"In Spanien gilt noch Faschistenrecht"

Ralf Streck 22.01.2006 20:03 Themen: Repression Weltweit
Der 71 Jahre alte Vicente Muñiz aus Valencia (Spanien) Spanier will ein 1941 vollstrecktes Todesurteil gegen seine Eltern anfechten. Er hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg eingeschaltet um die Todesurteile eines Kriegsgerichts gegen seine Eltern annullieren zu lassen. Ein Gespräch mit Vicente Muñiz und weitere Infos unter:  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21696/1.html
F: Sie waren sechs Jahre alt, als Valencia sich 1939 als eine der letzten spanischen Städte den Putschtruppen unter General Francisco Franco ergab. Warum wurden Ihre Eltern verhaftet?

Meine Eltern waren Mitglieder der trotzkistisch-marxistischen Arbeiterpartei POUM, was ja schon ausreichte, um als »Rote«, wie die Faschisten sie nannten, an die Wand gestellt zu werden. Mein Vater war Fahrer des örtlichen Parteisekretärs und meine Mutter Haushälterin des Parteilokals. Da wir keine Wohnung hatten, wohnten wir dort auch. Die Räume waren von der POUM beschlagnahmt worden, sie hatten zuvor einem Bourgeois gehört. Ursprünglich ging es bei der Verhaftung um Raub, die Familie wollte ihr Eigentum zurück haben.

Als meinen Eltern 1941 jedoch der Schnellgerichtsprozeß gemacht wurde, behauptete ein Zeuge, meine Mutter habe erzählt, drei Frauen ermordet zu haben. Das Gericht hatte weder Leichen noch Namen der Ermordeten noch sonst etwas. Trotzdem wurden meine Eltern u. a. wegen Mordes zum Tode verurteilt. Am 6. April 1941 wurde das Urteil in Paterna vollstreckt, die Leichen wurden in einem Massengrab verscharrt, wo sie noch heute liegen.

F: Wie erfuhren Sie davon?

Nachdem Franco 1975 gestorben war und die Sozialisten unter Felipe Gonzalez sieben Jahre später die Wahlen gewannen, hofften viele Opfer, daß die Wahrheit ans Tageslicht komme. Ich dachte, die zuständigen Stellen würden mir die Dokumente über den Prozeß geben – Fehlanzeige. Ich schrieb an Verteidigungsminister Eduardo Serra – drei Jahre lang kam keine Antwort. Schließlich ließ er mir erklären, ich solle den Rechtsweg einschlagen.

F: Sie sind aber dann doch an einen Teil der Unterlagen gelangt ...

Letztlich hat mir der Generalkapitän der Armee in Valencia geholfen. Er war der einzige, der etwas getan hat. Die Politiker sind Meister im Betrug, sie spielen auf Zeit. Mit einigen Dokumenten, die mir zugesprochen wurden, wollten sie mich abspeisen. Mir ging es aber auch darum, eine Rente zu bekommen. Der Generalkapitän bot mir deshalb eine Amnestie für meine Eltern an. Doch ich will, daß die Urteile der Faschisten geprüft werden, damit das Unrecht festgestellt wird. Die Beteiligten an den Vorgängen sind sowieso längst tot. Es war damals normal, Leuten einen Mord anzuhängen, wenn ein Prozeß stattfand. Meine Eltern waren Linke, das war schon ihr Todesurteil.

F: Vor zwei Jahren ist Ihnen etwas Historisches gelungen. Erstmals wurde in Spanien vor dem Obersten Gerichtshof eine Revision zur Prüfung angenommen.

Die waren überrascht. Sie nahmen den Fall zunächst an – stoppten dann aber das Verfahren, weil sie fürchteten, es könne viele weitere Klagen nach sich ziehen. Zehntausende liegen heute noch in Massengräbern, und viele ihrer Hinterbliebenen wollen diese Todesurteile nachträglich anfechten.

F: Der Antrag wurde abgelehnt?

Die Richter erklärten, die Urteile basierten auf geltendem Recht. Es sei Sache der Politiker, die Gesetze zu ändern. Die aber sollten vor Scham im Boden versinken, daß in Spanien heute noch faschistisches Recht gilt. Man sollte sich das in Deutschland oder Italien einmal vorstellen! Bis heute hat es in Spanien nie eine Art Säuberung gegeben – faschistische Richter, Militärs oder deren Nachkommen sitzen überall auf hohen Posten. Die Sozialisten haben nach dem erneuten Wahlsieg vor knapp zwei Jahren diese Gesetze übrigens nicht geändert, obwohl sie es wieder einmal versprochen hatten.

F: Jetzt gehen Sie nach Strasbourg?

Ich habe Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero alle Zeit gelassen, ich habe ihm geschrieben und eine Kopie des Verfassungsgerichtsurteils geschickt. Der hat aber nicht einmal geantwortet! Ich glaube, die Richter in Strasbourg werden Bauklötze staunen, wenn sie sehen, daß in Spanien noch Faschistenrecht gilt.

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Ergänzungen

In Deutschland auch

cassiel 23.01.2006 - 17:05
In Deutschland gilt auch nicht selten faschistisches Recht, also alles was an Gesetzen in Nazi-Deutschland geschaffen, von der BRD übernommen wurde und bis heute praktisch unverändert gilt, also vor Gericht immer noch Bestand hat.