Ganz Italien im Stau

M. 10.01.2004 20:42 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Generalstreik im öffentlichen Nahverkehr. Aufruf der linken Basisgewerkschaften erfolgreich .

»Von der Pausenregelung hätten sie besser die Finger gelassen. Wir waren vorher schon ärgerlich, aber jetzt kochen wir vor Wut«, wird der Mailänder Busfahrer Carmelo Zotti in der italienischen Zeitung La Repubblica zitiert. »Es ist eines der ersten Rechte des Arbeiters, in Ruhe pinkeln zu gehen«, so der 37jährige.
»Von der Pausenregelung hätten sie besser die Finger gelassen. Wir waren vorher schon ärgerlich, aber jetzt kochen wir vor Wut«, wird der Mailänder Busfahrer Carmelo Zotti in der italienischen Zeitung La Repubblica zitiert. »Es ist eines der ersten Rechte des Arbeiters, in Ruhe pinkeln zu gehen«, so der 37jährige.

Um solche Rechte zu verteidigen und eine Lohnerhöhung durchzusetzen hat Carmelo Zotti gemeinsam mit knapp 120 000 weiteren Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs am Freitag Italien lahmgelegt. Bereits am Donnerstag fielen wegen eines Streiks der italienischen Fluglotsen rund 600 Flüge aus. Tags darauf fuhren im ganzen Lande ab neun Uhr morgens weder Busse noch Straßenbahnen oder Lokalzüge. Lediglich für den Berufsverkehr wurde der Streik kurz ausgesetzt. In Turin und Neapel brach nach Polizeiangaben dennoch der gesamte Verkehr zusammen, als die Menschen versuchten, mit Privatautos zur Arbeit zu gelangen.

Der 24stündige Generalstreik richtete sich gegen den neuen Tarifvertrag im Nahverkehr, den die großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL am 20. Dezember mit der italienischen Regierung abgeschlossen hatten. Darin wurde neben einer Lohnerhöhung von 81 Euro im Monat auch eine Verlängerung der Arbeitszeit und eine weitgehende Streichung der Pausen vereinbart. Die streikenden Beschäftigten verlangen jedoch monatlich 106 Euro mehr Gehalt. Außerdem fordern sie den Erhalt der bisherigen Arbeits- und Pausenregelungen.

Ausgerufen wurde der Ausstand von verschiedenen linken Basisgewerkschaften, die sich zur »Kampfkoordination des Nahverkehrs« zusammengeschlossen haben. Obwohl die Basisorganisationen in diesem Sektor nur einige tausend Mitglieder zählen, beteiligten sich praktisch sämtliche Beschäftigte an dem Streik. Laut Giampietro Antonioni, Sprecher der »Kampfkoordination«, befanden sich »fast 100 Prozent im Ausstand«. Die italienischen Behörden sprachen dagegen von einer Streikbeteiligung zwischen 60 und 80 Prozent in den verschiedenen Städten. Sprecher der Gewerkschaften CGIL und UIL räumten am Freitag nachmittag ein, daß auch ein Großteil ihrer Mitglieder dem Aufruf der Basisorganisationen folgte. Luciano Muhlbauer, nationaler Sprecher der linken Gewerkschaft Sin.Cobas, bewertete den Streik gegenüber junge Welt als einen großen Erfolg. »Die riesige Beteiligung zeigt, daß die Beschäftigten den neokorporatistischen Kurs der großen Gewerkschaften nicht mitgehen«, so Muhlbauer.

Bereits im Dezember hatte sich abgezeichnet, daß sich die Bus- und Straßenbahnfahrer nicht mit den Verhandlungsergebnissen der Großgewerkschaften zufriedengeben werden. Immer wieder war es vor allem in Mailand und Genua neben den offiziellen Protesten zu »wilden Streiks« und Besetzungen der Busdepots gekommen. Teilweise machten die öffentlichen Verkehrsunternehmen von der sogenannten Einberufung Gebrauch, einer Sonderregelung im italienischen Arbeitsrecht. Straßenbahnfahrer wurden zwangsweise von der Polizei zur Arbeit gebracht und dort überwacht. Inzwischen wird gegen Hunderte Beschäftigte des Nahverkehrs in ganz Italien wegen der Beteiligung an »wilden Streiks« ermittelt. Die italienische Regierung berät derzeit einen Gesetzesvorschlag von Sozialminister Roberto Maroni, der eine weitere Verschärfung des Arbeitsrechtes vorsieht.

Unterstützung erhalten die Streikenden dagegen von den sozialen Bewegungen in Italien und verschiedenen linken Parteien. Paolo Ferrero, arbeitspolitischer Sprecher der kommunistischen »Rifondazione Comunista«, erklärte die Solidarität seiner Partei mit den Beschäftigten. Sie hätten jedes Recht, »für einen Lohn zu kämpfen, der diese Bezeichnung auch verdient«. In verschiedenen Städten haben die lokalen Sozialforen bereits im Dezember Unterstützungskomitees für Streikende gegründet, die von Repression betroffen sind. Seit einigen Tagen versuchen außerdem sogenannte Verbrauchervereinigungen den ökonomischen Druck auf die Verkehrsunternehmen zu erhöhen. Diese Gruppen rufen zum Schwarzfahren auf und haben Fonds gegründet, um etwaige Strafen bezahlen zu können. In Mailand wurden in allen Bussen und an Stationen gefälschte Bekanntmachungen der Verkehrsunternehmen aufgehängt. Darin werden die Fahrgäste eingeladen gratis zu fahren, solange die Forderungen der streikenden Beschäftigten nicht erfüllt worden sind.
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Ergänzungen

na, nicht ganz 120000

roter faden 10.01.2004 - 21:45
Also, 120000 sind die Arbeiter des Nahverkehrs insgesamt. Und nicht alle waren dabei. Aber enorm viele. Ich denke, es ist wichtig klarzustellen, dass der Erfolg der gestrigen Initiative darin lag, dass dieser Streik nicht von den institutionellen Gewerkschaften ausgerufen wurde, sondern von den Basisgewerkscháften Cobas und von einer neu gegründeten, unabhängigen und selbst organisierten nationalen Koordination und dass eine große Mehrheit der Arbeiter sich beteiligte, also auch sehr viele Mitglieder der institutionellen Gewerkschaften, die mit diesen gewissermaßen "abgeschlossen haben. Ich würde gerne noch einige weitere Anmerkungen anbringen, aber ich habe jetzt keine Zeit. Ich versuche es aber demnächst. Die sache mit den Transportarbeitern ist noch lange nicht vorbei und auch andere in ganz Italien, die nur noch schwer und unter sehr harten Bedingungen überleben können, sind vom Mut der Bus- und Bahnfahrer sehr angetan, so wie auch eine starke solidarische Zustimmung der Bevölkerung klar nachzuvollziehen war.

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