Schock-Strategie? Naomi Klein in Berlin
Desaster-Kollektivismus statt Katastrophenkapitalismus.
Am vergangenen Mittwoch, den 17.10., fand im Berliner Festsaal Kreuzberg eine Veranstaltung unter dem Titel „Aufstieg des Katastrophenkapitalismus?“ mit Naomi Klein statt. Der Einladung der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) waren annähernd 400 Personen gefolgt und hörten der Vorstellung der Thesen aus Kleins neuem Buch zu, um im Anschluss an der lebhaften Diskussion teilzunehmen.
Am vergangenen Mittwoch, den 17.10., fand im Berliner Festsaal Kreuzberg eine Veranstaltung unter dem Titel „Aufstieg des Katastrophenkapitalismus?“ mit Naomi Klein statt. Der Einladung der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) waren annähernd 400 Personen gefolgt und hörten der Vorstellung der Thesen aus Kleins neuem Buch zu, um im Anschluss an der lebhaften Diskussion teilzunehmen.
Die Autorin des globalisierungskritischen Bestsellers „No Logo“ war bereits am Montag für die Präsentation ihres neuen Buches „Die Schock-Strategie“ nach Berlin gekommen und hatte es im Kulturkaufhaus „Dussmann“ in der Friedrichstraße vorgestellt. Nicht nur der Charakter dieser Lesung in förmlichem Ambiente, ohne Möglichkeit für Publikumsfragen, sondern auch der Ort der Vorstellung selber, stieß auf Widerspruch bei Naomi Klein. Vor versammelter Presseöffentlichkeit und in Anwesenheit des Geschäftsinhabers kritisierte sie das Unternehmen, das als Vorreiter in Sachen Neoliberalismus und Deregulierung bekannt ist, für die Geschäfte im Abschiebelager in der Spandauer Motardstraße, wo Dussmann ungenießbare Essensrationen an Flüchtlinge herausgibt und so seine Profitraten steigert. Nähere Informationen über die Essenspakete lassen sich in der Broschüre des Berliner Bündnisses gegen Lager (ab Seite 29) nachlesen.
Vor einem komplett anderen Hintergrund vollzog sich der Mittwochabend im Kreuzberger Festsaal. Trotz einer sehr kurzfristigen Zusage und nur drei Tagen Mobilisierungszeit fanden sich fast 400 Leute im den überfüllten Räumlichkeiten ein, wo der Abend zunächst mit einem Kurzfilm, der auf Naomi Kleins Website anzusehen ist, begann. Dem Trailer, der sich dem Zusammenhang von physischer Folter und neoliberaler Umstrukturierung widmete, folgte ein etwa 30minütiger Vortrag, der vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurde. Dort führte Klein ihre These von der so genannten „Schock-Strategie“ aus, einer Herrschaftstechnik, bei der die Orientierungslosigkeit und Verwirrung der Bevölkerung nach Krisen wie Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder Kriegen genutzt wird, um einschneidende und unbeliebte politische und ökonomische Reformen durchzusetzen. Wie bei physischer Folter, die das Ziel habe Individuen zu isolieren und sie so in den Zustand der Hilf- und Sprachlosigkeit zu versetzen, würden neoliberale Unstrukturierungen im Zuge von Krisen dazu genutzt, Geschichte umzudeuten und kollektive Erzählungen und Deutungsmuster zu zerstören. Die gezielte Aufrechterhaltung von Angst und Verwirrung nach Krisen wie dem 11. 09. oder dem Tsunami 2004, durch radikale Rhetorik und die Schaffung von wirkmächtigen stereotypen Feindbildern, versetze ganze Gesellschaften in eine Art Schockzustand, der die Verteidigung kollektiver Interessen und Errungenschaften wesentlich erschwere. Im so entstehenden Vakuum, sei es für die Strategen neoliberaler „Think-Tanks“ sehr viel einfacher, unpopuläre Veränderungen durchzusetzen, Privatisierungen voranzutreiben und den „Sozialstaat“ - ohne die Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung durch die Bevölkerungen - auszuhöhlen. Als Beispiele nannte Klein die Privatisierung des Krieges durch den Einsatz von Söldnerunternehmen nach dem 11. September oder die Versteigerung und Privatisierung vormals öffentlich zugänglicher Strände in Südostasien nach dem Tsunami.
Dem Vortrag von Naomi Klein folgten einige Nachfragen des Moderators von FelS, die sich sowohl auf die Thesen des Vortrages als auch auf die Inhalte des Buches bezogen. Eingangs, und vom Publikum mit Applaus aufgenommen, stellte er die Frage, ob nicht alle Formen von Kapitalismus, nicht nur der von Klein beschriebene „Neoliberalismus “, bereits der Anlage nach strukturell „gewalttätig“ seien. Kapitalistische Vergesellschaftung zwinge nicht erst in den, in ihrem Buch untersuchten, letzten 50 Jahren zu Selbstverwertung und abhängiger Arbeit, sondern letzteres gelte auch für den von Klein sehr positiv erwähnten Keynesianismus. Entlang dieser Frage entspann sich ein recht interessanter Vortrag, der auch später in den Publikumsfragen noch einmal aufgenommen wurde. Naomi Klein stimmte dem Statement des Moderators tendenziell zu, plädierte jedoch dafür, sich sowohl historische als auch aktuelle Formen von „Mischökonomie“ näher anzusehen und die emanzipatorischen Ansätze nicht gänzlich zu verwerfen, nur weil sie keine „reine“ Form kommunistischer Vergesellschaftung seien.
Im Verlauf des Abends kam die Rede außerdem auf die Frage nach den Verantwortlichen für das von Klein beschriebene neoliberale „Shock-Treatment“, die Klein mit einer klaren Distanzierung von verschwörungstheoretischen Ansätzen beantwortete. Das beispielhafte Nennen der Namen bestimmter Chefideologen wie Milton Friedman und die so genannten Chicago Boys oder politisch involvierter Akteure und Institutionen, sei gerade der Versuch nicht so zu tun als ob alles ganz geheim von Strippenziehern gelenkt werde. Es sei absolut ausreichend sich auf das deutlich Sichtbare und auf zugängliche Informationen zu stützen und genau das habe Sie mit ihrem Buch versucht.
Information ist, das zeigt schon der auf dem untenstehenden Plakat abgebildete Leitspruch aus dem Kurzfilm, ein wichtiges Gegengewicht zu der Verunsicherung, die nach Schockmomenten herrscht. „Information is Shock Resistance. Arm yourself.“ lautet Kleins Maßgabe, die eine Perspektive auf Widerstandsformen gegen den neoliberalen Kapitalismus eröffnet. Auf die Nachfrage wie sich die Gegeninformation konkret in Widerstand umwandelt, antwortete sie, dass einerseits schon das Wissen um die Strategien der Herrschenden helfen kann, sich gegen diese zu immunisieren und dass andererseits gegen die individuelle Verunsicherung eine gemeinschaftliche Antwort nötig ist. „Wir müssen dem Desaster-Kapitalismus einen Desaster-Kollektivismus entgegensetzen!“ bilanzierte sie und das konnten in dieser Allgemeinheit sicherlich alle der Anwesenden unterschreiben.
Die insgesamt sehr ausführlichen Antworten Naomi Kleins, auch in Hinblick auf die zahlreichen später gestellten Publikumsfragen, führten dazu, dass die Veranstaltung, die für 19.30 Uhr angesetzt worden war, erst gegen 23 Uhr zu Ende war. Für alle, die nicht zur Veranstaltung kommen konnten, wird in Kürze auch die Aufzeichnung, die mikro.fm live während der Veranstaltung grestreamt hat, zum Anhören und Herunterladen erhältlich sein.
(Fotos: Medienparker)
Vor einem komplett anderen Hintergrund vollzog sich der Mittwochabend im Kreuzberger Festsaal. Trotz einer sehr kurzfristigen Zusage und nur drei Tagen Mobilisierungszeit fanden sich fast 400 Leute im den überfüllten Räumlichkeiten ein, wo der Abend zunächst mit einem Kurzfilm, der auf Naomi Kleins Website anzusehen ist, begann. Dem Trailer, der sich dem Zusammenhang von physischer Folter und neoliberaler Umstrukturierung widmete, folgte ein etwa 30minütiger Vortrag, der vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurde. Dort führte Klein ihre These von der so genannten „Schock-Strategie“ aus, einer Herrschaftstechnik, bei der die Orientierungslosigkeit und Verwirrung der Bevölkerung nach Krisen wie Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder Kriegen genutzt wird, um einschneidende und unbeliebte politische und ökonomische Reformen durchzusetzen. Wie bei physischer Folter, die das Ziel habe Individuen zu isolieren und sie so in den Zustand der Hilf- und Sprachlosigkeit zu versetzen, würden neoliberale Unstrukturierungen im Zuge von Krisen dazu genutzt, Geschichte umzudeuten und kollektive Erzählungen und Deutungsmuster zu zerstören. Die gezielte Aufrechterhaltung von Angst und Verwirrung nach Krisen wie dem 11. 09. oder dem Tsunami 2004, durch radikale Rhetorik und die Schaffung von wirkmächtigen stereotypen Feindbildern, versetze ganze Gesellschaften in eine Art Schockzustand, der die Verteidigung kollektiver Interessen und Errungenschaften wesentlich erschwere. Im so entstehenden Vakuum, sei es für die Strategen neoliberaler „Think-Tanks“ sehr viel einfacher, unpopuläre Veränderungen durchzusetzen, Privatisierungen voranzutreiben und den „Sozialstaat“ - ohne die Möglichkeit demokratischer Mitbestimmung durch die Bevölkerungen - auszuhöhlen. Als Beispiele nannte Klein die Privatisierung des Krieges durch den Einsatz von Söldnerunternehmen nach dem 11. September oder die Versteigerung und Privatisierung vormals öffentlich zugänglicher Strände in Südostasien nach dem Tsunami.
Dem Vortrag von Naomi Klein folgten einige Nachfragen des Moderators von FelS, die sich sowohl auf die Thesen des Vortrages als auch auf die Inhalte des Buches bezogen. Eingangs, und vom Publikum mit Applaus aufgenommen, stellte er die Frage, ob nicht alle Formen von Kapitalismus, nicht nur der von Klein beschriebene „Neoliberalismus “, bereits der Anlage nach strukturell „gewalttätig“ seien. Kapitalistische Vergesellschaftung zwinge nicht erst in den, in ihrem Buch untersuchten, letzten 50 Jahren zu Selbstverwertung und abhängiger Arbeit, sondern letzteres gelte auch für den von Klein sehr positiv erwähnten Keynesianismus. Entlang dieser Frage entspann sich ein recht interessanter Vortrag, der auch später in den Publikumsfragen noch einmal aufgenommen wurde. Naomi Klein stimmte dem Statement des Moderators tendenziell zu, plädierte jedoch dafür, sich sowohl historische als auch aktuelle Formen von „Mischökonomie“ näher anzusehen und die emanzipatorischen Ansätze nicht gänzlich zu verwerfen, nur weil sie keine „reine“ Form kommunistischer Vergesellschaftung seien.
Im Verlauf des Abends kam die Rede außerdem auf die Frage nach den Verantwortlichen für das von Klein beschriebene neoliberale „Shock-Treatment“, die Klein mit einer klaren Distanzierung von verschwörungstheoretischen Ansätzen beantwortete. Das beispielhafte Nennen der Namen bestimmter Chefideologen wie Milton Friedman und die so genannten Chicago Boys oder politisch involvierter Akteure und Institutionen, sei gerade der Versuch nicht so zu tun als ob alles ganz geheim von Strippenziehern gelenkt werde. Es sei absolut ausreichend sich auf das deutlich Sichtbare und auf zugängliche Informationen zu stützen und genau das habe Sie mit ihrem Buch versucht.
Information ist, das zeigt schon der auf dem untenstehenden Plakat abgebildete Leitspruch aus dem Kurzfilm, ein wichtiges Gegengewicht zu der Verunsicherung, die nach Schockmomenten herrscht. „Information is Shock Resistance. Arm yourself.“ lautet Kleins Maßgabe, die eine Perspektive auf Widerstandsformen gegen den neoliberalen Kapitalismus eröffnet. Auf die Nachfrage wie sich die Gegeninformation konkret in Widerstand umwandelt, antwortete sie, dass einerseits schon das Wissen um die Strategien der Herrschenden helfen kann, sich gegen diese zu immunisieren und dass andererseits gegen die individuelle Verunsicherung eine gemeinschaftliche Antwort nötig ist. „Wir müssen dem Desaster-Kapitalismus einen Desaster-Kollektivismus entgegensetzen!“ bilanzierte sie und das konnten in dieser Allgemeinheit sicherlich alle der Anwesenden unterschreiben.
Die insgesamt sehr ausführlichen Antworten Naomi Kleins, auch in Hinblick auf die zahlreichen später gestellten Publikumsfragen, führten dazu, dass die Veranstaltung, die für 19.30 Uhr angesetzt worden war, erst gegen 23 Uhr zu Ende war. Für alle, die nicht zur Veranstaltung kommen konnten, wird in Kürze auch die Aufzeichnung, die mikro.fm live während der Veranstaltung grestreamt hat, zum Anhören und Herunterladen erhältlich sein.
(Fotos: Medienparker)
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(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
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Ergänzungen
ziemlich überzeugt
Wie finde ich den Mitschnitt?
Danke!
Mitschnitt
25min Video von der veranstaltung
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Globales Buch
Besser als Bertelsmann
@...
Ach ja, bevor sich jemand das etwas ältere "Über Zäune und Mauern" von Naomi Klein um 18.- Euro als Taschenbuch besorgt: hab bei www.anarchia-versand.net die Hardcover-Ausgabe um 8.- Euro gekauft ;-)
egal
Träumerei
@Dreamer
Miese Mehoden