Lüneburg 05.11. - andersartiger Bericht

Uri Geller 06.11.2005 05:47 Themen: Atom
Reisebericht, Gedanken und Einschätzungen:

...erstmals seit Jahren fuhren am Samstag von Berlin aus Busse zu einer Anti-Atom-Veranstaltung !
Treffen und Abfahrt in aller frühe bei kühlem Nieselregen und wer von weiter her zum Treffpunkt aufgebrochen war, hatte noch strömenden Regen erleben dürfen.

In den beiden fast vollen Bussen (3 Leute hatten wohl verschlafen ?) saßen insgesamt 97 Menschen auf der Hinfahrt, mehrere davon blieben für den sonntäglichen wendländischen Aktionstag gleich in der Gegend während die Busse sich bereits samstag abends zurück nach Berlin aufmachten. Die Rückfahrenden wurden ergänzt durch einige Bahn-HinfahrerInnen, die bequemer zurück wollten.
Etliche sind auch per Bahn hin- und zurück gefahren oder per PKW von Berlin unterwegs gewesen.

Mancher und manche der Lüneburg-Reisenden wäre am liebsten gleichzeitig
in Lüneburg u n d in Potsdam gewesen, wo es ja auch zu tun gab.
(Schön, dass Potsdam gut gelaufen ist.)

Das Spektrum der Lüneburg-Mitfahrenden war ausgesprochen breit gefächert.

Leute aus den Umfeldern verschiedenster Umweltverbände (Greenpeace, BUND, Robin Wood, DNR, Grüne Liga -parteiunabhängiger ostdeutscher Umweltverband-, etc.), aus dem Umfeld anti-atom-aktionsgruppen, über 15 AktivistInnen der Berliner Samba-Percussion-Gruppe bis hin zu Leuten aus -im besten Sinne- extrem-linker Zusammenhänge verbrachten die Busfahrt auf engstem Raum. Auch Mitglieder der Partei-orientierten Grünen Jugend waren dabei, die allerdings -realistisch gesehen- zu einer partei-internen Minderheit zählen, bei denen der anti-atom Gedanke nicht nur äußerliches Lippenbekenntnis und Vergangenheitsrelikt ist, sondern auch zu persönlich engagierten aktiven Taten auf der Straße führen.

Zu übermäßigen Verbrüderungs-Szenen kam es nicht, aber die gemeinsame politisch-aktive Schnittmenge reichte aus, eine entspannte gemeinsame Fahrt in netter, menschlicher und -bezüglich der gemeinsamen Schnittmenge- solidarischer Atmosphäre zu verbringen.


Diese Schnittmenge besteht darin, einen eiligen und eiligeren Ausstieg aus einer Energieerzeugungs-Technologie erkämpfen zu wollen, die für Gegenwart und Zukunft üble Nebenwirkungen hat.

Die Schnittmenge besteht auch darin, dass den meisten der Gedanke plausibel ist, dass ein Atomausstieg nur verantwortlich sein kann, wenn es einher geht mit der energischen Förderung von Formen regenerativer ("erneuerbarer") Energieerzeugung ohne üble Nebenwirkungen, die der Dimension der Nebenwirkungen der Atomtechnologie ähneln würden.

Die Reise bot auch –mal als nette Abwechslung zum Berliner Alltag- ab Autobahn Boitzenburg eine vorbeiziehende ländliche idyllische Aussicht mit Dörfern, kleinen Fachwerkhäusern und sogar –„stimmt ja, so was gibt´s ja auf dem Lande, hatt´ ich glatt vergessen“- den Anblick friedlich grasender und nicht-beamteter Pferde auf Weiden neben der Straße.

In Lüneburg angekommen bewunderten die Mitfahrenden die bereits parkenden Reisebusse, den Doppeldecker aus Münster (oder Lübeck ?), den wohl sehr früh losgefahrenen Bus aus dem Breisgau und verteilten sich dann bei himmelblauem sonnig-frischem Herbstwetter je nach Bedürfnis auf die in Lüneburg vorgefundenen überregional angereisten FreundInnen, Bekannte, Blöcke, Gruppen und was auch immer oder zogen gemeinsam auf der Demo mit. Wobei der so aus Gelegenheit entstandene gruppenübergreifende „Berliner Block“ sich nicht irgendwie auffällig auf der Demo in Erscheinung setzte, andere überregionale Blöcke dann schon ehr.
Zum einen gaben Letztgenannte dann der Demo auch eine gewisse Würze und, zum anderen, obwohl manches meines Erachtens nicht so die feine Art war: also im nachhinein gesehn finde ich´s eigentlich auch nicht mehr so doll tragisch.

Es wäre törricht, sich jetzt deswegen zu unproduktiven Zerreibungsprozessen hinreißen zu lassen.

So verschieden ist und agiert nun mal das real-existierende vielfältige und teilweise auch widersprüchliche Anti-Atom-Spektrum, wo schlichtweg auch mal sehr unterschiedlich agiert wird.
Mensch kann es auch so sehen: dass so verschiedene Strömungen mit so teilweise differierender und sich immer mal wieder verhakender Ansichten von Politikverständnis, ein politisches Spektrum quer durch die Gesellschaft, wie diese heute nun mal ist, dass so verschiedene Strömungen nun seit knapp drei Jahrzehnten sich bei allen Spannungen und Höhen und Tiefen dann doch immer wieder neu zusammenfindet und gemeinsam, -für manche „Wohl oder übel“gemeinsam- auf die Straße geht,
zeigt doch, wie ernsthaft die mit der Atomtechnologie verbundenen gesellschaftlichen und ökologischen Gefahren von sehr vielen Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten und sonstigen Ansichten gesehen und empfunden werden.

Also, lasst uns immer wieder zur selben Zeit am selben Ort auf die Straße gehen.


Eine gemeinsame Schnittmenge der vielschichtigen Anti-Atom-Bewegung ist da weitestgehend auch die deutliche Kritik an den EnergieKonzernen und den –selbst in bürgerlichen Kreisen inzwischen zunehmend als system-immanent erkannten- eigendynamischen und undemokratischen Machtstrukturen und dem Zusammenhang, dass da große Finanzinteressen weiterhin scharf sind auf Weiterbetrieb oder Ausbau von Atomanlagen (Ausbau = von rot-grün hingenommene Erweiterung der Urananreicherungsanlage in Gronau, für alle, die es wahrhaben wollen und können) .

Und nicht jede(r), der/die bundesrepublikweit solche Gedanken und Empfindungen bezüglich der Atomenergie hat, findet auch den Schritt zur Tat, sei es Stromanbieterwechsel, sei es auf der Straße demonstrieren, sei es Aktion beim Castor-Transport.
Da fehlt ein Schritt, ausgehend von Gedanken und Empfindung
hin zur Tat.
Mag es mal Trägheit sein, mag es mal mangelnder Mut,
mag es mal sein:
der eigene Kopf gesteckt in den Sand der Problem-Verdrängung.

Ja, es gibt eine schweigende Mehrheit, die beim Gedanken an Atomenergie und den verbundenen Folgen schlichtweg und zurecht ein mulmiges Gefühl hat.

Umso wichtiger ist es, dass die, die den Schritt hin zur Taten auf den verschiedensten Ebenen für sich hinbekommen, dann auch tatsächlich (= „in-der-Tat“) auf die Straße gehen, ggf. auch auf die Schiene.

Solange keine ins gesinnungsmäßig-bräunliche-tendierende Mitmenschen dabei Platz suchen, ist doch eigentlich alles ok.

Alle zusätzlichen Streitigkeiten sind eigentlich unnötig oder –falls mentalitätsbedingt unvermeidlich- eben hinzunehmen.

Und beim Castor kann dann auch an verschiedenen Orten Aktivität entfaltet werden , da ist dann ja immer Platz genug entlang der Strecke.


Nach dem Sonntags-Aktionstag im Wendland ist die nächste große Gelegenheit die Auftaktdemonstration zum Castor-Transport (vermutlich 19.11. in Hitzacker.)

Und anschließend, wer die Zeit, die Kraft, den Mut und warme Kleidung hat, beim Castortransport selber, der wohl vom 20. bis mindestens 22. November erst durch Frankreich, dann durch die Bundesrepublik und dort zuletzt durchs Wendland verbracht werden soll, begleitet von einem polizeilichen und behördlichen Ausnahmezustand, der nach wie vor (und nach 30 Jahren wohlbegründetem Widerstand) eine zweifelhafte und kritikwürdige Dimension behält, die Dimension garnicht verlieren kann, unter welcher Regierung auch immer.

Da ändert auch weder der Umstand der medialen Bagatellisierung als nebenher kurz erwähnenswerte Randerscheinung, noch der Umstand, dass der irrsinnige Umgang mit unlösbar angefallenem hochradioaktiven Abfall inzwischen jährlich wiederkehrend durchs Wendland unschön durchgedrückt wird.


Zurück zur Lüneburg-Demo gestern am 05.11.:

Anfängliche Kundgebung und Demo-Zug waren erfreulich gut besucht, angesichts des Umstands, dass es nicht die eigentliche traditionelle
"Unmittelbar-Vor-Castor-Auftakt-Demo"
war
(denn diese vermutlich am 19.11. im schönen Wendland-Städtchen Hitzacker an der Elbe),
sondern
eine in kluger Intuition von Umweltverbänden frühzeitig angesetzte
"Auf-jeden-Fall-und-im-zweifelsfalle-dann-Vorfeld-Demo" gewesen ist.

Über Zahlen an Teilnehmenden zu spekulieren oder zu streiten ist völlig müßig, solange nicht mal jemand wirklich unbefangen und ehrlich durchzählen täte.

Bei der zweiten Kundgebung nach der Demo war es bereits kühl und am Dämmern, was wohl viele dazu bewegt hatte, den aktiven Tag früh zu beenden und zu erholsamerer Wochendgestaltung überzugehen. Daher war die Menschmenge nach Demo-Ende bei der abschließenden Kundgebung bereits wesentlich überschaubarer geworden.

Nach Beendigung zog es viele BerlinerInen noch dazu, in verschiedenen Gastronomien etwas Warmes zu sich zu nehmen (sehr nett die VoKü in der polizei-bedingt nur auf Umwegen erreichbaren Katzbachstrasse), bevor es daran ging müde und erschöpft in die beiden Reisebusse zurück nach Berlin zu steigen und gegen 22:30 Uhr zufrieden in Berlin zurückzukommen.


Viele sehen sich in Berlin wieder, wenn es jetzt Montag, 07.11., am Todestag vom französischen Castor-Aktivisten Sébastien Briat,
eine Mahnwache geben wird.
( 18:00 – 19:00 Uhr vor dem Bahnhof Alexanderplatz in Sichtweite des Ausgangs Richtung Fernsehturm, bitte Kerzen mitbringen !)

Anschließend wird eine anti-atom-soli-party stattfinden im Drugstore (Schöneberg, Potsdamerstr. 180 ) mit Vokü und einem Auftritt des „Anti-Liedermachers“ ´Paul, der Geigerzähler`, der virtuos Geige spielt und sich dabei mit bissigen Gesangstexten begleitet.



Die Tendenz geht beim Umhören dahin, dass auch viele Leute aus Berlin in zwei Wochen wieder oder dann erstmals ins Wendland aufbrechen, zur eigentlichen Castor-Auftakt-Demo und etliche bleiben dann mehrere Tage.

Ob es wieder ein Bus-Reise-Angebot ab Berlin gibt, hängt davon ab, ob sich wer rechtzeitig drum kümmert.

Aktuelle Infos zu Anlaufpunkten im Wendland wird es zunehmend auf der Seite  http://www.castor.de geben „Castor-Alarm 2005“ und

in Berlin auf speziellen Vor-Castor-Info-Veranstaltungen:

15.11.
20:00 Uhr beim aap (anti-atom-plenum), im ´blauen Salon´ , zweiter Stock über dem Mehringhoftheater neben der Kneipe „Clash“ im Mehringhof (Hinterhof), Gneisenaustr. 2a, in Berlin-Kreuzberg
und

16.11.
19:00 Uhr beim atomic-café in der Kneipe ´die BAIZ` , Torstrasse/Ecke Christinenstrasse, Berlin-Mitte (inhaltlich gestaltet von Leuten der ´Eisbären´, anti-atom-gruppe an der TU).
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Ergänzungen

den Doppeldecker aus Münster (oder Lübeck ?),

jop 06.11.2005 - 13:19
Münster und das war nicht der einzige bus aus MS war noch ne 2. da !
Dank an die Leute aus dem Münsterland