Spaziergänge gegen Ein-Euro-Jobs

arbeitslose Sozialschmarotzer 31.03.2005 11:47 Themen: Soziale Kämpfe
Hier der neue Text des aktuellen Flugblattes, das wir auf den Spaziergängen verteilen. (siehe auch Berichte zu den Spaziergängen)
Liebe Schwarzarbeiterinnen, streiklustigen Metaller,
arbeitsscheuen Sozialschmarotzer! Liebe Scheinasylanten, Scheinstudenten und langlebige Rentnerinnen!
Liebe Standortschädlinge!


Wir haben eine fröhliche Tradition der Berliner Arbeitslosen und Taugenichtse wieder aufgegrif­fen. Seit Januar 2005 treffen wir uns regel­mäßig zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen wir Dinge tun, die sich alleine niemand traut: Ämter inspi­zieren, Kantinen testen, zu­sammen schwarz fahren, 1-Euro-Sklaven auf der Arbeit besuchen und dabei auch gleich mal im Büro des Chefs vorbeischauen...

Wir versuchen dabei heraus zu finden, wo die Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden, wer dahin ver­mit­telt wird, was die Leute dann tun. Deshalb sind wir auf unseren Spazier­gängen zu Einsatz­stellen von Ein-Euro-Job­bern un­terwegs. Zu den Trä­gern, die Ein-Euro-Stellen ein­ge­richtet haben, gehören in Ber­lin die Caritas, die AWO, Kubus e.V., Pfeffer­werk e.V., KEBAB, Lowtec/GFBM, BUF, Goldnetz, pro futura e.V., Schildkröte fahrbarer Mittags­tisch und viele andere.

Warum die Ein-Euro-Jobs?

Die Ein-Euro-Jobs sind ein wichtiger Bestand­teil von Hartz IV. Die neuen Gesetze sind ein all­ge­mei­ner und massiver Angriff auf unsere Lebens- und Arbeits­bedingungen – ob Ein-Euro-Job­berin, ABMler, Mini-Job­ber, Arbeitslose oder Fest­an­ge­stellte. Mit Hartz IV wurde ein Droh­sze­nario ge­schaffen, mit dem vor allem die­jenigen, die einen Job haben, un­ter Druck ge­raten und erpresst werden sollen. Die Arbei­terInnen – egal ob in der Auto­industrie oder im Kranken­haus – sollen Verschlechte­rungen pro­test­los in Kauf neh­men. Im ver­gangenen Jahr wur­den in etlichen Be­reichen Lohn­kürzungen und Arbeitszeitver­län­ger­ungen durch­gesetzt. Andererseits sehen sich wie­der­um Arbeitslose ge­nötigt, Jobs zu viel schlech­teren Bedingungen anzunehmen. Es wer­den nicht nur die Sozial­leistungen gekürzt, son­dern gleichzeitig auch die Löhne ge­drückt.

Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs soll vor allem im Be­reich des öffent­lichen Dienstes (Schu­len, Kitas, Pflegeeinrich­tungen u.a.) ein breiter Niedrig­lohn­sektor ein­ge­führt werden. Es ist falsch, wenn uns erzählt wird, dass die Ein-Euro-Jobs keine regulären Stellen ver­drängen würden und nur „zusätzlich“ wären. Wir sind auf unseren Spazier­gängen auf ganz andere Tatsachen gestoßen. Gleichzeitig dienen die Ein-Euro-Stellen zur Diszi­plinierung und Kontrolle von Arbeitslosen. Man soll beweisen, dass man in der Lage ist, früh auf­zustehen und sich einem normalen Arbeits­rhyth­mus anzu­passen.

Die Ein-Euro-Jobberinnen bekommen weder Kran­ken­geld noch Urlaub, sie können somit auch nicht einfach mal blau machen und sind ge­zwun­gen, den Job im vorgeschriebenen Zeit­raum zu machen. Eine Ablehnung wird mit der Kürzung des ALG II um ein Drittel oder im wiederholten Fall mit einer Sperre der Sozialleis­tung bestraft. Damit wird nicht nur der Druck verstärkt, sondern ver­schärft Kon­trolle über die freie Zeit von Arbeits­losen aus­ge­übt – mit einem Ein-Euro-Job ist es schwie­rig, weiterhin schwarz zu malochen oder einfach mal weg zu fahren.

Für viele Ein-Euro-Jobber sind 180 Euro monat­lich zusätzlich zum Arbeits­losengeld II wenigstens ein kleiner Zu­verdienst, auf den sie kaum ver­zich­ten können. Reguläre Jobs, die angeboten wer­den, sind oft genauso mies bezahlt wie Ein-Euro-Jobs plus ALG II - oft sogar unter schlech­teren Arbeitsbedingungen.

Proteste von Arbeitslosen sind in den letzten Jahren verpufft oder unbedeutend ge­blieben, weil sich die Leute nur zufällig und sporadisch auf den Ämtern trafen und auch dort wenig miteinander zu tun hatten. Die zahlreichen Montagsdemos haben deutlich gemacht, dass sich die Hartz-IV-Re­for­men mög­licherweise nicht wie geplant durch­set­zen lassen. Wirksam wer­den die Proteste jedoch erst, wenn sie in unserem Alltag statt­finden und sich gegen die Verhältnisse rich­ten, die uns aufgedrückt werden. Die neuen Regelungen und damit ver­bun­denen Angriffe auf unsere Lebensbe­dingungen betreffen So­zial­hilfe­emp­fängerin­nen, Studien­ab­gän­ger, besser qualifi­zier­te Arbeitslose, Haus­frauen und Jobber im Niedriglohnbe­reich glei­chermaßen. Sie alle be­kommen von nun an Arbeits­lo­sen­geld II und es besteht die Mög­lichkeit, dass sie einen Ein-Euro-Job machen müssen.

Wir haben die Hoffnung, dass aus den wütenden Lang­zeit­arbeits­losen, unzufriedenen Malochern und enttäuschten Akademikerinnen eine explosi­ve Mischung entsteht. Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs gibt es Bereiche, in denen die Leute neu zusammen kommen und gemeinsam gegen die Angriffe vorgehen können. Möglich ist, dass es nicht bei der Unzufriedenheit und ab­lehnenden Haltung einzelner Leute bleibt, sondern daraus kollektive Formen des Widerstands entstehen: Dienst nach Vorschrift, Streiks und andere wirk­sa­me Proteste, mit denen Sand ins Getriebe kommt.

Berlin im März 2005



"Was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"

Da wir selbst arbeitslos sind oder es jederzeit werden können, kann es sein, dass auch wir uns demnächst in sol­chen Ein-Euro-Maßnahmen wiederfinden. Des­we­gen wollen wir mit möglichst vielen Leuten reden, die in Ein-Euro-Jobs ar­beiten. Die Infos, die wir auf un­seren Spa­ziergängen erhalten, geben wir an anderen Orten, an denen wir mit Leuten ins Gespräch kommen, weiter. Wir wollen damit die durch Hartz IV verstärkte Isolation der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten auf­bre­chen und Situationen schaf­fen, in denen Er­fah­run­gen aus­ge­tauscht werden und die Leute sich auf­ein­an­der be­zie­hen können.

Hier ein paar Eindrücke von unseren Spa­ziergängen:

* Von wegen „zusätzliche“ Arbeit: Wir waren in einer Grundschule in Neukölln, in der etwa 30 Leute auf ABM oder Ein-Euro-Basis beschäftigt sind. Sie decken alle möglichen Be­reiche ab: Kantine, Wartung und Betreuung des Compu­ter­rau­mes, Renovierungen und Hausmeisterarbeiten, Sportgruppe, Einzelunterricht mit auffälligen Kindern, Schulhort (sog. „Schulstation“). Für die Betreuung im Schul­hort gab es z.B. vor fünf Jahren noch zwei fest­angestellte Erzieherinnen, danach lief es auf ABM-Basis, jetzt sind es Ein-Euro-Stellen. Es ist klar, dass der Schulbetrieb ohne diese Maßnahmen völ­lig zusammenbrechen würde.

* In den Gesprächen mit Ein-Euro-JobberInnen wurde immer wieder deutlich, dass die Leute keine Wahl haben und auf den geringsten Zuverdienst ange­wiesen sind. Von Arbeits­losengeld II kann man nicht leben, wenn man nicht zusätzlich schwarz arbeitet. Und es scheint in Ber­lin in vielen Bereichen kaum Jobs zu geben, die attrak­tiver wären. Die Leute rechnen sich aus, was bes­ser ist: So erzählte uns eine Frau, dass sie lieber den Ein-Euro-Job macht, mit regelmäßigen Arbeitszeiten und einem interessanten Aufgabenbereich (sie arbeitet mit Kindern), als in einer Bäckerei bis 21 Uhr Bröt­chen zu verkaufen und damit genauso viel zu ver­dienen (ein Job, der ihr angeboten wurde).

* Ein Mann erzählte uns, dass das Arbeitsamt ihm schon im Oktober 2004 mit einer Kürzung des Arbeits­losen­geldes II um 30 Prozent drohte, falls er den Ein-Euro-Job nicht annehmen würde. Auch andere hat das Ar­beits­amt versucht einzuschüchtern: „Sie kön­nen jetzt den Job noch ablehnen, aber Sie wissen ja, was im Januar auf Sie zukommt.“

* Wir waren mehrmals in einem Verein, der verschie­dene Werkstätten betreibt, in denen aus­schließlich ABMlerinnen und Ein-Euro-Jobber arbeiten. Dort wer­den Kuscheltiere für Kindergärten genäht, Spielplätze repariert, alte Museumsstücke neu aufgearbeitet... Nach außen gibt sich der Verein sozial für sein Engagement - immerhin gibt er vielen Langzeitarbeitslosen ein "berufliche Chance". Die Leute, mit denen wir dort ge­sprochen haben, sehen das zum Teil ganz anders: In einer Werkstatt werden Holzstühle für Kindergärten per Hand abgeschliffen. Reine Beschäftigung, denn dafür gäbe es Maschinen, einige der Leute haben sogar eine ent­sprechende Ausbildung dafür. "Hier geht's doch nur darum, dass wir wieder lernen, pünktlich zur Arbeit zu kommen und uns den Anforderungen anzupassen." - "Der Ar­beits­alltag ist ziemlich locker, aber hier laufen genug Leute durch die Werk­stätten, die aufpassen und Stress machen." - „Ich fin­de das Soziale an dem Verein ja nicht verkehrt, was sie für die Kindergärten machen und so. Das einzige, was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"

* Die meisten Ein-Euro-JobberInnen finden es scheiße, dass sie kein Krankengeld bekommen und keinen Urlaub nehmen können. "Der einzige Vorteil von Leuten, die eine ABM haben, ist, dass sie blau machen können. Sonst verdienen sie genauso viel wie wir und müssen auch noch länger arbeiten."

* Seit Januar diesen Jahres wird das BVG-Monatsticket nicht mehr vom Arbeitsamt übernommen, falls jemand einen Ein-Euro-Job hat. Das heißt dann, von 180 Euro Zuverdienst im Monat muss man 32 Euro allei­ne für die öffentlichen Verkehrsmittel berappen, um täg­lich zum Arbeits­platz und zurück zu kommen.

* Von offizieller Seite wird behauptet, dass die Ein-Euro-Jobs dazu dienen, die Arbeitslosen wieder fit für re­guläre Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt zu machen. Die meisten Ein-Euro-JobberInnen können über diese Behauptung nur lachen. Sie wissen, dass sie nach sechs bis neun Monaten Job wieder gehen können und das war's. In vielen Bereichen werden die Leute auch nicht wei­ter­qualifiziert. So erzählten uns Ein-Euro-Job­berinnen, dass die einzige "Qualifizierung" ein Bewer­bungs­training war, das vier Tage dauerte.

* Bei einem der Beschäftigungsträger machten zu­künftige Ein-Euro-JobberInnen eine Pflege-Kurs, um anschließend im Bereich der Altenpflege eingesetzt zu werden. Dieser 200 Stunden umfassende Basis-Kurs war bisher die Grundausbildung zur Pflegehelferin. Da­mit konnte man einen regulären Job mit Arbeitsvertrag im Pflegebereich bekommen. Für Anbieter von Pflege­dienstleistungen werden jedoch in Zukunft die Ein-Eu­ro-Jobber (bei gleicher Qualifizierung) die billigere Variante sein und bevorzugt werden.

* Auch in linken bzw. alterna­tiven Projekten werden Ein-Euro-Jobs eingerichtet. Wir waren bei einem Träger, der verschiedene Projekte im sozio-kulturellen Bereich anschiebt. Leute, die seit langem ehrenamtlich in den Projekten arbeiten, haben den Verein gefragt, ob sie ihre Arbeit jetzt über Ein-Euro-Stellen finanzieren können. Das Geld, das der Verein für diese Stellen bekommt (alle Träger bekommen insgesamt 500 Euro pro Ein-Euro-Job, davon gehen nur 180 an den Jobber), soll in die Projekte des Vereins fließen. Von anderen kleineren Vereinen haben wir mitbekommen, dass die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs sehr kontro­vers diskutiert wird.
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