Gegen Hartz IV & Co. in Gießen

Hartzer in Gießen 25.08.2004 21:06 Themen: Soziale Kämpfe
Nicht einfach eine Montagsdemo ansetzen und die Betroffenen als TeilnehmerInnen einer Demo in das von wenigen vorbereitete Spektakel einreihen – so war der Plan in Gießen. Deshalb gab es in den vergangen drei Tagen (Montag bis Mittwoch) drei Stadtteilversammlungen. Doch leider blieb die Zahl derer, die Proteste mitplanen wollten, sehr gering.
Die Idee mit drei Stadtteilversammlungen wurden sehr schnell umgesetzt: Planungstreffen am Dienstag (17.8.), 3500 Flugblätter in die Briefkästen der Stadtteile am Folge-Wochenende und dann die drei Treffen ab Montag. Die Giessener Tageszeitungen zensierten die Ankündigungen – ein Giessener Allgemeine-Redakteur sagte gegenüber einem Nachfragenden sogar, dass das Absicht sei. Wo die Projektwerkstatt mit dabei sei, werde nicht mehr berichtet. Naja ... Medien im Dienste der Herrschenden. Die Presseankündigung wurde nur in der Nachbarstadt Wetzlar abgedruckt.

Die erste Versammlung war am Montag, 23.8., ab 17 Uhr auf dem Kirchenplatz Gießen, also in der Innenstadt. Ziel war das Planen, Aktionsideen sammeln, Vorbereiten von Aktionen in den Folgetagen, offenes Mikrophon und, wenn Interesse da wäre, auch spontan die ersten Aktionen. Das war aber zu optimistisch gedacht. Da waren Umsonstladen und offenes Mikro. Es gab Transpis mit Sprüchen wie "Wir sind kein Volk, sondern Menschen, die leben wollen" und "Wir sind weder Humankapital noch Menschenmaterial" sowie einige Schilder. Ca. 40 Personen meist aus politischen Gruppen versammelten sich auf dem Kirchenplatz, einige weitere verfolgten das Geschehen vom Rand des Platzes aus. Nur wenige hielten Redebeiträge. Massive Proteste gab es immer wieder gegen den Sozial-Apartheids-Text in der Gießener Allgemeine am Samstag vorher (siehe unten).
Die Polizei (normale Streifenbullen und Staatsschutzmann KOK Schmidt) und Ordnungsamt saßen lange im Eiscafe und versuchten dann vergeblich, einen Demoanmelder dingfest zu machen, um mit dem was zu klären ... aber es mischten sich viele ein und die Polizei ging unverrichteter Dinge. Zum Ende hin setzte öfter Regen ein, so dass viele unter den Vordächern der Geschäfte herumstanden.

Schlechter waren die beiden Versammlungen in den Stadtteilen, wo die viele Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen usw. wohnten. Dienstag, 24.8., war ab 15 Uhr Treffpunkt in der Nordstadt im Stadtzentrum/Reichenbergerstr. Hier kamen nur sehr wenig Menschen vorbei, nur einmal kam ein Gespräch zu Aktionsideen vor allem vor und im Arbeitsamt zustande. Nicht viel besser war es am Mittwoch, 25.8., ab 15 Uhr, in der Weststadt, Kreuzung Krofdorfer Str./Leimenkauter Weg. Vier AnwohnerInnen waren gekommen, um zu demonstrieren. Dazu wirkten sie sehr entschlossen, zu eigenen Überlegungen und Aktivitäten, um mehr Menschen aus der Weststadt zu interessieren, hatten sie aber weniger Lust. Weder in der Nord- noch in der Weststadt beteiligten sich Giessener politische Gruppen an den Versammlungen.


Protest gegen Sozialrassismus von Guido Tamme
Am Samstag, 21.8.2004, hatte die Giessener Allgemeine eine übliche Hetze gegen Obdachlose losgelassen – während die Hartzproteste verschwiegen wurden. Der Text von Guido Tamme (Allgemeine-Stadtredaktionschef, siehe Abbildung) sagt aus, dass nur die richtigen, und zwar kauffreudige Menschen auf den städtischen Bänken sitzen dürfen. Das erinnert an Busse oder Kinos mit Sitzen nur für Weiße ... aber an die von Nazis in Gießen an Bänke gesprühte Parole „Hier dürfen keine Juden sitzen“. Nur diesmal war es aktuell und von einer Zeitung offiziell verkündet. Wegen der Position schrieb eine Person einen offene Brief. Der Wortlaut:

Offener Brief
An Chefredaktion der Giessener Allgemeinen, Stadt Gießen, Stadtverordnetenversammlung Gießen, Staatsanwaltschaft Gießen, Kirchengemeinden am Kirchenplatz, Medien und Öffentlichkeit


Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Gießener Allgemeinen vom 21.8.2004 hat der Chef der Stadtredaktion der Zeitung, Guido Tamme, formuliert, dass die Bänke in der Innenstadt Gießen, im besonderen die Bänke auf dem Kirchenplatz, nur bestimmten Menschen ("flanierenden Innenstadt-Passanten") zur Verfügung stehen und andere nicht auf diesen Bänken sitzen sollten. Gemeint waren insbesondere solche Menschen, die ohnehin stark sozial ausgegrenzt und oft verarmt bzw. wohnungslos sind.

Eine solche Formulierung, die öffentlich definiert, wer auf öffentlichen Bänken erwünscht ist und wer nicht, ist ein Akt sozialer Apartheid. Es ist mehr als die in Gießener Zeitungen und auch der Gießener Stadtpolitik schon öfter vorgekommene soziale Hetze, die schnell auch zur geistigen Brandstiftung für (sozial)rassistische Übergriffe werden kann. Sondern es ist bereits selbst die Praxis des Sozialrassismus, also der Diskriminierung und tatsächlichen Vertreibung von "unerwünschten Personen". Was Guido Tamme nicht nur vorschlägt, sondern als gegeben hinstellt, ist der gleichen Logik verhaftet wie den klassischen, rassistischen Formen von Apartheid, wo Menschen bestimmter Hautfarbe nicht auf Sitzen in Bussen oder Kinos Platz nehmen durften.

Das alarmierende am Text von Guido Tamme ist, dass es kein Einzelfall ist - auch Tamme selbst hat bereits mehrfach soziale Hetze betrieben. Sein neuester Text geht einen Schritt weiter, in dem er eine Praxis der Apartheid schaffen will. Strafrechtlich ist das Volksverhetzung, gesellschaftlich eine dramatische Entwicklung. Der Text ist auf www.kroeten-wanderung.de.vu, der Seite zu den Sozialprotesten in Gießen, dokumentiert und wurde gestern auf der Protestaktion in Gießen stark thematisiert.

Ich möchte die von mir angeschriebenen Institutionen, die als Eigentümer, Vorgesetzte oder sonstigen formalen Gründen von der Erklärung von Guido Tamme betroffen sind, um eine Stellungnahme bitten, wie sie vorzugehen gedenken. Es ist auch Ihre Entscheidung, ob zu solchen Entwicklungen (mal wieder) geschwiegen wird oder ob Sie aktiv an dieser und hoffentlich auch an vielen anderen Stellen für ein gleichberechtigtes, gutes Leben aller Menschen eintreten.

Über eine Rückäußerung wäre ich daher dankbar.
Beste Grüße




Weitere Aktionen morgen!

Donnerstag, 25.8., 13-18 Uhr vor dem Arbeitsamt (Eingang bis Kennedyplatz): Protestieren, Diskutieren, Umsonstladen, Vorbereiten von Aktionen in den Folgetagen, offenes Mikrophon und, wenn Interesse da ist, auch spontan Aktionen. Bringt Flugblätter, Schilder, Transpis usw. mit!!! Die Demo ist angemeldet, aber Aktionen, Inhalte usw. müssen von denen kommen, die kommen!

Donnerstag, 25.8., 20 Uhr, ALI-Cafe, Anfang Asterweg rechts: Besprechung zum weiteren Vorgehen - offen für alle Interessierten!
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Projektwerkstatt

Schlammbeisser 26.08.2004 - 13:44
>Wo die Projektwerkstatt mit dabei sei, werde nicht mehr berichtet.

vielleicht würde es helfen, nicht überall projektwerkstatt draufzuschreiben, das ist ja auch schon fast wie eine marke. und anscheinend macht es es der presse sehr, sehr einfach überall wo diese marke draufsteht die augen zuzumachen und einfach nicht zu berichten.

egal ob es studistreik, hartz iv oder gefahrenabwehrverordnung ist, man trifft sehr schnell auf die immer gleich aussehenden webseiten der projektwerkstatt, welche krass unübersichtliche iframe-schlachten im 1998-design sind und inhaltlich meist für den normalbürger zu radikale positionen vertreten. das egagement ist viel wert, aber massen (falls dies beabsichtigt ist) erreicht man so wohl kaum.

Nächstes Treffen

petr 28.08.2004 - 20:10
montag 27.8.2004 aktionen und diskussionen auf dem kirchplatz

Fern ab von den kleine Leuten

Rebell22 29.08.2004 - 21:40
Das die Resonanz nicht groß war ist klar. Nichts ist so fern vom Leben der kleinen Leute wie die Inhalte von Infoladen oder Projektwerkstatt. Allein solche Parolen wie "Wir sind kein Volk...." oder "...Humankapital" also bitte, wer ausser der Kleinbürgerlichen, Akademiker Linken redet schon so oder macht sich n Kopp ob man nun eine Masse von Menschen in einem bestimmten Land nun als Volk oder nicht oder wie??? bezeichnen sollte. Man sollte sich mal klar machen das die Betroffenen keine Autonomen oder was weiß ich wie langjährige hochgeschulte Berufsrevoluzzer sind sondern Menschen die gerade erst anfangen sich ihrer Lage im Kapitalismus klar zu werden. Hinter Aussagen wie "Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir" o.ä. können sich hingegen viele Menschen stellen weil das ihrer persönlichen Auffassung gerechter wird. Die Grabenkämpfe um Ausdrucksweisen, Volk oder nicht Volk sollte man dann ausfechten wenn die Menschen beginnen sich auch zu organisieren. Aber ob Gruppen wie die im Infoladen oder Projekte wie die "Projektwerkstatt" für die Menschen tatsächlich die attraktive Organisationsform darstellen wage ich zu bezweifeln.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

marke projektwerkstatt? — mit dabei

Volk??? — Anti-Volker

@mit dabei — Schlammbeisser