Spanische Witzabstimmung über EU-Verfassung

Ralf Streck 18.02.2005 12:44 Themen: Weltweit
Die massiven Verstöße gegen die Wahlauflagen gehen weiter und Schröder hilft den spanischen Sozialisten dabei. Sowohl der Wahlrat und der Oberste Gerichtshof kuschen und drücken sich davor, definitiv etwas gegen die Verstöße zu unternehmen. Das macht offenbar die Bevölkerung und wird mehrheitlich nicht an der Abstimmung teilnehmen.
Der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero ist nun wohl davon überzeugt, dass die Bevölkerung am Sonntag beim Referendum die EU-Verfassung annimmt. Da Spanien dann das erste Land wäre, welches per Volksabstimmung zustimmt, hat Zapatero nun zugesichert, seine sozialistische Regierung werde das Ergebnis anerkennen. Denn einer der Besonderheiten des Referendums ist, das es nicht verbindlich für die Regierung. Sie könnte der Verfassung auch bei einem Nein zustimmen.

Doch das dürften viele nicht wissen, denn viele kennen auch die Verfassung nicht. Das sagen jedenfalls 90 Prozent nach einer Umfrage des regierungsamtlichen Instituts (CIS) und die sind dafür bekannt, dass sie schon mal Vorhersagen zu Gunsten der Regierung anpassen. Deshalb zeichnet sich auch eine sehr geringe Beteiligung an der Abstimmung ab. Die Möglichkeit zur Briefwahl nutzen nur 186.000 Menschen. Das sind 67 Prozent weniger als bei den Parlamentswahlen vor knapp einem Jahr und 42 Prozent weniger als bei den Wahlen zum Europaparlament im vergangenen Mai, als nur 46 Prozent wählen gingen. Die Regierung wertet intern eine Beteiligung über 40 Prozent als Erfolg, das wären so wenige wie bei keiner Wahl seit dem Tod des Diktators 1975, womit die vermutliche Zustimmung ohnehin nur eine zweifelhafte Legitimität hätte. Wobei eine Überraschung nicht ausgeschlossen ist, obwohl CIS ne Zustimmung von 60 % annimmt.

Die Regierung die Legitimität dieses Referendumg mit ihren ständigen Verstößen gegen Auflagen des Zentralen Wahlrats (JEC) ohnehin untergraben.So machte am Mittwoch Zapatero in Zaragoza erneut Werbung für ein Ja und wurde dabei von Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützt. Der lobte die „tolle Freundschaft“ zu Zapatero und forderte ein „klares Ja“ für eine Verfassung die „Europa entscheidungsfähiger“ mache. Die Zustimmung sei so „bedeutsam“ wie die Zustimmung zur spanischen Verfassung 1978 warb Zapatero für ein Ja und eine hohe Beteiligung.

Aussagen der Regierung, die das „Votum in eine bestimmte Richtung lenken“ hatte der JEC schon vor Wochen untersagt und die Regierung auf ihre Pflicht hingewiesen, neutral über die Verfassung zu informieren.  http://de.indymedia.org//2005/02/106128.shtml Doch die setzt sich darüber hinweg und benutzt auch weiter den verbotenen Slogan. „Die Ersten mit Europa“ wird wohl am Samstag auf den Wahlscheinen der staatlichen Lotterie prangen. Die Vereinte Linke (IU) und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) hatten erneut beim Wahlrat auf den auf drastischen Verstoß hingewiesen und gefordert die Lotteriescheine einzustampfen.

Doch der JEC bittet die Lottogesellschaft nur, den Slogan nicht zu benutzen. Er verbietet die Lottoscheine nicht, da sie schon vor dem Verbot gedruckt worden seien. Das ist merkwürdig, denn die Lotterie fällt zudem auf den Reflektionstag vor der Abstimmung, wo keinerlei Werbung gemacht werden darf.

Weil der Wahlrat nichts dafür getan habe, um die Regierung dazu zu zwingen ihre Kampagne zurückzuziehen, hatte die „Plattform für ein Nein“ Klage beim Obersten Gerichtshof gegen den JEC eingereicht. Doch auch das Gericht will sich offenbar nicht mit Zapatero anlegen und räumte dem JEC die maximale Zeitspanne von zehn Tagen für eine Erwiderung ein. So ergeht ein Urteil erst vier Tage nach der Abstimmung, was die Sprecherin des Linkbündnisses Ángeles Maestro als „Ungerechtigkeit“ bezeichnete. Das Gericht kann das Verfahren dann auch einstellen, weil der Streitgegenstand dann nicht mehr existiert. Gegen diese Vorgänge und gegen diese Verfassung hat die Plattform gestern abend in Madrid demonstriert. Das muss allerdings ein Witz gewesen sein, denn außer der Tatsache, dass die Demonstration stattgefunden hat, finde ich dazu nichts.
Statt dessen haben erneut etwa 5000 Schüler und Studenten in Barcelona demonstriert, dort waren am Wochenende schon tausende auf der Straße.  http://de.indymedia.org//2005/02/107024.shtml Die haben auch die Büros der großen spanischen Gewerkschaften angegriffen, die mehr oder weniger für ein Ja werben. Erneut vertreten die nicht ihre Mitglieder sondern die Interessen der Sozialisten.

© Ralf Streck, Donostia - San Sebastián den 18.02.2005
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Ergänzungen

neuigkeiten aus madrid:

libertario 18.02.2005 - 16:12

nachdem die "plattform fuer ein Nein" gegen die zeitspanne von 10 tagen (also bis zum 24. ...) erneut einspruch erhob, hat der Zentrale Wahlrat seinen eigenen Beschluss zurueckgenommen! gegen die propaganda der regierund wird nun von ueberhaupt nichts mehr unternommen. es liegt an den buergern und aktivisten die plakate zu veraendern, was auch oft phantasievoll gemacht wird: "los primeros con europa" (die ersten mit europa) wird so zb zu "los banqueros con europa" (die banken mit europa) oder "los de siempre con europa" (etwa: immer die selben mit europa.
uebrigens: heute findet im zentrum madrid eine demonstration der faschistischen "falange" mit unterstuetzung/beitraegen diverser faschistischer parteien - u.a. der npd - aus ganz europa gegen die europaeische "verfassung" statt. gegendemonstrationen sind geplant, und enden hoffentlich nicht wie bei der letzten antifaschistischen demo in madrid mit dutzenden verhaftungen auf unserer seite.
saludos aus madrid

Was ist den das für ein Demokratieverständnis

Jonas 18.02.2005 - 22:56
Ehrlich gesagt verstehe ich die Stoßrichtung der Kritik nicht. In einer Demokratie ist es doch völlig normal das sich Politiker (aller Richtungen) zu jeder politischen Frage äußern dürfen. Warum also soll der Ministerpräsident, der auch nichts anderes als ein in ein bestimmtes Amt gewählter Politiker ist, nicht sagen dürfen, daß er für die Annahme der Verfassung ist? Das selbe gilt für seine Rolle als Regierungschef. Auch die Regierung wird doch wohl für ihre Politik werben dürfen.

Im übrigen: Was ist der JEC den für ein Gremium. Wer steuert die Entscheidungen dieser Organisation und ist diese so legitimiert, daß sie der demokratisch gewählten Regierung Vorschriften machen kann?