Spaziergänge gegen Ein-Euro-Jobs
Hier der neue Text des aktuellen Flugblattes, das wir auf den Spaziergängen verteilen. (siehe auch Berichte zu den Spaziergängen)
Liebe Schwarzarbeiterinnen, streiklustigen Metaller,
arbeitsscheuen Sozialschmarotzer! Liebe Scheinasylanten, Scheinstudenten und langlebige Rentnerinnen!
Liebe Standortschädlinge!
Wir haben eine fröhliche Tradition der Berliner Arbeitslosen und Taugenichtse wieder aufgegriffen. Seit Januar 2005 treffen wir uns regelmäßig zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen wir Dinge tun, die sich alleine niemand traut: Ämter inspizieren, Kantinen testen, zusammen schwarz fahren, 1-Euro-Sklaven auf der Arbeit besuchen und dabei auch gleich mal im Büro des Chefs vorbeischauen...
Wir versuchen dabei heraus zu finden, wo die Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden, wer dahin vermittelt wird, was die Leute dann tun. Deshalb sind wir auf unseren Spaziergängen zu Einsatzstellen von Ein-Euro-Jobbern unterwegs. Zu den Trägern, die Ein-Euro-Stellen eingerichtet haben, gehören in Berlin die Caritas, die AWO, Kubus e.V., Pfefferwerk e.V., KEBAB, Lowtec/GFBM, BUF, Goldnetz, pro futura e.V., Schildkröte fahrbarer Mittagstisch und viele andere.
Warum die Ein-Euro-Jobs?
Die Ein-Euro-Jobs sind ein wichtiger Bestandteil von Hartz IV. Die neuen Gesetze sind ein allgemeiner und massiver Angriff auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen – ob Ein-Euro-Jobberin, ABMler, Mini-Jobber, Arbeitslose oder Festangestellte. Mit Hartz IV wurde ein Drohszenario geschaffen, mit dem vor allem diejenigen, die einen Job haben, unter Druck geraten und erpresst werden sollen. Die ArbeiterInnen – egal ob in der Autoindustrie oder im Krankenhaus – sollen Verschlechterungen protestlos in Kauf nehmen. Im vergangenen Jahr wurden in etlichen Bereichen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen durchgesetzt. Andererseits sehen sich wiederum Arbeitslose genötigt, Jobs zu viel schlechteren Bedingungen anzunehmen. Es werden nicht nur die Sozialleistungen gekürzt, sondern gleichzeitig auch die Löhne gedrückt.
Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs soll vor allem im Bereich des öffentlichen Dienstes (Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen u.a.) ein breiter Niedriglohnsektor eingeführt werden. Es ist falsch, wenn uns erzählt wird, dass die Ein-Euro-Jobs keine regulären Stellen verdrängen würden und nur „zusätzlich“ wären. Wir sind auf unseren Spaziergängen auf ganz andere Tatsachen gestoßen. Gleichzeitig dienen die Ein-Euro-Stellen zur Disziplinierung und Kontrolle von Arbeitslosen. Man soll beweisen, dass man in der Lage ist, früh aufzustehen und sich einem normalen Arbeitsrhythmus anzupassen.
Die Ein-Euro-Jobberinnen bekommen weder Krankengeld noch Urlaub, sie können somit auch nicht einfach mal blau machen und sind gezwungen, den Job im vorgeschriebenen Zeitraum zu machen. Eine Ablehnung wird mit der Kürzung des ALG II um ein Drittel oder im wiederholten Fall mit einer Sperre der Sozialleistung bestraft. Damit wird nicht nur der Druck verstärkt, sondern verschärft Kontrolle über die freie Zeit von Arbeitslosen ausgeübt – mit einem Ein-Euro-Job ist es schwierig, weiterhin schwarz zu malochen oder einfach mal weg zu fahren.
Für viele Ein-Euro-Jobber sind 180 Euro monatlich zusätzlich zum Arbeitslosengeld II wenigstens ein kleiner Zuverdienst, auf den sie kaum verzichten können. Reguläre Jobs, die angeboten werden, sind oft genauso mies bezahlt wie Ein-Euro-Jobs plus ALG II - oft sogar unter schlechteren Arbeitsbedingungen.
Proteste von Arbeitslosen sind in den letzten Jahren verpufft oder unbedeutend geblieben, weil sich die Leute nur zufällig und sporadisch auf den Ämtern trafen und auch dort wenig miteinander zu tun hatten. Die zahlreichen Montagsdemos haben deutlich gemacht, dass sich die Hartz-IV-Reformen möglicherweise nicht wie geplant durchsetzen lassen. Wirksam werden die Proteste jedoch erst, wenn sie in unserem Alltag stattfinden und sich gegen die Verhältnisse richten, die uns aufgedrückt werden. Die neuen Regelungen und damit verbundenen Angriffe auf unsere Lebensbedingungen betreffen Sozialhilfeempfängerinnen, Studienabgänger, besser qualifizierte Arbeitslose, Hausfrauen und Jobber im Niedriglohnbereich gleichermaßen. Sie alle bekommen von nun an Arbeitslosengeld II und es besteht die Möglichkeit, dass sie einen Ein-Euro-Job machen müssen.
Wir haben die Hoffnung, dass aus den wütenden Langzeitarbeitslosen, unzufriedenen Malochern und enttäuschten Akademikerinnen eine explosive Mischung entsteht. Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs gibt es Bereiche, in denen die Leute neu zusammen kommen und gemeinsam gegen die Angriffe vorgehen können. Möglich ist, dass es nicht bei der Unzufriedenheit und ablehnenden Haltung einzelner Leute bleibt, sondern daraus kollektive Formen des Widerstands entstehen: Dienst nach Vorschrift, Streiks und andere wirksame Proteste, mit denen Sand ins Getriebe kommt.
Berlin im März 2005
"Was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"
Da wir selbst arbeitslos sind oder es jederzeit werden können, kann es sein, dass auch wir uns demnächst in solchen Ein-Euro-Maßnahmen wiederfinden. Deswegen wollen wir mit möglichst vielen Leuten reden, die in Ein-Euro-Jobs arbeiten. Die Infos, die wir auf unseren Spaziergängen erhalten, geben wir an anderen Orten, an denen wir mit Leuten ins Gespräch kommen, weiter. Wir wollen damit die durch Hartz IV verstärkte Isolation der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten aufbrechen und Situationen schaffen, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden und die Leute sich aufeinander beziehen können.
Hier ein paar Eindrücke von unseren Spaziergängen:
* Von wegen „zusätzliche“ Arbeit: Wir waren in einer Grundschule in Neukölln, in der etwa 30 Leute auf ABM oder Ein-Euro-Basis beschäftigt sind. Sie decken alle möglichen Bereiche ab: Kantine, Wartung und Betreuung des Computerraumes, Renovierungen und Hausmeisterarbeiten, Sportgruppe, Einzelunterricht mit auffälligen Kindern, Schulhort (sog. „Schulstation“). Für die Betreuung im Schulhort gab es z.B. vor fünf Jahren noch zwei festangestellte Erzieherinnen, danach lief es auf ABM-Basis, jetzt sind es Ein-Euro-Stellen. Es ist klar, dass der Schulbetrieb ohne diese Maßnahmen völlig zusammenbrechen würde.
* In den Gesprächen mit Ein-Euro-JobberInnen wurde immer wieder deutlich, dass die Leute keine Wahl haben und auf den geringsten Zuverdienst angewiesen sind. Von Arbeitslosengeld II kann man nicht leben, wenn man nicht zusätzlich schwarz arbeitet. Und es scheint in Berlin in vielen Bereichen kaum Jobs zu geben, die attraktiver wären. Die Leute rechnen sich aus, was besser ist: So erzählte uns eine Frau, dass sie lieber den Ein-Euro-Job macht, mit regelmäßigen Arbeitszeiten und einem interessanten Aufgabenbereich (sie arbeitet mit Kindern), als in einer Bäckerei bis 21 Uhr Brötchen zu verkaufen und damit genauso viel zu verdienen (ein Job, der ihr angeboten wurde).
* Ein Mann erzählte uns, dass das Arbeitsamt ihm schon im Oktober 2004 mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II um 30 Prozent drohte, falls er den Ein-Euro-Job nicht annehmen würde. Auch andere hat das Arbeitsamt versucht einzuschüchtern: „Sie können jetzt den Job noch ablehnen, aber Sie wissen ja, was im Januar auf Sie zukommt.“
* Wir waren mehrmals in einem Verein, der verschiedene Werkstätten betreibt, in denen ausschließlich ABMlerinnen und Ein-Euro-Jobber arbeiten. Dort werden Kuscheltiere für Kindergärten genäht, Spielplätze repariert, alte Museumsstücke neu aufgearbeitet... Nach außen gibt sich der Verein sozial für sein Engagement - immerhin gibt er vielen Langzeitarbeitslosen ein "berufliche Chance". Die Leute, mit denen wir dort gesprochen haben, sehen das zum Teil ganz anders: In einer Werkstatt werden Holzstühle für Kindergärten per Hand abgeschliffen. Reine Beschäftigung, denn dafür gäbe es Maschinen, einige der Leute haben sogar eine entsprechende Ausbildung dafür. "Hier geht's doch nur darum, dass wir wieder lernen, pünktlich zur Arbeit zu kommen und uns den Anforderungen anzupassen." - "Der Arbeitsalltag ist ziemlich locker, aber hier laufen genug Leute durch die Werkstätten, die aufpassen und Stress machen." - „Ich finde das Soziale an dem Verein ja nicht verkehrt, was sie für die Kindergärten machen und so. Das einzige, was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"
* Die meisten Ein-Euro-JobberInnen finden es scheiße, dass sie kein Krankengeld bekommen und keinen Urlaub nehmen können. "Der einzige Vorteil von Leuten, die eine ABM haben, ist, dass sie blau machen können. Sonst verdienen sie genauso viel wie wir und müssen auch noch länger arbeiten."
* Seit Januar diesen Jahres wird das BVG-Monatsticket nicht mehr vom Arbeitsamt übernommen, falls jemand einen Ein-Euro-Job hat. Das heißt dann, von 180 Euro Zuverdienst im Monat muss man 32 Euro alleine für die öffentlichen Verkehrsmittel berappen, um täglich zum Arbeitsplatz und zurück zu kommen.
* Von offizieller Seite wird behauptet, dass die Ein-Euro-Jobs dazu dienen, die Arbeitslosen wieder fit für reguläre Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt zu machen. Die meisten Ein-Euro-JobberInnen können über diese Behauptung nur lachen. Sie wissen, dass sie nach sechs bis neun Monaten Job wieder gehen können und das war's. In vielen Bereichen werden die Leute auch nicht weiterqualifiziert. So erzählten uns Ein-Euro-Jobberinnen, dass die einzige "Qualifizierung" ein Bewerbungstraining war, das vier Tage dauerte.
* Bei einem der Beschäftigungsträger machten zukünftige Ein-Euro-JobberInnen eine Pflege-Kurs, um anschließend im Bereich der Altenpflege eingesetzt zu werden. Dieser 200 Stunden umfassende Basis-Kurs war bisher die Grundausbildung zur Pflegehelferin. Damit konnte man einen regulären Job mit Arbeitsvertrag im Pflegebereich bekommen. Für Anbieter von Pflegedienstleistungen werden jedoch in Zukunft die Ein-Euro-Jobber (bei gleicher Qualifizierung) die billigere Variante sein und bevorzugt werden.
* Auch in linken bzw. alternativen Projekten werden Ein-Euro-Jobs eingerichtet. Wir waren bei einem Träger, der verschiedene Projekte im sozio-kulturellen Bereich anschiebt. Leute, die seit langem ehrenamtlich in den Projekten arbeiten, haben den Verein gefragt, ob sie ihre Arbeit jetzt über Ein-Euro-Stellen finanzieren können. Das Geld, das der Verein für diese Stellen bekommt (alle Träger bekommen insgesamt 500 Euro pro Ein-Euro-Job, davon gehen nur 180 an den Jobber), soll in die Projekte des Vereins fließen. Von anderen kleineren Vereinen haben wir mitbekommen, dass die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs sehr kontrovers diskutiert wird.
arbeitsscheuen Sozialschmarotzer! Liebe Scheinasylanten, Scheinstudenten und langlebige Rentnerinnen!
Liebe Standortschädlinge!
Wir haben eine fröhliche Tradition der Berliner Arbeitslosen und Taugenichtse wieder aufgegriffen. Seit Januar 2005 treffen wir uns regelmäßig zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen wir Dinge tun, die sich alleine niemand traut: Ämter inspizieren, Kantinen testen, zusammen schwarz fahren, 1-Euro-Sklaven auf der Arbeit besuchen und dabei auch gleich mal im Büro des Chefs vorbeischauen...
Wir versuchen dabei heraus zu finden, wo die Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden, wer dahin vermittelt wird, was die Leute dann tun. Deshalb sind wir auf unseren Spaziergängen zu Einsatzstellen von Ein-Euro-Jobbern unterwegs. Zu den Trägern, die Ein-Euro-Stellen eingerichtet haben, gehören in Berlin die Caritas, die AWO, Kubus e.V., Pfefferwerk e.V., KEBAB, Lowtec/GFBM, BUF, Goldnetz, pro futura e.V., Schildkröte fahrbarer Mittagstisch und viele andere.
Warum die Ein-Euro-Jobs?
Die Ein-Euro-Jobs sind ein wichtiger Bestandteil von Hartz IV. Die neuen Gesetze sind ein allgemeiner und massiver Angriff auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen – ob Ein-Euro-Jobberin, ABMler, Mini-Jobber, Arbeitslose oder Festangestellte. Mit Hartz IV wurde ein Drohszenario geschaffen, mit dem vor allem diejenigen, die einen Job haben, unter Druck geraten und erpresst werden sollen. Die ArbeiterInnen – egal ob in der Autoindustrie oder im Krankenhaus – sollen Verschlechterungen protestlos in Kauf nehmen. Im vergangenen Jahr wurden in etlichen Bereichen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen durchgesetzt. Andererseits sehen sich wiederum Arbeitslose genötigt, Jobs zu viel schlechteren Bedingungen anzunehmen. Es werden nicht nur die Sozialleistungen gekürzt, sondern gleichzeitig auch die Löhne gedrückt.
Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs soll vor allem im Bereich des öffentlichen Dienstes (Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen u.a.) ein breiter Niedriglohnsektor eingeführt werden. Es ist falsch, wenn uns erzählt wird, dass die Ein-Euro-Jobs keine regulären Stellen verdrängen würden und nur „zusätzlich“ wären. Wir sind auf unseren Spaziergängen auf ganz andere Tatsachen gestoßen. Gleichzeitig dienen die Ein-Euro-Stellen zur Disziplinierung und Kontrolle von Arbeitslosen. Man soll beweisen, dass man in der Lage ist, früh aufzustehen und sich einem normalen Arbeitsrhythmus anzupassen.
Die Ein-Euro-Jobberinnen bekommen weder Krankengeld noch Urlaub, sie können somit auch nicht einfach mal blau machen und sind gezwungen, den Job im vorgeschriebenen Zeitraum zu machen. Eine Ablehnung wird mit der Kürzung des ALG II um ein Drittel oder im wiederholten Fall mit einer Sperre der Sozialleistung bestraft. Damit wird nicht nur der Druck verstärkt, sondern verschärft Kontrolle über die freie Zeit von Arbeitslosen ausgeübt – mit einem Ein-Euro-Job ist es schwierig, weiterhin schwarz zu malochen oder einfach mal weg zu fahren.
Für viele Ein-Euro-Jobber sind 180 Euro monatlich zusätzlich zum Arbeitslosengeld II wenigstens ein kleiner Zuverdienst, auf den sie kaum verzichten können. Reguläre Jobs, die angeboten werden, sind oft genauso mies bezahlt wie Ein-Euro-Jobs plus ALG II - oft sogar unter schlechteren Arbeitsbedingungen.
Proteste von Arbeitslosen sind in den letzten Jahren verpufft oder unbedeutend geblieben, weil sich die Leute nur zufällig und sporadisch auf den Ämtern trafen und auch dort wenig miteinander zu tun hatten. Die zahlreichen Montagsdemos haben deutlich gemacht, dass sich die Hartz-IV-Reformen möglicherweise nicht wie geplant durchsetzen lassen. Wirksam werden die Proteste jedoch erst, wenn sie in unserem Alltag stattfinden und sich gegen die Verhältnisse richten, die uns aufgedrückt werden. Die neuen Regelungen und damit verbundenen Angriffe auf unsere Lebensbedingungen betreffen Sozialhilfeempfängerinnen, Studienabgänger, besser qualifizierte Arbeitslose, Hausfrauen und Jobber im Niedriglohnbereich gleichermaßen. Sie alle bekommen von nun an Arbeitslosengeld II und es besteht die Möglichkeit, dass sie einen Ein-Euro-Job machen müssen.
Wir haben die Hoffnung, dass aus den wütenden Langzeitarbeitslosen, unzufriedenen Malochern und enttäuschten Akademikerinnen eine explosive Mischung entsteht. Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs gibt es Bereiche, in denen die Leute neu zusammen kommen und gemeinsam gegen die Angriffe vorgehen können. Möglich ist, dass es nicht bei der Unzufriedenheit und ablehnenden Haltung einzelner Leute bleibt, sondern daraus kollektive Formen des Widerstands entstehen: Dienst nach Vorschrift, Streiks und andere wirksame Proteste, mit denen Sand ins Getriebe kommt.
Berlin im März 2005
"Was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"
Da wir selbst arbeitslos sind oder es jederzeit werden können, kann es sein, dass auch wir uns demnächst in solchen Ein-Euro-Maßnahmen wiederfinden. Deswegen wollen wir mit möglichst vielen Leuten reden, die in Ein-Euro-Jobs arbeiten. Die Infos, die wir auf unseren Spaziergängen erhalten, geben wir an anderen Orten, an denen wir mit Leuten ins Gespräch kommen, weiter. Wir wollen damit die durch Hartz IV verstärkte Isolation der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten aufbrechen und Situationen schaffen, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden und die Leute sich aufeinander beziehen können.
Hier ein paar Eindrücke von unseren Spaziergängen:
* Von wegen „zusätzliche“ Arbeit: Wir waren in einer Grundschule in Neukölln, in der etwa 30 Leute auf ABM oder Ein-Euro-Basis beschäftigt sind. Sie decken alle möglichen Bereiche ab: Kantine, Wartung und Betreuung des Computerraumes, Renovierungen und Hausmeisterarbeiten, Sportgruppe, Einzelunterricht mit auffälligen Kindern, Schulhort (sog. „Schulstation“). Für die Betreuung im Schulhort gab es z.B. vor fünf Jahren noch zwei festangestellte Erzieherinnen, danach lief es auf ABM-Basis, jetzt sind es Ein-Euro-Stellen. Es ist klar, dass der Schulbetrieb ohne diese Maßnahmen völlig zusammenbrechen würde.
* In den Gesprächen mit Ein-Euro-JobberInnen wurde immer wieder deutlich, dass die Leute keine Wahl haben und auf den geringsten Zuverdienst angewiesen sind. Von Arbeitslosengeld II kann man nicht leben, wenn man nicht zusätzlich schwarz arbeitet. Und es scheint in Berlin in vielen Bereichen kaum Jobs zu geben, die attraktiver wären. Die Leute rechnen sich aus, was besser ist: So erzählte uns eine Frau, dass sie lieber den Ein-Euro-Job macht, mit regelmäßigen Arbeitszeiten und einem interessanten Aufgabenbereich (sie arbeitet mit Kindern), als in einer Bäckerei bis 21 Uhr Brötchen zu verkaufen und damit genauso viel zu verdienen (ein Job, der ihr angeboten wurde).
* Ein Mann erzählte uns, dass das Arbeitsamt ihm schon im Oktober 2004 mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II um 30 Prozent drohte, falls er den Ein-Euro-Job nicht annehmen würde. Auch andere hat das Arbeitsamt versucht einzuschüchtern: „Sie können jetzt den Job noch ablehnen, aber Sie wissen ja, was im Januar auf Sie zukommt.“
* Wir waren mehrmals in einem Verein, der verschiedene Werkstätten betreibt, in denen ausschließlich ABMlerinnen und Ein-Euro-Jobber arbeiten. Dort werden Kuscheltiere für Kindergärten genäht, Spielplätze repariert, alte Museumsstücke neu aufgearbeitet... Nach außen gibt sich der Verein sozial für sein Engagement - immerhin gibt er vielen Langzeitarbeitslosen ein "berufliche Chance". Die Leute, mit denen wir dort gesprochen haben, sehen das zum Teil ganz anders: In einer Werkstatt werden Holzstühle für Kindergärten per Hand abgeschliffen. Reine Beschäftigung, denn dafür gäbe es Maschinen, einige der Leute haben sogar eine entsprechende Ausbildung dafür. "Hier geht's doch nur darum, dass wir wieder lernen, pünktlich zur Arbeit zu kommen und uns den Anforderungen anzupassen." - "Der Arbeitsalltag ist ziemlich locker, aber hier laufen genug Leute durch die Werkstätten, die aufpassen und Stress machen." - „Ich finde das Soziale an dem Verein ja nicht verkehrt, was sie für die Kindergärten machen und so. Das einzige, was mich dabei stört, ist, dass sie uns ausbeuten!"
* Die meisten Ein-Euro-JobberInnen finden es scheiße, dass sie kein Krankengeld bekommen und keinen Urlaub nehmen können. "Der einzige Vorteil von Leuten, die eine ABM haben, ist, dass sie blau machen können. Sonst verdienen sie genauso viel wie wir und müssen auch noch länger arbeiten."
* Seit Januar diesen Jahres wird das BVG-Monatsticket nicht mehr vom Arbeitsamt übernommen, falls jemand einen Ein-Euro-Job hat. Das heißt dann, von 180 Euro Zuverdienst im Monat muss man 32 Euro alleine für die öffentlichen Verkehrsmittel berappen, um täglich zum Arbeitsplatz und zurück zu kommen.
* Von offizieller Seite wird behauptet, dass die Ein-Euro-Jobs dazu dienen, die Arbeitslosen wieder fit für reguläre Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt zu machen. Die meisten Ein-Euro-JobberInnen können über diese Behauptung nur lachen. Sie wissen, dass sie nach sechs bis neun Monaten Job wieder gehen können und das war's. In vielen Bereichen werden die Leute auch nicht weiterqualifiziert. So erzählten uns Ein-Euro-Jobberinnen, dass die einzige "Qualifizierung" ein Bewerbungstraining war, das vier Tage dauerte.
* Bei einem der Beschäftigungsträger machten zukünftige Ein-Euro-JobberInnen eine Pflege-Kurs, um anschließend im Bereich der Altenpflege eingesetzt zu werden. Dieser 200 Stunden umfassende Basis-Kurs war bisher die Grundausbildung zur Pflegehelferin. Damit konnte man einen regulären Job mit Arbeitsvertrag im Pflegebereich bekommen. Für Anbieter von Pflegedienstleistungen werden jedoch in Zukunft die Ein-Euro-Jobber (bei gleicher Qualifizierung) die billigere Variante sein und bevorzugt werden.
* Auch in linken bzw. alternativen Projekten werden Ein-Euro-Jobs eingerichtet. Wir waren bei einem Träger, der verschiedene Projekte im sozio-kulturellen Bereich anschiebt. Leute, die seit langem ehrenamtlich in den Projekten arbeiten, haben den Verein gefragt, ob sie ihre Arbeit jetzt über Ein-Euro-Stellen finanzieren können. Das Geld, das der Verein für diese Stellen bekommt (alle Träger bekommen insgesamt 500 Euro pro Ein-Euro-Job, davon gehen nur 180 an den Jobber), soll in die Projekte des Vereins fließen. Von anderen kleineren Vereinen haben wir mitbekommen, dass die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs sehr kontrovers diskutiert wird.
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Ergänzungen
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