Prozesserklärung von Daniel Winter

Solidarität muss praktisch werden 13.04.2005 14:49 Themen: Repression
Nachfolgend findet ihr die Prozesserklärung von Daniel zum Prozessauftakt am 05. April 2005 in Halle. Weitere Prozesstermine findet ihr auf der Internetseite der Soligruppe Magdeburg (www.soligruppe.de). Besonders hervorzuheben ist der 24. Mai 2005.
Am 24.05.2005 findet vor dem OLG Halle (Thüringer Straße 16) der 5. Prozesstag im Revisionsverfahren des so genannten „Magdeburger Terroristen Prozesses“ statt.
Alleine an diesem Tag sind 14 ZeugInnen vorgeladen, welche teilweise aus der linken Szene stammen. Wir gehen davon aus, dass es dort zu Aussageverweigerungen und damit verbunden auch zu Repressionsmaßnahmen wie Beugehaft kommen wird. Damit unsere FreundInnen und GenossInnen dies nicht alleine durchstehen müssen, rufen wir dazu auf, an diesem Tag zahlreich vor dem Gerichtsgebäude und im Verhandlungssaal zu erscheinen und so die ZeugInnen in ihrer Entscheidung zu unterstützen. Zeigen wir den Herrschenden, dass wir uns in keinem Fall spalten oder einschüchtern lassen.

Gegen jede Vereinzelung! Solidarität ist unsere Waffe!
Prozesserklärung


Rückblick:

Am 21.11. 2003 wurden Marco und ich nach fast einem Jahr in
Untersuchungshaft „haftverschont“ und somit aus der U- Haft entlassen.
Eigentlich ist die Dauer von einem Jahr in U- Haft unverhältnismäßig aber
auch ein Richter oder ein angehender Bundesanwalt können natürlich mal das
Augenmaß verlieren, auf wessen Kosten auch immer und natürlich ohne sich
dafür rechtfertigen zu müssen.
Während der gesamten ersten Verhandlung gab es weder einen eindeutigen
Tatnachweis, noch irgendwelche anderen Hinweise auf eine Beteiligung von
Marco und mir an den uns zur Last gelegten „Anschlägen“.
Statt dessen stellte sich heraus, dass außer dem mir zugeordneten
Fingerabdruck auf dem Postpaket, das unter dem Fahrzeug des
Bundesgrenzschutz gefunden wurde, noch viele weitere Fingerabdrücke auf
diesem Postpaket sichergestellt wurden, die jedoch nie ausgewertet wurden.
Zeugen, die Alibis für den Zeitpunkt einzelner uns vorgeworfener
„Straftaten“ geben konnten,
wurden vom 1. Strafsenat als „unglaubwürdig“ hingestellt und entlastende
Beweisanträge unserer Rechtsanwälte wie z. B. die Hinzuziehung eines
Linguistikers in Bezug auf die BekennerInnenschreiben oder die Hinzuziehung
von Akten des Landes- bzw. Bundesamtes für Verfassungsschutz
unverständlicherweise abgelehnt.

Am 16. 12. 2003 sprach der 1. Strafsenat des OLG Naumburg das Urteil gegen
Marco und mich. Zwei Jahre und sechs Monate plus sämtlicher Verfahrenskosten
für Marco und zwei Jahre nach Jugendstrafrecht für mich. Carsten, der ein
halbes Jahr in U- Haft saß und für das lächerliche Konstrukt einer
terroristischen Vereinigung der Bundesanwaltschaft als dritte benötigte
Person herhalten sollte, wurde freigesprochen und haftentschädigt.
In der mündlichen Urteilsbegründung erklärte der damals vorsitzende Richter
Hennig sinngemäß, dass man zwar keine Beweise habe, aber sich der Senat
schon vorstellen könnte, dass wir die uns vorgeworfenen Straftaten begangen
haben. Ein eindeutiger Hinweis auf Gesinnungsstrafrecht!
Außerdem setzte der damals vorsitzende Richter brennende Fahrzeuge mit
brennenden Synagogen gleich – eine sehr unglückliche Äußerung für eine
Person in seinem Amt. Und das war nicht die einzige Links - Rechts -
Gleichsetzung in seiner mündlichen Urteilsbegründung.

Wissen wir doch, dass an der Strafverfolgung von mordenden und zündelnden
Nazischergen kein staatliches Interesse besteht! Wie sonst sind denn auch
Urteile wie das des Landgerichtes Schwerin zu verstehen, wo die Angeklagten
für Angriffe mit Molotowcocktails auf ein bewohntes Hochhaus in Rostock-
Lichtenhagen, also dem Tatbestand des mehrfach versuchten Mordes,
Bewährungsstrafen bekamen. Zu erwähnen sind auch die Bewährungsstrafen im
Brandenburger §129a- Verfahren oder der gestrige Freispruch eines
Halberstädter Nazis, der im April 2000 seinen 60jährigen Nachbarn ermordete.

Marco und ich legten über unsere Verteidiger Revision gegen das Urteil ein,
die beim Bundesgerichtshof auch durchging.
Natürlich hätten wir lieber Berufung gegen das Urteil eingelegt, damit ein
völlig neues unvoreingenommenes Gericht auf Grund einer eigenständigen
unvoreingenommenen Beweisaufnahme zu einer Entscheidung kommt.

Am 22. 02. 2005 begann die Revisionsverhandlung gegen Marco, da der BGH die
Ansicht vertrat, dass die Strafhöhe in Bezug auf die Urteilsbegründung des
1. Strafsenats des OLG Naumburg unangemessen war.
Statt das Urteil nach unten zu korrigieren, hielten Sie, der 2. Strafsenat
des OLG Naumburg, es für angemessen, das alte Urteil aufrecht zu erhalten
und eine neue Urteilsbegründung zu verfassen. Und all das nach über einem
Jahr in Freiheit, keinerlei polizeilicher Auffälligkeiten, einer ernsthaft
nachgegangenen Ausbildung die nun abgebrochen werden muss und sozialer
Integrität durch Verlobte und Familie.
Das haben Sie nun im Namen des Volkes, wer das auch immer sein mag, alles
zerstört,
obwohl Sie in die Akten eingearbeitet waren und seine Lebensumstände
kannten.
Ist das die von Ihnen beabsichtigte Resozialisierung?




Zur heute beginnenden Verhandlung und darüber hinaus:

„Kein Zynismus kann das Leben übertreffen.“
Anton Pawlow Tschechow

Heute beginnt nun erneut die Verhandlung gegen mich und allein die Tatsache,
dass zwei der anwesenden Richter schon an der ersten Verhandlungsrunde
beteiligt waren, verdeutlicht, dass scheinbar kein Interesse an einem fairen
Verfahren besteht, sonst hätten Sie wohl von der voreingenommenen Besetzung
abgesehen.

Natürlich ist es Ihre Aufgabe, Formen des sozialen Widerstands in seine
Schranken zu weisen, und auch wenn Sie von Begriffen wie „Klassenjustiz“
nichts hören wollen, so praktizieren Sie als VertreterInnen der deutschen
Judikative doch genau diese! Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel des
Mannesmann- Verfahrens, bei dem alle Angeklagten aus dem Aufsichtsrat frei
gesprochen wurden, sondern auch am Beispiel der Strafanzeige des Berliner
Rechtsanwalts Wolfgang Kaleck, der am 30. November 2004, im Namen einer US-
amerikanischen Menschenrechtsorganisation und vier irakischen Folteropfern,
bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe unter Bezug auf das
bundesdeutsche Völkerstrafgesetzbuch Anzeige erstattete. Die
Bundesanwaltschaft sah trotz nachweisbarer Folter und eines
völkerrechtswidrigen Angriffskriegs nach eigenem Bekunden „in Ansehung des
Grundsatzes der Subsidarität (Nachrangigkeit), kein Raum für ein Tätigwerden
deutscher Ermittlungsbehörden.“

Noch nie in der deutschen Geschichte ging es den großen Unternehmen wie
Daimler- Chrysler, der deutschen Telekom oder auch Siemens so gut wie heute.
Nie zuvor wurden so große Gewinne eingefahren, wie in den letzten Jahren;
Tendenz steigend!
Nie zuvor fand aber auch eine so enorme materielle Umverteilung von unten
nach oben statt, wie sie in den vergangenen Jahren erfolgte. Auch hier ist
die Tendenz steigend!
Immer wieder propagieren Wirtschaft und Politik „wir müssen den Gürtel enger
schnallen“, „unseren Lebensstil nach unten schrauben“ oder „jeder muss
Kürzungen und Einschränkungen in Kauf nehmen“.
Trotz enormer Profitmaximierungen auf Rekordniveau werden tausende
ArbeitnehmerInnen entlassen, in den Billiglohnsektor abgeschoben und in
ihren Rechten beschränkt.
Das Kapital diktiert die Politik! Aber wollen wir das? Nein!
Es ist nicht verwunderlich, dass sich gegen diese Politik der Ausbeutung und
Unterdrückung Widerstand entwickelt, wird doch gerade durch Hartz4 Armut per
Gesetz diktiert.
Warum sind denn die Gefängnisse überfüllt?
Weil es sich bei einem Großteil der sozialen Gefangenen um Menschen handelt,
die keinen anderen Weg sehen sich finanziell über Wasser zu halten. Sie sind
dazu gezwungen „kriminell“ zu agieren um ihr Überleben zu sichern.

Es ist die Aufgabe der deutschen Linken sich dieser Entwicklung anzunehmen
und den Knast als Feld sozialer Kämpfe wieder zu entdecken.
Widerstand regt sich auch hinter Gittern und politische wie auch soziale
Gefangene brauchen unsere Solidarität.
Jeder von uns könnte der/ die Nächste sein, ob nun auf Grund unbezahlter
Rechnungen, dem Diebstahl von Lebensmitteln oder anstehender Abschiebung.
Wir werden um den Aufbau organisatorischer Strukturen vor und hinter den
Mauern nicht herum kommen also lasst uns endlich handeln und nicht nur
reden: Unsere Solidarität kennt keine Grenzen, konzentrieren wir uns auf das
Wesentliche!!!

In diesem Sinn viele Grüße, Kraft und Ausdauer für die momentan in Aachen
angeklagten Gabriel, Bart, José und Begoña!
Solidarität mit den Betroffenen der Repressionswelle in Baden- Württemberg
und den §129 StGB – Kriminalisierten in Hamburg!
Solidarität mit den 1. Mai- Verurteilten und allen Gefangenen in
europäischer Abschiebehaft!
Solidarität mit den GenossInnen von Libertad!, die auf Grund einer Online-
Demonstration gegen die Abschiebepraxis der Lufthansa kriminalisiert werden!
Solidarität mit Thomas Meyer- Falk, Rainer Dittrich, Birgit Hogefeld, Eva
Haule, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und den Verurteilten aus
angeblichen RZ- Zusammenhängen!
Die RAF- Gefangenen müssen raus! – Christian Klar muss nach Berlin, setzen
wir uns dafür ein!
Solidarität mit den baskischen GenossInnen, die dieses Jahr unter
zahlreichen Massenprozessen zu leiden haben!
Solidarität mit den Gefangenen der Action Directe in Frankreich und den
GenossInnen des 17. November und der ELA in Griechenland!
Grüße und Solidarität auch an alle türkischen und kurdischen GenossInnen,
die nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland einer enorm starken
Repression ausgesetzt sind!

Freiheit für alle sozialen und politischen Gefangenen weltweit! Kein Knast
steht ewig!
Kriminell ist das System und nicht der Widerstand! – Gegen jede Form von
Ausbeutung und Unterdrückung!

Für die soziale Revolution weltweit!!!


Daniel Winter, 05.04. 2005
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Ergänzungen