Gitter, Angst und Barbiturate

Übersetzung von passenger 21.01.2004 15:14 Themen: Antifa Antirassismus Repression
In der vergangenen Woche ordnete die örtliche Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung des Abschiebezentrums von Bologna (CPT) an. Aufgrund einer Anzeige dreier Insassen wurden wegen des Verdachts der Arglistigen und gefährlichen Speisenmodifizierung Stichproben der Anstaltskost und medizinische Unterlagen beschlagnahmt. Das vom Roten Kreuz geführte Zentrum setzte offenbar systematisch gefährliche psychotrope Substanzen zur Ruhigstellung der Insassen ein: im Blut der drei Migranten waren entsprechende Spuren gefunden worden.
Übersetzung zweier Artikel aus der italienischen Tageszeitung "Il manifesto". Beide Arikel sind von Sara Menafra, Erscheinungstag: 20. und 21. 01.04

Gitter, Angst und Barbiturate

Durchsuchung der Nas (Nucleo Antisofisticazione, Carabinieri-Referat gegen die Verfälschung von Lebensmitteln) im CPT von Bologna. Die Gefangenen sind mit Antiepileptika behandelt worden.

Phenobarbital und Karbamazepin. Harte Arzneien, von der Sorte, die in der Lage ist, ein Pferd einschlafen zu lassen und die "mittlerweile fast niemand mehr benutzt, weil sie zu gefährlich sind", wie jeder Apotheker, der ein wenig Erfahrung hat erklärt. Es sind die Substanzen, die von Ärzten im Blut zweier Migranten gefunden worden, die gerade aus dem CPT von Bologna kamen. Zwei wie viele andere, die während der Gefangenschaft nie einen Arzt gesehen haben und weder Pillen geschluckt noch Injektionen bekommen haben. Sobald sie aus dem Zentrum gekommen waren, haben sie ihren Anwälten von der seltsamen Schläfrigkeit erzählt, die sie während des alltäglichen Lebens im Zentrum quälte. Sie haben sich Untersuchungen unterzogen und aufgrund ihrer Anzeigen eröffnete die Staatsanwaltschaft von Bologna ein Ermittlungsverfahren, das vom Staatsanwalt Enrico Cieri geleitet wird und am Freitag Abend zu einer Durchsuchung durch die Carabinieri der NAS führte. Der Besuch der Carabinieri, der erste im Inneren eines CPT, dauerte fünf Stunden. Während dieser Zeit wurden Stichproben der Gefangenenkost genommen und neben den Unterlagen über die Abgabe von Medikamenten und einem Rechner Getränke und alle Arzneien, die in der Ambulanz waren beschlagnahmt. Die Ermittler ziehen es vor, keinen Kommentar abzugeben: "Wir sind noch nicht in Besitz der Ergebnisse der Untersuchungen aber die Essenspackungen waren alle versiegelt und wiesen keinerlei verdächtige Merkmale auf".

"Das ist nicht korrekt. Die Essenspackungen sind verschlossen aber nicht versiegelt", erwidert die Anwältin Alessandra Ballerini aus Genua, die einen der Kläger vertritt. Sie erklärt, dass ein Teil der Kost, die im CPT von Bologna verteilt wird in mit Pappe verschlossenen Einwegpackungen enthalten ist. Die selben, die sich in jedem Imbiss finden und extra so gemacht sind, dass man sie jederzeit öffnen und wieder verschließen kann.

"Alle in den Zentren anwesenden Migranten erzählen, dass sie sehr müde sind, mehr als üblich" ? fährt Frau Ballerini fort - "Normalerweise konnten wir aber nie etwas überprüfen, weil sie in ihre Heimat gebracht werden, wenn sie rauskommen. Diesmal aber sind sie nach Genua zurück gekommen, um das, was vorgefallen ist vorzutragen". Die am 9. Januar nach dem Verlassen des Zentrums durchgeführten Untersuchungen beweisen, dass das Blut der Patienten 4,1 mg/ml Phenobarbital und 1,3 mg/ml Karbamazepin enthielt. Phenobarbital ist ein Barbiturat, dass das zentrale Nervensystem beruhigt. Der gleiche Stoff, der, mit Alkohol vermischt, dem Leben Marilyn Monroes ein Ende setzte. "Wenn er einem gesunden Patienten in normaler Dosierung verabreicht wird, wie es in diesem Fall angenommen werden darf, lässt er ihn sehr viel schlafen", erklärt der Apotheker Sandro Burattini "Wenn die Person wach ist, lebt sie in jedem Fall in einer gedämpften Welt, das Empfinden ist gemindert und selbst Farben wirken blass. Das Gehirn wird unfähig, die wahrgenommenen Dinge mit ihrer Bedeutung zu verbinden". Auch Karbamazepin ist ausgesprochen gefährlich: ein zur Behandlung von Epilepsie verwendetes Antikonvulsivum(Mittel gegen Krämpfe), das bei einem gesunden Patienten häufig wiederkehrende unwillkürliche Bewegungen des Körpers verursachen kann, wie die wiederholte Torsion (Verdrehung) der Zunge.

Es is schwer vorstellbar, dass die beiden jene Substanzen auf andere Weise hätten aufnehmen können, auch weil besonders Phenobarbital ein Mittel ist, das in der Kategorie der Betäubungsmittel geführt wird und auf ärztliche Anordnung in zweifacher Ausführung erworben werden muss, die auch den Namen des Patienten aufzuweisen hat, der die Gabe erhalten soll. Aus diesem Grund ist die Staatsanwaltschaft Bologna überzeugt, dass die Beiden Medikamente allen 70 männlichen Insassen des CPT in der Via Mattei täglich bei der Speisung verabreicht wurden.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Zentrum von Bologna zum Gegenstand von Ermittlungen wird. Im April vergangenen Jahres gab eine Gruppe von zehn Migranten an, nach dem Fluchtversuch eines Gefangenen blutig geschlagen worden zu sein. "Der Anführer der Strafexpedition war der Verantwortliche des Roten Kreuzes, das das Zentrum verwaltet" erklärte einer von ihnen auf den Seiten des Manifesto. Von den Klagen dieser Gruppe ging ein Ermittlungsverfahren aus, das in der Beschuldigung von einigen Polizeibeamten, die bei einer Gegenüberstellung identifiziert wurden, nebst den Führungskräften und den Volontären des Dienstes führte. Trotz dem erneuerte die Präfektur im vergangenen November den Zuschlag für die Verwaltung der ehemaligen Chiarini Kaserne, die seit 2002 das Gefängnis der Migranten von Bologna ist.

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Rotes Kreuz wegen der Barbiturate im CPT in der Patsche

Suspendierung der Leiter der Verwahrungsanstalt für Ausländer beantragt.

Das, was das Rote Kreuz gerade überkommt, ist wie ein wild gewordener Fluss, der aus den Ufern bricht. Das RK ist verantwortlich für das Zentrum für Temporären Aufenthalt für Migranten von Bologna und landete im Visier der Staatsanwaltschaft, nachdem drei Gefangene klagten, weil sie ahnungslos mit Barbituraten und Antiepileptika in massiver Dosierung betäubt wurden. Auch wenn die Ermittlungen wegen der Versetzung oder Verfälschung von Nahrungsmitteln noch gegen Unbekannt laufen, richten sich die Verdachtsmomente alle gegen die Verantwortlichen der Anstalt. Das könnte auch nicht anders sein. Nach dem mit der Präfektur von Bologna abgeschlossenen Vertrag, der dem Verband für 2,5 Millionen Euro den Zuschlag für die Verwaltung des CPT gab, ist es das Rote Kreuz, das die totale Kontrolle über die gesundheitliche Pflege innerhalb des Zentrums hat, einschließlich der Wahl der Ärzte die verantwortlich für die Dienstleistungen sind. Der gegenwärtige Verantwortliche für die Ambulanz ist nämlich ein Spezialist aus Bologna, der von dem Verband selbst unter Vertrag genommen wurde, während es keinerlei Kontrolle seitens des örtlichen staatlichen Gesundheitswesens (ASL), das nie in der Anstalt war, gibt.

In vielen Fällen findet die Behandlung der Kranken nicht einmal mit Kontrollen externer Spezialisten statt. Während die ersten beiden Insassen erzählt hatten, dass sie niemals Medikamente eingenommen hatten, erklärte der dritte der Migranten, die Anzeige erstattet hatten, dass er in Folge einer Erkrankung von den Personal des Zentrums behandelt wurde: "Ohne mich zu untersuchen" ? erzählt er in der erstatten Anzeige - "hat es mir halbierte Tabletten ohne Verpackung verabreicht, die ich einmal täglich nehmen sollte".

Derweil hat die Staatsanwaltschaft Bologna gestern wissen lassen, dass die Freitag Nacht von den Carabinieri der NAS durchgeführte Durchsuchung zu keinem Ergebnis führen werden. "Die beschlagnahmten Speisen und Getränke waren alle versiegelt und der Kaffeeautomat war regulär der Wasserleitung angeschlossen", erklären sie.

"Jemand wird erklären müssen, wieso drei Personen, die einander nicht kannten, auf die gleiche Art und Weise erklärt haben, dass ein Teil der verteilten Speisen, normalerweise der erste Gang, in wiederverschließbare Einwegverpackungen enthalten war", erwidert der Anwalt Simone Sabattini, der zusammen mit Alessandra Ballerini die drei Migranten vertritt, die Anzeige erstattet haben. "Es ist notwendig, unverzüglich den Vertrag zwischen der Präfektur und dem Roten Kreuz über die Verwaltung des Zentrums aufzuheben", lautet die Forderung des Vereins "Tanaliberatutti" von Bologna. Die gleiche Forderung wurde von den Disobbedienti von Bologna gestellt, die gestern für eine Stunde den Hauptsitz des Verbands bestzt haben und auch den Rücktritt des Verantwortlichen für das Zentrum Roberto Sermenghi gefordert haben.

Der Mann war bereits im Vergangen April Gegenstand von Ermittlungen geworden. Zehn Migranten erkannten ihn als die Person, welche die Polizisten anführte, die nach einem Fluchtversuch von einem von ihnen in der Nacht zum 2. März alle Gefangenen des Zentrums blutig schlugen. Das Ermittlungsverfahren dauert immer noch an und Sermenghi ist an der spitze der Infrastruktur geblieben, der die Präfektur von Bologna vor Kurzem den Zuschlag für die Verwaltung des CPT in der Via Mattei erneuerte. "Es tut mir sehr Leid, es tut uns allen sehr Leid", lautete der einzige Kommentar, den er gestern zur Nachricht des neuen Ermittlungsverfahrens gab.

Titti De Simone und Giovanni Russo Spena (Abgeordnete), beide von Rifondazione Comunista, haben gestern eine dringliche Anfrage beim Minister für Inneres Pisanu eingereicht und die Ausweitung der Ermittlungen auf alle Zentren im Land gefordert, weil die Ermittlungen in Bologna auch in anderen Anstalten gängige Verdachtsmomente bestätigt. Am Freitag wird De Simone in das Zentrum in der Via Mattei zurückkehren, um eine Kontrollvisite zu durchführen. "Ich bin mehrmals im CPT von Bologna gewesen" ? fügt Katia Zanotti von den Democratici di Sinistra hinzu ? "und immer hat mich beeindruckt, wie die Migranten benommen und fast eingeschlafen zu sein schienen. Wie auch immer die Ermittlungen verlaufen, muss man darauf setzen, diese Orte transparent zu machen. Es kann nicht sein, dass niemand überprüft, was in ihrem Inneren geschieht".


Originaltexte:

 http://www.ilmanifesto.it/Quotidiano-archivio/20-Gennaio-2004/art52.html

 http://www.ilmanifesto.it/oggi/art44.html
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Ergänzungen

Errata corrige

:-) 21.01.2004 - 16:09
Das Zeug im Blut ist natürlich "von Ärzten [...] gefunden worden", nicht "gefunden [...]haben".

"In vielen Fällen findet die Behandlung der Kranken nicht einmal ohne die Kontrollen externer Spezialisten statt": Richtig: "nicht einmal mit" (d.h. unter Heranziehung von...).

Und dann noch "Fluchtversuch", nicht "Fluchversuch", "konnten", nicht "konen", "wenn", nicht "wen"...

Welches ist die Zulieferungsfirma ?

- 23.01.2004 - 00:07
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