Nein zur Verfassung

Ralf Streck 14.02.2005 18:52
Tausende sind am Samstag im spanischen Staat für eine Ablehnung der EU-Verfassung bei Referendum am kommenden Sonntag auf die Straße gegangen. Die größte Demonstration fand im baskischen Bilbao statt. Auch im katalanischen Barcelona waren zwischen 5000 und 10.000 unterwegs und demonstrierten auch gegen Schröder der allerdings vergrippt war.
Tausende sind am Samstag im spanischen Staat für eine Ablehnung der EU-Verfassung bei Referendum am kommenden Sonntag auf die Straße gegangen. Die größte Demonstration fand im baskischen Bilbao statt. Dort waren knapp 15.000 Menschen dem Aufruf der „Plattform für ein Nein zur Europäischen Verfassung“ gefolgt. Das Bündnis umfasst 40 linke Gruppen und deren Aufruf hatten sich fast alle im Baskenland vertretenen Gewerkschaften und Linksparteien angeschlossen. Nur die spanischen Sozialisten (PSOE), die für eine Annahme werben, und die ihnen nahestehenden großen spanischen Gewerkschaften blieben fern.

Als „vollen Erfolg“ bezeichnete der Bündnissprecher Alberto Frías die Demonstration. Es sei gelungen, den progressiven und patriotischen Kräften auf der Straße übergreifend einen Raum zu bieten. So sei das reale Bild im Baskenland gezeigt worden, denn in den Medien würden die Gegner dieser Verfassung marginalisiert. Auf der Demonstration erklärte Frías: „Wenn man in Madrid darauf setzt, als erster Staat diese Verfassung anzunehmen, dann könnte das Baskenland als erstes Land nein zu einer Verfassung für ein Europa des Kapitals und der Negation von individuellen und kollektiven Rechten sagen“.

Schon 1986 habe man hier gegen einen Beitritt des spanischen Staats zur Nato gestimmt. „Warum sollten wir jetzt einer Verfassung zustimmen, die die Nato zum Sicherheitsgaranten Europas macht“, sagte Frías. Eine Verfassung, die Präventivkriege ermöglicht, Sprachen marginalisiere, soziale Rechte aushöhle und die Geschlechtergleichheit nicht garantiere, müsse abgelehnt werden. Nur so könne die Tür zu einem solidarischen, sozialistischen und ökologischen Europa offen bleiben, sagte Frías.

Auch in Barcelona demonstrierten 5.000-10.000 Menschen gegen diese Verfassung. Sie wandten sich auch gegen eine Veranstaltung der spanischen Regierung in der katalanischen Metropole. Dort sollten europäische Regierungschefs für ein Ja werben, doch die Teilnahme von Gerhard Schröder und Silvio Berlusconi fiel der Grippe zum Opfer. So machte der französische Regierungschef Jacques Chirac die Propaganda des José Luis Rodríguez Zapatero. Der Ministerpräsident muss sich zurückhalten. Wegen erneuten Verstößen gegen die Neutralitätspflicht wurde er letzte Woche von linken Parteien beim Wahlrat angezeigt. Viele Katalanen fühlten sich von Chirac wohl nicht angesprochen, als der ein „massives Ja“ forderte, mit dem das „spanische Volk seinen einheitlichen Willen ausdrückt“. Schröder soll nun am Mittwoch in Zaragoza dem Spanier als Propagandist für ein Ja dienen.

Insgesamt scheint ein Ja unsicherer zu werden. Die Bischöfe der einflussreichen katholischen Kirche haben ihre Anhänger quasi aufgefordert, der Abstimmung fern zu bleiben und halten auch ein Nein für legitim. Daraufhin hat auch die konservative Volkspartei (PP) ihre Position verändert. An deren Basis tobt eine Debatte, ob man den Sozialisten mit einem Nein einen Denkzettel verpassen sollte.

Ein guter Teil der PP ist gegen diese Verfassung, weil Spanien an Einfluss verliert und nicht mehr per Veto Beschlüsse blockieren kann. Nun hält auch der PP-Generalsekretär Ángel Acebes eine Enthaltung für „legitim“. Die Kampagne der Regierung sei „eine Beleidigung an die Intelligenz der Wähler“, die zu etwas Ja sagen sollen, „dessen Inhalt sie nicht kennen“, argumentiert er.

© Ralf Streck, Donostia - San Sebastián den 13.02.2005

Anbei noch ein Interview mit Alberto Frias zur Demo.

Was ist das Ziel der Demonstration?

Es geht uns darum den progressiven und patriotischen Gruppen einen Raum auf der Straße zu bieten, um sich gegen diese Verfassung auszudrücken. Die Gruppen im Bündnis haben zum Teil ganz unterschiedliche Gründe, um gegen sie zu protestieren. Das geht von Fragen der Geschlechtergleichheit, die ebenso wenig mit der Verfassung gesichert wird, wie die Gleichheit aller Sprachen in Europa, von denen einige diskriminiert werden. Eine nachhaltige ökologische Entwicklung soll in einem liberalisierten Markt unter gehen und die sozialen Rechte werden durch eine Verfassung ausgehöhlt, die für die multinationalen Unternehmen gestrickt ist. Ein wesentlicher Punkt ist zudem, dass das Baskenland schon 1986 den Beitritt zur Nato abgelehnt hat und dieser Vertrag macht ausgerechnet die Nato zum Garanten der Sicherheit Europas und öffnet die Tür für europäische Präventivkriege.

Wendet sich das Bündnis also gegen Europa?

Im Gegenteil. Genau mit einem Nein am 20. Februar wollen wir die Tür zu einem wirklichen Europa öffnen. Ein Europa der Arbeiterinnen und Arbeiter, ein Europa der Frauen, das auch die Verschiedenheit seiner Völker und seiner Sprachen respektiert. Wenn man für ein geeintes Europa eintritt, dann muss man gegen diese Verfassung der Kapitalinteressen eintreten, die den geostrategischen Interessen der USA und der aktuellen Bush-Administration folgt.

Wer ist in dem Bündnis vertreten?

Das Bündnis wird von 40 sozialen Organisationen getragen. Die kommen aus den Bereichen Umweltschutz, Internationalismus, Antirassismus, Frauen, der Flüchtlingsarbeit, etc. Die Beteiligung an der Demonstration ist aber viel breiter. Alle im Baskenland vertretenen Gewerkschaften, bis auf die spanischen Arbeiterkommissionen und der UGT haben sich angeschlossen. Das gleiche gilt für alle hier vertretenen Linksparteien, mit Ausnahme der spanischen Sozialisten. Das ist eine wichtige Momentaufnahme und wird zeigen, wer zu den progressiven Kräften gehört und wer nicht.

Kann sich ein Nein im Baskenland durchsetzen?

Natürlich, wenn man die Stimmen der Parteien zusammen zählt, die für ein Ja und ein Nein eintreten, dann bestehen reale Möglichkeiten für eine Ablehnung. Dazu kommt die Kraft der sozialen Bewegungen, die auch dem täglichen Bombardement durch die Medien etwas entgegen setzen kann. Mit dieser großen Demonstration werden wir der inhaltsleeren Propaganda für die Verfassung das reale Gesicht des Baskenlandes entgegen halten. Auf der Straße wird sich das zeigen, was man im Fernsehen nicht gezeigt bekommt.

Gibt es Beteiligungen anderer Regionen, wie aus Katalonien? In Barcelona soll ebenfalls gegen die Verfassung demonstriert werden, weil es dort unter Teilnahme von Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Silvio Berlusconi eine Werbeveranstaltung der sozialistischen Regierung für ein Ja geben soll.

Wir haben die Demonstration auf der Ebene des Baskenlandes organisiert. Teilnehmen werden aber auch Delegationen aus anderen europäischen Ländern.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, die Linke würde ausgerechnet zusammen mit der extremen Rechten gegen die Verfassung stimmen?

Die Argumentation folgt dem einfachen Schema, wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Damit sollen die progressiven Kräfte demobilisiert werden. Die Verfassung wird als einzig mögliche und nicht als die bestmögliche dargestellt. Ich will nur daran erinnern, dass im spanischen Staat die Volkspartei (PP) diese Verfassung ausgehandelt hat. Sie ist Teil der extremen Rechen in Europa. Hier werden sie damit niemanden überzeugen.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 11.02.2005
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Ergänzungen

EU-Gipfel in Brüssel

zlatko 14.02.2005 - 20:30
Wann sind denn die Demonstrationen zum Anti-EU-Gipfel in Brüssel genau? Und wo kann man sich informieren?

EU Verfassung

Jurist 15.02.2005 - 11:59
Also, ich verstehe nicht genau, wo gegen sich das Bündnis konkret wendet. In der EU-Verfassung findet sich im 2. Teil ein recht umfassender Grundrechtskatalog, der eine Reihe individuelle Rechte beinhaltet. Auch ansonsten gehen die europarechtlichen Grundfreiheiten (die Wirtschaftsfreiheiten und keine Grundrechte sind) in den Gewährleistungen weit über nationales Recht hinaus. Insbesondere hat der Bürger / die BürgerIn im Europarecht die Möglichkeit z.B. gegen Verordnungen und RL DIREKT vorzugehen, während es in Deutschland einen Rechtsweg gegen Gesetze nicht gibt. Bei der Verfassung handelt es sich im Wesentlichen um eine Neufassung der bereits bestehenden Verträge, die durch einen Grundrechtsteil ergänzt werden und in dem einige Kompetenzen neu geordnet werden - so wird z.B. die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt.
Selbstverständlich handelt es sich um die "Verfassung" eines Verbunds kapitalistischer Staaten, so dass das kapitalistische Herrschaftsverhältnis in dieser widergespiegelt wird. Gegenüber dem Grundgesetz oder anderen nationalen Verfassungen ist die EU-Verfassung jedoch kein Rückschritt - sondern eben nur eine andere Form.
Eines ist in jedem Falle ein Witz: Das die EU-Verfassung wie im Beitrag behauptet, irgendwie hinter die Bush-Administration bzw. die USA stellt. Die Verfassung stärkt die EU und damit Europa (was keinesfalls positiv ist), welches seit Jahren gegen die USA um Vormachtstellungen in verschiedenen Teilen der Welt streitet. Die Verfassung enthält selbst keinerlei außenpolitischen Inhalte und schon gar keinen positiven Bezug auf die USA. Der Beitrag lügt hier schlicht und ergreifend. Da waren wohl antiamerikanische Wahnvorstellungen Vater der Gedanken.

Dass "patriotische Kräfte" gegen die Verfassung sind, ist hingegen zweifelsohne richtig, auch die NPD und Kamerdaschaften in der BRD agitieren für ein "Europa der Völker" und bezeichnen sich selbstverständlich als Patrioten - sind sie ja auch. Ein positiver Bezug auf das vermeindliche "baskische" oder "katalanische Volk" verbietet sich meiner Ansicht nach für denkende Linke.

Inhaltliche Anmerkungen

Jurist 15.02.2005 - 16:32
An dem Beitrag gilt es einiges richtig zu stellen:
Zunächst ist der Begriff "Verfassung" etwas missverständlich, da es sich nicht um eine Verfassung vergleichbar dem Grundgesetz handelt, sondern um eine Neufassung der bereits bestehenden Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten in der EU. Durch diese Neufassung werden einige Änderungen vorgenommen, von denen die wichtigste wohl die Einbeziehung eines Grundrechtskataloges ist. Einen solchen gab es bislang nicht, sondern nur ungeschriebene Grundrechte. Die nunmehr verfassten Grundrechte entsprechen im Wesentlichen denen des Grundgesetzes. Darüber hinaus wurden einen organisatorische Änderungen vorgenommen und Kompetenzen neu bestimmt. So wurden etwa die Befugnisse des europäischen Parlaments ausgeweitet (was mehr demokratische Legitimation bedeutet).

Selbstverständlich handelt es sich bei der "Verfassung" um einen Vertrag zwischen kapitalistischen Staaten, so dass darin die nationalen Gesellschaftsordnungen widergespiegelt finden. Es bedeutet aber für die "ArbeiterInnen" keine Änderungen, insbesondere keine Verschlechterungen ihrer Position - wenn, so wird diese eher verbessert, weil gestärkt.
Keinesfalls stellt die "Verfassung" eine Stütze, einen Rückhalt oder sonst einen positiven Bezug auf die USA oder deren Politik dar. Sie beinhaltet schlichtweg gar keine außenpolitischen Inhalte - der Verfasser des Beitrags lügt hier schlicht und ergreifend.

Eine Kritik an der EU ist dringend notwendig, aber nicht auf solche Weise. Die POLITIK der EU dient vor allem dazu Großmachtansprüche zu formulieren und durchzusetzen, das Einwanderungsrecht immer restriktiver auszulegen und insbesondere Machtinteressen gegen die der USA durchzusetzen. Deutschland kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Dies ist kritikwürdig und anzugreifen.
Nicht aber von einem "patriotischen" Standpunkt aus, der auf ein "Europa der Völker" (Zitat: Holger Apfel, NPD) hinausläuft. Vielmehr muss sich eine emanzipatorische Kritik von den Katagorien Volk und Heimat abgrenzen und die im Verbund der EU formulierten Interessen der europäischen Staaten kritisieren.

lesen hilft

EU-Verf-Gegner 15.02.2005 - 17:20
Bitte was? Auch für "Jurist" gilt: Wer lesen kann ist klar im Vorteil!
Der Teil II. der von den Regierungen geplanten EU-Verfassung enthält zwar die Menschen- und Bürgerrechte, aber die weit mehr als 350 Seiten (448 Artikel) werden durch Protokolle und Erklärungen ergänzt. So kommt die EU-Verfassung auf satte 852 Seiten.
In den Erklärungen zum Teil II. der EU-Verf. sind die Grundrechte gleich wieder eingeschränkt.
Beispiel: ausnahmsloses striktes Todesstrafenverbot im Teil II. In den dazugehörenden Erklärungen heißt es dann aber, dass im Kriegsfall die Todesstrafe doch möglich sein kann. Noch Fragen??

Und der Vorwurf von "Jurist" dass der Artikelschreiber lügt, denn zur Außenpolitik stünde ja gar nichts in der Verfassung ist schon frech.
Der Außen und Sicherheits (Kriegs) Politik ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Aufrüstungsverpflichtung für alle EU-Mitgliedsttaten, EU-Kampfeinsätze etc. (Art. I-41 und mehrere Artikel des Teil III.)
Zu zivilen Mitteln steht nichts Konkretes in der EU-Verf., die militärischen Mittel sind aber detailreich festgeschrieben.

EU-Verfassung = Ende der Demokratie

Alfons Kilad 15.02.2005 - 18:04
Anlässlich der beiden Kommentare, wundere ich mich über nichts mehr. Selbst Linke scheinen nicht zu verstehen, was da eigentlich abläuft.
Es gibt darüber jede Menge Analyse (vgl. Homepage IMI, Komitee für Grundrechte und Demokratie usw.)
Hier nur kurz die in den Kommentaren angesprochen Punkte:

Die GRUNDRECHTE in der Verfassung sind nur Beiwerk, haben rechtlich nur noch Relevanz im Zusammenhang mit einer neoliberalen wirtschaftlichen Ausrichtung. Das Grundgesetz geht dem gegenüber nicht von einer wirtschaftspolitischen Ausrichtung, sondern von Grundrechten aus. Eingefügt wurde der Grundrechtekatalog nur, um dem Demokratieanspruch zu genügen, nicht um sie zu realisieren. Zu deutsch: Arbeiterrechte existieren nur noch im Rahmen einer juristisch verbindlichen Profitsteigerung - und können daran gemessen werden. Es sind - anders wie im Grundgesetz - keine autonomen Rechte mehr.

Dies wird dadurch juristisch realisiert, indem alle EU-Staaten die Grundrechte bereits per Gesetz "anerkennen", es jedoch nichts gibt, bei deren Verletzungen. Die Gerichtsbarkeit kennt folglich gar keine Verletzung von Grundrechten (kann sie aufgrund fehlender Strafmöglichkeiten überhaupt nicht ahnden), sondern reduziert sich auf den reibungslosen Ablauf neoliberaler Politik (heißt dort "Marktwirtschaft")

Juristisch geht EU-Recht dem nationalem Recht vor. Ein von Brüssel beschlossenen Privatisierung kann nicht nationales Recht entgegengestellt werden. Zwar existiert zz. daneben noch nationales Recht, aber nur sekundär, primär gehen die Beschlüsse in Brüssel vor. Gutes, aktuelles Beispiel die EU-Dienstleistungsrichtlinien.

Folglich entfällt die Kontrolle von unten. Sie reduziert sich auf die Wahl eines EU-Parlamentes, dessen Einfluss gering ist. Über Kommission und EU-Rat können bindende Beschlüsse gefällt werden - ohne jegliche demokratische Kontrolle. Die Kommission vertritt die EU in der WTO und setzt deren Beschlüsse problemlos durch. Damit realsiert sie, die 2001 in der WTO beschlossene Einschränkung der Demokratie, wenn sie wirtschaftspolitischen Interessen entgegensteht.

Zusammengefasst ist die EU-Verfassung ein Versuch über legale Wege die Demokratie völlig zu beseitigen. Der herrschende Politik bringt dies den Vorteil über die EU das zu realisieren, was sich über Grundgesetz nicht realsieren lässt: Kriege, Missachtung der Menschenwürde und eine ideale Olgarchie der Herrschaft.