Gießen: CDU-Geschäftsstelle besetzt

Stadtwerkprojekt 26.11.2003 02:35 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
CDU-Büro in Gießen besetzt - Studierende protestieren gegen „Ignoranz und Kurzsichtigkeit“ der hessischen Landesregierung - Studierende empört über Gewalttätigkeiten des CDU-Geschäftsführers
CDU-Büro in Gießen besetzt

Studierende protestieren gegen "Ignoranz und Kurzsichtigkeit" der hessischen Landesregierung

Mit einer ca. einstündigen Besetzung der CDU-Kreisgeschäftsstelle machen heute Nachmittag Studierende der Universität Gießen auf die verfehlte Politik der Landesregierung Roland Kochs aufmerksam. Besonders das Zukunftssicherungsgesetz sowie das darin enthaltene Studienguthabengesetzt wurden von den Studierenden kritisiert.

Mit einer regelrechten Sparorgie wollen Roland Koch und sein Kabinett ab nächstem Jahr den hessischen Haushalt "konsolidieren", "dass dabei weite Teile des hessischen Sozialstaats drauf gehen, scheint die Herren Politiker nicht zu interessieren", erläutert eine an der Besetzung beteiligten Studentin. Gegen den Widerstand der breiten hessischen Öffentlichkeit, gegen den Protest von Sozialverbänden, Gewerkschaften und Studierenden, ungeachtet der Argumente und Gesprächsbereitschaft aus den Reihen der Betroffenen bringen Koch und Kollegen Kürzungen in Anschlag, die für viele Bürgerinnen und Bürger Hessens fatale Folgen haben werden. Es trifft zum größten Teil sozial Benachteiligte, Menschen mit Behinderung, arbeitslose Jugendliche, MigrantInnen, Drogenabhängige, in Not geratene Frauen, in anderen Worten vor allem schon jetzt gesellschaftlich marginalisierte Gruppen.

Mit deutscher Gründlichkeit werden sogar minimale Haushaltsposten im hessischen Haushalt weiter gekürzt, so zum Beispiel die 30%ige Streichung des Blindengeldes. Gelder für Schwangerschaft-, Schulder- oder Drogenberatung müssen ebenso wie die Förderung von Frauenhäusern und Integrationsmaßnahmen Kürzungen hinnehmen. Andere Posten werden hingegen nicht angetastet, so die Förderung der Vertriebenenverbände oder die €80 Mio. teure neue Staatskanzlei. Die Position des Ministerpräsidenten Koch, die Bandbreite des Protests gegen das ZSG sei ein Anzeichen für die Ausgewogenheit des Gesetzes, ist besonders für diese Menschen eine unerträgliche Schmähung. "Wo bleiben die Proteste der Besserverdienenden, der Vertriebenenverbände oder der Konzernchefs?", fragt die Studentin weiter.

Aber nicht nur den Abbau des Sozialstaats nehmen die Studierenden zum Anlass der Besetzung, auch das Studienguthabengesetz (StuGuG), dass nichts anderes als die Einführung von Studiengebühren in Hessen als Ziel hat, wollen die Studierenden thematisieren. "Das StuGuG wurde bisher von allen an der Diskussion Beteiligten als inakzeptabel herausgestellt", erläutert ein weiterer Student im Parteibüro. Studierende, Hochschulpräsidien, Mittelbauvertretungen, Oppositionsparteien sowie bildungspolitische ExpertInnen haben das Gesetz als strukturell und inhaltlich miserabel, juristisch lückenhaft und sozialpolitisch katastrophal beschrieben. Trotz des bemerkenswerten Widerspruchs im Vorfeld seiner Einführung, hat die Regierung die Rücknahme des Gesetzes bisher noch nicht in Betracht gezogen. Auch eine Entschärfung des Gesetzes über einen Kompromiss mit den Beteiligten ist unmöglich, denn: Das Gesetz dient einzig und allein der Mittelbeschaffung des hessischen Finanzministeriums; jedes Zugeständnis an Studierende oder Präsidien würde fest eingeplante Einnahmen über das Gesetz mindern.

Diese Geldbeschaffungsmaßnahme geht mit der Vorstellung der Elitenbildung an den Hochschulen einher, nachdem sich dann nur noch die Kinder reicher Eltern einen Hochschulabschluss leisten können. Diese elitäre Bildungsvorstellung soll unter dem Vorwand der Finanznotlage auch an der Hochschule durchgesetzt werden.

Durchweg beweist die Regierung mit der gesamten "Operation Sichere Zukunft" nur eines: Ihr reaktionäres Weltbild und ihr unbedingter Wille, Hessen zu dessen Abbild zu formen. Mit dem Versuch, diese "Reformen" durch reine Machtpolitik durchzusetzen wächst allerdings auch der Widerstand auf Seiten der Studierenden und allen betroffenen gesellschaftlichen Gruppen.

Für einen heißen Herbst!

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Studierende empört über Gewalttätigkeiten des CDU-Geschäftsführers

Bei der kurzzeitigen Besetzung der CDU-Kreisgeschäftsstelle ist es zu Gewalttätigkeiten von Seiten der CDU-Mitarbeiter gegenüber den Studierenden gekommen. Besonders Geschäftsführer J. G. Hecker fiel bei der ansonsten friedlichen Besetzung durch sein aggressives Verhalten auf. "Wir erklärten ihm mehrmals, dass wir lediglich unsere mitgebrachte Pressemitteilung verschicken wollten," erklärt ein teilnehmender Student zu den Vorfällen, "trotzdem hat er uns ununterbrochen körperlich angegriffen."

Auch andere Studierende zeigten sich empört über die teilweise als "cholerisch" beschriebenen Reaktionen des Geschäftsführers. "Wir wollten rein, ein paar Erinnerungsfotos machen und danach wieder verschwinden. Wir hatten von Anfang an nur vor, friedlich unseren Protest gegenüber den sozialfeindlichen Sparplänen und den geplanten Studiengebühren in Hessen Ausdruck zu verleihen." In Marburg verlief eine ähnliche Aktion von Studierenden am Vormittag schließlich ohne weitere Zwischenfälle, offensichtlich hatten die Gießener Studierenden mit zu viel Verständnis seitens der Gießener CDU gerechnet.

"Alle anwesenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nahmen es gelassen aber Herrn Heckers Überreaktion hat uns überrascht. Wir wären gerne noch ein wenig geblieben, aber angesichts der Gefahr, die zu dem Zeitpunkt von ihm ausging, zogen wir es vor, doch schon nach ca. 15 Minuten zu verschwinden. Leider wurden damit manche konstruktiven Gespräche mit anderen Mitarbeitern der Geschäftsstelle unterbrochen", so eine Studentin abschließend.
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Ergänzungen

Artikel in der FR zu Besetzungen

xxx 27.11.2003 - 10:13
Studenten besetzen kurzzeitig CDU-Büros
Marburg/Giessen, 25.11.
Studierende und Mitglieder des globalisierungskritischen Netzwerks Attac haben am Dienstagvormittag das CDU-Parteibüro in Marburg besetzt, um gegen Sozialabbau und Studiengebühren zu demonstrieren. Mit der Aktion wollten sie aus der Geschäftsstelle der CDU zumindest zeitweise ein Sozial- und Kulturzentrum machen. So bauten sie vor dem Parteibüro Sofas, Tische und Stühle auf, Psychologiestudenten gaben therapeutische Hilfe für Opfer des Sparpakets, Medizinstudenten sorgten für kostenlose Leistungen, indem sie Puls und Blutdruck maßen. Für Bedürftige gab es Suppe.
Dass sich Studierende auch auf den Stühlen im Parteibüro niederließen und Transparente aus den Fenstern hängten, stieß jedoch auf Protest der CDU-Leute, die die Polizei alarmierten. Nach etwa 90 Minuten-bevor die Situation eskalieren konnte-zogen die Demonstranten wieder ab. Am Nachmittag folgte ein Trauermarsch von der Mensa zum CDU-Parteibüro. Zurzeit ist der Großteil der Marburger Studierenden im Streik. Mit phantasievollen Aktionen und unterschiedlichen Formen des Protests machen sie seit Wochen von sich reden, unter anderem mit einem 24-stündigen Bildungsmarathon und einer "langen Nacht der Chemie".
Um gegen die "Ignoranz und Kurzsichtigkeit" der Landesregierung zu protestieren, haben auch in Gießen am Dienstag Studierende die Kreisgeschäftsstelle der CDU besetzt. "Das ist keine Diskussionsform", ärgerte sich CDU-Kreisgeschäftsführer Johann Gottfried Hecker über die Aktion. Die CDU habe Strafantrag gestellt.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Sehr gut! — waltraud

Hilflos — KANT42

Demokratie — Sat Cong

Auf Aktion folgt Reaktion — El Presidente

Attac? — Radikalinski