Bericht vom 'Sternmarsch nach Berlin'

Crest 03.10.2004 23:09 Themen: Soziale Kämpfe
Trotz weitgehendem Totschweigen in den Medien versammelten sich bis zu 10.000 Demonstranten aus ganz Deutschland zum 'Sternmarsch nach Berlin'.
Ziemlich genau um 10 Uhr traf ich am Treffpunkt West (Oranienburger Tor) des Sternmarsches ein. Hier war ich als Berliner erstmal in der Minderheit (die Berliner vom Bündnis Montagsdemo sammelten sich mehrheitlich am Moritzplatz), denn die Mehrheit der Demonstranten war mit einem Sonderzug aus Nordrhein-Westfalen angereist. Dieser war nach Teilnehmeraussage gut
besetzt, soll aber entgegen der Zusage in zwei Städten durchgefahren sein. Auf der Straße haben sich zu Beginn des Demozuges vielleicht 1000 Personen befunden.

Zu Beginn des Demozuges wurde dazu aufgerufen, sich in Achterreihen zu formieren, was man dann auch schulmäßig durchzuziehen versuchte. Meineserachtens etwas lächerlich, aber so wollte man die Demo wohl noch etwas mächtiger aussehen lassen und dafür sorgen, das die Plakate und Transparente besser sichtbar sind. Eine Polizeiauflage war, das man seitlich keine Transparente mitführen durfte. Während des Zuges Richtung Alexanderplatz waren nur recht wenig Personen vom Straßenrand zu mobilisieren, da ganz einfach kaum jemand unterwegs war. Vom Lauti war von meiner Position aus kaum etwas zu hören, aber an mehreren Stellen der Demo waren Personen mit mobilen Lautsprechern unterwegs. Um den Protestliedern folgen zu können, wurden Zettel mit den Texten verteilt.

Am Alexanderplatz vereinigten sich die Teilnehmer von den insgesamt vier Sammelpunkten dann zur Zwischenkundgebung. Hier stießen nun auch zunehmend normale Passanten zur Demo dazu. Nach der Zwischenkundgebung setzte sich der Demozug gemeinsam wieder in Bewegung. Es wurde zwar wieder zur Formierung in Achterreihen aufgerufen, aber diesmal nahmen das wohl nur
noch die Wenigsten wirklich ernst. Bei diesem Demozug dürfte wohl auch die maximale Zahl von ca. zehn- bis zwölftausend Teilnehmern erreicht worden sein (die genannten 20000 von den Organisatoren dürfte wohl etwas arg optimistisch gewesen sein, so wie die von der Polizei genannten 3500 gelogen waren). Ursprünglich sollte der Zug nun zum Brandenburger Tor gehen, aber da hatte die Versammlungsbehörde etwas dagegen - offiziell, weil angeblich nicht genug Fluchtwege gegeben wären, weil auf einer Seite des Tores ja schon das offizielle Einheitsfest lief. Tatsächlich wollte man sich von unzufriedenen Demonstranten wohl nicht in die (Einheits)Suppe spucken lassen. Also zog man nun durch Prenzlauer Berg und dann zurück zum Alex. Diesmal waren auch schon deutlich mehr Passanten am Straßenrand und an den Fenstern zu sehen. Die Stimmung war kämpferisch, was sich insbesondere bei dem einen oder anderen Redebeitrag am offenen Mikrofon
zeigte. Zwischendurch spielte immer wieder die Gruppe Nümmes. Die Aussage von Stefan Liebig (PDS), der nach Aussage der Berliner Zeitung hinter die Montagsdemos nun 'einen Punkt setzen will', wurde einhellig verurteilt. Die Polizei ließ ihre Knüppel diesmal erfreulicherweise stecken. Am Rand war lediglich mal zu beobachten, wie das 'Anti-Konflikt-Team' mit einer Person in einer Hofeinfahrt verschwand.

Gegen 15 Uhr startete am Alex die Abschlußkundgebung, auf der die Politik der etablierten Parteien angeprangert wurde und man klarmachte, das keine Hartz IV-Kosmetik akzeptiert wird. Seitenhiebe gegen attac und PDS konnte man sich erneut nicht verkneifen, wobei man Wert darauf legte, das man nur die Führung und nicht etwa die einfachen Mitglieder angreift. Richtig erkannt wurde, das das kapitalistische System das Hauptproblem ist, aber das man auch einen sehr langen Atem braucht, wenn man Erfolg haben will. Von einem Hochhaus am Alex regnete es im Verlauf der Kundgebung Flugblätter, somit hatte der Name endlich mal seine Richtigkeit :-)

Zum Abschluß der Kundgebung durfte die Anti-Hartz-Hymne natürlich nicht fehlen. Alle Teilnehmer waren sich einig, das die Montagsdemos weitergehen sollen! Abschließend läßt sich sagen, das hier mitnichten nur MLPD-Parteikader das Wort geführt haben. Vielmehr kamen viele direkt Betroffene zu Wort. Wer bei dieser Demo lauter Stalinisten gesehen haben will, will die Wahrheit wohl nicht sehen. Im Unterschied zur gestrigen Demo hat hier auch keine Partei oder Gewerkschaft die Bahn- oder Bustickets bezahlt, sonst wären wohl noch mehr gekommen. Bei den abendlichen Nachrichten in den Medien wurde die Demo fast völlig totgeschwiegen (kurze Erwähnung lediglich im rbb-Videotext und als Randnotiz ohne irgendwelche Bilder in der rbb 'Abendschau').
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Ergänzungen

Bilder vom Sternmarsch auf Berlin am 3.10.

eclipser666 03.10.2004 - 23:20

teilnehmerInnenzahl

kuddel knuddel 04.10.2004 - 01:34
liebe genossInnen, freundInnen und kollegInnen,
den bericht fand ich ja ganz nett, aber ie zahl der teilnehmerInnen auf 10.000 zu schätzen find ich auch optimistisch.
ich würde die gesamtzahl auf 3000 bis 4000 schätzen. mehr waren da auf keinen fall. webcambilder von oben bestätigen die schätzung.
das ding war, dass die demobreite sehr eng war und somit sich der ganze zug in die länge zog, was den eindruck erwecken liess, wenn mensch sich in der demo bewegte, dass mehr da waren als es wirklich waren. sorry... aber ich denke es bringt nichts, wenn wir uns in die tasche lügen und die zahl nach oben drehen.

Teilnehmerzahl

Crest 04.10.2004 - 03:29
Mag sein, das die maximale Teilnehmerzahl auch etwas niedriger lag, bin kein beruflicher Teilnehmerzahlen-Schätzer ;-)
Aber auch etwas merkwürdig, wenn man hier die Polizeischätzung als offiziell übernehmen soll, während man bei Demos anderer Organisationen erstmal pauschal 10000 oder mehr draufschlägt. Ich bin wohlgemerkt parteilos und auch kein Mitglied anderer Organisationen.
Letztendlich sollte aber zählen, wie die Stimmung in der Demo war und ob die Teilnehmer selbst es als Erfolg sehen. Die Politik hat sich ja auch um eine halbe Million am 3.April nicht weiter geschert.

pass auf

ich 04.10.2004 - 06:55
sorry, die mlpd hat gerade eben bischen viel gelogen, betrogen, gefälscht und gespalten.
in letzter zeit hat die mlpd oft parteimitglieder vorgeschickt die behauptet hatten keine zu sein. ich unterstelle dir natürlich nicht bei dieser partei zu sein, die aussage "ich bin parteilos" selber ist in bezug auf mlpd-leute einfach wertlos - das behaupten die dauernd.

ja, wenn du und die mlpd meinen es war ein erfolg so sei er euch gegönnt. allerdings bin ich froh, dass ich den unsinn nicht aufgesessen bin.
soweit: es ist aus einer ausenstehenden sicht überhaupt nicht erstaunlich, dass über diese demo nicht wünschenswert berichtet wird.
sie war einfach sehr klein im vergleich zu den einheitsfeiern. ausserdem feht natürlich einiges an infrastruktur, wenn die mlpd so etwas im alleingang macht.
gemessen daran finde ich es eigentlich erstaunlich, dass überhaupt so viel zusammenkam. das kannst du klar einen erfolg nennen. mir wärs einfach nur lieber, wenn es das nächstemal mit ein bischen weniger spaltung geht und nicht unbedingt zwei demos laufen müssen.
ja, der 2. war schon vor leipzig im gespräch. dann schnell in leipzig ein paralleltreffen organisieren und in vermitlungsgesprächen gefundene ergebnisse einfach immer noch zu ignorieren und dann noch andere zu diffamieren ist ein bischen viel.
na, wie auch immer. ist jetzt auch mal wieder gut.

parteilos

Crest 04.10.2004 - 07:26
@ich
Guck' Dir halt meine Homepage an, reicht schon der Text zu den Demos vom Wochenende direkt auf meiner Indexseite. Ich denke das macht klar, wie ich zu dem Spaltungstheater stehe. Ich habe sogar Links zu attac und Linksruck, also zwei erklärten 'Feinden' der MLPD. Solange es eine Hauptbeschäftigung der Linken ist, aufeinander herumzuhacken, kann sich das Kapital in aller Ruhe zurücklehnen und die nächsten Pläne zur Entrechtung der kleinen Leute aushecken. Solange sich da nix ändert, werde ich auch sicher keiner Organisation oder Partei beitreten. Am 3.April bin ich übrigens beim schwarz-roten Block mitgelaufen, da ich von DGB Weichspüler-Parolen nichts halte. Dieses gegenseitge aufeinander einschlagen (zum Glück nur virtuell) ist auch einer der größten Negativpunkte an indymedia, weshalb dies hier überhaupt erst mein erster Bericht ist.

Sternmarsch war ein Erfolg

Demonstrant 04.10.2004 - 10:09
Unterschieden werden muß zwischen dem Sternmarsch am Vormittag und der Abschlußdemonstration. Während bei den 4 Demozügen nach meinen Informationen 700-2000 / Zug waren, kamen bedeutend mehr zur gemeinsamen Abschlussdemonstration zum Alexanderplatz. In den Wohngebieten schwoll die Demo nochmal an. Ich kann nicht genau sagen, ob es 12000 oder 20000 waren, aber in dieser Größenordnung war die Demo angesichts der Medienzensur und Hetze einiger "Linker" ein Erfolg. Es gab auch Orte, aus denen es keine Mitfahrgelegenheiten gab, da offizielle Busse nur am 02.10. nach Berlin fuhren. Wer die Abschlußdemonstration gesehen hat und von 3000 redet, war etwa besoffen oder lügt bewusst. Wichtiger als die Zahl ist jedoch der Charakter, daß die Stimmung gut und kämpferisch war, viele Transparente und Parolen, ein breites Spektrum von Initiativen, gewerkschaftlichen Basisgruppen, Immigrantenorganisationen usw. Die MLPD endlich mal etwas sichtbarer als bei der Berliner Montagsdemo, hat aber dennoch nicht dominiert.

Überschätzung

Mike 04.10.2004 - 10:40
Die bösen Medien wieder... Ich hab mir selbst die Demo angeschaut, aber soviel mehr waren das wirklich nicht.

Im übrigen neigt auch indymedia (bzw. die Autoren) in der letzten Zeit dazu, Protestveranstaltungen per Tastatur zu vergrössern. So lautet die vollundige Überschrift auf der Startseite "Europa gegen Neoliberalismus", was angesichts von 50-70 Tausend Leuten auf einer bundesweiten Demo etwas übertrieben ist. Soviel Leute kommen ja schon bei nem Bundesliga-Spiel zusammen (und die zahlen sogar noch für die Teilnahme). So richtig revolutionär ist das alles nicht!

Welcher Inhalt hattte euer Sternmarsch ?

n.n. 04.10.2004 - 11:49
Wogegen habt ihr demonstriert ?

@mike

brutalst möglicher aufklärer 04.10.2004 - 13:02
"gegen neoliberalismus" wurde auch geschrieben weil zeitgleich zu der demo in berlin in anderen ländern aktionen stattfanden, die größte davon in amsterdam: mehr als 250.000 gegen sozialabbau. der titel ist also berechtigt und keine übertreibung