Cold Turkey für Chile

Malte Olschewski 15.12.2006 16:39 Themen: Militarismus Weltweit
Nach dem Tod des früheren Diktators Augusto Pinochet sind in Chile und in den USA neue Dokumente über die Jahre von 1970 bis 1973 erschienen. Die USA unter Nixon haben damals ungeheure Mittel eingesezt,um Allende zu stürzen. Warum? Und warum der Hass, mit dem der unterschätzte Militörgeograph Augusto Pinochet gegen die Opposition vorging? Der islamische Terror hat nun zu einer langsamen Disengagement der USA geführt und in Lateinamerika eine neue Ära geöffnet.
Malte Olschewski:

=Cold Turkey= für Chile 1973

Nach dem Tod Pinochets neue Dokumente in den USA

=We'll give them Cold Turkey! We'll have the economy scream!= Das sagte US-Präsident Richard Nixon in einer Sitzung des =Komitees 40= am 8.9.1970 zur Situation in Chile. Die amerikanischen =National Security Archives= haben nach dem Tod des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet einige bisher wenig bekannte Dokumente über die US-Aktivitäten zum Sturz des chilenischen Präsidenten Allende publiziert. Verteidigungsminister Melvin Laird sagte am 6.11.1970: =We have to do everything, we can to hit him and bring him down.= CIA-Chef Helms resumierte nach einem Treffen mit Nixon: =Not concerned with risks. Full time job. Best men we have.= Sicherheitsberater Herny Kissinger drängte Nixon, das zögernde US-Aussenamt zu umgehen: =It is the most serious challenge we ever faced in the hemisphere...We will oppose Allende as strongly as we can.= Und in einem über Internet zu hörenden Mitschnitt eines Telefonats ziwschen Nixon und seinem Pressesprecher Ron Ziegler ist die Rede davon, =short to an Dominican intervention= alle Mittel einzusetzen. Was bei Durchsicht dieser Dokumente heute überrascht, sind die Energie, die Mittel und die Fantasie, die von den USA gegen Allende eingesetzt worden waren.

So hat man damals mit genauer Adresse an die Offiziere der Armee ein Manifest verschickt, wonach die Regierung die Streitkräfte auflösen würde. Auf gestohlenem Briefpapier der =Unidad Popular= wurden an die Haushalte Fragebogen verschickt, auf denen anzugeben war, welche Dinge man mit den Armen des Landes teilen wolle. Immer wieder kreuzten US-Kriegsschiffe vor den Küsten Chiles. Vor den Kasernen versammelten sich hysterische Hausfrauen und beschimpften die Offiziere als =Hühner=.

Mehrmals ist bei hochrangigen Treffen im Weissen Haus festgestellt worden, dass Chile für die USA bei weitem nicht von ähnlichem strategischen Interesse wie etwa Kuba oder Brasilien gewesen wäre. Trotzdem wurden alle denkbaren Mittel gegen Allende eingesetzt, wobei auch die US-Konzerne und Banken mitspielten. Nixon stellte mit einem Federstrich zehn Millionen Dollar zur Verfügung. Sicherheitsberater Henry Kissinger führte das Oberkommando. CIA-Vize Thomas Karamessines plant die Angriffe. Im =Komitee 40= wurden weitere Kräfte gegen Allende gesammelt. Einige Quellen führen an, dass =Tricky Dicky= Nixon den aristokratisch wirkenden, marxi-stischen Intellektuellen Allende verachtet und gehasst haben muss.

Schon im Wahlkampf des Jahres 1964, in dem Allende gegen den Christdemokraten Eduardo Frei angetreten war, hatten im Projekt =Camelot= Meinungsforscher die Chilenen befragt. Die Ergebnisse wurden bereits damals mit Hilfe von Computern ausgewertet. Alles, was den Chilenen Sorgen machte, wurde als =kommunistisch= in den Wahlkampf eingebracht. Die US-Firma =Abt= hatte in diesen Jahren das Simulationsspiel =Politica= entwickelt, das 1966 vom Pentagon angekauft und nicht nur in der Planung gegen Allende eingesetzt wurde. Eduardo Frei und christdemokratische Kongress-Kandidaten sind 1964 von den USA mit drei Millionen Dollar unterstützt worden. Vor den Wahlen von 1970 hat man die Zentrale des amerikanischen ITT-Konzerns in Santiago zu einer Operationsbasis ausgebaut. Die US-Firmen Kennecott und Anaconda stellten sich in den Dienst der CIA, um die Wahl Allendes zu verhindern.

Die USA hatten vor dem Urnengang versucht, Christdemokraten und Konservative auf einen gemeinsamen Kandidaten einzu-schwören, gegen den Allende keine Chance gehabt hätte. Da dies nicht gelungen war, entfielen beim Urnengang vom 4.9.1970 auf Allende 36.6 Prozent der Stimmen. Der Konservative Jorge Alessandri erhielt 35,3, der Christdemokrat Radomir Tomic 28,1 Prozent der Stimmen. Die USA hatten über ihren Botschafter Edward Korry Kontakte zum amtierenden Präsidenten Eduardo Frei geknüpft. Ein Scheitern der bei diesem Ergebnis notwendigen Wahl durch das Parlament, eine Übergangsregierung und Neuwahlen wurden geplant. Es wurden mehrere =Tracks= (Gleise) entwickelt, um Allende zu verhindern. Ein Lawine von =Korrygrammen= ratterte über =Gleis 1= in das US-Aussenamt, während über =Gleis 2= die Massnahmen der CIA zu greifen begannen.

Die USA blockierten nach der Wahl Allendes jede Hilfe an Chile. Sie sorgten dafür, das die Preise für chilenische Hauptexportgüter wie Kupfer und Zinn am Weltmarkt abstürzten. Amerikanische Exporte wurden gestoppt. Das =American Institute for Free Labor= köderte chilenische Gewerkschafter mit grosszügigen Stipendien. So etwa kaufte die gesamte chilenische Marinegewerkschaft. Drei bis fünf Millionen Dollar gingen allein an den Mercurio-Konzern, dessen Falschmeldungen über US-Agenturen in der ganzen Welt verbreitet wurden. =Time= brachte eine Titelgeschichte, die vom CIA ge-schrieben war. Die CIA liess eigene Zeitungen und Radiostationen gründen. =Maulwürfe= drangen in die Parteien der =Unidad Popular= ein. Streiks, Zusammenstösse und Sabotageakte wurden finanziert. Man hat kriminelle Banden engagiert. Allende ist als kommunistischer Wüstling beschrieben worden. Richtig an den Enthüllungen über Allende war nur, dass er ein Freimaurer war, gern =Chivas Regal= trank und eine Geliebte hatte. Völlig falsch waren die Meldungen über Pläne für ein sowjetisch-kubanisch dominiertes Chile. Die UdSSR hat auf die Ereignisse kaum Einfluss genommen und Kuba war dazu nicht in der Lage. Allende plante allerdings ein =Neues Chile=, in dem der Reichtum seiner Bergbauindustrie nicht nur der Oberschichte zugute kommen sollte. Er hatte ehrgeizige Pläne, die er zu schnell und zu dramatisch umzusetzen suchte.

Botschafter Korry berichtete, dass alle Einflussnahme vergeblich sei. Armeechef Rene Schneider habe eine eigene Doktrin entwickelt, um das Militär aus der Innenpolitik herauszuhalten. Chile ist stolz auf eine historische Tatsache: Während in Europa noch der Absolutis-mus mit Kaisern und Königen herrschte, schritt man in Chile alle sechs Jahre zur Wahl des Präsidenten. Die =pelucones= (Perücken bzw. Konservative) kämpften im Parlament mit den =pipiolos= (Novizen bzw. Liberalen). Die Konservativen unter Diego Portales blieben dabei meist siegreich, daher spricht man auch von Chile als einem =portalischen Staat=. Der Staatsformer Portales wurde nie Präsident. Er schob die Generäle Joaquin Prieto und Manuel Bulnes ins oberste Amt. Er blieb als Kriegsminister der mächtigste Mann des Landes. Portales führte 1835 Krieg gegen den Staatenbund von Peru und Bolivien, durch den sich Chile bedroht fühlte. Chile blieb siegreich, doch wurde Portales von meuternden Truppen getötet. Zwar hatte damals nur die Oberschichte das Wahlrecht, doch haben chilenische Generäle sehr selten und nur, wenn es unbedingt notwendig war, in die Innenpolitik eingegriffen. Chile ist ein stark militarisierter Staat. Das Militär wünscht die endlos langen Grenzen Chiles gegen begehrliche Nachbarn wie Argentinien, Brasilien und Peru zu garantieren und nicht in Strassenschlachten verwickelt zu werden.

Auf =Track 2= hatte die CIA mit Wissen Nixons und Kissingers Alternativen entwickelt. Die beiden pensionierten Generäle Camilo Valenzuela und Roberto Viaux bilden nun voneinander unabhängige Verschwörungsgruppen, die mit US-Geld versorgt werden und den Mord an Schneider planen. Im amerikanischen Diplomatengepäck lässt Thomas Karamessines sogar Waffen nach Santiago schmuggeln. Nach zwei Versuchen gelingt am 22.10.1970 der Anschlag auf den Armeechef. Allende wird am 24.10. vom Parlament mit Stimmen der Christdemokraten zum Präsidenten gewählt. Schneider stirbt einen Tag später. Sein Nachfolger als Armeechef wird Carlos Prats. Er wird 1972 Innenminister und Vizepräsident. Er kann mehrere Rebellionen des Militärs unterdrücken. Nach einem bizarren Zwischenfall mit einer hysterischen Hausfrau muss er zurücktreten. Er geht nach Argentinien, wo er am 30.9.1974 vom chilenischen Geheimdienst DINA am 30.9.1974 ermordet wird. Prats hat vor seinem Rücktritt den anscheinend harmlosen Militärgeographen Augusto Pinochet als Nachfolger vorgeschlagen, der als Anhänger der Nichteinmischung galt. Doch Pinochet hat alle getäuscht. Er fühlt sich in seiner Karriere mehrfach übergangen. Er fürchtet eine kommunistische Machtübernahme. Die USA hatten ihn bei ihren vielen Kontakten zu Offizieren offenbar übersehen. Nun wird ihn niemand mehr übersehen. Schon am 11.9.1973 führt er den Militärputsch gegen Allende an, in dessen Folge über 3 000 Chilenen ermordet worden sind.

Die Details des Staatsstreiches sind grossteils bekannt. Von mehreren Zeugen wird übereinstimmend angegeben, das Allende mit der von Fidel Castro geschenkten Maschinenpistole Selbstmord begangen hat. Eine direkte Beauftragung Pinochets durch die USA kann durch Dokumente nicht nachgewiesen werden. Akustisch fest-gehalten ist eine Äusserung Kissingers im Gespräch mit Nixon: =We didn't do it. I mean we helped them. We created the conditions as great as possible= (Wir taten es nicht. Wir haben ihnen geholfen. Wir haben nur die bestmöglichen Bedingungen geschaffen)

Der Sturz Allendes ist die am besten bekannte und dokumentierte Intervention der CIA seit 1945. Die Details darüber begannen schon 1974 über jene Chilenen hervorzukommen, die von der Diktatur Pinochets in Ausland getrieben worden waren. Der US-Kongress war beunruhigt. Mit der CIA wurde ein =Deal= geschlossen. Der Geheimdienst würde in einem =limited hangout= (begrenzte Öffnung) einer von Frank Church geleiteten Kommission alles über Chile mitteilen, dafür dürfe sich der Kongress nicht für die CIA-Aktivitäten in fünf anderen Staaten der Region interessieren. Im Falle Ekuadors war das auch nicht nötig. Hier hat der ehemalige, nach Kuba geflüchtete CIA-Agent Philipp Agee (=Inside the CIA=) genau beschrieben, was der Geheimdienst unternommen hat, um den redegewaltigen Populisten Velasco Ibarra von der Präsidentschaft fernzuhalten. Das war ein vergebliches Bemühen. Es konnten in und um Ekuador die Staatsstreiche knattern, so wurde Velasco Ibarra nach jedem Putsch fünf Mal zum Präsidenten gewählt.

Warum rollten in Lateinamerika in den Jahren zwischen 1960 und 1980 immer wieder Staatsstreiche des Militärs durch die Regierungsviertel? Und wieso erobern seit 1990 linksgerichtete Parteien ohne Blutvergiessen und über die Wahlurne die Macht. Heute regieren linksgerichtete Parteien in Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Bolivien, Peru, Venezuela und Ekuador. Rechtsparteien sind nur mehr in Paraguay und in Kolumbien an der Macht. Für diesen langsamen Wandel sind mehrere Gründe festzustellen. Das historische Bündnis der Oberschichten und Eliten Südamerikas mit dem Militär ist brüchig geworden. Es haben sich neue Eliten gebildet, wie auch das Militär von Aufsteigern aus unteren Klassen durchsetzt worden ist. Mit entscheidend ist auch eine durch den islamischen Terror erzwungene Distanzierung von Lateinamerika. Der ganze Kontinent war von bisherigen Regierungen als =Hinterhof= oder gar =Hühnerhof= der USA angesehen worden. Damals haben die USA jede Linksregierung in Ländern bekämpft und gestürzt, die wie Jacobo Arbenz in Guatemala oder Juan Bosch in der Domini-kanischen Republik vorsichtige Reformen begonnen hatte und kaum die Interessen der USA bedrohen konnten. Die Vereinigten Staaten intervenierten in der Dominikanischen Republik eben so offen wie auf der Karibikinsel Grenada. Sie haben Dutzende Male demokratische Entwicklungen mit Geld und Operationen des Geheimdienstes abgewürgt. Der linksgerichtete Präsident Brasiliens Joao Goulart konnte Washington ebenso wenig gefährlich werden wie Chiles Salvador Allende oder die Sandinisten in Nikaragua.

Doch ist den USA mit dem islamischen Terror ein neuer Feind erwachsen, der ihnen wie die Flugattentate von New York bewiesen haben, sehr wohl gefährlich werden kann. Nicht aus Nächstenliebe oder Menschenfreundlichkeit haben die USA von ihrer liebsten Beute Lateinamerika abgelassen. Sie mussten es tun. Ob in der einen oder anderen Republik die Konservativen, die Liberalen oder im schlimmsten Fall ein Caudillo herrschte, war unwichtig geworden. Mit 9/11 sind neue Bedrohungen erschienen, deren Bekämpfung alle Ressourcen er-fordert. Derzeit sind alle Energien, Gelder und Kräfte darauf gerichtet, einen halbwegs ehrenvollen Abzug aus dem Irak zu schaffen. Lateinamerika ist auf der Prioritätenliste weit nach unten gerutscht. Daher konnte Venezuelas Staatschef Hugo Chavez zum Führer des neuen Anitamerikanismus im Süden aufsteigen. Chavez ist ein charismatische Figur. Im Vergleich mit diesem begnadeten Populisten erscheint Salvador Allende als ein biederer Beamter. Es dürfte erst mit dem verhüllten Rückzug der USA aus Südamerika und mit der Lockerung bisheriger Bündnisse jene Entwicklung möglich geworden zu sein, die zu einem Linksruck auf dem ganzen Sub-kontinent geführt hat. Unfreiwillig und durch eine erzwungene Verschiebung ihrer Interessen sind die USA zum Geburtshelfer einer neuen Epoche für Lateinamerika geworden.
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Ergänzungen

fakten oder so

sooderso 17.12.2006 - 14:55
die verbrechen der nixon administration in chile und anderswo (kambodscha, iran, kurdistan, vietnam, washington,.....) sind schon lange vom "national security archive" veröffentlicht worden. nsarchive ist eine organisation, die sich bemüht gesperrte akten aus archiven "freizuklagen". die meisten akten sind dann online zu lesen, alles sehr shocking.

zum beispiel

Central Intelligence Agency, SECRET Intelligence Report, [Executions in Chile since the Coup], October 27, 1973

 http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB212/19731027%20Intelligence%20Report.pdf


 http://en.wikipedia.org/wiki/National_Security_Archive


zu pinochet:  http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB212/index.htm

dabei sollte man allerdings auch den schwachsinn von hugo chavez nicht vergessen, der bei der bbc gut nachzulesen und zu hören ist .
 http://news.bbc.co.uk/2/hi/talking_point/talking_point_programme/default.stm




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