ca 3000 auf Studi-Demo in Erfurt (Bilder)

GEW Studierende aus Thüringen 14.01.2004 19:22 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Heute Nachmittag Demonstrierten in Erfurt circa 3000 Studierende gegen Studiengebühren und Bildungsabbau. Bereits gegen 5 uhr morgens machten sich 150-200 Studierende der Bauhaus Uni Weimar, unter dem Motto "Elite bewegt sich" zu Fuss auf den Weg nach Erfurt.

Am Rande der Demo gab es einige Diskussionen mit PDS´lern, diese brachten PDS Fahnen mit zur Demo, was gerade wegen dem Kurs den die PDS derzeit in Berlin fährt gar nicht gerne gesehen wurde - Diese sagten, das sie ja die PDS Thüringen seinen und alles anders machen würden. Sie würden auch scharf gegen den PDS Kurs in Berlin innerparteilich vorgehen. Scheinbar mit mäßigem Erfolg da der Kurs der PDS in Berlin ja nicht erst seit gestern so mies ist.
Studierendenrat der Uni Erfurt will Studiengebühren und Liberalisierung der Hochschulen:  http://www.de.indymedia.org/2004/01/71886.shtml

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Forderungskatalog der Thüringer Studierenden:

Präambel: Wir leben in Zeiten permanenter und immer weiterreichender „Reformen“. Wenn die Parteien jedoch von „Steuerentlastungen“ reden, beschreiben sie hiermit einen Zustand, in welchem sich der Staat zunehmend seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung entzieht. Kurz: Durch die Reformen von 1999 und 2003 (im wesentlichen der Senkung des Spitzensteuersatzes) hat der Staat inzwischen Mindereinnahmen von 56 Milliarden Euro zu verzeichnen. Diese müssen gegen finanziert werden. Und: Ratet mal wo? Und: Ratet mal, was für das nächste Jahr geplant ist.

Situation: Der „Thüringer Hochschulpakt“ deckelt die Haushaltsmittel der Universitäten auf den Stand von 2001 - und besteht weiter bis 2006. Zur Zeit des Abschlusses galt er als „Errungenschaft“, da man hiermit von weiteren Einsparungen des Landes ausgenommen schien. Bei steigenden Lohnkosten, Inflation, vor allem aber steigenden Studierendenzahlen sind inzwischen jedoch immer mehr Fakultäten an einem Punkt angekommen, ab welchem die Qualität von Lehre und Forschung nicht mehr gewährleistet werden kann. Auslaufende Verträge werden fallen gelassen oder Mitarbeiterstellen radikal reduziert, Diplomarbeiten abgebrochen, Professuren ohne jedweden Mitarbeiter fortgeführt etc. Besonders eng wird die Situation durch die laufende Ost-West-Angleichung der Löhne. All dies führt zu kontinuierlicher Schmälerung der Kursangebote, zu einem permanenten Qualitätsverlust der Lehre - und macht es immer unwahrscheinlicher, sein Studium überhaupt noch in der Regelstudienzeit zu schaffen.

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern die sofortige Nachbesserung des Thüringer Hochschulpaktes, um der weiteren Verschlechterung der Qualität von Lehre und Forschung entgegenzuwirken. Steigende Studierendenzahlen, Tariferhöhungen und Inflation müssen bei der Mittelzuteilung berücksichtigt werden.

Situation: Im Vergleich der OECD-Studie steht Deutschland „erstaunlicherweise“ immer noch weit hinten an, wenn es um die Zahlen der Hochschulzugänge geht. Die Forderung, die sich die Bundesregierung selbst gestellt hat, muss auch in den Ländern realisiert werden. Weiterhin ist es gesellschaftlicher Konsens, dass Menschen aus allen sozialen Verhältnissen gleiche Bildungsmöglichkeiten haben sollen. Wie die PISA-Studie jedoch ergab, ist die soziale Selektivität in Deutschland höher als in jeder anderen Industrienation. Hiergegen gilt es vorzugehen, nicht nur Chancengleichheit, sondern –gerechtigkeit zu denken.

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern die Landesregierung auf, die Zielvorgaben der Bundesregierung umzusetzen und mindestens 40% eines Jahrgangs eine Hochschulausbildung zu ermöglichen. Darüber hinaus muss im Rahmen der sozialen Entwicklung der Gesellschaft, die den Anspruch der Chancengerechtigkeit hat, der Zugang zu Bildung für Menschen aus sozial schwächer gestellten Verhältnissen gesichert sein.

Situation: Die flächendeckende Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die zu einer internationalen Vergleichbarkeit unserer Abschlüsse führen soll, ist zu einem Sparmodell mutiert. Die zentral gesetzten Vorgaben zielen einzig und allein auf eine Verkürzung und Verwirtschaftlichung der Hochschulbildung ab, anstatt durch eine tatsächlich inhaltliche Studienreform ein wirklich neues und besseres Studienkonzept einzuführen. Somit entstehen vielerorts Bachelorstudiengänge, die verkrüppelt und ohne den Master nutzlos sind. Generell ist die Tendenz zu beobachten, den Bachelor zum „Regelabschluss“ zu ernennen. Die Kultusministerkonferenz beschloss, nur 50% aller Bachelor-Studenten zu ermöglichen. Inzwischen sind jedoch auch Zahlen um die 20% im Gespräch. Hiermit wird einem Großteil deutscher Studierender der Zugang zur „neu erkorenen“ qualitativ hochwertigen Bildung verwehrt, etwas „genommen“, was vorher ihr Grundrecht gewesen ist. Gleichzeitig argumentiert man studentische Kritik gen Boden, diese Reform schaffe doch die „Freiheit“, nach dem Bachelor zu gehen. Das ist falsch. Freiheit herrscht in Ländern wie Skandinavien, in welchen über 70% eines Jahrganges Zugang zu Hochschulbildung „genießen“ und jeder Student das gesetzliche verbriefte Recht hat, nach seinem Bachelor einen Master zu machen.

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern den selbstbestimmten Zugang zu Bildung. JedeR Bachelor-AbsolventIn soll einen Rechtsanspruch auf den Zugang zum Masterstudiengang haben.

Situation: Im derzeitigen gesellschaftlichen Klima wird eindeutig der Nutzen bestimmter (vor allem technischer und wirtschaftlicher) Studiengänge höher bewertet als jene anderer Studiengänge wie bspw. der Geisteswissenschaften oder der Kunst. Diese Einschätzung führt zu einer Nicht-Gleichbehandlung der Studiengänge in der Mittelzuweisung und einer Verschlechterung von Lehrbedingungen an den betroffenen Fachbereichen und Hochschulen und damit langfristig zu einer gesellschaftlichen Marginalisierung dieser StudentInnen und AbsolventInnen. Die kulturelle und gesellschaftskritische Entwicklung unseres Landes scheint perspektivisch gefährdet zu sein.

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern, Studiengänge nicht nach ihren scheinbaren ökonomischen Nutzen zu beurteilen und wissenschafts- wie gesellschaftskritisches Studieren zu ermöglichen anstatt Studierende zu Konsumenten zu degradieren.

Situation: Derzeit wird studentisches Mitwirken geduldet, nicht aber ernsthaft akzeptiert, wie in den universitären Gremienbesetzungen deutlich wird. Die Verteilung der Stimmverhältnisse stellt in sämtlichen Gremien die Professorenschaft in die Entscheidungsposition, obwohl dies einzig und allein bei der Berufung von Professoren notwendig scheint. Die Studierenden müssen ein ausreichendes Mitspracherecht an den Hochschulen haben, um die Gestaltung dieser tatsächlich konstruktiv inhaltlich mit beeinflussen statt nur begleiten oder beraten zu können. Eine paritätische Gleichbehandlung der an Entscheidungen „beteiligten Gruppen“ führt zu einer Diskussion auf gleicher Augenhöhe und erkennt die Kompetenzen aller Gruppen in der Gestaltung der Hochschulen an. Nach Humboldtschem Universitätsmodell sind Studierende gleichberechtigt Teilhabende und Beförderer ihrer Universität, deren Lehre, Forschung und Wissenschaft.
Es ist falsch, wie die Rektoren so gerne behaupten, dass eine solche Demokratisierung gesetzlich nicht möglich ist. Faktisch ist es sehr wohl möglich, bspw. die Entscheidungen und Beschlüsse der vorhandenen Gremien an weitere, demokratisch besetzte, zu binden.

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern die umfassende Demokratisierung der Hochschule. Dies beinhaltet paritätische Mitbestimmungsregelungen im Entscheidungsprozess für die betroffenen Gruppen.

Situation: Wenn die Profilbildung der Universitäten zum Argument für den Abbau von Standorten führt, verliert die deutsche Hochschullandschaft an Vielfalt und Meinungspluralität. Die produktive Auseinandersetzung verschiedener Lehrmeinungen an verschiedenen Fakultäten kann nicht durch die Zentralisierung von Studienrichtungen ersetzt werden. Solchen Maßnahmen ist kritisch und in Erwartung eines Abbaus von Meinungsfreiheit und Kritikfähigkeit während des Studiums entgegenzusehen.

Hieraus resultierende Forderung: Wir wehren uns gegen die vermeintliche Profilbildung der Hochschulen des Landes, wenn sie zu Schließungen und Vereinheitlichung von Standorten und Abbau von Vielfalt führt.

Situation: Die Finanzierung der Hochschulen muss den fachspezifische Bedürfnissen eines jeden Studienganges gerecht werden. Verschiedene Studiengänge verursachen verschiedene Kosten. In Anbetracht dieser Tatsache darf sich keine pseudo-„gerechte“ Pro-Kopf-Pauschale als Finanzierungsgrundlage von Studienplätze durchsetzen. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung verlangt eine ausreichende finanzielle Ausstattung eines jeden Studienplatzes unter Berücksichtigung dessen jeweiliger Spezifik und unter der Voraussetzung nach gleichwertiger Anerkennung der Studiengänge gegen- und untereinander (siehe Forderungen nach der Möglichkeit kritischen Studierens, der Gleichbehandlung der Studiengänge wider pseudo-ökonomischer Debatten und jener gegen Profilbildung etc.)

Hieraus resultierende Forderung: Wir fordern die fächerspezifische Mittelsicherung eines jeden Studienplatzes, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu gewährleisten.

Situation: Das Land Thüringen hat Langzeitstudiengebühren eingeführt. Dies kann von studentischer Seite nicht hingenommen werden, da:

1. Landzeitstudiengebühren die Struktur für die bereits anvisierten allgemeinen Studiengebühren schaffen und 2. unterstellen, dass es selbstverschuldete und „sozialschmarotzende“ Langzeitstudenten gebe. Beides ist falsch, denn:

a. Vorteile und Nachteile der Studierendensituation gleichen sich aus. Aufgrund ihres Status haben Studenten keinen oder nur geringfügig Anspruch auf verschiedenste Sozialleistungen. Dazu gehört bspw. der Anspruch auf Sozialhilfe selbst. Und auch Wohngeld wird nur in Ausnahmefällen gezahlt. Studierende können während ihres Studiums weniger arbeiten, da die Werbekostenpauschale gesenkt wurde und die Zuverdienstgrenzen bei BAFÖG und Kindergeld somit eine nun noch niedrigere Einkommenshöhe als maximale festlegt. Studierende müssen ab sofort zu Medikamenten zuzahlen. Und sind auch von den als „Agenda 2010“ betitelten Reformen betroffen. So werden Studienzeiten bspw. nicht mehr auf die Rente angerechnet usw. usf. Kurz: Kein Studierender „schmarotzt“ hier etwas.

b. Weiterhin nehmen Langzeitstudenten keinen anderen Studierenden ihren Studien- oder Seminarplatz weg. Denn: Langzeitstudenten belegen in der Regel die gleiche Anzahl an Kursen und Veranstaltungen in lediglich längerer Zeit. Und: Wer nicht rechtzeitig seine Prüfungen besteht, fliegt bereits jetzt in der Regel nach dem 1. oder 2. Freiversuch von seiner Hochschule bzw. Universität. Es bleibt also festzustellen, dass Langzeitstudiengebühren weitere Probleme schaffen als die ursprünglichen zu bearbeiten oder lösen.

Darüber hinaus ist 3. festzustellen, dass bei immer schlechter werdenden Studienbedingungen (wohl gemerkt: für alle) es immer utopischer wird, den Studienabschluss überhaupt noch in der Regelstudienzeit erreichen zu können. Kurz: Wer jetzt Langzeitstudiengebühren toleriert, riskiert Sanktionen gegen alle, die in wenigen Jahren studieren können, wollen und werden – gegen alle Studierenden.
Einige abschließende Beispiele hierzu: Die reale „durchschnittliche Studienzeit“ für beispielsweise ein Diplom der Informatik beträgt an der TU Chemnitz 10,4 und an der Universität Frankfurt am Main 16,1 Semester. Da: Die Regelstudienzeitberechnung (die der Debatte um Langzeitstudiengebühren zugrunde gelegt wird) nichts über die individuellen Studienverhältnisse vor Ort auszusagen vermag.

Hieraus resultierende Forderung: Unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fordern wir das Verbot jeglicher Art von Studiengebühren.


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Pressemitteilung der GEW Studierenden zur Demo:
Tausende Studierende protestieren gegen Bildungsabbau

Mit einer kraftvollen Demonstration zogen heute mehrere Tausend Studierende durch Erfurt. Der Protestzug, an dem Studierende aller Thüringer Hochschulen teilnahmen startete um 10:30 mit einer Auftaktkundgebung am Erfurter Dom Platz und endete gegen 13:30 vor der Thüringer Staatskanzlei.

Begleitet wurde diese Demonstration von vielfältigen Aktionen. Unter dem Motto „Elite bewegt sich!“ machten sich schon um 5 Uhr morgens ca. 150-200 Studierende der Bauhaus Universität Weimar auf die 25 km bis Erfurt zu Fuß zurückzulegen. Auch die Staatskanzlei wurde von den Studierenden nicht verschont, dutzende Plakate mit dem Text “Frisch gestrichen“ verzierten die Außenfassade des Gebäudes.

Ebenfalls mit einem Redebeitrag auf der Abschlusskundgebung beteiligt war Thüringens Wissenschaftsministerin Schipanski. Diese lenkte in ihrem Redebeitrag, mit dem die Studierenden sie zur Rede stellen wollten, jedoch schnell auf die Bundespolitik ab. Doch diese Suche nach einem Sündenbock kam bei den Demonstrierenden nicht an. Mit “Buh“ und “Thüringen“ Rufen versuchten sie die Ministerin dazu zu bringen konkret zur landespolitischen Situation Stellung zu nehmen.

“Wir sind der Meinung, dass Frau Schipanski wenn sie im Glashaus sitzt besser nicht mit Steinen werfen sollte. Sie ist nicht nur eine der Hauptverantwortlichen bei der Einführung von Studiengebühren in Thüringen, sondern hat auch den Landes-Hochschulpakt, der derzeit katastrophale Zustände an den Hochschulen herbeiführt, zu verantworten“, so Björn Kietzmann, Student der Friedrich Schiller Universität Jena und Studierendenvertreter in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Die Proteste der Thüringer Studierenden stehen weiterhin im Zusammenhang mit den bundes- und europaweiten Protesten gegen Sozial- und Bildungsabbau. Für Rückfragen steht Ihnen Björn Kietzmann (0177-7853361) zur Verfügung.
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Ergänzungen

unkenntlichkeit

jan 14.01.2004 - 21:59
bei bildern von solchen demos muss man doch eigentlich nicht die gesichter unkenntlich machen, oder?

kenntlich, aber erfasst?

peter reer 14.01.2004 - 22:41
... damit wenigstens einige stellen im repressionsapparat sicher sind, die sich damit beschäftigen beliebiges bildmaterial auszuwerten?

frisch gestrichen ...

agnus young 14.01.2004 - 22:50
ha ha ... die frisch gestrichen aktion war echt super. erst rennen 10 sturas an das gebäude (wohaaaa... provokant) und dann, als die demo sich auflöst rennen die selben (ein großer teil waren sturas) erneut hin und machen alles wieder fein säuberlich ab ...

ein bischen bildung gefällig??

rainer 15.01.2004 - 14:20
Im folgenden dokumentiere ich ein referat, welches sich von den freizeitrevolutionärInnen mal durchgelesen werden sollte. Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren...


Liebe Studierende! Zunächst einmal: Respekt! Wer neben dem Leistungsdruck der Universität oder der harten Lohnarbeit noch darüber nachdenkt, dass mit der Wirklichkeit irgend etwas faul ist und wer dann noch die Kraft aufbringt, diese Zustände öffentlich zu thematisieren, dem gilt unsere ganze Sympathie. Studierende waren immer ein Motor für unser Land. Sie sind unsere Zukunft. An Forschung und Lehre, angehenden und fertigen Akademikern darf nicht gespart werden. Standort und Wettbewerbsfähigkeit sind in Gefahr. Wo kämen wir denn hin, wenn andere Länder besser sind als wir? Einige Nachfragen hätten wir allerdings trotzdem noch.
I
Ihr klagt ein, dass die Einsparungen in der universitären Bildung nicht euren Interessen entsprechen. Um diesem Interesse Geltung zu verschaffen, bedient ihr euch u.a. dem Mittel der Meinungsfreiheit (viele von euch wollen mit den Politikern reden). Viele von euch wollen über Alternativen, über Verbesserungsvorschläge sprechen. Da fällt uns schon einmal eine Frage ein: Meint ihr etwa, dass die Regierenden bei dem, was sie gerade mit euch vorhaben, nicht nachgedacht haben? Hat der Finanzminister beim Offiziersskat gegen den Bildungsminister gewonnen? Oder hat letzterer beim Streichholzziehen den kürzeren gezogen?! Meint ihr wirklich, dass man sie jetzt nur auf den richtigen Weg führen müsse?

Da stellt sich uns eine weitere Frage: Habt ihr jemals miterlebt, dass die Politik sich von einleuchtenden, vernünftigen Argumenten hat leiten lassen? Wir finden beispielsweise das Anliegen der hessener Studierenden, die harten Studiengebühren abzuwehren, sehr vernünftig. Solche Einschränkungen der materiellen Lebensverhältnisse sind nicht angenehm. Es ist absolut nicht vernünftig, statt einen netten Urlaub in der Sonne zu verbringen Gebühren an die hessische Landesregierung zu zahlen. Bisher hat die hessische Regierung von ihrem Vorhaben aber nicht Abstand genommen. Eines kann man dem schon entnehmen: Um das Wohl der Studierenden scheint es hier nicht zu gehen.

Aber zurück zur Ausgangsfrage. Meint ihr nicht auch, dass das meinungsfreiheitliche Gespräch mit den Regierenden ganz offensichtlich kein adäquates Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen ist? Wozu sollten die demokratischen Inhaber der Staatsgewalt dem denn auch entsprechen? Sie haben es doch eigentlich gar nicht nötig. Wenn sie genug von euch haben, dann sagen sie einfach: "Vielen Dank! Das war eine sehr interessante Debatte, aber der Sachzwang! Tut uns leid. Schön, dass Sie da waren!" Wenn ihr dann nicht geht oder beginnt, eurem Interesse praktisch auf die Füße zu helfen, was wird dann wohl passieren? Richtig, ihr bekommt die Grenzen der Meinungsfreiheit zu spüren: Man kann zur Regierung fast alles sagen, was man will. Man kann patriotisch "Hurra" rufen, aber auch richtig schimpfen, solange das alles keine praktische Konsequenz hat. Diese behält sich der demokratische Souverän, der ja auch die Meinungsfreiheit gewährt, dann bitte immer noch selbst vor! Wo kämen wir denn hin, wenn die Menschen ihre Lebensplanung gemeinsam in die Hände nehmen, ohne sich von anderen vorschreiben zu lassen, wie das geht!? [1] Wie man die Grenzen der Meinungsfreiheit dann zu spüren bekommt, wisst ihr selbst. Dafür gibt's das Strafgesetzbuch, die Staatsanwaltschaft und die für letztere arbeitenden Hilfsbeamten, die, wenn's drauf ankommt, nicht zimperlich sind und den Gummiknüppel ganz locker sitzen haben.

Noch einmal die Frage: Wieso sollten solche – im Zweifel also sehr "potenten" Menschen – denn auf euer Begehr hören, wenn ihr nichts als Worte, wenn auch sehr richtige Argumente, auf der Tasche habt?

II
Ihr meint, dass euer Anliegen ein sehr wichtiges ist. Bildung ist die Zukunft des Landes, nicht wahr? Wenn dem wirklich so ist, warum seid ihr so bescheiden? Wieso dann nicht gleich noch 20 Universitäten und 50 Schulen zusätzlich fordern? Und BAföG in Höhe von 1500 Euro/Monat für alle hier Lebenden, egal ob deutscher Staatsbürgerschaft oder nicht? Bildung nützt doch dem Land, ist seine Zukunft! Wieso dann nicht noch den Numerus clausus abschaffen? Warum sollen Menschen nach der Schule denn explizit von Bildung ausgeschlossen sein, wenn Bildung doch so bestimmend sein soll für unser Gemeinwesen? Ist die Bildung der Universität vielleicht doch nur für eine bestimmte Anzahl von Menschen geschaffen? Und warum ist das so? Scheinen Bildung und Wissenschaft nicht vielmehr eine rein funktionale Rolle für andere Interessen zu spielen? Anders gesagt: Meint ihr wirklich, dass die Bildungsinstitutionen Schule und Universität für euch da sind? Warum gibt´s dann eine Schulpflicht?

Oder bezieht ihr euch in dem Protest vielleicht doch auf euer Eigeninteresse, welches ein schönes Studium und ein angenehmes Lebens drum herum einschließt? Wieso sagt ihr das dann nicht? Die Studierenden in Hessen, die sich gegen übelst harte Studiengebühren wehren, machen's vor! Wieso müsst ihr immer so tun, als wäre euer Tun auch noch nützlich für das Gemeinwesen, deren (Volks)Vertreter euch doch nichts als schaden wollen? Ist es denn nicht ein Gebot der Vernunft, harte materielle Einschnitte im eigenen Leben zu verhindern bzw. die Ursachen für solche Einschnitte zu erkennen und zu beseitigen? Wenn dieses Eigeninteresse nicht gewährt wird, obwohl die Mittel dafür da sind, dann ist das kein vernichtendes Urteil über euch, sondern über das in BILD, Rundfunk, Fernsehen und Kirche gepriesene Gemeinwesen!

III
Ihr meint nun, das wäre alles zu utopisch? Wieso relativiert ihr eure Interessen denn an bestehenden Zuständen? Nochmal: Wenn man ständig gezwungen wird, sein Interesse zu relativieren: Ist das nicht ein vernichtendes Urteil über die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse? Sind die materiellen Güter wirklich so begrenzt, um ein angenehmes Lernen ohne den Leistungsdruck des – euphemistisch so genannten – Wettbewerbs (besser: der knallharten Konkurrenz) zu verhindern? Ohne die Nervenzusammenbrüche und Ängste in Prüfungssituationen? Ohne die Tabletten u.a. Drogen, die man ständig schmeißt oder raucht, damit man den Druck wenigstens abmildern kann? [2] Wollt ihr wirklich weiterhin das auszubildende Menschenmaterial für die ökonomischen Protagonisten an einem x-beliebigen Standort sein? Wobei ja noch überhaupt nicht klar ist, ob ihr mit eurer Bildung sozial teilhaben, also einen Beruf ausüben könnt! Ihr habt lediglich die Chance! Eine Chance bedeutet aber längst keine materielle Sicherheit. Akademiker mit Sozialhilfe oder schlechten Jobs soll es ja auch geben, munkelt man.

Meint ihr, dass diese Verhältnisse, welche die immer wieder angeführten "Sachzwänge" hervorbringen, die euch das Leben so schwer machen, nicht grundlegend veränderbar sind? Es sind doch von Menschen gemachte Verhältnisse. Es ist banal, aber: Was Menschen tun, kann verhindert oder verändert werden, im Gegensatz zu Erdbeben oder Vulkanausbrüchen.

Für solche Veränderungen – selbst in kleinen Schritten – sind die Regierenden bestimmt keine Partner, sondern Gegner! Um die zugunsten unserer Interessen in eine Richtung zu schieben, braucht es aber etwas anderes als Gespräche und Demonstrationen. Es braucht materiellen Druck. Oder habt ihr etwa einen erfolgreichen Studierendenprotest in den letzten Jahren erlebt, der die Verantwortlichen mit Worten überzeugte und seine Interessen durchsetzen konnte? Wir nicht.

Sozialreferat des AStA FU

Anmerkungen
[1] Dem möglichen Einwand, dass es Demonstrationsfreiheit gibt, lässt sich entgegnen, dass diese an die gleichen Grenzen wie die Meinungsfreiheit stößt. Demonstrieren heißt ja nicht: Veränderung. Sondern durch die Gegend latschen und dann wieder nach Hause gehen. Ein Blick ins Versammlungsgesetz genügt, dann wisst ihr, woran ihr seid!

[2] Nichts gegen einen genüsslichen Drogenkonsum!



Weitere Literatur: Prof. Dr. Freerk Huisken, "Über die Funktionalisierung der Wissenschaft für Staats- und Geldmacht" ( http://www.fhuisken.de/wissfunk.htm)

Für Fragen, Kritik etc. sozialreferat(at)astafu.de.

Vgl. außerdem die Analysen des Sozialreferats Nr. 1 und Nr. 2


Wichtig: Am 3.12. und 10.12.03 veranstaltet das Sozialreferat des AStA FU politikwissenschaftliche Referate und Diskussionen mit profilierten ReferentInnen der Bremer Universität zu den Themen "Demokratie" und "Globalisierung".





Newsletter

GEW Studis Thüringen 15.01.2004 - 15:22
Für alle Interessen (in Thüringen) haben wir einen Newsletter der über aktuelle (hochschul)politische Themen, Aktionen, Termine, etc. informieren soll eingerichtet. Verwaltet wird dieser von den Thüringer Studierenden in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Erscheinung maximal 1 mal pro Woche:

Newsletter bestellen:  gew-studis-subscribe@yahoogroups.de
Newsletter abbestellen:  gew-studis-unsubscribe@yahoogroups.de




Studenten steigen dem Brocken aufs Dach

MDR 15.01.2004 - 15:26
Auch in Sachsen-Anhalt wurden die Protestaktionen verstärkt. Trotz Orkanböen und meterhohen Schneeverwehungen stiegen etwa 200 Studierende auf den Brocken. Auf dem höchsten Harzgipfel warnten sie vor einer Aufweichung der Hochschulautonomie und der Einführung von Studiengebühren. Die Aktion stand unter dem Motto "Die Politik ist der Gipfel - Geht die Bildung runter, kommen wir rauf!".

 http://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/1151116.html

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@mods — GEW Studierende aus Thüringen

Frage mich auch, — funky

repressionsapparatur... — nochmal agnus...