Ein-Euro-Jobs: Spaziergang N°6 im März 2005

arbeitslose Sozialschmarotzer 31.03.2005 11:38 Themen: Soziale Kämpfe
Seit drei Monaten sind wir auf Spaziergängen unterwegs zu den Einsatzstellen von Ein-Euro-JobberInnen. Inzwischen treffen wir auf Leute, denen dieser Job aufgedrückt wurde.
Wir hatten schönstes Spaziergangwetter und waren 11 Leute.
Es gab insgesamt nur zwei Stationen: das Neuköllner Arbeitsamt und ein weiterer Werkstättenbereich eines Vereins, den wir schon des öfteren besucht haben. Unser Spaziergang führte uns ins Industriegebiet Neuköllns, wo Schrottberge mit riesigen Verladekränen bearbeitet werden und Firmen und Werkstätten in verranzten, alten Fabrikgebäuden mit schwarz angelaufenen Fenstern untergebracht sind. Dort sind wir auf über huntert Leute gestoßen, die über ABM oder Ein-Euro-Jobs in verschie­denen Werkstätten des Vereines arbeiten. Viele von denen waren nur am Abkotzen, was sie da überhaupt machen und welche miesen Arbeitsbedingungen sie haben. Aber dazu unten mehr...


Arbeitsamt Neukölln

Zunächst wollten wir das neue Flugblatt [LINK] im Arbeitsamt Neukölln verteilen und sind auch 300 Stück los geworden. Wir hätten noch mehr dabei haben können, denn es war ein riesiges Gebäude und viel Betrieb dort. Gespräche entstehen bei solchen Verteilaktionen auf den Ämtern kaum. Aber sehr viele Leute haben das Flugblatt interessiert gelesen. Oder es einfach genommen, da sie eh ihre Zeit dort rumsitzen müssen oder in der Schlange stehen. Ein paar Flugblätter hatten wir schon im Bus auf dem Weg zum Arbeitsamt verteilt und eine Frau grüßte uns, nachdem sie es gelesen hatte und sagte, dass sie das gut findet.
Im Arbeitsamt waren sehr viele Security-Typen, die ihren Job auch noch ernst genommen haben, und irgendwann anfingen rumzustänkern. Wir sollten keine "Zettel" mehr verteilen. Wir haben uns gefragt, warum sie bei so wenigen Leuten schon ausflippen und Panik bekommen. Da wir mehrere Leute waren, verteilten einige trotzdem weiter, während der Rest die Security-Typen aufhielt.
Erstaunlich viele junge Leute (unter 25 J.) waren dort, die erzählten, dass sie wegen der "Eingliederungs­vereinbarung" herkommen mussten. Sie haben inzwischen schon Fallmanager, die – im Gegensatz zu den SachbearbeiterInnen – mehr Kompetenzen und Befugnisse nach unten delegiert bekommen haben. So können sie z.B. selbst Sanktionen verhängen. Dabei stehen sie unter enormen Druck von oben, denn sie müssen eine vorgegebene Quote von vermittelten Arbeitslosen und verhängten Sanktionen erfüllen, die sehr hoch ist. Die jungen Leute erzählten, dass sie vor allem wegen einem Ein-Euro-Job hier seien. Die „Eingliederungs­vereinbarung“ beinhaltet, dass der/die Arbeitslose umgehend eine Ausbildung, Qualifizierungsmaßnahme oder einen Ein-Euro-Job annimmt. Das Arbeitsamt Neukölln scheint in der Umsetzung der Neuerungen recht schnell zu sein.


"Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten, damit wir nicht schwarz arbeiten gehen."

Auf einen unserer vorangegangenen Spaziergänge hatten wir erfahren, dass es auch in Neukölln Werkstätten gibt, in denen Ein-Euro-Jobberinnen und ABMler arbeiten. Vor etwa drei Wochen hatten dort 20 Leute als erste Gruppe Ein-Euro-Jobbern angefangen. Sie arbeiten in der Holzwerkstatt ("Pädagogisches Spielzeug"), daneben gibt es auch eine Metall- und eine Nähwerkstatt. So haben wir uns in dem Gebäude gleich in kleinere Gruppen aufgeteilt, um mit möglichst vielen Leuten zu reden und Flugblätter weiterzugeben, bevor wir wieder rausgeschmissen werden. Das hat auch prima funktioniert. Wir waren fast eine Stunde lang da drin und hatten sehr anregende Gespräche.

Dabei spielte der 10 Quadratmeter große Raucherraum eine zentrale Rolle. Denn wir kamen zwar ungehindert in die Näh- und Metallwerkstatt, die Holzwerkstatt hatte aber nur einen Zugang über die Verwaltung und da wurden wir gleich abserviert. Was aber nix machte, denn die Leute im Raucherraum gingen los und holten Leute aus der Holzwerkstatt rauf. Und die wiederum nahmen uns dann über den Hintereingang kurz mit in die Werkstatt. Aber der Raucherraum scheint auch ansonsten ein wichtiger Treffpunkt zu sein, da sich dort die verschiedenen "Gruppen" aus den getrennt gehaltenen Werkstattbereichen treffen und sich ungestört unterhalten können.
Nach offizieller Angabe vom Chef des gesamten Komplexes arbeiten dort insgesamt 115 ABMler und 22 Ein-Euro-Jobber (letztere nur in der Holzwerkstatt seit ca. drei Wochen.) Ein Drittel der Leute fehlt ständig, da es einen so hohen Krankenstand gibt.(!) Die ABM-Maßnahmen laufen bis spätesten Juni 2005 aus und ab April kommen an deren Stelle Ein-Euro-JobberInnen nach. 300 Stellen sind alleine für Neukölln beantragt. Die sollen nicht nur in den Werkstätten eingesetzt werden, sondern es sind auch Projekte außerhalb geplant: Gartenbau in städtischen Parks und Müllbeseitigungs-Trupps. (Der Verein hatte insgesamt in ganz Berlin im vergangenen Jahr 675 ABM-Stellen - davon sind laut Chef 20 Prozent auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden, obwohl er dazu auch unbezahlte Praktikumsplätze zählte). In unserem Gespräch mit dem Chef (die genaue Stellung haben wir nicht erfahren), klang einerseits wieder der soziale Charakter des Vereines an, den sie nach außen ja immer präsentieren. Auf unsere Frage, ob sie denn die Leute übernehmen würden oder sie nach Ende der Maßnahme nach Hause gehen könnten, sagte er: „Natürlich versuchen wir sie zu übernehmen, das sind ja Menschen.“ Im gleichen Atemzug fügte er aber hinzu, dass er nicht durchgehen lassen kann, wenn gestreikt wird oder die Leute nicht zur Arbeit erscheinen – das würde er sofort beim Arbeitsamt melden. „Da stehe ich auf der anderen Seite.“

Immerhin konnten wir ungehindert mit den Leuten reden. Der Chef und die Projektleiter hätten auch schwer durchsetzen können, dass wir wieder gehen, denn die ArbeiterInnen dort wollten mit uns reden und es wäre schwierig gewesen, dagegen anzukommen. Wir trafen dort auf Leute, die wirklich wütend waren, darüber, dass sie diese Maßnahme überhaupt machen mussten. So erzählte ein junger Mann Anfang zwanzig, dass sie ihm diesen Ein-Euro-Job aufgedrückt hätten, obwohl er als Tischler einen gut bezahlten Job sucht und nicht irgendwas annehmen will, eben auch keinen Ein-Euro-Job. „Wenn wir da auch mit der Hand Stühle abschleifen sollen, werde ich ihnen meinen Maschinenschein zeigen und fragen, was das soll. So was mache ich nicht mit.“ Von ALG II könne man nur leben, wenn man schwarz putzen geht. Das wird mit einem Ein-Euro-Job fast unmöglich.

Wir trafen daneben auch auf Leute, die ganz froh sind, diesen Job zu haben. („Besser als gar nichts.“) In den Gesprächen wurde jedoch immer wieder deutlich, wie unzufrieden die Leute mit den herschenden Arbeitsbedingungen waren und das sie viel darüber diskutierten und zum Teil auch gemeinsam etwas dagegen unternahmen.

Beschissene Arbeitsbedingungen

- Kommt jemand auch nur eine Minute zu spät, wird eine halbe Stunden Arbeitszeit abgezogen. Die muss am Ende drangehangen werden. "Das ist die beschissenste ABM, die ich jemals hatte. Woanders haben sie dich auch mal halb vier gehen lassen. Hier musst du bis zum Ende deine Zeit absitzen."

- Es gibt sehr rigide Pausenregelungen. Die Gruppen (auch innerhalb einer Werkstatt) haben streng getrennte Pausen. Auch für die Raucherpausen gibt es vorgeschriebene Zeitpläne, die die Gruppen getrennt einhalten sollen. Daran schien sich aber kaum jemand zu halten. Die Raucherpausen werden überzogen, dagegen haben die Werkstattleiter keine Handhabe. Als einer der Ein-Euro-Jobber uns seine "Gruppe" in der Werkstatt vorstellen wollte, waren sie alle unterwegs. "Die rauchen oder springen irgendwo rum. Das nimmt hier niemand so ernst."

- Die getrennten Essenspausen finden in einem Raum statt, der gerade mal doppelt so groß ist wie der enge Raucherraum und uns als eine Zumutung beschrieben wurde. Auch stellte der Verein weder Kühlschrank noch Kaffeemaschine, nicht einmal einen Wasserkocher zur Verfügung. Das mussten sie sich selbst organisieren. Und wurden zudem noch gefragt, ob jemand einen Teppich für den Pausenraum zu Hause übrig habe.

- Es ist verboten während der Arbeitszeit Radio zu hören. Der Chef hätte das damit begründet, dass sie hier eine multikulturelle Mischung wären, da würde es immer Streit geben, welcher Sender gehört wird. Die Leute sagten nur, dass wäre so ein Schwachsinn, sie würden sich untereinander schon einigen können und dann würde halt mal der und dann ein anderer Sender laufen!

- Auch würde der Chef nie grüßen, wenn er in eine der Werkstätten kommt, und sie herablassend behandeln.

Gabelstapler-Schein als Qualifizierung

Fast überall beschwerten sich die Leute darüber, dass sie hier kaum qualifiziert werden. Die meisten häben regelmäßig ein paar Tage Bewerbungstraining (!) und einige konnten einen Gabelstaplerschein machen. Der Kommentar einer Frau dazu: dieser sei Schein eh nur ein Jahr lang gülitg sei und was sie damit anfangen solle! (Der Chef dagegen behauptete, er wäre zwei Jahre lang gültig - was aber auch nicht viel ändert.)
Sämtliche Produkte, die in den Werkstätten herstellt werden, sind für Kitas und Schulen gedacht. Sie werden also nicht direkt vermarktet. Man könnte allerdings vermuten, dass es im öffentlichen Bereich andere Wege der Finanzierung gibt, z.B. durch Hin- und Herschieben von Zuschüssen und Spenden. In den verschiedenen Werkstätten konnten wir aufwendige und anspruchsvolle Auftragsarbeit sehen, parallel zu Arbeiten, die als reine „Beschäftigungsmaßnahme“ anmuteten.

So gab es in der Nähwerkstatt verschiedene Gruppen. Eine bestand aus Frauen, die früher schon als Näherinnen gearbeitet haben, und nun an den Nähmaschinen recht aufwendige Kinder-Kostüme für Kitas herstellen. Eine andere Gruppe Frauen muss den ganzen Tag lang (ziemlich hässliche) Püppchen stricken, die dann verschenkt werden würden. Die Gruppen wurden nach Vorqualifizierung eingeteilt, aber auch dem Einzugsgebiet nach. Auf der einen Seite arbeiteten die Frauen aus Neukölln, auf der anderen die aus Treptow/Köpenick.

"Kommt rein in die Rebellenbude"
Ein Bescherdebrief ans Arbeitsamt

Wir saßen eine ganze Weile mit Leuten aus der Metallwerkstatt im Raucherraum zusammen. Jedesmal, wenn jemand zum Rauchen in den Raum kam, hieß es: „Kommt rein in die Rebellenbude!“ Einer der Männer verglich den Verein mit den Bork aus der "Star Trek"-Serie. "Die verpassen uns Implantate und wollen uns am Ende ganz assimilieren. Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten, damit wir nicht nebenbei scharz arbeiten gehen!" Ihre Aufgabe ist die "Defragmentierung von Elektrogeräten", was im Klartext heißt, sie müssen alte Geräte auseinander nehmen und brauchbare Teile ausbauen. Die gehen vor allem an den Schrotthändler. Sie müssen z.B. die Plastikisolierungen von Kupferkabeln abziehen, damit das Kupfer wiederverwendet werden kann.

Diese Truppe aus der Metallwerkstatt ist schon seit einigen Monaten zusammen und sie haben kollektiv schon einiges versucht haben, auf die Beine zu stellen. So schrieben sie einen Beschwerdebrief ans Arbeitsamt, in dem sie all die miesen Umstände aufzählten, unter denen sie dort arbeiten müssen. Der Brief war von allen (aus der Werkstatt) unterschrieben worden. Sie beschwerten sich auch darüber, dass ihnen die alten, höhenverstellbaren Stühle "unter'm Hintern weggezogen" worden sind (wegen erhöhter Brandgefahr) und durch viel zu niedrige Holzstühle ersetzt wurden. Die Höhe der Werkbänke ist dagegen so, dass man nicht daran arbeiten kann, ohne Rückenprobleme zu bekommen. Einige haben sich draufhin dicke Polsterkissen besorgt, die aber ein schlechter Ersatz sind.

Das Arbeitsamt gab ihnen auf den Beschwerdebrief keine Antwort. Dagegen kam zweimal eine angekündigte Delegation vom Arbeitsamt, um sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Wir wissen nicht wie, aber die Projektleitung des Vereines hat alles getan, um einen guten Eindruck abzugeben und zu demonstrieren, dass alles in geregelten Bahnen läuft. („In geregelten Parametern...“) Für die Leute aus der Metallwerkstatt war klar, dass der Verein mit dem Arbeitsamt klüngelt und sie dagegen überhaupt nicht ernst genommen wurden und.

Es war echt erfrischend mit den Leuten dort zu reden. Wir wollen auf jeden Fall in Kontakt bleiben und des öfteren vorbeischauen. Nicht erst, wenn die Leute wechseln, sondern auch demnaechst, um mit denen, die wir jetzt getroffen haben weiter zu reden und zu schauen, was unser Auftauchen moeglicherweise hinterlassen hat. Der Stimmung nach fehlte nicht viel, dass dort einige mal richtig auf den Putz hauen.
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