Zur aktuellen Situation in Remscheid

kmii 06.11.2007 00:12 Themen: Antirassismus Repression
Am 24. Oktober führte die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Ausländerbehörde eine Großrazzia in ein Flüchtlingsunterkunft in Remscheid durch.
Am Samstag, 3. November 2007 wurden Remscheider_innen, die Anwohner_innen und Nachbarn der Flüchtlingsunterkunft über den Großeinsatz der Polizei informiert. Zahlreiche Flüchtlinge und ihren Freunde informierten und verteilten Flugblätter und hielten Redebeiträge in der Remscheider Fußgängerzone.
Bei der Aktion zeigten sich zahlreiche Menschen, welche durch Redebeiträge und Flugblätter informiert wurden, von den Ereignissen betroffen und suchten die Diskussion. Einige junge Menschen wollten sich bei der Stadt und den Behörden erkundigen.

Außerdem wurde zur Demo am Donnerstag, den 8. November aufgerufen. Die Demo, welche um 14 Uhr am Remscheider Hauptbahnhof beginnt, wird an der Ausländerbehörde und am Sozialamt Halt machen, da diese Behörden durch ihre Schikanen das Leben der Flüchtlinge so schwer wie möglich machen: Eintägige Verlängerungen der Duldung, Lebensmittelgutscheine, tägliche Anwesenheitskontrollen im Heim, Erniedrigungen beim Amt und Provokationen, eingeschränkte medizinische Versorgung. Im Januar starb ein junger Flüchtling weil ihm der Krankenschein für ein Arztbesuch verweigert wurde.



Rückblick


Razzia als Konstrukt zur Kriminalisierung

Am Tag der Razzia teilte die Polizei der Presse mit, dass in der Unterkunft in großen Mengen Rauschgift gehandelt wird (laut Rheinische Post und Remscheider Generalanzeiger vom 25.10.2007, rp-online, Remscheider General Anzeiger). Nach der Durchsuchung der Zimmer führten sie vor den Augen der Presse drei Menschen aus dem Heim ab. Sie gaben an, zwei seien „illegalisiert“, haben also kein gültiges Papier, und der dritte sei polizeilich gesucht. Die Version der Polizei und der Staatsanwaltschaft muss richtiggestellt werden: Der polizeilich gesuchte Mann, den sie mit Pistolen an der Schläfe und an den Rippen vorbei an der Presse wegbrachten, wurde nach einige Stunden später freigelassen, weil er im Heim wohnhaft ist und nicht gesucht wird. Eine andere Person, angeblich ohne Papier wurde ebenfalls nach einigen Stunden freigelassen. Die konstruierte Version des Drogenumschlagplatzes, welche der Öffentlichkeit präsentiert wurde, entpuppte sich als Lüge. Die Polizei fand nur 0,2g Haschisch.

Der Polizeieinsatz und die anschließende Berichterstattung in der Presse dienten dazu, Antipathien gegen die Flüchtlinge zu schüren und diese noch weiter in der Stadt zu isolieren. Weiterhin wurden die Flüchtlinge eingeschüchtert und ihnen wieder einmal deutlich gemacht, dass sie nicht willkommen sind.


Flüchtling sein in Remscheid bedeutet Isolation, Abweisung und Ausbeutung

Das Leben der Flüchtlinge in Remscheid ist geprägt von täglichen Behördenschikanen und Abweisung. Sie leben teilweise jahrelang in ihrem Heim und verlassen die Zimmer nur, um ihre Aufenthaltspapiere zu verlängern oder beim Sozialamt ihre Gutscheine abzuholen. Sie dürfen nicht arbeiten. Sie bekommen wenn überhaupt die geringste medizinische Versorgung. Ein junger Flüchtling, Mohammad Selah, starb im Januar, weil das Sozialamt ihm keinen Krankenschein für den Besuch in einem Krankenhaus ausstellte.

Um ihre Zeit sinnvoll zu gestalten, haben mehrere Flüchtlinge monatelang Praktika in Krankenhäuser und Altenheime geleitstet. Für diese Tätigkeiten wurden sie natürlich nicht entlohnt. Ein anderer Flüchtling, der unter den schwierigen Umständen im Heim malte und musizierte, trug zu verschiedenen Veranstaltungen der Stadt bei und gab Unterricht in den Schulen. Seit sein Freund Mohammad Selah gestorben ist, gibt er keine Konzerte mehr. Die Darstellung der Zeitungen über die Razzia hingegen malt das Bild der kriminellen Ausländer_innen und bedient alle rassistischen Vorurteile.


Morgendlicher Terror - Verlauf der Razzia

Bei der Razzia, die morgens um 5:40 Uhr durch die Stürmung der Zimmer eröffnet wurde, dauerte bis 11:00 Uhr. Bis 8:00 Uhr waren die Flüchtlinge gefesselt, durften weder zur Toilette gehen noch sich anziehen und wurden verbal erniedrigt. Ein Flüchtling wurde mit der Pistole bedroht. Obwohl er nackt war, durfte er sich nicht einmal eine Unterhose anziehen. Er wurde harsch gefragt, warum er nicht in seine Heimat gehe.

Die Flüchtlinge wurden aus dem Schlaf gerissen; einige spürten im Aufwachen die Füße der Polizisten, die auf ihren Nacken oder Rücken drückten. Die Beamten schrien: „Keine Bewegung!“. Durch den Überfall in den frühen Morgenstunden sind die meisten Flüchtlinge, die aufgrund der Erlebnisse in ihren Heimatländern traumatisiert sind, weiter verunsichert worden. Alle Türen wurden eingeschlagen und manche sind immer noch nicht repariert.

Einer der abgeführt wurde, war ein irakischer Flüchtling, der seit über 13 Jahren in Deutschland lebt, wurde mitgenommen, weil angeblich das Foto auf dem Pass ihm nicht ähnlich sei. Die anwesenden Beamt_inen der Ausländerbehörde behaupteten, ihn nicht identifizieren zu können, obwohl er ihnen sagte: „Sie kennen mich doch, ich komme doch mindestens einmal im Monat zu Ihnen in die Ausländerbehörde!“ Sie nahmen ihn trotzdem mit. Als sie ihn abführten, drückten sie ihm dabei die Waffe an den Kopf und an die Rippen. Wollten sie der Presse einen Erfolg präsentieren für die großangelegte Aktion? Nach einigen Stunden wurde er freigelassen.



Berichte der Flüchtlinge:


1.) Erfahrung eines schwer traumatisierten Flüchtlings aus einem Kriegsgebiet, das lange in seinem Herkunftsland gefangen war.

Um 5:40 haben die Polizisten die Türen eingeschlagen. Wir schliefen alle. Zuerst hörten wir einen Pfiff, danach schlugen sie alle Türen gleichzeitig ein. Die Leute, die schliefen, haben sie im Bett gefesselt, die anderen entweder im Stehen oder im Sitzen. Sie haben uns mit Kabelbindern gefesselt.Ich selbst hörte einen Krach und wachte dadurch auf. Ich saß im Bett und schaute auf die Tür, dann schlugen sie ein zweites mal zu und die Tür ging auf. Beim ersten Mal haben sie mit dem Rammeisen nur den Rahmen getroffen, von diesem Krach bin ich hochgeschreckt. Erst beim zweiten Mal konnten sie bei mir die Tür einschlagen. Sie stürmten rein und schrieen „Keine Bewegung!“. Sie fesselten mich und fingen mit der Durchsuchung an. Meine Knie zitterten. Ich musste ganze zwei Stunden stehen.Nach der ersten Durchsuchung des Zimmers, bei dem sie alles auseinander nahmen, sagten sie mir, es dauert noch einen Augenblick. Ich wollte von ihnen wissen, was los sei. Sie erwiderten: „Es ist eine generelle Kontrolle.“ Die Polizisten sagten mir: „Du hast einen Fernseher, eine Anlage, Handys, das ist alles sehr teuer!“ Ich bat sie, die Kabelbinder loszumachen, sie ignorierten meine Bitte. Sie fragten mich, warum ich kein Deutsch spreche. „Wie soll ich hier deutsch lernen?“, erwiderte ich, „Wollen Sie mein Lehrer sein?“ Sie sagten: „In Deutschland musst du Deutsch reden!“Nachdem die Beamten aus meinem Zimmer rausgingen, kam eine andere Gruppe zivilgekleideter Männer rein. Sie fragten nach meinem Namen. Ich antwortete. Einer der Männer öffnete seine Mappe, überprüfte in seine Akte irgendetwas und sagte zu den anderen: „Ja, das ist er.“ Sie nahmen meine beiden Handys und kontrollierten die Nummer. Die zivilgekleideten gingen raus und dann kamen andere rein. Sie waren von der Ausländerbehörde und prüften nur alle meine Papiere und Dokumente. Sie sagten mir, ich soll in einen der Nachbarräume gehen. Ein Polizist ging mit einem Hund in mein Zimmer und durchsuchte es. Nachdem sie fertig waren, haben sie den Polizisten gesagt, sie sollen die Kabelbinder losschneiden.Es war um 8:00Uhr. Wir alle trafen uns auf den Fluren und sprachen miteinander. Die Polizisten durchkämmten den umliegenden Wald mit Hunden. Der Einsatz dauerte bis 11:00Uhr. Während der ganzen Zeit durfte keiner von uns auf Toilette gehen.Nachdem sie das Heim verließen, konnte ich das Zimmer nicht verlassen, weil meine Tür eingeschlagen war. Ich wartete, bis der Hausmeister meine Tür reparierte. Die Polizisten, die mein Zimmer durchsuchten, waren relativ höflich. In anderen Räumen haben sie trotz der Anwesenheit der Bewohner die Sachen durch die Gegen geschleudert und auf den Boden geschmissen. Nachbarn, die nur in Unterhosen waren, durften ihre Sachen nicht anziehen. Einen Nachbarn, der krank ist, haben sie zu Boden gestoßen. Sie haben sogar die Tür von Mohammad Selah eingetreten, obwohl er bereits im Januar gestorben ist. Ich träume nachts von ihnen. Wenn sie so etwas noch mal machen, werde ich im Traum anders mit ihnen umgehen.


2.) Erfahrungen eines zweiten Flüchtlings

Durch den lauten Krach wachte ich auf. Zuerst dachte ich, ich träume. Ein Polizist drückte auf meinen Rücken, ein anderer auf meine Beine. Bis 8:00 Uhr war ich im Zimmer gefesselt. Ich hatte eine Unterhose an und durfte mir nichts anziehen. Ich dachte zuerst, weil ich aus Afghanistan komme, denken sie, ich sei ein Terrorist. Dann sagte ich mir: „Nein, das kann nicht sein. Ist es etwa die Abschiebung?“Die ganze Zeit hielten mich zwei Personen fest, während zwei Personen mein Zimmer untersuchten. Sie nahmen ein Buch von mir mit. Sie fragten, was es sei. Ich sagte ihnen, es ist ein Buch über die afghanische Geschichte in Farsi. Ich kriegte das Buch nach einem Tag wieder. Sie fragten mich: „Wie geht es Bin Laden?“ Ich antwortete ihnen: „Ich sehe ihn ab und zu im Fernsehen. Wie es ihm geht, kann ich nicht sagen, ich bin seit acht Jahren hier.“

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Ergänzungen

Faxkampagne gegen Polizeirazzia

mitmacher 06.11.2007 - 08:22
Am 24. Oktober führte die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Ausländerbehörde eine Großrazzia in einer Flüchtlingsunterkunft in Remscheid mit ca. 200 Beamten durch. Die Razzia, die morgens um 5:40 durch die Stürmung der Zimmer eröffnet wurde, dauerte bis 11:00Uhr. Bis 8:00 Uhr waren die Flüchtlinge gefesselt, durften weder zur Toilette gehen noch sich anziehen und wurden verbal erniedrigt. Ein Flüchtling wurde mit der Pistole bedroht. Obwohl er nackt war, durfte er sich nicht einmal eine Unterhose anziehen. Er wurde harsch gefragt, warum er nicht in seine Heimat gehe. Als Anlass diente der Vorwurf es handele sich um einen Drogenumschlagplatz, gefunden wurden in der ganzen Unterkunft 0,2 Gramm Haschisch. Die Karawane Wuppertal ist im Moment dabei gegen dieses Unrecht anzukämpfen.

mehr Infos: www.thecaravan.org

zeigen wir Solidarität mit unseren GenossInnen in Remscheid, beteiligen wir uns an der BriefFaxEmail-Kampagne!

# # # Musterbrief/-fax/-email an die Behörden# # #
Amtsgericht Remscheid, Alleestr.119, 42853 Remscheid
Telefon: (021 91)796-0
Telefax: (021 91)796-510
E-Mail:  poststelle@ag-remscheid.nrw.de
Staatsanwaltschaft Wuppertal
Hofaue 23, 42103 Wuppertal
Telefon: 0202 5748-0
Telefax: 0202 5748-502
E-Mail:  poststelle@sta-wuppertal.nrw.de
Ausländeramt Remscheid:
E-Mail:  auslaenderamt@str.de oder
Fax: (0 21 91) 16 - 32 32


Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Erschrecken habe ich von dem Vorgehen der Polizei Remscheid und Wuppertal, der Wuppertaler Staatsanwaltschaft sowie der Ausländerbehörde Remscheid am Mittwoch, 24. Oktober 2007 in einem Remscheider Flüchtlingsheim erfahren.

Ich möchte mit diesem Schreiben meinen Unmut über solch inakzeptables und menschenverachtendes Verhalten der Polizei zum Ausdruck bringen. Ein Generalverdacht und die Kriminalisierung einer Gruppe Menschen, die selbst traumatisiert aus ihrem Heimatland geflüchtet sind, ist ein Armutszeugnis für dieses Land.

Es wurden lediglich Vorurteile bedient, die Situation der Flüchtlinge verschlimmert, Traumata wieder aufleben gelassen und die örtliche Presse zu einem Vorführtermin eingeladen. Der vollkommen ergebnislose Ausgang der Polizeiaktion zeigt die Haltlosigkeit der Vorwürfe. Solche menschenverachtenden Aktionen nähren den Boden für Rassismus und verhindern das Zusammenleben.

Ich fordere Sie auf, die Ermittlungen gegen alle Heimbewohner einzustellen, in der Presse für die Richtigstellung der Vorgänge zu sorgen und von weiteren, unangemessenen und kriminalisierenden Einsätzen abzusehen.

Name und Vorname, Absender
Datum