Piazza Fontana-Freispruch für Faschisten

nuncamas 12.03.2004 12:39 Themen: Antifa Repression Weltweit
Heute verkündete die 2. Kammer des Schurgerichts Mailand (Berufungsgericht)im Berufungsverfahren zum Massaker an der Piazza Fontana einen Freispruch für
3 Faschisten der Terrororganisation Ordine Nuovo. Am 12.12. 1969 wurden
bei der Detonation eines Sprengsatzes 17 Menschen ermordet. Damit gibt es nach 35 Jahren offiziell immer noch keine Schuldigen des Verbrechens.
Am 12.12. 1969 explodierte in der Schalterhalle der Mailänder Lanwirtschaftsbank an der Piazza Fontana ein Sprengsatz.
Die Bilanz: 17 Ermordete und 85 Verletzte.
Nahezu zeitgleich gingen Sprengsätze in Rom hoch; ein weiterer Sprengsatz in einer anderen Mailänder Bank detonierte nicht.

Die Anschläge im Dezember bildeten die Fortsetzung sowie den blutigen Höhepunkt einer Reihe von terroristischen Verbrechen, die das politische Klima in Italien im Jahre 1969 beeinflußten. Den Auftakt bildete ein Anschlag auf den Rektor der Universität Padua im April, es folgten Anschläge auf einen Stand von FIAT auf der Mailänder Messe sowie auf den Mailänder Bahnhof am 25. April 1969. Im August waren Züge der italienischen Eisenbahn das Angriffsziel. Von 10 Sprengsätzen detonierten 8. Bis zum Massaker an der Piazza Fontana blieben die Anschläge ohne tötliche Folgen.

Für die politische Polizei in Mailand sowie in Rom war sie Sache von Anfang an klar:
Hinter dem Anschläg müssen Anarchisten stecken. Einer der festgenommenen Anarchisten war Eisenbahner Giuseppe Pinelli. Dieser stürzte in der Nacht des 15.Dezember vom 4. Stock des Mailänder Polizeipräsidiums in die Tiefe.
Der Grund laut Staatsanwaltschaft: malumore attivo = aktives Unwohlsein.


Der Mailänder Staatsanwaltschaft wurde nach wenigen Tagen das Verfahren entzogen, zuständig war von nun an Rom. Dort fanden sich willfährige Staatsanwälte, welche die anarchistische Spur verfolgten, obwohl es massive
Zweifel an der Urheberschaft gab.

Nur dem verfassungstreuen Untersuchungsrichter Stiz in Treviso ist es zu verdanken, daß es zu Ermittlungen gegen Mitglieder der terroristischen Organisation Ordine Nuovo ( Neue Ordnung) kam. Die ON hatte sich Mitte der 50er Jahre vom neofaschistischen MSI abgespalten.
Vorsitzender der ON war Pino Rauti, laut einer 1995 vom venezianischen Untersuchungsrichter Felice Casson - er stieß auf die NATO-Geheimorganisation gladio/stay behind - entdeckten Liste ein CIA-Agent, ebenso wie andere Führer/Idole des italienischen Neofaschismus.
Stiz ermittelte im Zusammenhang mit dem Anschlag in Padua vom April. Das Ergebnis der Ermittlungen:
Die ON-Terroristen waren die Urheber von nahezu allen der 22 terroristischen Attentate des Jahres 1969.
Während Stiz zuständigkeitshalber 1972 das Verfahren gegen die Faschisten nach Mailand abgab,lief parallel das Verfahren gegen die Anarchisten.
Bei den Ermittlungen in Mailand stieß man bald auf den Geheimdienstagenten Giannettini, der die Kontaktperson zwischen der faschistischen Terrorzelle
und dem Staat bildete. Als die Mailänder Ermittler sich dem Chef des Geheimdienstes SID - Henke- näherten, riß die Staatsanwaltschaft in Rom das Verfahren unter Verletzung aller Kompetenznormen an sich.
1977 wurde im süditalienischen Catanzaro der Prozeß eröffnet. Angeklagt waren Anarchisten, Faschisten und Geheimdienstleute. 2 Jahre später wurde das Urteil verkündet: Verurteilung der Faschisten sowie des faschistischen Geheimdienstagenten Giannettini zu lebenslanger Haft wegen des Massakers an der Piazza Fontana, Freispruch für die Anarchisten.
1981 hob der Kassationsgerichtshof in Rom das Urteil auf und verwies das Verfahren nach Bari. Das Schwurgericht in Bari bestätigte die Freisprüche.
Die Faschisten wurden lediglich wegen der anderen Attentate verurteilt.
Da der oberste Gerichtshof das Urteil bestätigte, gab es keine Schuldigen.
Auch ein weiteres Verfahren gegen den Faschisten Stefano delle Chiaie, der auch in Diensten Francos und Pinochets (Operation Condor, grenzüberschreitende Ermordung von Gegners US-gestützter Militärregime in Lateinamerika), endete mit einem Freispruch.
In den 80er Jahren kam es zu einer erneuten Untersuchung des Verbrechens.
Sie führte zu einer Anklageerhebung gegen weitere Mitglieder der in Norditalien operierenden faschistischen Terrorzelle. Die in früheren Prozessen Freigesprochenen können nicht mehr juristisch belangt werden (sog. Verbrauch der Strafklage). Die Anklage stützte sich unter anderem auf die Aussagen zweier Kronzeugen, nämlich von Martino Siciliano und Carlo Digilio.
Digilio war Mitglied der Terrorzelle und Informant eines US-amerikanischen
Nachrichtendienstes, entweder der CIA oder des Marinegeheimdienstes. In Personalunion war er auch der Sprengstoffexperte der Faschisten.
Der Kronzeuge Siciliano wurde von einem Verteidiger der Faschisten- zugleich ein Anwalt von Berlusconi- unter Druck gesetzt, damit er seine belastenden Aussagen zurückziehe.

Der Prozeß begann 2000 und endete ein Jahr darauf mit der Verurteilung von
3 Faschisten, Maggi, Zorzi ( momentaner Aufenthalt in Japan), Rognoni zu lebenslanger Haft.

Heute nun wurden die Faschisten freigesprochen.

Nach der Version des Staates sind die Schuldigen des Massakers weiterhin unbekannt.

In Italien sind von 1969 bis 1980 über 100 Menschen bei Anschlägen der Faschisten ermordet worden. Fest steht: Geheimdienstleute haben die Ermittlungen behindert, ja hintertrieben. Sie haben falsche Spuren gelegt,
die zu Anarchisten und anderen Linken führen sollten.

Erwiesen ist weiterhin: Die faschistischen Terrorzellen waren von Geheimdienstleuten durchsetzt. Es gabe eine Kooperation der Terroristen mit den Carabinieri und anderen Teilen des Militärs, mit NATO-Strukturen, mit der Polizei, den Geheimdiensten und dem Innenministerium ( Büro für vertrauliche Angelegenheiten, UAR).

Was zu klären bleibt: Wer waren die politischen Auftraggeber der Mörder?

























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