Ffm Tage der studentischen Selbstorganisation

Rudolf Steinberg 07.06.2006 17:12 Themen: Bildung
Die offizielle Vollversammlung aller am AfE-Turm der Universität Frankfurt ansässigen Fachbereiche (Gesellschaftswissenschaften 03, Erziehungswissenschaften 04 und Lehramtsstudiengänge) hat heute – am Mittwoch, dem 7. Juni 2006 – mit nahezu einstimmiger Mehrheit den demokratischen Beschluss gefasst, bis einschließlich Freitag, den 9. Juni 2006, die "Tage der studentischen Selbstorganisation" auszurufen.
Diese Tage sollen zum Ziel haben, angesichts der drohenden allgemeinen Studiengebühren in Hessen und anderen Bundesländern, an diesen Fachbereichen durch alternative Lehr- und Bildungsangebote auf die Dringlichkeit der Situation – bereits im Juli soll das entsprechende Gesetz in erster Lesung durch den hessischen Landtag – hinzuweisen, sowie das Engagement der Studierenden gegen die Studiengebühren zu steigern. Es lassen sich noch immer sehr viele Studierende von den Argumenten ökonomischer Sachzwänge beeindrucken, ganz als könnten sie in einer Demokratie nicht an den politischen Entscheidungen partizipieren.

Bei der bundesweiten Demonstration gegen die Verschärfung der Hartz IV-Gesetze am Wochenende in Berlin wies ein Studierendenvertreter auf die erfolgreichen Proteste gegen den „Erstarbeitsvertrag“ (CPE) in Frankreich hin, die nur deshalb dessen Einführung verhindert hätten, weil ein breiter und entschlossener Protest mit Unterstützung der großen Mehrheit der Bevölkerung wochenlang anhielt und keinen Kompromiss unterhalb der Minimalforderung „Das Gesetz muss gekippt werden“ zugelassen habe. Ein wichtiger Teil der Protestwelle seien die Universitäten gewesen, die über lange Zeit bestreikt und blockiert wurden. Dadurch hätten die Studierenden die nötige Zeit gehabt, sich an den Protesten zu beteiligen, ohne Gefahr zu laufen durch Abwesenheit bei den Lehrveranstaltungen formale Nachteile zu erleiden.

Lars Jakob, Mitglied der Fachschaft Gesellschaftswissenschaften, zu den beschlossenen Tagen der studentischen Selbstorganisation: „Wir wollen uns die erfolgreichen Proteste in Frankreich zum Vorbild nehmen, nachdem wir 2003 so enttäuschende Erfahrungen gemacht haben, als die Langzeitstudiengebühren eingeführt wurden. Es kann einfach nicht angehen, dass unser Grundrecht auf freie Bildung unter Beugung der Verfassung außer Kraft gesetzt wird und der Uni-Betrieb einfach normal weiter läuft. Wir können nicht ausschließen, dass einzelne Lehrveranstaltungen ausfallen oder in den öffentlichen Raum verlegt werden müssen, aber wir haben ein attraktives Alternativprogramm zu den aktuellen hochschul- und gesellschaftspolitischen Themen auf die Beine gestellt – die Bildung wird also nicht leiden. Im Gegenteil leidet sie doch unter den Maßnahmen, gegen die wir uns wenden.“

Lars Jakob weiter: „Im Übrigen geht es ja nicht nur um uns Studierende. Schaut man sich die Verschärfung von Hartz IV und die abstrusen Vorschläge an, die da noch diskutiert werden, wird klar: Die ganze Entwicklung unserer Gesellschaft läuft momentan in die völlig verkehrte Richtung. Es wird Zeit, dass die Menschen sagen ‚Bis hierhin und nicht weiter!’ – wie in Frankreich eben. Deswegen hoffen wir auch auf eine breite Öffentlichkeit und große Unterstützung aus der Bevölkerung. Besonders die Gewerkschaften müssen in die Puschen kommen, wenn sie ernsthaft die Interessen der sozial Benachteiligten vertreten wollen. Genau jetzt ist die Zeit für entschlossene Großdemonstrationen und Aktionen – WM hin oder her!“

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie von der feierlichen Eröffnung der Tage der studentischen Selbstorganisation berichten würden. Es werden sich sicher zahlreiche Gelegenheiten für Interviews und Fotos ergeben. Vor allem ist uns an einem friedlichen Ausdruck des Protests gelegen, auch wenn wir die Wut der Studierenden natürlich teilen. Da in der Vergangenheit die Gewalt aber in erster Linie von der Polizei ausging, mit deren Erscheinen heute Abend wohl zu rechnen ist, würden wir auch unter diesem Aspekt die Anwesenheit der Presse sehr begrüßen. Oft hat schon die Präsenz von Kameras einen beruhigenden Einfluss auf alle Beteiligten.

Lars Jakob: „Der Polizeipräsident hat heute verkündet, die Zeit der ‚langen Leine’ sei angesichts der WM nun vorbei. Universitäts- und Polizeipräsidium versuchen mit dem Popanz eines angeblichen ‚Schwarzen Blocks’ das demokratische Recht auf Protest und freie Meinungsäußerung zu unterbinden und den friedlichen Widerstand der Studierenden zu delegitimieren. Von unserer Seite aus ist noch niemand zu Schaden gekommen und das wird auch so bleiben. Von der Polizei mit ihren wahllosen Pfefferspray- und Schlagstock-Einsätzen kann man das allerdings nicht behaupten. Wenn das die lange Leine gewesen sein soll, die jetzt angezogen wird, ist zu befürchten, dass heute Abend am Uni-Turm eine neue Stufe der Polizei-Brutalität erreicht werden könnte – mit Wohlwollen unseres Unipräsidiums, das die Interessen und demokratischen Beschlüsse der Studierenden konsequent untergräbt. Von diesen Einschüchterungsversuchen werden wir uns aber nicht beeindrucken lassen. Wer so offen mit Gewalt droht und dabei scheinheilig von Friedlichkeit redet, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Die Polizei dreht an der Eskalationsschraube und schafft damit selbst die ‚Französischen Verhältnisse’, die sie angeblich verhindern will. Wir hoffen, dass die Presse und damit die demokratische Öffentlichkeit heute Abend nicht wegschaut!“

Daher laden wir Sie herzlich ein zur Eröffnung der „Tage der studentischen Selbstorganisation“: Mittwoch, 07.06.2006 um 18 Uhr im Foyer des AfE-Turms der Universität Frankfurt. Robert-Meyer-Straße 5, 60054 Frankfurt am Main. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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Ergänzungen

Resolution

Action 07.06.2006 - 17:30
Kommt alle um 18h zum Turm! Sagt den GenossInnen bescheid! Nach den Drohungen der Bullen sollen die ihre Kraftprobe kriegen. Gegen Studiengebühren & gegen den Polizeistaat! WM? Erst recht!

Morgen, Donnerstag, soll es übrigens ab 20h eine Party unten im Uni-Turm geben. Widerstand soll ja auch Spaß machen!

Diese Resolution wurde von den 3 Fachbereichen übrigens verabschiedet:

***

Resolution der Turm-Vollversammlung am 7.6.2006

Die Studierenden am Turm mögen beschließen:

1. Wir wenden uns gegen den stetigen Demokratieabbau an der Univer-sität und gegen die Machtkonzentration in Händen des Präsidenten. Dies führt zu einem nicht hinnehmbaren feudalen Präsidialdiktatur und er-schwert die studentischer Selbstverwaltung. Dazu gehört auch die Mehr-heit der Professor_innen in allen universitären Gremien anzugreifen. Wir fordern mehr stimmberechtigte studentische Mitglieder und die radikal-demokratische Organisation der Hochschulen !!

2. Wir wehren uns gegen die Abschaffung kritischer Theorie und kriti-scher Wissenschaft an der Universität, die Verschulung des Studiums und die Umstrukturierung des Studiums nach ökonomischen Kriterien. Die Universität muss mehr sein als ein Ort der bloßer Wissensvermitt-lung und der reinen Ausbildung !!

3. Aufgrund der aktuellen Lage und der Entwicklungen der letzten Jahre ist es notwendig sich gerade diesen Zuständen entgegen zu stellen. Da-bei reicht es nicht aus den Protest und die Wut auf die Straße, die Auto-bahn und in die vermeintliche Öffentlichkeit zu tragen. Dieser Unmut muss auch in die Universität gebracht werden: erstens da die Feind_innen nicht nur Koch und Corts sind, sondern vor allem die letzte Senatssitzung gezeigt hat, dass die Steinberge in der Universität den Widerstand spüren müssen und aus dem Weg geräumt gehören. Zwei-tens ist es notwendig (geworden) die bisherigen Ereignisse, ihre Konse-quenzen und ihre Fortführung gemeinsam auszuwerten, zu reflektieren um sie theoretisch und praktisch weiterführen zu können. Das ein sol-ches Programm, wie wir alle es hier vorhaben, nicht einfach neben dem normalen Unibetrieb herlaufen kann versteht sich von selbst. Andere Formen des Lernens, Diskutierens, Feiern, Organisieren, Planen und Leben brauchen andere Verhältnisse als den Druck des monotonen uni-versitären Scheinjagdalltags. Ohne Anwesenheitslisten, Angst vor ver-passten Inhalten, zwingend zu lesenden Texten und all den anderen Schikanen, die eine kritische Bildung verhindern. Um sich diese Möglich-keiten der Selbstorganisation und Selbstverwaltung, die Idee des ge-meinsamen kritischen Widerstandes zu ermöglichen sprechen wir uns für eine dreitägige Blockade des normalen Lehrbetriebs am Turm zur Durchführung dieser Tage der studentischen Selbstorganisation gegen Studiengebühren und schlechte Studienbedingungen am Turm aus.
Kritisches Denken braucht und nimmt sich Raum und Zeit.
Für ein besseres Leben im Hier und Jetzt !!

Solidarität

Tina 08.06.2006 - 00:02

resolution II

rosa 08.06.2006 - 13:35
Auf der gestrigen turm-vv wurde noch eine weitere resolution beschlossen,
die turm-vv werde eine ersatzlose schliessung des instituts für vergleichende irrelevanz nicht dulden, so heisst es dort...

Zu beschliessen auf der Vollverversammlung des Turms am 7.Juni 2006

Kritisches Denken braucht und nimmt sich Zeit und Raum!

Das Institut für vergleichende Irrelevanz, das sich auf dem Campus Bockenheim befindet, existiert seit mittlerweile zweieinhalb Jahren. Am 03.12.2003 wurde, nach der uniweiten Vollversammlung, das ehemalige leerstehende Anglistikgebäude im Kettenhofweg 130 von Studierenden besetzt. Diese Aneignung von freiem studentischen Raum, geschah im Rahmen des Protestes gegen Studiengebühren, Modularisierung der Hochschulen und der allgemeinen Verschlechterung der Studienbedingungen. Im gegenwärtigen Uni-Alltag mangelt es erheblich an Räumlichkeiten für studentische Lernprozesse. Deshalb stellt das dort gegründete Institut für Vergleichende Irrelevanz (IVI) eine wichtige Institution für die studentische Autonomie dar.

Das IVI verbindet gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Arbeiten und Leben. Unabhängig von der Universität finden hier auf lebendige Art und Weise Theorieproduktion und wissenschaftliches Arbeiten ebenso statt, wie Partys und andere kulturelle Events: Filmthemenabende, Lesungen, Podiumsdiskussionen - ebenso wie Musikkonzerte und Ausstellungen. Mit dieser Mischung aus Wissenschaft und Kultur knüpft das
IVI an jahrzehnte lange Traditionen der Frankfurter Uni-Subkultur an.

Das IVI hat einen wirklichen Gebrauchswert: Denn angesichts von Studiengebühren und Effizienzdenken ist es zunehmend schwerer geworden, abseits des offiziellen Lehrplans zweckfrei zu studieren und sich mit anderen theoretisch zu bilden. Zugleich ist Frankfurt nach wie vor eine der teuersten Städte Deutschlands. Viele junge und unangepasste Leute verbringen ihre Freizeit am Rande des Existenzminimums. Unter diesen Bedingungen wird das vielversprechende wie dringende Forschungs- und Kulturprojekt IVI zum Politikum.

Eine ersatzlose Auflösung des Instituts für vergleichende Irrelevanz, wie sie der Unileitung vorschwebt, werden wir nicht dulden. Wir fordern den Erhalt des Instituts für vergleichende Irrelevanz im Kettenhofweg 130, oder in einem vergleichbaren, prachtvollen Ersatzobjekt in zentraler Lage!


Die Vollversammlung am Turm




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