Agitation & Propaganda

W. Buchenberg 13.01.2004 18:42 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
Ich bin kein Student, aber was ich von der radikalen Linken - zu der ich mich auch zähle - über die Kämpfe der Studenten gegen Studiengebühren und Verschlechterung der Studienbedingungen zu lesen bekam, hat mich ziemlich erschüttert. Nur zu oft wurde den Studenten vorgehalten, was sie angeblich oder wirklich falsch machen. Zu wenig kamen praktische Vorschläge, wie der Widerstand gegen das staatliche Sparprogramm auf dem Rücken der Lohnarbeiter wirksamer organisiert und möglichst zu einem Erfolg geführt werden könnte.
Agitation und Propaganda

Ein möglicher Grund für dieses Auftreten etlicher Radikaler mag einfach politische Unerfahrenheit und Ungeschicklichkeit gewesen sein. Politische Ungeschicklichkeit, die mitten im Gefecht das Schießen vergisst und statt dessen mit Grundsatzerwägungen daherkommt, ob man nicht besser an anderer Stelle und mit anderen Mitteln den Kampf begonnen hätte. Politische Unerfahrenheit, die die Unterschiede von Strategie und Taktik und den von Agitation und Propaganda nicht beachtet.

So wie es in der Kriegführung den Unterschied gibt zwischen Taktik und Strategie, so gibt es in der Politik den entsprechenden Unterschied zwischen Agitation und Propaganda. So wie Taktik und Strategie miteinander verbunden sein müssen, so muss auch Agitation und Propaganda miteinander verbunden sein. Sie sind aber nicht dasselbe und sie müssen jeder für sich beherrscht werden.

Taktik im Krieg ist auf eine kurzen Zeitraum oder eine einzelne Schlacht bezogen, Agitation in der Politik ist auf Tagesfragen bezogen. Taktik und Agitation zielen auf die Lösung von kurzfristigen Zielen, Propaganda und Strategie auf langfristige Ziele.
Über die Strategie heißt es bei Clausewitz "Vom Kriege": "Sie entwirft den Kriegsplan und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben führen sollen." (Clausewitz, 3. Buch I.) An anderer Stelle sagt Clausewitz: "Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges..." (Clausewitz, 2. Buch, I.)

Die Propaganda befasst sich mit den grundlegenden Fragen der antikapitalistischen Politik: Dem Charakter des Staates, der Kritik der politischen Ökonomie, der Abschaffung der Lohnarbeit, der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung in einer emanzipierten Gesellschaft.
Agitation befasst sich mit dem jetzigen sozialen Sparprogramm, mit einzelnen Gesetzen oder Gesetzesvorschlägen oder mit einer einzelnen Tarifrunde und ihren Forderungen.

Da die radikale Linke - anders als Armeeführer - keine Armee haben, die auf ihr Kommando hören, können sie nur auf schon stattfindende Bewegungen und Kämpfe reagieren. Ihre Agitation zielt dann (hoffentlich) eher darauf, wichtige Kampffronten mit gedanklicher Munition zu versorgen, als die kämpfenden Massen zu belehren und zu kritisieren. Falls wir die Kämpfenden nur kritisieren und belehren wollen, ohne praktische Hinweise, wie denn der aktuelle Kampf erfolgreicher geführt werden könne, dann lähmen wir die Bewegung, statt ihr weiterzuhelfen.

Agitation kommt von dem lateinischen "agitatio" = "in Bewegung bringen". Wer eine Bewegung lähmt, der macht keine oder eine schlechte Agitation. Agitation hat immer auch starke emotionale Elemente. Agitation regt auf und will aufregen.

Das Wort "Propaganda" kommt aus dem Kirchenlatein von der Redewendung: "Congregatio de propaganda fide" - Kongregation zur Verbreitung des Glaubens". Propaganda bezieht sich also auf die grundlegenden "Glaubensfragen" unserer Politik und richtet sich in erster Linie an die Einsicht.
Im Duden-Fremdwörterbuch heißt es dazu: "Propaganda = systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o.ä. Ideen..." Zu beachten ist hier das Systematische.

Agitation und Propaganda haben beide ihre Notwendigkeit und ihren jeweiligen Zweck, aber auch ihre jeweils eigenen Mittel. Manche Leute sind gute Agitatoren, aber schlechte Propagandisten oder umgekehrt. Es ist halt nicht jeder auf allen Gebieten gleich gut.
Mit einem Cartoon kann man Agitation machen, aber keine Propaganda. Wenn ein Flugblatt nur aus negativer Kritik und aus "Glaubenslehren" (=Propaganda) besteht, dann hat es keinen "Gebrauchswert" für eine Bewegung. Wer nur Propaganda machen will und keine Agitation mit nützlichen Vorschlägen für die aktuellen Kämpfe, der ist für die Bewegung nutzlos, und der braucht sich nicht wundern, wenn niemand auf ihn hört.

W. Buchenberg, 13.1.04
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Ergänzungen

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XpoisonfreeX 13.01.2004 - 19:31
Ich finde es ist eine Arroganz mit der die meisten Linken daherkommen, die schon fast ins unermässliche geht.
Die Studenten werden hier im Grunde als Politikdesinteressierte egoistische Müslitröten bezeichnet, aber wer sollte ihnen bessere politische Ansätze beibringen wenn nicht wir?

Agit Prop

saul 14.01.2004 - 00:23
Nach dem Ende der K - Gruppen gabs ne Menge Leute die genug von der eigenen Propaganda hatten. Es wurde zu einen negativen Begriff und geriet irgendwann endgültig in Vergessenheit. Neue Sachen liefen und klar, es gab auch Flugis, die waren nicht unbedingt auf große Wirkung berechnet. Aufrufe brauchen Flugblätter also wurden halt welche geschrieben dafür umsoweniger gelesen. Niemand kam wegen der unglaublich überzeugenden Texte zur Demo. Ob was passiert hängt nicht von den Flugis oder Plakaten ab sondern ob ein Bedürfnis danach besteht. Heute genauso. Sollten die Studies besser ne Werbeagentur beauftragen? Oder die Transpigestaltung den Graphik & Designstudies zur Vorbereitung auf die spätere Praxis in der Werbeagentur überlassen? Lachhaft. Es geht um eine Protestbewegung und nicht um Krieg. Und die Werbekampagne überlassen wir besser der Pisswerbung, die nervt eh schon genug.

Der Fehler im Detail

Wo ist Waldo? 14.01.2004 - 10:23
Siehst Du, Wal, Dein Irrtum liegt hier schon in der Grundannahme, die streikenden Studenten seien eine "kämpfende Masse", bei Dir wohl synonym mit revolutionären Subjekten (auf das Problem mit den Produktionsmitteln gehen wir dabei mal nicht ein). Das Gros der Studierenden aber "kämpft" ausgewiesenermaßen eben nicht für freie Bildung, sondern für das Recht, möglichst effizient für den Standort Deutschland arbeiten zu dürfen. Massenmotti wie "Berlin braucht Zunkunft" und dergleichen sprechen da eine deutliche Sprache. "Sozialistische Agitation", was sich innerhalb der Köpfe der meisten Studierenden auf jede noch so verhaltene Kapitalismuskritik bezieht, wurde mehrfach auf VVs als nicht gewollt deklariert.

Aus diesem Grund, weil das Gros der Streikenden sich einfügt in die kapitalistische Logik, ja, sie geradezu einfordert, weil sie sie in diesen Zeiten für nicht voll funktionstüchtig halten, sind diese Leute eben KEINE revolutionären Subjekte, kein Teil irgendeiner Lösung, sondern vielmehr eine Variation bestehender Probleme. Für jeden, der sich tatsächlich als radikalen Linken betrachtet, sollte es daher eine Selbstverständlichkeit sein, diese Bewegung grundlegend zu kritisieren und nicht, wie Du das forderst, sie aus strategischen Gründen intellektuell zu unterstützen. Letzteres ist einfach auch nicht realisierbar, da eine richtige Kapitalismuskritik keinen Platz in den Reformplänen dieses Streiks hat.

Biertischstrategen

saul 14.01.2004 - 11:34
Noch immer bilden sich einige Superschlaue ein, man könne soziale Bewegungen am grünen Tisch wie ein Schachspiel planen. Wenn man ne Organisation hat deren Führung bestimmt und das Fußvolk gehorcht? Zum Glück sind diese Zeiten vorbei und auch wenns sich Linkskommunismus schimpft, mit mir nicht mehr. Wie das abläuft, nun ich kann einen länger zurückliegenden und einen nicht so weit zurückliegenden Fall anführen. Nehmen wir mal die Studidemo vom Dezember. Hier konnt niemand planen. Im Gegensatz zu früher gibt es heute Handys, was die Kommunikation durchaus erweitert. Aber als es hieß, in der City ist was gelaufen und das lassen wir uns nicht bieten, da stömte einiges an Leuten zur U Bahn in Richtung City. Nur war das eine Entscheidung die jeder selbst treffen mußte. Auch bei dem hin und her in der Innenstadt liefs ungeplant und chaotisch, ein Demozug wurd grad von zwei Grünen begleitet die nicht mehr tun konnten als das über Funk weiterzugeben. Grad diese Unberechenbarkeit war es, durch die die Helmträger ziemlich überfordert wurden.
Eine ältere Story lief an der Startbahn anfangs der 80iger. Oft genug kam es an der Mauer zum Schichtbetrieb. Die eine Gruppe zog ab, die nächsten wollten nach dem langen Weg auch noch was anstellen und dadurch wußte niemand wann was da laufen würde oder wo. Teils krachte es an einer Stelle oder da standen die Grünen rum, an anderer Stelle hattest Narrenfreiheit, da war niemand. Eben diese Unberechenbarkeit machte oft die Stärke aus.
Zum Schluß noch, Taktik und Strategie war der KPD damals nicht fremd und sie konnten ihren Leuten Anweisungen geben. Genau auf die warteten die Leut 33 vergeblich. Das Ergebnis ist bekannt.

Sind die Studis elitär oder ihre Kritiker?

W. Buchenberg 19.01.2004 - 08:01
Meine Antwort auf die "Bewegungskritik" von Peter Decker steht hier:  http://de.indymedia.org/2004/01/72149.shtml

Gruß Wal

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