wertloser Besuch während der DGB Demo in DO

Beobachterin 22.10.2006 23:35 Themen: Soziale Kämpfe
Pünktlich zu Beginn der DGB Kundgebung am Dortmunder Hauptbahnhof mischten sich 7 gesichtslose Gestalten mit Protestschildern unter die Massen der „wütenden“ GewerkschaftlerInnen. Auf Ihren Schildern klar zu erkennende Botschaften…
Sprüche wie: „Arbeitslosigkeit macht krank! … Arbeit auch!“, „Bitte um Inwertsetzung“ oder „Ohne Arbeit kein Gesicht“ schmückten die Pappen. Weiße Anzüge von Kopf bis Fuß sowie passende Theatermasken vervollständigten das Gesamtbild. „Schaut“ rief eine Demonstrantin „das ist kreativ“. Zahlreiche Kameras blitzten.. „Arbeit macht krank? Was soll das denn?“ rief ein Anderer. Unverständnis.. Doch was hatte es mit den blassen Figuren und ihren Schildern auf sich?

„Wir wollen so das selbst erlernte Bedürfnis der Massen thematisieren, welches sich die Ausübung der Arbeit an sich, gleich zu welchem Lohn und zu welchen Bedingungen, als höchste Bestrebung der menschlichen Bestimmung zum Ziel setzt.“ So ein Zitat aus dem verteilten Flugblatt. Und weiter: „Wir kritisieren den identitätsstiftenden Moment der Arbeit und sehen darin einen wichtigen Ansatzpunkt für die führende Politik, die durch Harzt-Gesetzgebung und mögliche Konzepte eines Dritten Arbeitsmarktes die Menschen „organisiert“, die für eine ökonomisch wertvolle Arbeit nicht mehr von Gebrauch sind und als überflüssig gelten.“

„Unser Ziel war es, die Menschen zu verwirren und Ihnen die identitätsstiftende Bedeutung von Arbeit vor Augen zu führen. Wir wollten mit der Aktion einen grundlegenden Einspruch gegen Arbeit- und Leistungswahn formulieren, und uns den Gedanken dieser Arbeitsgesellschaft in ironischer Weise annehmen.“ so eine der Figuren.

!Reaktionen der Gewerkschaftsfront!

„Es gab viele unterschiedliche Reaktionen!“ erzählte eine der selbsternannten „Wertlosen“. „ Die Leute unterstützten teilweise die Forderungen und nahmen sie wortwörtlich. Andere runzelten die Stirn oder sprachen uns nach dem lesen des Flugblattes auf die Idee unserer Aktion an. In einer Gesellschaft, in der Menschen sogar teilweise freudig sogenannte 1 € Jobs machen um sich gebraucht zu fühlen, ist es schwer eine Aktion so zu überspitzen, dass die Idee verstanden wird. Arbeit ist ein fester Bestandteil einer kapitalistischen Gesellschaft. Gerade bei zunehmender Arbeitslosigkeit beispielsweise durch Rationalisierung der Betriebe, muss sich die Politik Ansatzpunkte suchen, um die Überflüssigen dieser Gesellschaft zu organisieren und zu halten. Der Staat bedient sich somit einem bei vielen Menschen vorhanden Bedürfnis nach Wertschätzung und geregeltem Tagesablauf.“ So eine der „Gesichtslosen“.

Im Folgenden wird das verteilte Flugblatt dokumentiert:

Forderseite:

Wir sind Nichts, wir haben kein Gesicht – ein Gespensterreigen, tot, verloren: Wir sind ohne Arbeit.

Der CDU-Abgeordnete Stefan Müller forderte im Juni dieses Jahres die Einrichtung eines „Gemeinschaftsdienstes“ für alle Arbeitslosen „- acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag“. Die Forderung löste einen Skandal aus, obwohl er den tatsächlich institutionalisierten Arbeitszwang lediglich weiterdachte. Wie folgt begründete er einen solchen „Gemeinschaftsdienst“, den Arbeitslose zu verrichten haben: „So kämen die sich nicht überflüssig vor“.

Stefan Müller musste nur aus dem Fenster schauen, wie wir alle betteln um Arbeit: mehr und länger, wir wollen niemals aufs Abstellgleis, nicht mit 18 nach der Schule, nicht mit 50 in die Rente.

Wir haben Angst davor, überflüssig zu sein, uns überflüssig zu fühlen. Es ist nicht unsere Schuld – denn in diesem System sind wir nichts ohne Arbeit, wir haben nichts ohne Arbeit. Wir fühlen uns leer und nicht einmal die Sonne scheint für uns: Wir dürfen, wir können nicht an den Strand, nirgendwo hin. Wir müssen sie suchen, Arbeit, suchen und suchen, suchen nach uns, nach unserer Identität, nach einem Leben. Wir können uns ohne Arbeit nicht denken. Wir haben Angst vor der Überflüssigkeit. Keine Tätigkeit als Arbeit kennen wir.

Arbeit stellt unter den herrschenden kapitalistischen Bedingungen die einzige mögliche Form der materiellen Reproduktion von Gesellschaft dar. Durch Arbeit entsteht Mehrwert – ohne Arbeit keinen Kapitalismus.
Wir sind befreit von der Arbeit, nicht aber entlassen in die Freiheit, sondern in die Armut, in die materielle, in die Armut unserer Innerlichkeit, die daran krankt, auf die Frage: „Was machst Du denn so“ nur „Nichts“ antworten zu können.

Die Notwendigkeit und mit ihr die Positivität von Arbeit ist konstruiert; die heutigen Wörter für Arbeit (travail, trabajo, labor, work...) leiten sich alle von Worten ab, die eher Unangenehmes (Joch, Schwanken unter einer schweren Last, mit dem Dreizack foltern...) bezeichneten.

Unsere Lebenszeit ist knapp bemessen – wir bringen sie damit zu, unter diesem Joch zu leben oder in der panischen Suche nach ihr, der Arbeit.
„Das geht besser“! Mehr Arbeit, mehr Joch, mehr Panik. Wir machen mit, kehren unser Innerstes nach außen, betteln um Verwertung, um Anerkennung, um Identität.

Zwar sind die Produktivkräfte längst entwickelt dafür, dass alle ein gutes, genussreiches Leben haben könnten, dennoch muss weiter gelitten werden.

Doch wir wissen es besser: Arbeit muss sein, weil Arbeit eben sein muss. Wir scheuen nicht die Tautologie, denn sie ist gesellschaftliche Realität. Mehrwert muss produziert werden und wir bleiben Gespenster. Und wir bleiben Gespenster bis wir eine Arbeit haben; und wir bleiben Gespenster wenn wir Arbeit haben.

Rückseite:



Seltsam ist es nicht, keine Arbeit, keine Lohnarbeit zu haben. Seltsam ist es vielmehr, unbedingt eine zu wollen, scheinbar nicht ohne leben zu können. Wir fühlen uns leer und überflüssig ohne Arbeit. Diese Leere haben wir nach außen gekehrt:

Wir wollen so das selbst erlernte Bedürfnis der Massen thematisieren, welches sich die Ausübung der Arbeit an sich, gleich zu welchem Lohn und zu welchen Bedingungen, als höchste Bestrebung der menschlichen Bestimmung zum Ziel setzt.

Wir repräsentieren dieses Bedürfnis in Maske und Gestalt und bezeichnen uns deswegen aufgrund unserer Arbeitslosigkeit als „wertlos“, „unbeschrieben“ und „gesichtslos“.

Wir sehen in dieser identitären „Falle“ ein wichtiges Instrument des Staates, um soziale Unterschiede zu verdecken und Menschen in Armut produktiv zu „halten“.

Wir kritisieren den identitätsstiftenden Moment der Arbeit und sehen darin einen wichtigen Ansatzpunkt für die führende Politik, die durch Hartz-Gesetzgebung und mögliche Konzepte eines Dritten Arbeitsmarktes die Menschen „organisiert“, die für eine ökonomisch wertvolle Arbeit nicht mehr von Gebrauch sind und als überflüssig gelten.

Unser Ziel ist ein Leben, welches sich nicht an den Maßstäben einer „wertvollen“ Arbeit misst, sondern sich fernab von Leistungswahn und Ellbogengesellschaft orientiert.

Wir haben mehr vom Leben als von der Arbeit
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Ergänzungen

Es gibt kein "Geld ohne Arbeit"

just a prol 23.10.2006 - 09:35
"Geld ohne Arbeit" gibt es im Kapitalismus nicht, denn ohne Lohnarbeit kann es kein Geld gebe. Die Leute, die die Aktion gemacht haben, haben diesen Zusammenhang in ihrem Flugblatt dargestellt. Ein "Grundeinkommen" ist deshalb nicht "Geld ohne Arbeit" sondern Geld ohne *eigene* Arbeit, also solches aus der Arbeitskraft anderer. Eine solche Forderung macht deshalb nicht wirklich viel Sinn; ohne Abschaffung des Kapitalismus kann und wird es kein gutes Leben geben, mit Hartz IV hat das Kapital seine Vorstellungen eines "Grundeinkommens" bereits realisiert. Was da bleibt ist der langweilige Streit um ein paar Mäuse mehr und ein wenig Arbeitszwang weniger. Vor dem Hintergrund der Systemkonfrontation hat es sich das Kapital geleistet, die Klasse bei Laune zu halten und diejenigen Teile, die nicht auf einem angemessenen Produktivitätsniveau verwertbar waren zu alimentieren. Diese Zeiten sind aber seit mehreren Jahren vorbei und sie werden vermutlich nicht wiederkehren.

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Titel — Pallor

Ne typisch — Peter G.

Bürgergeld — ..

@ just a prol — Anakin

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