9 Monate auf Bewährung für BGS-Beamte

Pro Asyl 18.10.2004 13:23 Themen: Antirassismus Repression
Das Landgericht Frankfurt am Main hat heute sein Urteil im Verfahren um den Erstickungstod des sudanesischen Staatsangehörigen Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung am 28. Mai 1999 gesprochen. Die drei Bundesgrenzschutzbeamten, unter deren Händen Aamir Ageeb starb, wurden zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat dazu beigetragen, dass geklärt werden konnte, was beim Bundesgrenzschutz in den 1990er Jahren an der Tagesordnung war: Die Durchsetzung von Abschiebungen mit lebensgefährlichen Zwangstechniken, ausgeführt von Beamten, die von der BGS-Spitze und vom Bundesinnenministerium im Unklaren darüber gelassen wurden, wo die Grenzen beim Einsatz unmittelbaren Zwanges genau liegen. BGS-Spitze und BMI schauten weitgehend untätig zu, wie im Grenzschutzalltag herumexperimentiert wurde. Die jetzt verurteilten Grenzschützer standen am Ende einer Kette organisierter Verantwortungslosigkeit. Die hierfür in der BGS-Hierarchie und in der Politik Verantwortlichen wurden jedoch im Verfahren weder als Zeugen gehört, noch müssen sie künftig damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden. „Jahrelang haben die Verantwortlichen alles Notwendige unterlassen. Bestraft werden jetzt lediglich die, die in einer verantwortungslos strukturierten Organisation zu Tätern wurden. Das verletzt das Gerechtigkeitsgefühl“, so Bernd Mesovic, Prozessbeobachter von PRO ASYL.

Die Zustände beim BGS, ursächlich für den zweiten Abschiebungstodesfall in einer Lufthansamaschine binnen weniger Jahre, wären ein Fall für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gewesen. Allerdings hätte sich dieser bald nach dem Tattag konstituieren müssen. Das sich über Jahre hinziehende Ermittlungsverfahren, der lange Zeitraum bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung und das erst nach fünfeinhalb Jahren ergangene Urteil haben jedoch dazu beigetragen, dass eine effektive Aufklärung der politischen Verantwortlichkeit unterblieben ist. Der ehemalige Innenminister Manfred Kanther, verantwortlich dafür, dass die Lehren aus dem Fall Bankole (1994) jahrelang nicht gezogen wurden und der amtierende Bundesinnenminister Otto Schily, der nach Ageebs Tod endlich umfassende Weisungen einführte, können sich beruhigt zurücklehnen. Anders als die österreichische Justiz im Verfahren um einen vergleichbaren Abschiebungstod (Marcus Omofuma, 1999) hat die Frankfurter Landgerichtskammer es bei einigen deutlichen Bemerkungen bewenden lassen, auf die Ladung der Minister jedoch verzichtet.

Dass ein zentrales Beweismittel beim BGS vernichtet worden ist (der Ordner, aus dem hätte hervorgehen müssen, ob die bei Abschiebungen eingesetzten Beamten tatsächlich dienstlich belehrt worden waren und die bis dahin geltenden dürftigen Vorschriften kannten), wurde vom Kammervorsitzenden mehrfach grimmig kommentiert. Ob dies eine ordnungsgemäße bürokratische Aktenvernichtung oder ein möglicherweise interessegeleitetes Verschwindenlassen war, bleibt unaufgeklärt.

Die Landgerichtskammer hat zu Gunsten der „Prozessökonomie“ auf die durch die lange Verfahrensdauer ohnehin mühselige Aufklärung teilweise verzichtet. Immerhin macht das Urteil deutlich, dass die Angeklagten für die Folgen ihres Handelns verantwortlich sind, mag ihre Ausbildung noch so schlecht und die auf sie einwirkende Erwartungshaltung noch so drückend gewesen sein.

Das von diesem Urteil ausgehende Signal ist ambivalent: Es macht deutlich, dass von Grenzschützern und Polizisten in vergleichbaren Situationen ein Nein zur Anwendung exzessiver Gewalt zu verlangen ist. Das Strafmaß jedoch hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Es kann der Eindruck entstehen, wer als Amtsträger einen Menschen zu Tode bringt, könnte auch künftig damit rechnen, glimpflich davon zu kommen.

Wird das Urteil dazu beitragen, weitere Todesfälle bei Abschiebungen zu verhindern? Dies wird unter anderem von der Bereitschaft des Bundesgrenzschutzes und der Politik abhängen, die Lehren aus dem Verfahren zu ziehen und sich nicht damit zufrieden zu geben, dass Abschiebungen auf dem Luftweg inzwischen in einer umfangreichen Dienstanweisung geregelt sind. Deren Maxime „Keine Abschiebung um jeden Preis“ legt die Frage an die Politik nahe: Welcher Preis darf es denn sein, wenn etwa traumatisierte Menschen unter ärztlicher Begleitung abgeschoben oder Familien bei der Abschiebung getrennt werden und sich dem widersetzen?

Eine der Konsequenzen, die verschiedene europäische Staaten aus den Todesfällen bei Flugabschiebungen, deren Umstände einander sehr ähnlich waren, gezogen haben: Zunehmend werden Charterflieger – jetzt in europäischer Kooperation – eingesetzt. Abschiebungen erfolgen mitten in der Nacht oder von kleineren Flughäfen. Der Zweck der Methode: Wo keine Öffentlichkeit ist, gibt es keine neutralen Zeugen. Der erste Eurocharter- Abschiebungstote – eine Frage der Zeit?

Damit dies verhindert wird, fordern PRO ASYL und andere Nichtregierungsorganisationen, dass die Bundesregierung endlich das Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention unterzeichnet. Damit würden unangekündigte und unabhängige Besuchsmechanismen in Gewahrsamszellen und anderen bislang unzugänglichen Bereichen möglich. Dies müsste selbstverständlich auch für Abschiebungscharterflüge gelten.

Weitere Infos zum Prozess:
http://www.aamir-ageeb.de

Indymedia: Wende im Prozess gegen BGS im Fall Ageebhttp://de.indymedia.org//2004/01/72570.shtml
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Ergänzungen

@weist

Utrecht 18.10.2004 - 17:09
Der eine Beamte ist jedenfalls seinen Beamtenstatus aufgrund der Verurteilung los

Nachteil ist jedoch, daß Abschiebung immer noch möglich sind. Die Frage ist jedoch, welche Perversitäten sich die Behörden einfallen lassen.

Möglich wäre es vor einer Abschiebung die Personen mit Medikamenten ruhigzustellen oder gar zu betäuben.

Berufskörperverletzer mit Todesfolge

A.C.A.B. 18.10.2004 - 18:21
wenn man bedenkt das Leute in Berlin diese Jahr für das Werfen eines Steines - ohne jemanden zu verletzen! - zu 2 jahren _ohne_ Bewährung verurteilt wurden ist dieses Urteil eine Schande..

"witzig" ist auch daß das Strafmaß von 9 Monaten unter der gesetzlichen Mindeststrafe für das hier festgestellte Delikt "Körperverketzung mit Todesfolge" bleibt.. Soll man daraus jetzt schließen, a) das deutsche Polizisten über dem Gesetz stehen, b) einen Ausländer umzubringen ein minderschweres Vergehen ist? Wahrscheinlich beides..

Der Staatsanwalt, also derjenige der z.B bei einem Tötungsdelikt im Interesse der Allgemeinheit die Anklage vertreten soll, nannte die BGSler "arme Hanseln", weil sie die Leidtragenden mangelhafter Ausbildung seien..

Solche Berufskörperverletzer mit Todesfolge sind keine "armen Hanseln", sondern potentielle Mörder im Auftrag des Staates; Mit deren strafrechtlicher Verfolgung einen deutschen Staatsanwalt zu beauftragen heißt den Bock zum Gärtner zu machen.

Beamtenstatus

Bürgerschreck Anarcho 19.10.2004 - 09:52
Den Beamtenstatus verliert ein deutscher Beamter erst ab einem Jahr Haft automatisch, die BGS-Arschlöcher behalten also sehr wahrscheinlich ihre Jobs mit allem drum und dran.

Scheiße!

Haben die BGS-Mörder ehrliche Reue gezeigt?

H.ausBerlin 20.10.2004 - 23:47
Interessant wäre es zu erfahren, ob einer der beteiligten Mörder seine Tat bereut hat und dies auch in irgendeiner Weise während der Verhandlung zum Ausdruck brachte.
Im übrigen ist davon auszugehen, dass der absichtlich herbeigeführte Erstickungstod nicht nur Ausdruck einer "Kette organisierter Verantwortungslosigkeit" ist, sondern auch deutlich macht, dass leider ein Großteil der deutschen BGS- und Polizeibeamten weder die Menschenrechte noch die deutsche Verfassung kennen und achten. Nun könnte mensch argumentieren, dass Polizei und BGS letztendlich "nur" ein Spiegelbild der Gesellschaft seinen, dem möchte ich aber deutlich widersprechen: wenn Polizisten beispielsweise in Berlin eine Demonstration begleiten, dann sind es leider immer wieder dieselben dummen, Bild-Zeitung-guckenden, glattgeschorenen Polizeioberarschlöcher, die willkürlich in die Menschenmenge prügeln und sich in diesen Situation einen feuchten Dreck um Menschenrechte und Verfassung kümmern.

rassismus tötet!

no-racism 21.10.2004 - 12:20
es ist kein wunder, dass die bgs-bematen mit einem derartigen urteil wegkommen. es gab in den letzten jahren mindestens mehrere tote im zuge gewaltsam durchgefuehrter deportationen, doch von einer verurteilung die tatsaechlich als solche bezeichnet werden kann, ist mir nichts bekannt. es kam entweder zu freispruechen oder zu bedingten strafen. und was noch dazu kommt: in den urteilen wurde die rassistische und tötliche praxis von deportationen nicht in frage gestellt, sondern eher gerechtfertigt.

eine dokumentation von todesfaellen bei deportationen und in polizeigewahrsam, wenn auch in keiner weise vollstaendig, gibt es auf no-racism.net/racismkills. vor allem der tod von Marcus Omofuma und der prozess gegen die drei fremdenpolizisten, die ihn toeteten, ist dort gut dokumentiert.

was vor allem fuer oesterreich eine auffallende parallele ist: meist sind es die opfer selbst, die fuer ihren tod verantwortlich gemacht werden. entweder, weil sie sich durch "aggressives verhalten" gewehrt haben, oder weil ihr herz zu schwach war, die jeweilige behandlung zu ueberleben.

in den letzten jahren starben in oesterreich jedenfalls viel zu viele leute im zuge von amtshandlungen. und es scheint kein ende in sicht. derzeit ist vor allem der tod von Edwin Ndupu thema, der am 19. augsut 2004 von 15 beamten erschlagen wurde. diese wurden in der folge gar mit euro 2.000 von der justizministerin beschenkt und bekamen von ihr persoenlich eine ehrenauszeichnung fuer ihr handeln ueberreicht.

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Zeige die folgenden 9 Kommentare an

ambivalent ??? — ben glenton

nazis morden - der staat schiebt ab — bulle, ich weiss wo du wohnst

Erbärmliches Pro-Asyl — BRD-Grrr!

Hallo?????? — A.C.A.N.B

fuck staatsbürger — @fuck john doe