Hartz IV und Frauen

Weg mit Hartz IV - das schaffen wir! 20.09.2004 17:21 Themen: Gender Soziale Kämpfe
Auf den Montagsdemonstrationen werden heute wieder viele Menschen protestieren, wenn auch vermutlich weniger als letzten Montag. Es wird Zeit, mit Spaltungsdiskussionen aufzuhören und sich auf die Folgen von Hartz IV zu konzentrieren und was wir dagegen tun können. Wie können wir den Widerstand weiterführen und Selbstorganisierung stärken? Faktisch sind Frauen und MigrantInnen sehr viel stärker von diesem brutalen und unsozialen Gesetz betroffen.
Die Auswirkungen der Hartz-Gesetze auf Frauen

Ab 1. Januar 2005 werden bisherige Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum "Arbeitslosengeld II" (Alg II) zusammengelegt. Das umfasst Kosten für "angemessenen Wohnraum" und Heizung, Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie für Alleinstehende 345 Euro (West) / 331 Euro (Ost) plus Zuschläge in den ersten beiden Jahren des Bezugs von Alg II: im ersten Jahr maximal 160 Euro, dann max. 80 Euro. Damit muss die/der Erwerbslose über die Runden kommen. Dabei wird das Einkommen des Partners/ der Partnerin angerechnet. Erwerbslose, deren PartnerIn mehr als 1500 brutto verdient, erhalten nach dem ersten Jahr Erwerbslosigkeit mit Alg I gar nichts mehr. Dies betrifft theoretisch Frauen und Männer gleichermaßen. Praktisch wird es jedoch so sein, dass 30 Prozent der erwerbslosen Männer, aber 60 Prozent der erwerbslosen Frauen aus dem Leistungsbezug heraus- und in die "Hausfrauenehe" hineinfallen.

Für Personen, die vom Staat keine Leistungen mehr erhalten, werden auch keine Sozialversicherungsbeiträge mehr gezahlt; damit ist Altersarmut für Frauen, die längere Zeit in diesen Strukturen leben, quasi vorprogrammiert. Verschärfte Hierarchien in der Ehe/ Beziehung werden eine häufige Folge dieser Verhältnisse sein; finanzielel Abhängigkeit folgt in jeden Fall daraus.

Für von Gewalt durch den Partner oder Ehemann betroffene Frauen ist dies besonders fatal. Ohne eigenständige finanzielle Absicherung haben sie nur zwei schlechte Möglichkeiten: Entweder harren sie bei dem Misshandler aus oder sie müssen vor ihm in eine finanziell vollkommen unsichere Zukunft fliehen.

In der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent ist auch eine weitere Gruppe von Menschen, die durch die Einführung von Alg II deutlich schlechter gestellt ist. Asylbewerberinnen, denen es gelungen war, einen sozialversicherungspflichtigen Job zu erlangen, wurden bisher bei Arbeitslosigkeit behandelt wie alle anderen Arbeitenden. Ab dem 1. Januar 2005 gilt der Anspruch auf Alg II "nicht (...) für Leistungsberechtigte nach Paragraph 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes". Asylsuchende werden so noch einmal 30 Prozent weniger Geld bekommen als BezieherInnen von Alg II.
Wer tatsächlich Alg II erhält unterliegt einer Vielzahl von Zwängen durch die "Arbeitsagenturen".

Veronika Bennholdt-Thomsen: Beitrag zur Kundgebung am 15. Juli 2004 in Bielefeld:
 http://www.womenandlife.org/WLOE-de/themen/globalisierung/hartzbenthom.html

Hartz und die Folgen für Frauen:  http://www.initiativeandersarbeiten.de/html/themen/themen_text_2.php?zid=36

Hartzschrittmacher IV:  http://www.all4all.org/2004/08/1151.shtml

Alleinerziehende aufgepasst (BAG-SHI):  http://www.bag-shi.de/sozialpolitik/infokampagne/info/alleinerziehende

Berliner Zeitung: Frauen geraten in stärkere Abhängigkeit:  http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/serie_hartz/371465.html

Offener Brief der kommunalen Frauenbeauftragten:  http://www.frauenbeauftragte.de/bag/sn0407hartz4.htm

Erfordernisse für gewaltbetroffene Frauen:  http://www.feministischewiderstandstage.de/hintergrund/texte/sgb2.htm

Wie zwei Frauen Tausende mobilisieren:  http://www.mdr.de/umschau/1542320.html

taz: Familienbild mit Hartz:  http://www.taz.de/pt/2004/08/10/a0165.nf/textdruck
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Ergänzungen

ALG II VERZÖGERN !

juh 21.09.2004 - 03:01
Hartz IV blockieren:
ALG II-Anträge verzögern!


Es besteht die realistische Chance, dass die Umsetzung von Hartz IV zum 1. Januar kippt und sich um Monate verzögert. Das wäre ein kleiner Sieg für uns und eine erste Schlappe für die Strategen der Armutsverwaltung. Dafür würde es reichen, wenn viele Leistungsberechtigte ihre Formulare erst Anfang Dezember 2004 abgeben.

Die Bundesagentur (BA) pfeift jetzt schon aus dem letzten Loch, die Mitarbeiter sind unmotiviert, schlecht eingearbeitet, die Computerprogramme funktionieren nicht. Ein kleiner Tritt noch und der tönerne Riese fällt auf die Schnauze. Der interne "Handlungsleitfaden für Agenturen" gibt an: "Ab Mitte Dezember muss für vollständige Anträge, die nicht mehr bearbeitet werden können, eine Abschlagszahlung angeordnet werden [...] Ab dem 1. Januar 2005 müssen für unmittelbar Bedürftige Bargeld und Schecks bereitgehalten werden.

Zum 2. August meldete die "Westdeutsche Zeitung", dass die Bundesregierung im Oktober prüfen wolle, ob das "Hartz IV-Gesetz" pünktliche in Kraft treten könne.

Zu Terminen erscheinen,
aber nicht abgeben

Um die Anträge einzutreiben, schickt uns die BA in Köln persönliche Termine, bei denen wir unsere Formulare abgeben sollen. Diese Termine sind für die Abgabe der Anträge keineswegs bindend. Ihr solltet zwar hingehen (Mitwirkungspflicht), könnt aber immer behaupten, ihr hättet noch gar keine Formulare erhalten, hättet noch Fragen, würdet mit Beratungsstellen in Kontakt stehen etc. Theoretisch reicht der 31. Dezember 2004 für die Abgabe aus. Wir schlagen einen etwas früheren Termin vor: den 6. Dezember 2004. Dann haben wir zur Sicherheit noch zweieinhalb Wochen.

Geld her - oder richtig Zoff!

Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen von der Androhung, wir könnten 2005 ohne Geld dastehen, wenn wir die Anträge später abgeben. Wir müssen offensiver an die Sache heran gehen: Wenn eine(r) von uns im Januar oder Februar 2005 tatsächlich ohne Geld dastehen sollten, dann kracht es richtig. Dann werden wir gemeinsam so lange in den Amtsfluren sitzen, bis die Schecks, Abschlagszahlungen oder sonstiges, bar in unsere Hände wandern. Dieses Szenario wird sich Rot-Grün ersparen wollen. Also: Mitmachen, Antrag verzögern und weitersagen!

Gemeinsame Abgabe
der ALG II-Anträge
Montag, 6. Dezember 04, bei eurem örtlichen Arbeitsamt!

AK faxen dicke +++  AKfaxendicke@gmx.de

Die Folgen der Hartz-Gesetze für Frauen

Fortsetzung 10.12.2004 - 17:20
im Einzelnen:

Residenzpflicht

Bezieherinnen von Alg II unterliegen der Residenzpflicht, da die Auszahlung des Alg II immer nur am ‚gewöhnlichen‘ Wohnort erfolgt. Durch einen Wechsel des Wohnortes z.B. aufgrund der Gewalt des Ehemannes oder Freundes verliert frau den Anspruch auf Alg II. Verhindert wird so die selbstbestimmte Entscheidung über den Wohn- und Lebensort. Verstärkt wird der Zwang, sich mit Gewaltverhältnissen zu arrangieren. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist ein typisches Mittel zur Herstellung von Kontrolle über Frauen.

Minijobs

Inzwischen gibt es ca. 7,6 Millionen Minijobs. Davon sind 60% von Frauen besetzt. Diese Jobs mit einem maximalen Verdienst von 500 Euro/Monat sind nicht mehr auf 15 Stunden/Woche beschränkt. Dumpinglöhnen und Ausbeutung im Rahmen von Minijobs werden damit Tür und Tor geöffnet.

Der Arbeitgeber zahlt für jedeN MinijobberIn 10 Prozent Sozialversicherungsabgaben (Rente, Krankenversicherung). Auch MinijobberInnen haben aufgrund dieser geringen Beiträge eine Garantie auf Altersarmut. Läuft ein Minijob aus, und sei es auch nach Jahren, haben die Ex-MinijobberInnen kein Anrecht auf Arbeitslosengeld I, sondern erhalten lediglich Alg II. Damit unterliegen sie sofort sämtlichen damit verbundenen Zwängen.

Die Bundesregierung rühmt sich, dass bereits über eine Million Minijobs seit der neuen Minijob-Regelung im April 2003 entstanden seien. Dabei wird verschwiegen, dass es sich häufig nicht um neue Jobs handelt. Eine Vielzahl von Minijobs waren vorher (Teilzeit-)Jobs, die arbeitsrechtlich besser gestellt waren. In Bremen beispielsweise gingen innerhalb eines Jahres 515 reguläre Arbeitsplätze im Einzelhandel verloren, während gleichzeitig 332 Minijobs entstanden. Diese Umwandlung findet besonders in Arbeitsbereichen statt, in denen in erster Linie Frauen arbeiten: in der Pflege, im einfachen Dienstleistungsbereich, im Gaststättengewerbe.

Ich-AGs, Familien-AGs

Neben der allseits bekannten Ich-AG kann auch eine Familien-AG gegründet werden. Das heißt, eine Familie betreibt gemeinsam ein Kleinunternehmen. Es ist naheliegend, dass sich dort die konventionellen Geschlechterhierarchien durchsetzen. Die Verquickung von privaten Beziehungs- mit Arbeitsstrukturen kann für Frauen fatal sein. Auch hier haben Frauen keine Möglichkeit zu einer eigenständigen sozialen Absicherung.

Die “Agentur für Arbeit”

Die neuen “Arbeitsagenturen” sollen möglichst “effizient” arbeiten: An sie ist die Anweisung ergangen, teure und einfache Erwerbslose möglichst schnell zu vermitteln. Ersteres spart dem Staat Geld; beides verbessert die Erwerbslosenstatistik. Wegen ihres durchschnittlich geringeren Verdienstes sind Frauen eher “billige” Erwerbslose, dabei aber gleichzeitig, wenn sie besondere Bedürfnisse oder Bedingungen mitbringen – wie dies beispielsweise (alleinerziehende) Mütter, Migrantinnen oder Frauen mit Behinderung tun – kompliziert zu vermitteln. Letztlich werden die “Arbeitsagenturen” Frauen deshalb eher seltener vermitteln. Nichtsdestotrotz stehen sie unter dem Druck, die Bedingungen der “Agenturen” zu erfüllen.

Die Regelungen, welche Arbeit als zumutbar gilt, sind drastisch verschärft worden: Unterqualifizierte Arbeit muss angenommen werden. Sie führt auf Dauer zu einem Qualifikationsverlust der Frau. Auch untertariflich bezahlte Arbeit muss angenommen werden. Mobilität wird gefordert, wodurch soziale Zusammenhänge zerrissen bzw. gestört werden, obwohl sie in Situationen, in denen frau Rat und Unterstützung braucht, besonders wichtig sind. Zumal in Zeiten von staatlichen Mittelkürzungen die Zahl von professionellen Beratungsstellen, Kinderbetreuungseinrichtungen und anderen sozialen Einrichtungen stark abnimmt.

Weigert frau sich, die von der “Arbeitsagentur” vorgegebenen Schritte mitzumachen, wird sie mit Sanktionen wie Leistungskürzung, Zwangsverpflichtung zu einem Ein-Euro-Job oder sinnlosen Maßnahmen (beispielsweise immer wieder neue Bewerbungstrainings) bestraft.

,Hartz bringt neue Chancen für Frauen‘, resümiert ein Papier der SPD-Fraktion die von ihr auf den Weg gebrachten Neuerungen. Dem kann man mühelos beipflichten, wenn man das Wort Chancen einfach ein bisschen umdefiniert: Chancen auf Minijobs, Chancen auf Billigjobs, Chancen auf Familienarbeit” (taz, 10.8.04).
Von all diesem sind Frauen in Ostdeutschland noch sehr viel stärker betroffen als Frauen in Westdeutschland: Hier leben prozentual gesehen 5mal so viele Empfängerinnen von Arbeitslosenhilfe wie im Westen.

Die Hartz-Gesetze sind nur ein kleiner Teil der neoliberalen Umstrukturierungen, die hier und weltweit von Wirtschaftsbossen und ihren regierenden Handlangern sowie von Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank durchgesetzt werden. Lasst uns all diese Strukturen bekämpfen, nicht nur Hartz IV!

Für ein selbstbestimmtes, solidarisches Leben!
Gegen Rassismus, Sexismus und Sozialabbau!

September 2004

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An Hartz Vier — Tretjakow