Berichte vom Prozeß gegen die Fünf von Süschendorf

J. Stay 22.04.2002 14:04 Themen: Atom Repression
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Bericht vom 1. Prozesstag gegen die Fünf von Süschendorf

Großer Andrang zu einem hochinteressanten ersten Verhandlungstag gegen die „Fünf von Süschendorf“ vor dem Lüneburger Amtsgericht.

Angeklagt sind Alex, Arno, Mihai und Sascha wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe. Gekommen sind sie nicht allein, sondern mit mehr als 100 Freundinnen und Freunden, die längst nicht alle in den überfüllten Saal passen. Mehr als vier Stunden tragen die Angeklagten kompetent und bewegend die Gründe für ihre Aktion vor. So wird der Prozess einerseits zu einer Lehrveranstaltung in Staatsbürgerkunde, andererseits zu einem "munteren Tribunal gegen Atomtramsporte", wie die Hannoversche Allgemeine schreibt.

Informationen zum Prozeß bei Robin Wood
Bericht vom 1. Prozesstag gegen die „Fünf von Süschendorf“

„Munteres Tribunal gegen Atomtramsporte“ (Hannoversche Allgemeine)

Großer Andrang zu einem hochinteressanten ersten Verhandlungstag gegen die „Fünf von Süschendorf“ vor dem Lüneburger Amtsgericht.

Ein durchaus subjektiver Bericht

Wer einen Bericht über diese Gerichtsverhandlung schreiben will, hat es nicht ganz leicht. Womit soll man beginnen? Die Aktionen rund um den Prozess und die Stimmung im Gerichtsaal? Die ausführlichen und beeindruckenden Erklärungen der Angeklagten? Oder die juristische Ringen zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Richter um die Frage, was eigentlich Gegenstand der Anklage ist?

Die zahlreich anwesenden JournalistInnen haben sich zum großen Teil auf das bunte Drumherum gestürzt. Die Inhalte kamen dabei leider einmal mehr zu kurz. Aber es ist ja auch nicht ganz leicht, insgesamt vier Stunden gründlich ausgearbeitete Argumentation in einigen wenigen Sätzen für die Zeitung oder einen Radio/TV-Bericht zusammenzufassen. Trotzdem schade, denn die Prozesserklärungen hätten es verdient, vollständig abgedruckt oder gesendet zu werden. Wir wollen zumindest das nachholen und haben die Manuskripte der Angeklagten im Internet veröffentlicht (http://www.robinwood.de/prozess).

Die Erklärungen der Angeklagten

Die Hannoversche Allgemeine sprach von einem „munteren Tribunal gegen Atomtransporte“, dass im Gerichtssaal von Lüneburg abgehalten wurde. Denn die Angeklagten drehten den Spieß einfach um, machten klar, wer die eigentlichen Verbrecher sind und erläuterten hochkompetent ihre Beweggründe, den Castor-Zug mit einer so spektakulären Aktion zu stoppen.

Zwar ist es richtig, dass die Stimmung im Gericht meist fröhlich war und damit mehr als deutlich vermittelt werden konnte, dass sich der Widerstand gegen die Atomkraft auch durch Kriminalisierungsversuche nicht kleinkriegen lässt. Aber während Mihai Fakten über Fakten zu den katastrophalen Folgen der „Havarie“ in Tschernobyl und über die indigenen Opfer des Uranbergbaus vortrug, war es gespenstisch still im völlig überfüllten Zuschauerraum.

Sascha stellte in seiner Erklärung den Zusammenhang zwischen dem im März 2001 gestoppten Castor-Transport, dem Umweltverbrechen Wiederaufarbeitung und der weiterhin völlig ungelösten Entsorgungsfrage her. So wurde deutlich, dass der in Süschendorf gestoppte Atommüllzug kein Beitrag zur Lösung des Atommüllproblems und auch kein Akt nationaler Verantwortung war.

Der Schwerpunkt in den Ausführungen von Alex lag im Nachweis, dass durch die massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit, durch die Kriminalisierung von Protest und durch die Bekämpfung von massenhaftem gewaltfreien Widerstand mit polizeilicher Gewalt kaum noch eine andere Möglichkeit bleibt, als solch spektakuläre Aktionen wie die in Süschendorf zu machen, um überhaupt noch öffentlich wahrgenommen zu werden.

Arnos Beitrag unterschied sich deutlich von dem seiner Mitstreiter. Er nahm in einem satirischen Beitrag mit einem Augenzwinkern die eigene Rolle als Angeklagter und die Sicherheitsversprechen der Atomindustrie aufs Korn und erntete damit sogar ab und zu vom Richter ein Schmunzeln.

Ich glaube es war sowohl für diejenigen JournalistInnen, die es so lange ausgehalten haben als auch für das Gericht eine Überraschung, wie gründlich sich die Aktivisten in der Materie auskennen und wie überzeugend sie ihre Beweggründe vorbringen können. Das Publikum im Saal war bewegt und begeistert von den Worten der „Süschendorfer“ und ließ sich trotz mahnender Worte des Richters („Wir sind hier doch nicht im Theater“) nicht davon abhalten, nach jeder der vier Erklärungen ausführlich zu applaudieren.

Worum ging es juristisch?

Dass der Richter diese ausführliche Beschäftigung mit Themen wie Reaktorsicherheit, medizinische Folgen von Tschernobyl, Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern in Uranabbaugebieten, Auswirkungen der Wiederaufarbeitung, Polizeiübergriffe bei Castor-Transporten und vielen weiteren überhaupt zuließ, hat viel mit der juristisch fragwürdigen Heranziehung des Nötigungs-Paragraphen 240 Strafgesetzbuch für die Ahndung der Süschendorf-Aktion zu tun.

Nach der neuesten Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung zur Anwendbarkeit des § 240 auf Blockadeaktionen spielt es eine große Rolle, ob diejenigen, die durch eine Blockade aufgehalten werden, etwas mit dem Gegenstand des Protests zu tun haben oder nicht. Entscheidend ist auch, ob der Zweck der Aktion in erster Linie eine reine Störung war oder ob es eine vor allem kommunikative Absicht gibt, die die Blockade als durch das Grundgesetz geschützte Versammlung ausweist.

Am ersten Verhandlungstag wurde die juristische Auseinandersetzung um diese Fragen erst angedeutet. Trotzdem ging es auch auf dieser Ebene schon zur Sache. So hatten die Anwälte massive Kritik an der ungenauen Formulierung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Dort ist zwar von Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe die Rede, aber es wird nicht klar, wer genötigt und welcher öffentliche Betrieb gestört worden sein soll. Der Richter griff diese Kritik an der Staatsanwaltschaft auf, bezeichnete die Anklage als „durchaus nicht unproblematisch“ und formulierte dann selbst die Konkretisierung: Der Zugführer soll genötigt worden sein und die DB Netz AG sei gestört worden.

Nach zuerst irritierenden Formulierungen stellte der Richter auch klar, dass die vier Aktivisten nicht angeklagt seien, den Betonblock unter dem Gleisbett angebracht zu haben. Wer dies vielleicht schon Monate vor der Aktion gemacht hat, ist völlig unklar.

Die Anwälte nehmen den Prozess vor dem Amtsgericht sehr ernst, denn die Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, dass sie eine Grundsatzentscheidung anstrebt, mit der ein für allemal geklärt werden soll, ob das Anketten an Schienen oder ähnliche Aktionen strafbar ist und welcher Paragraph des Strafgesetzbuches auf solche Aktionen anzuwenden ist. Deshalb überlegt die Staatsanwaltschaft, nach dem Urteil des Amtsgerichtes eine so genannte Sprungrevision zum Oberlandesgericht Celle beantragen. Also muss jetzt vor der 1. Instanz bereits sehr gründlich gearbeitet werden.

Wie ernst die Staatsanwaltschaft die Sache nimmt, zeigt auch, dass ein ähnliches Verfahren gegen Mihai vor einigen Jahren noch gegen die Zahlung einer Geldbuße von 200 DM an den Verein „Kinder von Tschernobyl“ eingestellt wurde. Jetzt, so machte der Staatsanwalt im Prozess deutlich, werde er einer Einstellung nicht zustimmen. Allerdings war es ihm auch auf hartnäckiges Nachfragen der Anwälte nicht möglich, zu erläutern, was sich seit dem letzten Prozess geändert haben soll.

Dass die staatlichen Behörden derzeit versuchen, aktiven AtomkraftgegnerInnen auf allen nur denkbaren Ebenen Schwierigkeiten zu machen, zeigt sich auch in einer von Arnos Anwalt angesprochenen kuriosen Geschichte am Rande: Arno hat einen Kostenbescheid der Bezirksregierung bekommen, bezüglich der Fahrt von Süschendorf (angeblich ab 22.18 Uhr) zur Gefangenensammelstelle in Neu Tramm und der Unterbringung im Polizeigewahrsam. Solche Kosten dürfen aber nicht erhoben werden, wenn es sich bei der polizeilichen Maßnahme um Strafverfolgung handelt, sondern nur wenn die Ingewahrsamnahme aufgrund der Gefahrenabwehr erfolgt. Arno wird also einerseits als potentieller Straftäter verfolgt und in Lüneburg angeklagt (Beginn der zur Last gelegten Tat, laut Anklage um 22.20 Uhr), gleichzeitig soll er aber die Kosten der Gefahrenabwehr zahlen, die bei Straftätern nicht erhoben werden dürfen. Netterweise stellte hier sogar der Staatsanwalt fest, dass dieser Kostenbescheid wohl nicht rechtmäßig sein kann.

Das Ambiente

Nicht nur im Gerichtssaal war Interessantes los, sondern auch draußen vor der Tür. Mehr als 100 Freundinnen und Freunde der Angeklagten waren gekommen, um die vier solidarisch zu unterstützten. Dabei war auch Marie, die als fünfte Süschendorfer Aktivistin nicht in Lüneburg vor dem Richter steht. Ihr Fall wird in Dannenberg vor dem Jugendrichter verhandelt.

Unterschiedlichste Initiativen aus der Anti-Atom-Bewegung der Region hatten sich für den Prozessauftakt etwas ausgedacht. Die aus dem Wendland mit dem Zug anreisenden ProzessbesucherInnen mussten in Süschendorf eine Pause einlegen, weil eine Birke auf den Gleisen lag (Die Bahn war rechtzeitig gewarnt worden). Mit einer kleinen Demonstration durch Lüneburg wurde schon am Morgen auf den Prozess aufmerksam gemacht. Vor dem Gerichtsgebäude wurden sieben Betonmischmaschinen aufgefahren, zusammen mit einem Transparent „Beton – es kommt darauf an, was man daraus macht“. Obwohl in den Maschinen nur Steine für Lärm sorgten, war die Polizei sehr nervös und versuchte das Aufstellen und Betreiben der Betonmischer zu verhindern, was allerdings nur teilweise gelang.

Der Einlass in den Gerichtssaal gestaltete sich recht mühsam, weil sich alle einer gründlichen Leibesvisitation unterziehen mussten. So konnte der geplante Prozessbeginn um 9 Uhr nicht eingehalten werden. Auch die Angeklagten kamen durch die große Menschenmenge im Gerichtsflur kaum durch. Als ein ungeduldiger Gerichtsdiener in die Menge rief „Ist hier noch ein Angeklagter?“, erhielt er von vielen die Antwort: „Angeklagt sind wir alle“. Erst mit 45 Minuten Verspätung zogen die Aktivisten in den Saal ein und wurden minutenlang mit standing ovations begrüßt.

Nachdem im Saal immer noch Plätze frei waren, kletterten einige entschlossene Leute durchs Fenster in das Gericht, sparten sich so die zeitaufwendige Durchsuchung und der Prozess konnte beginnen. (Zitat Landeszeitung: „Normalerweise achten Gerichtsdiener darauf, dass kein Angeklagter durchs Fenster flieht. Gestern mussten sie im Amtsgericht verhindern, dass zu viele Zuschauer durch das Fenster eindrangen“) Insgesamt fanden im überfüllten Saal ungefähr 80 Menschen Platz. Immer wenn jemand im Laufe des Tages gehen musste, kam von draußen wieder jemand Neues rein, so dass es bis zum Abschluss des ersten Verhandlungstages nach 16 Uhr voll blieb.

Der Richter versuchte sich angesichts der guten Stimmung im Saal in einer humorvollen und lockeren Prozessführung, was allerdings nichts darüber aussagt, wie er am Ende urteilen wird. Trotzdem war die Anwesenheit vieler solidarischer Menschen erstmal sehr hilfreich, oder wie Arno sich ausdrückte: „Angenehme Arbeitsatmosphäre“.

Der Prozess geht weiter am 24.4. und 2.5., jeweils um 9 Uhr

Am 24.4. werden einerseits der Lokführer und eine Vertreterin der Deutschen Bahn als Zeugen vernommen, andererseits wird Dr. Helmut Hirsch als Gutachter der Verteidigung die Gefahren der Atomkraft und der Atomtransporte anschaulich darstellen, um zu belegen, wie notwendig die Aktion in Süschendorf war. Es wird ein hochinteressanter Prozesstag werden.

Es ist sicherlich sinnvoll, morgens rechtzeitig vor Ort zu sein, denn es finden umfangreiche Einlasskontrollen statt.

Aktuelle Infos und wichtige Presseartikel über den Prozess auf http://www.robinwood.de/prozess
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Ergänzungen

Grandios!!!

solidarisch 23.04.2002 - 01:19
Finde es klasse, wie dieser Prozess von der Anti-Atom-Bewegung mit Aktionen,solidarität und guter inhaltlicher Stellungnahmen begleitet wird. Es ist wichtig, menschlich und humorvoll zu sein, aber auch auf die ernste Lage und den ernsthaften Anlass hinzuweisen.
Gemeint sind wir alle!!!
Solidarische Grüße aus NRW.

23.04.2002 - 14:11
Frage: Ist hier noch ein Angeklagter?
Antwort: Es kann gar nicht genug Angeklagte geben! ;-)

24.04.2002 - 12:23
solidaridad!!!!