22:52
# 1396

Anwohner alarmierten gestern früh in Neukölln die Feuerwehr zu drei brennenden Containern und zwei Fahrzeugen. Unbekannte Täter hatten gegen 7 Uhr 30 zwei Bauschuttcontainer in der Bouchéstraße und einen Sperrmüllcontainer in der Harzer Straße angezündet. Die Feuerwehr konnte die Flammen löschen, die Container wurden leicht beschädigt. Etwa eine Viertelstunde später hat ein unbekannter Mann einen „Audi A 4“ an der Kreuzung Weigandufer Ecke Innstraße angezündet, kurz darauf brannte ein weiteres Fahrzeug am Weigandufer. Die Feuerwehr löschte auch hier. Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, hat der Polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt die Ermittlungen übernommen.

Weitere Anschläge

Käpt´n Hook 12.05.2008 - 22:55
Eingabe: 12.05.2008 - 11:10 Uhr
Farbschmiererei
Lichtenberg
# 1388

Unbekannte haben in Hohenschönhausen eine Gedenktafel beschmiert. Mitarbeiter der Gedenkstätte in der Genselerstraße entdeckten gestern Vormittag gegen 11 Uhr die mit schwarzer Farbe und einem „Antifa“-Zeichen verunzierte Tafel. Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, hat der polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt die Ermittlungen übernommen.


Eingabe: 12.05.2008 - 11:05 Uhr
Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen beworfen
Friedrichshain-Kreuzberg
# 1387

Etwa hundert Personen randalierten heute früh im Kreuzberger Viktoriapark. Die Menge hatte sich gegen 1 Uhr 20 dort versammelt und fiel durch ihr aggressives Verhalten auf, außerdem wurden Flaschen geworfen. Beamte einer Direktionshundertschaft forderten die Gruppe auf, sich aufzulösen. Als die Polizisten damit begannen, die Ansammlung in Richtung Kreuzbergstraße abzudrängen, wurden ihre Fahrzeuge aus der Menge heraus vereinzelt mit Steinen und Flaschen beworfen. Verletzt wurde niemand. Die Beamten leiteten ein Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs ein.


Eingabe: 11.05.2008 - 13:30 Uhr
Autos und Müllcontainer angezündet
Neukölln
# 1386

Unbekannte Täter setzten heute früh in Neukölln zwei Autos und drei Müllcontainer in Brand. Zunächst wurden Polizei und Feuerwehr gegen 8 Uhr zu den drei Containern in die Bouchéstraße alarmiert. Während der Anfahrt bemerkte die Besatzung eines Einsatzwagens am Weigandufer Ecke Innstraße einen brennenden „Audi“ und löschte selbst die Flammen. Kurz darauf brannte zwei Kreuzungen entfernt an der Roseggerstraße ein „Daimler Benz“. Der Polizeiliche Staatsschutz prüft, ob eine politische Motivation für die Taten vorliegt.


Eingabe: 08.05.2008 - 09:35 Uhr
Autos angezündet
Mitte
# 1343

Unbekannte Täter haben heute früh vier Autos in Mitte angezündet. Ein Passant bemerkte gegen 1 Uhr 30 in der Berolinastraße die brennenden Fahrzeuge des Ordnungsamtes Mitte und alarmierte die Feuerwehr, die die Brände löschte. Der Polizeiliche Staatsschutz hat die weiteren Ermittlungen übernommen.

"Kamera-Arschloch"-Prozesstheater, 26.05.2008

Terminator 13.05.2008 - 01:41


"Kamera-Arschloch"-Prozesstheater, 26.05.2008 (Berlin)



Ein Gerichtsroman in Fortsetzung.

- Vorspiel -

historischer Kontext:

Im Sommer 2005 initiierten mehrere studentische Organisationen ein
Vernetzungs-Camp mit dem Namen "Summercamp of Resistance" in
Berlin-Heiligensee , dieses wurde am Morgen des 26. August von mehreren
Dutzend Pozilisten umstellt und durchsucht. Reagiert wurde am Abend mit
einer spontanen Antirepressionsdemo unter dem Motto "Kriminalisiert euch
doch selber". Die Teilnehmerinnen liessen sich in Folge nicht von den
Übergriffen der Polizei entmutigen ...

Am Folgetag (27.8.2005) fand daher die Abschlußdemonstration des Camps
unter dem Motto "Das Leben ist kein Ponyhof" wie geplant statt. Reagiert
wurde mit diesem Motto auf die damalige Bezirksbürgermeisterin von
Friedrichshain-Kreuzberg Cornelia Reinauer (PDS), welche das Camp auf
einen Ponyhof in Kreuzberg verfrachten wollte.

Auf dieser Demo soll nun ein als Pony verkleideter Aktivist einen als Baum
verkleideten Statisten der 13. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin mit
den Worten "Kamera-Arschloch" beleidigt haben.

- Akt I -

Im ersten Akt wurde der Aktivist richterlich verurteilt, dafür reichten
als Beweismittel ein Videoband, daß während der vermeintlichen
Beleidigungsszene den Angeklagten nicht zeigt, und ein Polizeibeamter der
den Aktivisten bei der Beleidigung >noch>> Montag, 26.05.2008 , 09.45 Uhr
>>> Ort: Landgericht, Turmstr. 91 (Moabit), Raum 704.
>>> Aktenzeichen: 273 Cs 61/06.


Infos vom Akt II dem letzten Prozesstermin:

indymedia, Berlin, 19.03.07:
### "Kamera! Arschloch!"-Prozess ###

 http://de.indymedia.org/2007/03/171351.shtml

"Kamera-Arschloch"-Prozesstheater, 26.05.2008

Korrektur 13.05.2008 - 01:57
"Kamera-Arschloch"-Prozesstheater, 26.05.2008 (Berlin)

#Ein Gerichtsroman in Fortsetzung#

- Vorspiel -

Im Sommer 2005 initiierten mehrere studentische Organisationen ein
Vernetzungs-Camp mit dem Namen "Summercamp of Resistance" in
Berlin-Heiligensee , dieses wurde am Morgen des 26. August von mehreren
Dutzend Pozilisten umstellt und durchsucht. Reagiert wurde am Abend mit
einer spontanen Antirepressionsdemo unter dem Motto "Kriminalisiert euch
doch selber". Die Teilnehmerinnen liessen sich in Folge nicht von den
Übergriffen der Polizei entmutigen ...

Am Folgetag (27.8.2005) fand daher die Abschlußdemonstration des Camps
unter dem Motto "Das Leben ist kein Ponyhof" wie geplant statt. Reagiert
wurde mit diesem Motto auf die damalige Bezirksbürgermeisterin von
Friedrichshain-Kreuzberg Cornelia Reinauer (PDS), welche das Camp auf
einen Ponyhof in Kreuzberg verfrachten wollte.

Auf dieser Demo soll nun ein als Pony verkleideter Aktivist einen als Baum
verkleideten Statisten der 13. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin mit
den Worten "Kamera-Arschloch" beleidigt haben.

- Akt I -

Im ersten Akt wurde der Aktivist richterlich verurteilt, dafür reichten
als Beweismittel ein Videoband, daß während der vermeintlichen
Beleidigungsszene den Angeklagten nicht zeigt, und ein Polizeibeamter der
den Aktivisten bei der Beleidigung >noch< nicht gesehen hatte, zu dem auch
etwas anderes hörte: "Kameramann-Arschloch".

- Akt II -

Im zweiten Akt sollte der Angeklagte sich eigentlich von einem Arzt des
Maßregelvollzugs untersuchen lassen, es passierte ein Jahr lang nichts.

- Akt III -

Gegenwart:

Nun ist die Rolle des Richters im Schauspiel neu besetzt. Das Drehbuch
wurde überarbeitet. Kommt zur Premiere. Erscheint in kameratauglicher
Kleidung. Achtet auf die Eingangskontrollen. Der Eintritt ist frei!

- Kulisse -

### Montag, 26.05.2008 , 09.45 Uhr
### Ort: Landgericht, Turmstr. 91 (Moabit), Raum 704.
### Aktenzeichen: 273 Cs 61/06.


Infos vom Akt II dem letzten Prozesstermin:

indymedia, Berlin, 19.03.07:
### "Kamera! Arschloch!"-Prozess ###

 http://de.indymedia.org/2007/03/171351.shtml

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an