Das Bethanien

Karin Baumert & Malah Helman 07.10.2007 14:50 Themen: Freiräume Kultur Repression Soziale Kämpfe
Ort des Widerstands und das wahre soziale Zentrum

Im Bethanien sang Rio Reiser "...das ist unser Haus". Ehemals ein Kranken-Haus, war es das erste, das 1971 in Berlin besetzt wurde. Es hat schon mehrere Privatisierungsversuche überstanden...
In Kreuzberg wurde durch die Hausbesetzungen und die Mischung aus Migrant_innen, Künstler_innen und finanzschwachen Anwohner_innen der soziale Wohnungsbau geboren. Dann fiel die Mauer und die einst so sozialen 68er wanderten mit ihren Sanierungsträger-Firmen nach Ostberlin. Immer noch das Rio-Reiser-Lied auf den Lippen, abends beim Wein, aber tagsüber dann der knallharte Geschäftsmensch oder als Realpolitiker_in den vermeintlichen Sachzwängen einer postfordistischen Gesellschaft folgend.

Nachdem die „Aufwertung“ der Innenstadt auch Kreuzberg erreichte, das alternative Wohnprojekt Yorck59 wegen exorbitanter Mietforderungen nicht mehr zahlen konnte und 2005 von der Polizei geräumt wurde, fanden die Yorckis im Bethanien ein neues Domizil im gerade aufgegebenen Sozialamt, das wegen HartzIV und der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitsamt überflüssig geworden war. Das Bethanien sollte privatisiert werden, weil es für den Bezirk zu teuer ist. Gegen die Privatisierung gründeten Anwohner_innen die Initiative Zukunft Bethanien (IZB). Gemeinsam machten NewYorck und IZB aus dem Südflügel einen Raum für emanzipatorische Kräfte und initiierten ein „Bürgerbegehren“, um die Leute im Kiez nach ihrer Meinung zu fragen. Die Mehrheit war gegen die Privatisierung. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) übernahm diesen Wunsch. Es wurde ein Runder Tisch eingerichtet - vom grünen Bürgermeister moderiert - der ein Konzept erarbeiten soll, um das Gebäude „kostenneutral“ öffentlich weiter zu bewirtschaften. Die IZB hat ein Konzept für ein offenes, künstlerisches, soziales und politisches Zentrum erstellt. Man erhofft sich neue Impulse und Synergien, denn einen solchen Ort gibt es bislang nirgendwo. Zunächst aber stellte sich die Frage, warum eigentlich das Bethanien so teuer ist. In detektivischer, ehrenamtlicher Kleinarbeit kam heraus, wie die hauptamtliche, staatliche Ebene - „unsere Volksvertreter“ - das öffentliche Eigentum zu privatisieren versuchen. Im Falle des Bethanien wird statt des Marktwerts der Wiederbeschaffungswert zugrundegelegt und anhand der Zinsen die Miete errechnet. 600.000 Euro im Jahr sind das für den Bezirk. Ein Privatisierungszwang, den der Senat den Bezirken auferlegt.

Inzwischen gibt es 40 Projekte im Südflügel, die politische und soziale Arbeit leisten, für die der Staat keine Finanzierung mehr hat oder nie hatte. So arbeitet im Südflügel z.B. die Antirassistische Initiative, die Kampagne gegen Zwangsumzüge, die Initiative Mediaspree Versenken, zeitweilig das G8-Büro. Hier kann Jede_r sich selbst organisieren oder einfach nur informieren (monatlich gibt es ein Programm aus Solipartys, Infoveranstaltungen, Filmabenden u.v.m.), Unterstützung in sozialen Problemlagen bekommen oder bei der Vokü mitmachen. Zusammengefasst bietet der Südflügel alles, was heute der Vereinzelung entgegenwirkt, einer solidarischen Gesellschaft vorausgeht und Ansätze einer neuen Gesellschaft abseits des Kapitals entwickelt.

Dennoch bleibt die Zukunft des Bethaniens ungewiss, wie das Beispiel des „Anwohnerforums“ zeigt. Zum „Bürgerbegehren“ wurden Veranstaltungen, Zukunftswerkstätten und Straßenstände organisiert. Dort wurde immer wieder der Wunsch geäußert, günstig Räume für die unterschiedlichstenen Aktivitäten in der Nachbarschaft nutzen zu können. Obwohl es ca. 900 qm leere Flächen im Bethanien gibt, konnte erst vor Kurzem ein kleiner Raum als vorläufiges „Anwohnerforum“ eröffnet werden. Dieser Vorgang ist symbolisch für Politik und Mitbestimmung. Das Bethanien ist nun der Versuch, ein Gebäude im öffentlichen Besitz zu entwickeln. Gleichzeitig findet in diesem Prozess eine neue demokratische Struktur ihren Weg. Demokratische und soziale Formen sucht man auf der Senats- oder Bundesebene vergebens, stattdessen findet man dort Verachtung. Im August startete in regionalen und überregionalen Medien eine Hetzkampagne gegen IZB und „Besetzer“, gespickt mit falschen Fakten. Das darf nicht wundern, denn schließlich kommen durch die Kreuzberger_innen zur Zeit ganz neue und politisch unliebsame Dinge in Bewegung. Und so ist das Bethanien der Ort, von dem aus der Widerstand gegen eine neoliberale, aggressive Politik der Privatisierung ausgeht und für ein selbstverwaltetes, offenes Zentrum gekämpft wird. www.bethanien.info
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Ergänzungen