Mindestlohn schützt vor Armut nicht

Ralf Streck 16.05.2007 19:55 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Immer mehr Menschen in Spanien verfügen über ein Einkommen, das zum Leben nicht reicht. Dass haben neue Daten der Steuerbehörde für 2005 bestätigt, die gerade vorgelegt wurden. Demnach verfügen 18,8 Millionen Menschen, das sind 42 Prozent der Bevölkerung, im Monat nur über ein Einkommen das unter der Armutsgrenze liegt oder bestenfalls knapp darüber.
Die große Zahl der Betroffenen sind Arbeitnehmer. 10,4 Millionen erhalten einen Monatslohn unter 1000 Euro. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist diese Zahl sogar um eine Million gestiegen. Die große Zahl dieser Arbeiter überschreitet trotz Erwerbsarbeit die Armutsgrenze nicht. Gemäß der Europäischen Sozialcharta wird die unterschritten, wenn der Lohn keine 60 Prozent des Durchschnittslohns im Land erreicht. Dabei die Grenze vor Jahren weiter nach unten korrigiert, denn früher wurden 68 Prozent als Grundlage genommen.

Doch auch auf der neuen Basis müsste der Mindestlohn (SMI) in Spanien 850 Euro betragen, sagen die Gewerkschaften. Die Arbeiterunion (UGT) hat am Dienstag offiziell beim Arbeitsministerium beantragt, den SMI auf die Armutsgrenze anzuheben. Dieses Ziel wollen die Gewerkschaften in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen. Vor den Wahlen im nächsten Frühjahr wollen sie Druck aufbauen, um den regierenden Sozialisten (PSOE) dieses Versprechen abzuringen.

Tatsächlich kann der PSOE zu Gute gehalten werden, dass sie den Mindestlohn seit der Machtübernahme 2004 mehrfach über die Inflationsrate hinaus erhöht hat. Damit wurde Kaufkraftverlust ausgeglichen, der in den acht Jahren unter der ultrakonservativen Volkspartei (PP) zu verzeichnen war. Die hob den Mindestlohn stets nur um die von ihr prognostizierte Inflationsrate an. Doch unter der PP, für statistische Tricks und politische Lügen bekannt, fiel die Inflationsrate real zum Teil doppelt so hoch aus.

Trotz dieser Anhebungen liegt der branchenunabhängige Mindestlohn mit schmalen 570 Euro monatlich noch weit unter der Armutsgrenze. Da 14 Zahlungen im Jahr festgelegt wurden, sind das im Monatsdurchschnitt 665 Euro oder 7980 Euro jährlich. Bei befristeter Beschäftigung kann der Lohn noch darunter liegen und wird mit 27,02 Euro täglich festgelegt.

Versprochen hatten die Sozialisten, den Mindestlohn auf 600 Euro oder 8400 jährlich anzuheben. Man darf davon ausgehen, dass sie dies vor den kommenden Wahlen umsetzen. Doch damit läge der SMI gerade auf der Hälfte des Niveaus wie beim Nachbarn in Frankreich, wo er knapp unter der Armutsgrenze liegt. Dass die PSOE in der nächsten Legislaturperiode die Armut real bekämpfen wird, ist fraglich. Auf Druck der Arbeitgeber widersetzt sie sich in den Sozialgesprächen bisher sogar der Forderung der Gewerkschaften, die Anpassung des Mindestlohns gesetzlich an die Inflationsrate zu binden.

Die fahren nun eine Doppelstrategie. Neben dem Druck auf die Regierung vor den Wahlen geben sie als Losung aus, keine Tarifverträge mehr abzuschließen, bei denen der Lohn unter 1000 Euro liegt. Die Gewerkschaften hatten an einem schwachen 1. Mai Selbstkritik geübt und wollen eine deutliche Erhöhung der niedrigen Einkommen erreichen.

Denn sie wissen, dass auch ein Mindestlohn von 850 Euro derzeit nicht zum Leben reicht. Denn vielen Familien wird ein massiver Kaufkraftverlust beschert, weil die Hypothekenzinsen steigen und steigen. Hier haben sie es versäumt, Druck auf die Regierung zu machen, damit die elende Praxis abgeschafft wird, dass die Rekordgewinne schreibenden Banken steigende Zinsen voll auf die Kreditnehmer über variable Zinsen abwälzen. Der Zinssatz hat sich in den letzten beiden Jahren fast verdoppelt, weshalb immer mehr Familien in Not geraten. Gemietet wird hier traditionell kaum. Ihr Motto am 1. Mai lautete deshalb: "1.000 Euro, minus Hypothek = Armut".

Der Kampf um den Mindestlohn ist auch deshalb für die Gewerkschaften - neben der Tarifpolitik - von Bedeutung, weil der SMI als Maßstab für Arbeitslosengeld, Eingliederungsgeld oder für Abfindungen gilt. Keiner der 1,4 Millionen Arbeitslosen, die überhaupt Zahlungen erhalten, überschreitet die 1000 Euro Grenze. Bedenklich ist auch die Lage vieler Rentner. Von 8,2 Millionen liegt die große Mehrheit unter der Armutsgrenze. 4,5 Millionen Pensionisten erhalten nicht einmal 600 Euro im Monat.

© Ralf Streck, Donostia den 15.05.2007
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Aber

Fi-Fa-Fulminante 17.05.2007 - 07:34
sind Lebensmittel in Spanien denn so viel teurer,Mieten so viel höher ,das herauszufinden hat man als Arbeitslosengeldempfänger kaum die Möglichkeit ,es sei denn du kriegst ein Last Minute ,und wenn nicht ,dann leben jja alle deutschen ALG-II -EmpfängerInnen von Geld ,das zum Leben (!) nicht ausreicht .Was iiißt man denn da jetzt gerade ? Thunfisch oder Gambas ?

Lebensmittel

Ralf 17.05.2007 - 10:56
Lieben etwa auf dem Niveau wie in Deutschland, manchmal sogar teurer, manchmal billiger. Mieten sehr teuer und da hier eher gekauft wird, die Wohnungen extrem teuer. Hier im Baskenland bekommst du für den Preis, den man z.B in Freiburg für ne Wohnung bezahlst nen Kellerraum und einen Abstellplatz für das Auto. Eine Wohnung nicht. Da kannst du dir ne Vorstellung machen, was es bedeutet, von dem Mindestlohn leben zu müssen.

Mindestlohn kann vor Armut schützen

Peter 17.05.2007 - 12:07
Hallo,
die Überschrift ist unglücklich gewählt, müßte vielmehr heißen, ein zu geringer Mindestlohn schützt vor Armut nicht. Anders sieht es doch aus, wenn der, wie von vielen Linken gefordert, bei sagen wir mal bei 10€ Stundenlohn liegt.
Es reicht eben nicht, nur einen Mindestlohn als solchen zu fordern, oder wie die Gewerkschaft mit 7,50€ aufzuwarten, da muß schon ein "wenig" mehr gefordert werden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Na dann! — Ralf