Europa macht Weg frei für E-Slavery

Gerd Lange 11.03.2004 00:08 Themen: Kultur Netactivism
Mit viel Tricksereien mit der Geschäftsordnung und einem für europäische Sitten merkwürdigen Gesetzgebungsschnellverfahren hat Frau MdEP Janelly Fourtou, die Ehefrau des Vorsitzenden des französischen Medienkonzerns Vivendi Jean-Rene Fourtou, eine Durchsetzungsrichtlinie zum Geistigen Eigentum durchgebracht. Mit diesem durch die demokratischen Repräsentationsorganen durchgerauschten Gesetz wird der Rechtsstaat gründlich demontiert. [weiter]

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Nach der Pressemeldung der EU Kommission und des berüchtigten Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein hört sich alles super an: "Nachahmer und Produktpiraten untergraben den legalen Handel und senken die Innovationsbereitschaft. Nachahmung und Piraterie nehmen ständig zu. Der Kampf gegen Nachahmung und Produktpiraterie zielt in erster Linie auf die 'großen Fische'. Heutzutage ist dieses Geschäft oft noch lukrativer für Kriminelle als der Drogenhandel; außerdem sind die Täter zunehmend dem organisierten Verbrechen zuzurechnen."

"Der Diebstahl geistigen Eigentums ist die größte Bedrohung für eine vielfältige und lebendige Kulturwirtschaft", erklärt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände IFPI. "Wir begrüßen es deshalb, dass sich die Gremien der Europäischen Union so schnell auf eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften zur Pirateriebekämpfung geeinigt haben, auch wenn die Einigung ein eher niedriges Schutzniveau festschreibt."

Wer hat schon was für organisierte Kriminalität übrig? Die muss ja schliesslich bekämpft werden! Kriminelle, ganz klar. Anders die Bewertung durch den techno-liberalen, österreichischen Fachmann Jakob, der sich intensiv mit der Richtlinie auseinandergesetzt hat:

"Die IP-Mafia hat es diesmal mit Taschenspielertricks geschafft, das Parlament faktisch auszuschalten, obwohl in den letzten Wochen immer mehr MEPs [Mitglieder des Europaparlaments] - wie etwa die österreichische Delegation - die Gefahren der [Richtlinie] richtig erkannt haben. Man wollte mit allen Mitteln verhindern, dass sich das Parlament ein weiters mal schützend vor europäische Klein- und [Mittelstands]-Unternehmen und Konsumenten stellt, so wie das bereits in der Frage der Softwarepatente geschieht."

Und Abdul Alharez führt aus: "Wir schreiben das Jahr 2004 AD. Unabhängige Künstler sind heute die Ketzer. CD-Brenner und P2P-Werkzeuge des Satans, Internetprovider falsche Propheten und jeder der ein MP3 besitzt ist ein Ungläubiger, den man durch harte Strafen zum wahren Glauben an "Geistiges Eigentum" bekehren muss. Und alles im Namen des Herrn Mammon." und er verweist auf das merkwürdige Zustandekommen der Richtlinie: "Ohne grosse Diskussion ist heute in Strassburg direkt nach der ersten Lesung die Richtlinie zur Durchsetzung von Geistigem Eigentum [abgesegnet] worden. Während bei weniger umstrittenen Richtlinien zwei Lesungen üblich sind, wurde diesmal durch Geschäftsordnungstricks nur eine in Anspruch genommen. Der Abstimmungstermin war erst seit Freitag bekannt, Änderungsanträge wurden nicht mehr zugelassen."

Die Politik zur Informationstechnologie wird auf europäischer Ebene von einem kleinen Zirkel von Politikern bestimmt, die meisten von ihnen sind Juristen, also Fachfremde im IT-Bereich. Im Zentrum der parlamentarischen IT-Politik steht die dubiose "European Internet Foundation" (www.eifonline.org), in der eingeschworere Politiker aller Parteien sich an den Wünschen der Lobbyisten ausrichten. Die Interessenverbände der Film- und Medienindustrie finanzieren diesen merkwürdigen Verein, dem nach deutschem Recht die Gemeinnützigkeit zu versagen wäre, da nur Parlamentarier nichtzahlende Mitglieder werden können, während die Organisation durch die Beiträge von "Assoziierten", von Industrielobbyisten und Großunternehmen, finanziert wird. Die Mitgliederkarte liest sich wie das WhoIsWho? der Lobbypolitik. Ca. 40 parlamentarische Mitglieder, die meisten davon Karteileichen, die nur einmal an einem von der EIF organisierten Abendessen teilgenommen haben, werden von einem 12-köpfigen Parlamentarier-Board verwaltet. Auch die deutsche Parlamentarierin Erika Mann (SPD) nimmt eine herausragende Stellung in dem Zirkel ein, wie sich auch an ihrem Abstimmungsverhalten zeigt. Dissidenten MPs wie Cappatto werden geschickt eingebunden und es wird ihnen Raum zur Selsbtdarstellung gegeben.

In der EIF wurde mit der europäischen Content-Industrie (und über die Goodlatte-Connection mit den Amerikanern (http://www.house.gov/goodlatte/)) abgesprochen wie man die dubiose Richtlinie am besten schnell durch das Parlament bugsiert bevor die Länder Mittel- und Osteuropas in diesem Jahr volle Stimmrechte erhalten. Das stand auch mehr oder weniger offen auf der Website vermerkt. Mit dieser Richtlinie nun werden jahrhundertealte Rechtsgrundsätze Europas über den Haufen geworfen. Vermutlich sind diese mit deutschem Verfassungsrecht unvereinbar, was aber für eine Europäische Richtlinie ohne belang ist.

Rechtsinstrumente zur Bekämpfung organisierter Kriminalität werden undifferenziert auf alle Formen der Missachtung "Geistigen Eigentums" angewandt. Kein wunder, dass sogar Industrie-Hardliner wie Nokia, die selbst nicht in der Content-Industrie sind, sich gegen die Pauschalisierung in der Richtlinie stellten. Der Protest von Bürgerrechtlern, Menschenrechtsaktivisten und Verbraucherschützern blieb einigermassen ungehört, weil die Durchsetzung von Geistigem Eigentum durch die Musik- und Filmindustrie Priorität hatte. Insbesondere gegen Netzbetreiber dürften diese neuen Rechtsmittel in Zukunft mit aller Härte eingesetzt werden. Wie Hohn klingt die Verlautbarung der SPD-Kampa: "Hierzu ist anzumerken, dass die Durchsetzungsrichtlinie keine Rechte am geistigen Eigentum definiert. Vielmehr geht es um die Durchsetzung solcher Rechte, wenn sie verletzt werden. Dabei dürfen keine Schutzrechte des geistigen Eigentums ausgenommen werden, um die Einheitlichkeit des Rechtsgebiets nicht zu zersplittern und keine Schutzrechte erster und zweiter Klasse zu schaffen."

Diese Nebelkerzenwerfer vergessen, dass bislang der Begriff "Geistiges Eigentum" überhaupt kein juristischer Terminus war und eine Einheitlichkeit des Rechtsgebietes nicht existiert. Die unter diesem Begriff ausserhalb der Rechtssprache populär gefassten Rechtsgebiete sind sehr heterogen. Es handelt sich nämlich um ganz verschiedene Rechtsgebiete. Urheberrechte, Patentrechte, Markenrechte sind sehr verschieden. Patente zu verletzen passiert tagtäglich in der Industrie wie man einfach durch Blick auf den Newsticker erfahren kann und auch bei seriösen Firmen. Patentrecherchen sind nämlich unzuverlässig. Genauso kommt es vor, dass Leute Markenrechte verletzen, man erinnere etwa an die berüchtigte Marke "WebSpace" und die Abmahnorgien von Herrn Gravenreuth. Bislang gab es dabei nur den Abmahnwahnsinn, jetzt kann mit fragwürdigen Rechtsinstrumenten (gedacht gegen organisierte Kriminelle) gegen rechtsverletzende Bürger vorgegangen werden. Sicherlich, die Richtlinie spricht von einem kommerziellen bedeutsamen Charakter der Rechtsverletzung, damit wäre wohl die weltweit aufrufbare Website bereits kommerziell, wie das ja auch sonst in der Rechtsprechung üblich ist. Unkommerziell ist ohnehin nur das, was im Privaten, nicht-öffentlichen Bereich, abläuft. In solchen fällen ist es dann aus mit dem Bankgeheimnis, die Konten können eingefroren werden. Zudem werden die in Juristenkreisen hochumstrittenen Anton Piller Orders zum regulären Rechtsinstrument in ganz Europa. Dazu die Mareva-Regelung, die Keule für das Rechtssystem, man kann dein Konto einfrieren noch ehe ein Urteil erreicht wurde. Anonyme Denunzianten werden als Zeugen vor Gericht zugelassen.

Darüber hinaus hat man mit Tricksereien den Rechtsschutz für Verbrauchersperrvorrichtungen in der Technik in die Richtlinie aufgenommen. Es ist in der letzten Zeit viel unter dem Stichwort Digital Rights Management, TCPA, Palladium und RFID Chips diskutiert worden. Diese Richtlinie wird auch diesen Sperrvorrichtungen für die Verbraucher vor Eingriffen schützen, dass heisst die Beseitigung oder Umgehung wird illegal, ganz wie man seine Mofa nicht frisieren darf. Die mit diesen Restriktionstechnologien ausgestatteten Elektronikprodukte schränken die Freiheit der Nutzer ein, nur noch signierte Software darf auf signierten Chips laufen, nur noch Original-CDs abgespielt werden, Nutzung kann erfasst und kontrolliert werden und keiner macht sich Gedanken, ob man die so verkrüppelten Medien noch in 20 Jahren nutzen kann. Für Software-Hersteller wie Microsoft gibt es dann weitere Möglichkeiten ihr Monopol auszunutzen und Kontrolle über die Hardwarehersteller und Kunden zu erlangen und sie wirtschaftlich auszubeuten. Die Durchsetzungsrichtlinie zum Geistigen Eigentum ist so gesehen selbst eine Art Piraterie, eine Einladung zur Freibeuterei durch die Medienkonzerne.

Achtzehn Monate bleiben Deutschland um sie umzusetzen, das deutsche Parlament darf nur noch das EU-Recht in deutsche Paragraphen giessen. Und wenn im Herbst das EU Parlament gewählt wird, mit nationaler Politikagenda Politiker von der Liste für den parlamentarischen Posten in Brüssel versorgt werden, dann werden die Leistungen ihrer konkreten Politik keine Rolle spielen. Ohnehin haben Parlamentarier auf EU Ebene relativ geringen Einfluss gegenüber der mächtigen Exekutive, und in ihrem geringen Einflussbereich werden sie von einer grossen Zahl Industrielobbyisten betreut, wobei gleichzeitig eine europäische Öffentlichkeit und europäisches Medieninteresse für die Vorgänge im Parlament fast vollständig fehlt. Organisationen wie die EIF fungieren gar als Intermediäre des Lobbyismus.

So wird durch internationale Politik die demokratische Souveränität untergraben und die Interessen einer mächtigen, professionellen Lobby, die in ihre Überzeugungsarbeit Millionen investieren kann, höher geschätzt als rechtstaatliche Grundsätze und der Wille des Volkes. Denn man suche den Normalbürger, der sich für die Einschränkung seiner Nutzungsrechte und für drakonische Strafmassnahmen gegen profane Rechtsverstösse stark mache! Europa gibt nun grünes Licht für e-Slavery, eine folgenschwere Fehlentscheidung für die Freiheit ihrer Bürger.

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Ergänzungen

PE Attac

Jupp 11.03.2004 - 00:34
Attac kritisiert geplante EU-Richtline zu geistigem Eigentum
"Technische Möglichkeiten des Internets werden verteufelt"

Frankfurt 07.03.2004

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat die Europa-Abgeordneten aufgefordert, die "Richtlinie zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum" bei ersten Lesung am Dienstag im EU-Parlament abzulehnen. "In der derzeitgen Form kriminalisiert die Richtlinie Internettauschbörsen und schränkt die Bürgerrechte unverhältnismäßig ein", kritisierte Oliver Moldenhauer von der Attac-AG "Wissensallmende und freier Informationsfluss".

Die umstrittene Richtlinie sieht nicht nur drastische Sanktionen für das Kopieren und Tauschen von Dateien vor, sonder schafft durch neue Auskunftsplichten und eine spezielle Polizei-Datenbank neue Überwachungsinstrumente. "Statt die technischen Möglichkeiten des Internets zu nutzen, werden sie verteufelt. Große Teile der Bevölkerung sollen ausgespäht und kritisiert werden", sagte Moldenhauer. Um Urheber zu vergüten, gebe es bessere Möglichkeiten: So könnte das in Deutschland bereits bestehende System von Pauschalabgaben, die etwa auf Leerkassetten und Abspielgeräte erhoben werden, auf das Internet ausgeweitet und im Gegenzug das private Tauschen von Musik in Internetbörsen gestattet werden.

Ursprünglich war die EU-Richtlinie nur dazu gedacht, gewerbsmäßige Produktpiraterie und gefälschte Markenartikel zu bekämpfen. Doch nach massiver Lobbyarbeit der Unterhaltungsindustrie sieht die Parlamentsfassung nun Gefängnisstrafen und Schadenersatzforderungen auch gegen Privatpersonen vor. Noch drohe die Filmindustrie in ihren Werbespots zu Unrecht mit Gefängnisstrafen, sagte Moldenhauer. "Doch wenn diese Richtlinie kommt, ist es bald tatsächlich so weit." Attac fordert, dass die Richtlinie wieder auf ihr ursprüngliches Ziel begrenzt wird.

Für den morgigen 8. März ruft ein Bündnis aus Online-Initiativen und Bürgerrechtsgruppen zu einer Demonstration in Strasbourg gegen diese Richtlinie auf.

Für Nachfragen:
Robert Leisner, Oliver Moldenhauer, Tel: 0163/3071523

und Der Standard aus Österreich schreibt

Jupp 11.03.2004 - 00:41
Die kreativen Branchen haben die gestern verabschiedete „Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum“ begrüßt, so die Business Software Alliance (BSA) in einer Pressemitteilung.

Mainstream-Medien feiern

Mac 11.03.2004 - 12:53
Die Mainstream-Medien feiern unterdessen diese neue Richtlinie. AP und AFP lügen dabei, daß es sich lediglich um Gesetze gegen Piraten handeln würde.
Telepolis hat hierzu ebenfalls einen interessanten Artikel veröffentlicht:
 http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16931/1.html

Wahrscheinlich werden im Sommer schon die ersten willkührlichen Razzien stattfinden. Damit sollen dann Tauschbörsennutzer und Linux-user eingeschüchtertw erden.

SPD Abgeordneter aus Juri zu Thema

andre 14.03.2004 - 12:50
MdeP Willi Rothley gilt als Hardliner, der die Genpatente durchgeboxt hat:

Willy Rothley from Germany "the EU Commission aggressively attempts to exceed its authorities and assume competencies it does not hold. Senselessly, it deals with lawmaking as though it were a patchwork quilt, and thus actually destroys the law."

Entgegnungsartikel bei der BBC

Gerd 14.03.2004 - 13:00
Die bekannten MdEP Habour und Arlene McCarthy haben - wie nicht anders zu erwarten - ein Dementi geschrieben:

 http://news.bbc.co.uk/1/hi/technology/3501964.stm

Andereseits verplappern sie sich mit ihren Aussagen, die einen IPR Imperialismus in Richtugn Osteuropa implizieren:

It is difficult for the companies concerned to deal with the problem. Many of them already incur substantial legal fees in protecting their intellectual property.

In the EU, there has been no consistent means of enforcing their rights in every country. [Es geht um Firmen, nicht um Rechte/Geistiges Eigentum von Privatpersonen] In some countries, intellectual property theft has not even been recognised as an offence [und daher muss man diesen Staaten das von Europa aus diktieren nach guter demokratischer Sitte].
[..]
The timing was crucial; we wanted this to come into force ahead of the enlargement of the EU, thus tackling the potential flow of goods through the greatly enlarged land and sea borders.

Die Denker zum Thema geistiges Eigentum

Die Denker 14.03.2004 - 22:10

Volker Grassmuck

elfboi 18.03.2004 - 17:53
Volker Grassmuck hat sich zur jüngsten Entwicklung viele Gedanken gemacht, und man kann sie auch auf seiner Homepage finden:

 http://waste.informatik.hu-berlin.de/Grassmuck/texts.html

Sein Buch "Freie Software" habe ich mir bei der Bundesanstalt für politische Bildung (bpb) bestellt, lese es gerade und werde in Kürze einen Artikel dazu auf Indy schreiben. Es ist auf jeden Fall lesenswert, da darin auch auf das Problem geistigen Eigentums und die Gefahren von TC/DRM eingegangen wird.